Urteil des OLG Düsseldorf vom 27.03.2006

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Oberlandesgericht Düsseldorf, I-1 U 205/05
Datum:
27.03.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-1 U 205/05
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 21. Oktober 2005 verkündete
Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kleve wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden
Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zu 1. vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
G r ü n d e :
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I.
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Der Kläger nimmt die Beklagten nach einem Verkehrsunfall vom 15.05.2002 auf der
Autobahn A 57, Ortslage Kamp-Lintfort auf Schadensersatz, insbesondere
Schmerzensgeld, in Anspruch.
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Der Kläger lenkte einen Klein-Lkw Mitsubishi seines Arbeitgebers, der Firma W.B.
GmbH, Sonsbeck. Bei einer Geschwindigkeit von etwa 120 km/h gab es plötzlich einen
lauten Knall, das Fahrzeug geriet außer Kontrolle, fuhr zunächst auf den zweiten
Fahrstreifen, kam ins Schleudern, fuhr rechts gegen die Leitplanken und kippte dann die
Böschung herunter, wo es gegen einen Baum prallte und auf dem Dach liegen blieb.
Der Kläger wurde aus dem Fahrzeug geschleudert. Er erlitt schwerste Verletzungen,
derentwegen er die ersten Tage nach dem Unfall in akuter Lebensgefahr schwebte und
die letztlich zu Dauerschäden geführt haben. Wegen der Einzelheiten der Verletzungen
sowie deren Folgen wird auf die Klageschrift vom 22.06.2004 (Bl. 3-5 d.A.) Bezug
genommen.
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Der Klein-Lkw Mitsubishi hatte sich erst am 10.05.2002 zur Inspektion in der Werkstatt
der Beklagten zu 1) befunden. Die Inspektion war von dem Beklagten zu 2), einem
Mitarbeiter der Beklagten zu 1), durchgeführt worden.
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Der Kläger hat behauptet, dass Ursache des Unfalls das völlig unerwartete Platzen des
linken hinteren Reifens am Fahrzeug bei voller Fahrt gewesen sei. Der Hinterreifen sei
ohne jegliche Fremdeinwirkung geplatzt. Die Bereifung am Fahrzeug sei bereits sieben
Jahre alt gewesen und habe teilweise poröse Stellen aufgewiesen. In dem
Reifengummi seien feine Risse enthalten und keine glatte Oberfläche mehr gegeben
gewesen. Ursache für den Reifenplatzer sei deshalb mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit der poröse und damit nicht mehr verkehrssichere Reifen gewesen.
Am geplatzten Reifen hinten links am Fahrzeug habe sich die Lauffläche mit größeren
Teilen der Stahlgürtellagen abgelöst. Hierdurch sei die ungeschützte Karkasse quer zur
Umfangsrichtung an mehreren Stellen aufgeplatzt. Dabei sei ein schlagartiger
Luftverlust eingetreten, der als Unfallursache angesehen werden müsse. Bei Reifen, die
älter als sechs Jahre seien, sei das Ausfallrisiko durch Protektorenablösungen mehr als
verzehnfacht.
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Bereits bei der Inspektion des Fahrzeugs seien die Reifen teilweise erkennbar porös
gewesen und hätten damit eine große Unfallgefahr dargestellt. Im Rahmen der
Inspektion hätte der Zustand der Reifen untersucht werden müssen. Einer Fachwerkstatt
hätte sich das Alter der Reifen und die Rissigkeit des Materials direkt aufdrängen
müssen. Der Beklagte zu 2) hafte, weil er als verantwortlicher Mitarbeiter der Beklagten
zu 1) den schadhaften Reifen während der von ihm durchgeführten Inspektion
offensichtlich übersehen habe. Daneben hafte die Beklagte zu 1), weil sie die
erforderliche Ausgangskontrolle nach der Inspektion nicht ordnungsgemäß
vorgenommen und deshalb den schadhaften und porösen Reifen ebenfalls übersehen
habe. Hierdurch sei ein entsprechender Hinweis an den Fahrzeughalter unterblieben.
Den Beklagten sei somit eine Verletzung der ihnen obliegenden Hinweis- und
Aufklärungspflicht vorzuwerfen, die sie – bei einer Mithaftung des Klägers zu 25 % - zur
Zahlung von Schadensersatz und eines angemessenen Schmerzensgeldes von 30.000
€ verpflichte.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein ange- messenes, der
Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen
zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszins seit dem 22.01.2003,
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2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm alle
zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus Anlass des Unfalls vom
15.05.2002 mit einer Quote von 75 % zu ersetzen, soweit die Schadensersatzansprüche
nicht auf Sozialversicher- ungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
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Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie haben eingewendet, dass selbst wenn der linke hintere Reifen am Fahrzeug
geplatzt sei, dies auf vielerlei Ursachen zurückgeführt werden könne, üblicherweise auf
äußere mechanische Einwirkungen. Ein Unterlassen ihrerseits habe jedenfalls nicht zu
dem Verkehrsunfall vom 15.05.2002 geführt. Es werde bestritten, dass der Reifen
teilweise poröse Stellen aufgewiesen habe, die äußerlich ohne weiteres hätten auffallen
müssen. Ferner werde bestritten, dass der Reifen nicht verkehrssicher gewesen sei und
dies bei der Inspektion am 10.05.2002 hätte erkannt werden können. Der Beklagte zu 2)
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sei seit vielen Jahren bei der Beklagten zu 1) beschäftigt und gelte als ausgesprochen
zuverlässig. Er sei in der Lage, Inspektionen selbständig durchzuführen.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung von Zeugen. Es hat
sodann die Klage als unbegründet abgewiesen, weil es eine Verantwortlichkeit der
Beklagten für den Verkehrsunfall vom 15.05.2002 nicht festzustellen vermochte. Es
könne bereits nicht festgestellt werden, dass der streitgegenständliche Unfall tatsächlich
auf ein plötzliches Platzen des linken hinteren Reifens des Klein-Lkws Mitsubishi
zurückzuführen gewesen sei und dieses Platzen durch das Alter und Porosität des
Reifens verursacht worden sei. Das Platzen des Reifens könne generell mannigfaltige
Ursachen haben. Zwar bestünden keine konkreten Anhaltspunkte für eine irgendwie
geartete mechanische Fremdeinwirkung oder einen äußeren Anlass für das Platzen des
Reifens. Gleichwohl könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine äußere Einwirkung
zu dem Platzen des Reifens geführt habe. Jedenfalls könne aber nicht davon
ausgegangen werden, dass die Bereifung an dem Klein-Lkw, insbesondere der hintere
linke Reifen derartig poröse Stellen aufgewiesen habe, dass diese die
Verkehrssicherheit beeinträchtigten und dies den Beklagten hätte auffallen müssen.
Inwieweit die Bereifung poröse Stellen aufgewiesen habe, sei auch im Rahmen der
Beweisaufnahme nicht eindeutig geklärt worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des
Landgerichts verwiesen, welches der Kläger soweit es um die Abweisung seiner
Ansprüche gegenüber der Beklagten zu 1) geht, mit seiner zulässigen Berufung anficht.
Er rügt insbesondere die Beweiswürdigung des Landgerichts, aber auch das
Übergehen von Beweisantritten. Der Kläger macht geltend, dass allein das Alter des
Reifens (7 Jahre) und die Nutzung des Fahrzeuges im Baustellenverkehr mit hoher
Beanspruchung zu einer Beseitigung der Verkehrssicherheit geführt habe. Die
statistische Wahrscheinlichkeit einer Protektorablösung verzehnfache sich bei Reifen,
die älter als 6 Jahre alt seien. Der Zustand der Reifen habe in der Werkstatt der
Beklagten im Rahmen der "Großen Inspektion" bei 90.000 km am 10. Mai 2002
untersucht werden müssen, da die von der Firma B. in Auftrag gegebenen
Wartungsarbeiten so hätten ausgeführt werden müssen, dass das Fahrzeug für die
nächste Zeit (möglichst bis zur nächsten Inspektion) gebrauchsfähig und fahrbereit war.
Der entsprechende ausdrückliche Auftrag zur Untersuchung des Reifenzustandes sei
nicht erforderlich, da dies vom Inspektionsauftrag umfasst sei. Bei der gebotenen
Untersuchung hätte sodann der schlechte Reifenzustand und insbesondere das Alter
des Reifens festgestellt werden müssen, da dieses anhand der sogenannten Dot-
Nummer für eine Fachwerkstatt sofort erkennbar gewesen sei. Der Kläger als
fahrzeugtechnischer Laie habe hingegen weder das verschlüsselt eingestanzte Alter
des Reifens noch die Porosität des Materials erkennen können. Im Rahmen seiner vor
Antritt der Fahrt für den jeweiligen Fahrer vorgeschriebenen Überprüfung des
Fahrzeuges sei es lediglich möglich gewesen, das Profil und den Luftdruck der Reifen
zu untersuchen. In dieser Hinsicht seien die Reifen jedoch mängelfrei gewesen.
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Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes, der Höhe nach in das
Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 % über
dem Basiszinssatz seit dem 22.01.2003 zu zahlen, 2. festzustellen, dass die Beklagte
verpflichtet ist, dem Kläger alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus
dem Unfallereignis vom 15.05.2002 mit einer Quote von 75 % zu erstatten, soweit diese
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nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft und ergänzt ihr erstinstanzliches
Vorbringen.
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Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf den in dem Berufungsverfahren
gewechselten schriftsätzlichen Sachvortrag der Parteien verwiesen.
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II.
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Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
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1.
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Das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Die in der Berufungsinstanz
vorgetragenen Einwendungen des Klägers rechtfertigen keine andere Beurteilung.
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Im Einzelnen ist hierzu noch folgendes auszuführen:
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Der grundsätzlich auf §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 831 BGB zu stützende Anspruch des
Klägers setzt jedenfalls voraus, dass die Beklagte zu 1. für das als Unfallursache
angeführte Platzen des Reifens verantwortlich zu machen ist. Umstände, welche diese
Verantwortlichkeit begründen könnten, hat der Kläger jedoch nicht bewiesen.
Insbesondere war die Beklagte zu 1. – über ihren Mitarbeiter, den Beklagten zu 2. –
allenfalls dann verpflichtet, die Firma W. B. GmbH auf eine Überalterung der Reifen und
deren teilweise Porosität hinzuweisen, wenn den Beklagten entweder diese Mängel
positiv bekannt waren oder sie diese im Rahmen des übernommenen
Inspektionsauftrages hätten erkennen müssen.
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Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagten das Alter der Reifen kannten bzw. um zur
Betriebsunsicherheit führende Mängel der Reifen wussten, bestehen jedoch nicht und
sind von dem Kläger auch nicht vorgetragen worden.
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In welchem Umfang die Beklagten verpflichtet waren, die Reifen des Fahrzeuges zu
überprüfen und hierbei gegebenenfalls Mängel zu erkennen, hängt in erster Linie von
dem zugrundeliegenden Auftrag ab. Im Übrigen hatten sich die Beklagten jedenfalls an
den eigenen Inspektionsplan zu halten; ergaben sich hierbei Auffälligkeiten war unter
Umständen eine darüber hinausgehende Prüfung geboten.
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Dass die Beklagten mit einer umfassenden Überprüfung des Reifens, insbesondere
auch des Alters der Reifen besonders beauftragt worden sind, hat der Kläger nicht
geltend gemacht. Ein schriftlicher Auftrag, der den Inspektionsumfang beschreibt, liegt
nicht vor.
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Auch aus der Abrechnung vom 13.05.2002 (Bl. 21) geht dies nicht hervor. Danach
wurde eine "90.000-km-Inspektion mit Zahnriemenwechsel" durchgeführt und die
Wasserpumpe erneuert.
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Insofern ist der Pflichtenkreis der Beklagten schriftlich lediglich aus den übergebenen
Inspektionsplänen ersichtlich (Bl. 163 ff GA). Danach waren die Reifen (lediglich) auf
Profiltiefe, Laufbild und Fülldruck zu überprüfen und damit nicht – zumindest nicht ohne
weiteres – auch das Alter der Reifen.
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Dass sich hierbei Auffälligkeiten ergeben haben, die zu einer weitergehenden
Überprüfung der Reifen Veranlassung geben mussten, hat der Kläger nicht bewiesen.
Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass bei der Sichtprüfung in dem im
Inspektionsplan beschriebenen Umfang die von dem Zeugen G. beschriebene Porosität
auffallen musste, die gegebenenfalls auch Veranlassung dazu geben konnte, das Alter
der Reifen zu überprüfen. Der Senat hatte - wie schon das Landgericht – keine
Möglichkeit mehr den Zustand der Reifen selbst und durch Sachverständige überprüfen
zu lassen, weil die Reifen nicht mehr vorhanden waren.
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Das Landgericht hat insoweit die Aussage des Zeugen G. beanstandungsfrei als nicht
hinreichend ergiebig betrachtet, insbesondere zu Recht eine Dokumentation vermisst, in
welchem Umfang und an welchem Ort die porösen Stellen vorgelegen haben. Denn da
sich der von der Beklagten zu 1. geschuldete Prüfungsumfang maßgeblich auf
Profiltiefe, Laufbild und Fülldruck bezog, hatte ihr Monteur in der Werkstatt keinen
besonderen Grund und insofern auch nicht ohne weiteres die Pflicht, das Alter der
gegebenenfalls mit ausreichender Profiltiefe, unauffälligem Laufbild und gutem
Fülldruck ausgestatteten Reifen zu überprüfen. Auch sonstige Umstände, welche die
Beklagte zu 1. zu einer weitergehenden Untersuchung der Reifen veranlassen musste,
etwa eine Kenntnis von einer besonderen Beanspruchung oder Belastung der Reifen,
sind von dem Kläger nicht vorgetragen worden.
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Da insofern eine (objektive) Pflichtverletzung der Beklagten nicht festzustellen ist, kann
dahin stehen, ob die Reifen wegen ihres Alters tatsächlich (erkennbar) betriebsunsicher
waren, wovon allerdings zumindest nach dem vorgelegten DEKRA-Gutachten (Bl. 19
GA) auszugehen ist (vgl. zu dieser Thematik auch BGH, NJW 2004, 1032; OLG
Düsseldorf, NZV 1997, 190; OLG Nürnberg, NJW-RR 2002, 1248; Landgericht
Frankfurt/M., NZV 1992, 194). Auch die – von dem Landgericht verneinte - weitere
Frage, ob das Platzen des Reifens Ursache des Unfalls war, braucht daher nicht
entschieden werden. Anzumerken ist insoweit nur, dass nach einer Entscheidung des
22. Zivilsenates des OLG Düsseldorf (NZV 1997, 271) der Anscheinsbeweis dafür
spricht, dass es wegen des geplatzten Reifens zum Unfall kam, wenn ein Kfz auf freier
Autobahnstrecke bei 120 km/h ins Schleudern gerät, ohne dass dafür außer dem
Platzen des Reifens ein Grund erkennbar ist. Selbst bei Zugrundelegung dieser
Grundsätze bliebe allerdings noch zu klären, ob Ursache für das Platzen des Reifens
dessen altersbedingter Zustand war und ob auch insoweit auf
Anscheinsbeweisgrundsätze zurück gegriffen werden kann.
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2.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen
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nicht vor.
Der Streitwert für den Berufungsrechtzug wird auf 32.500 € festgesetzt.
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Dr. E K E
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