Urteil des OLG Düsseldorf vom 17.03.2003

OLG Düsseldorf: öffentliches interesse, körperverletzung, bewährung, strafantrag, anklageschrift, persönlichkeit, einwirkung, geldstrafe, stillschweigend, ausnahme

Oberlandesgericht Düsseldorf, III-2a Ss 28/03 - 16/03 II
Datum:
17.03.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
III-2a Ss 28/03 - 16/03 II
Vorinstanz:
Landgericht Duisburg
Tenor:
1.
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch
über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
Damit ist die sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und
Auslagenentscheidung gegenstandslos.
2.
Im übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen.
G r ü n d e :
1
Mit der unverändert zugelassenen Anklageschrift warf die Staatsanwaltschaft dem
Angeklagten eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vor. Der
Geschädigte hatte keinen Strafantrag gestellt. Wegen dieses Deliktes hat das
Amtsgericht den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und
die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Auf die Berufung des
Angeklagten hat das Landgericht - nach entsprechendem Hinweis in der
Hauptverhandlung - das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und den Angeklagten
wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von vier
Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen richtet sich die
Revision des Angeklagten, mit er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Gleichzeitig
hat der Angeklagte gegen die in dem Urteil der Strafkammer enthaltene Kosten- und
Auslagenentscheidung sofortige Beschwerde eingelegt. Das Rechtsmittel des
Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zumindest vorläufigen
Erfolg.
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1. Der Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung nach § 223 StGB steht
ein Verfahrenshindernis (§ 206a StPO) infolge des fehlenden Strafantrages des
Geschädigten nicht entgegen, weil die Staatsanwaltschaft hier das
Strafverfolgungsinteresse in der Berufungshauptverhandlung formlos zum Ausdruck
gebracht hat.
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Gemäß § 230 StGB wird die vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 StGB nur auf
Antrag, der hier nicht gestellt wurde, verfolgt, es sei denn, dass die
Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der
Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Die Erklärung der
Staatsanwaltschaft benötigt grundsätzlich keine besondere Form, die Bejahung des
besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung kann vielmehr auch
konkludent (z.B.) durch Anklageerhebung oder Antrag auf Erlass eines Strafbefehls
erfolgen (LK-Hirsch, StGB, 10. Aufl., § 232 a.F. Rdnr. 19; Tröndle/Fischer, StGB, 51.
Aufl., § 230 Rdnr. 4). Im vorliegenden Fall ist die Anklageerhebung wegen eines
Offizialdeliktes erfolgt, so dass für eine Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft
nach § 230 StGB zunächst kein Raum war.
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Eine Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes ergab sich erst in der
Berufungshauptverhandlung. Der Angeklagte wurde ausweislich des Sitzungsprotokolls
darauf hingewiesen, dass er auch "wegen einfacher Körperverletzung gemäß § 223
StGB" verurteilt werden könne. Weist der Tatrichter in der Hauptverhandlung darauf hin,
dass abweichend von dem angefochtenen Schuldspruch eine Verurteilung des
Angeklagten wegen "einfacher Körperverletzung gemäß § 223 StGB" in Betracht
kommt, kann die konkludente Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der
Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft darin liegen, dass der Sitzungsvertreter
von der dem Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils zugrunde liegenden
Würdigung des Verhaltens des Angeklagten als Offizialdelikt (hier: § 224 Abs.1 Nr. 2
StGB) abrückt und, obwohl ein entsprechender Strafantrag von dem Geschädigten nicht
gestellt worden war, im Rahmen des Schlussvortrages beantragt, den Angeklagten
wegen des Antragsdeliktes zu verurteilen (vgl. BGHR, StGB § 323 öffentliches Interesse
1; BayObLG NJW 1990,461,462).
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Diese verfahrensrechtliche Situation liegt hier vor. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft
hat in der Berufungshauptverhandlung nach rechtlichem Hinweis (§ 265 StPO) die der
Anklageschrift und dem angefochtenen Urteil zugrundeliegende Würdigung des
Verhaltens des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung (Offizialdelikt) nicht
aufrecht erhalten, sondern sich der Auffassung der Strafkammer angeschlossen und
beantragt, den Angeklagten "wegen vorsätzlicher Körperverletzung" zu einer
Freiheitsstrafe zu verurteilen. Unter diesen Umständen liegt hier in dem Schlussvortrag
der Staatsanwaltschaft stillschweigend die Bejahung des besonderen öffentlichen
Interesses an der Strafverfolgung des dem Angeklagten zur Last gelegten Vergehens.
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2. Soweit der Schuldspruch betroffen ist, ist die Revision unbegründet, weil die
Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung insoweit
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 und 3
StPO).
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3. Der Rechtsfolgenausspruch hat indessen keinen Bestand, weil die Strafkammer eine
Freiheitsstrafe von vier Monaten verhängt hat, ohne die Voraussetzungen des § 47
StGB zu erörtern.
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Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere
Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung
einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der
Rechtsordnung unerlässlich machen (§ 47 StGB). Die Vorschrift bezweckt, die kurze
Freiheitsstrafe zur Ausnahme zu machen. Dies gilt unabhängig davon, ob eine
Strafaussetzung nach § 56 StGB in Betracht kommt (vgl. OLG Düsseldorf, 1. Strafsenat,
VRS 80,13,14 mwN.) Die Urteilsausführungen genügen hier angesichts des straffreien
Vorlebens des Angeklagten nicht den an die Verhängung einer kurzzeitigen
Freiheitsstrafe zu stellenden Mindestanforderungen gemäß § 267 Abs. 3 Satz 2 StPO,
weil lediglich die Strafzumessungstatsachen mitgeteilt werden, nicht jedoch die Gründe,
die zur Ablehnung einer Geldstrafe geführt haben (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl.,
§ 47 Rdnr. 15).
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4. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Zurückverweisung der Sache - auch über die
Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Strafkammer des Landgerichts. Damit
ist die von dem Angeklagten eingelegte sofortige Beschwerde gegen die in dem
angefochtenen Urteil enthaltene Kosten- und Auslagenentscheidung gegenstandslos.
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