Urteil des OLG Düsseldorf vom 14.07.2009

OLG Düsseldorf: verkehr, vergleich, unterlassen, anhörung, vollstreckung, stichprobe, abgabe, mittelwert, vertragsstrafe, minimal

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-20 U 46/01
Datum:
14.07.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-20 U 46/01
Tenor:
Die Berufung der Klägerinnen gegen das am 9. Februar 2001
verkündete Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Düsseldorf wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und des Revisionsverfahrens I ZR
10/03 des Bundesgerichtshofes tragen die Klägerinnen.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Klägerinnen wird
nachgelas-sen, eine Vollstreckung der Beklagten durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beitreibbaren Betrages
abzuwenden, wenn nicht die Be-klagte vor Beginn der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110% des je-weils beizutreibenden Betrages
leistet.
1. Tatbestand
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Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die tatsächlichen
Feststellungen der angefochtenen Entscheidung sowie die tatsächlichen Feststellungen
im Urteil des Senats vom 17. Dezember 2002 und des Bundesgerichtshofes vom 20
Oktober 2005 (GRUR 2006, 82 ff. - Betonstahl) Bezug genommen.
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Die Parteien befassen sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Betonstahl. Dabei
handelt es sich um ein Bauprodukt, für welches nach § 24 Abs. 2 NBauO und den
entsprechenden Landesbauordnungen der übrigen Bundesländer vom D. I. B.
technische Regeln aufgestellt sind. Nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 NBauO dürfen derartige
Bauprodukte dann verwendet werden, wenn sie von diesen technischen Regeln nicht
oder lediglich unwesentlich abweichen und wenn sie aufgrund eines
Übereinstimmungsnachweises das Übereinstimmungszeichen tragen.
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Die Klägerinnen haben behauptet, der von der Beklagten feilgebotene Betonstahl 500
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KR weiche nicht unwesentlich von diesen technischen Regeln ab, was sie anhand
mehrerer Testkäufe ermittelt haben wollen und was sich schon aus den beigefügten
Werkprüfzeugnissen der Beklagten ergeben soll. Sie haben die Beklagte daher auf
Unterlassung, Feststellung der Schadensersatzpflicht und aufgrund einer "vorläufigen
Unterlassungserklärung" auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Anspruch genommen.
Das Landgericht hat die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung
der Klägerinnen, mit der diese ihr Klagebegehren weiter verfolgen.
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Der Senat hat die Berufung mit Urteil vom 17.12.2002 zurückgewiesen und dabei offen
gelassen, ob der von der Beklagten vertriebene Betonstahl den Anforderungen des § 24
Abs. 1 Nr. 1 NBauO entspricht, weil ein derartiges Verhalten jedenfalls nicht
wettbewerbswidrig im Sinne von § 1 UWG a.F. sei, da es von den zuständigen
Behörden ausdrücklich als gesetzeskonform angesehen werde. Auf die Revision der
Klägerinnen hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 20 Oktober 2005 (GRUR 2006, 82
ff. - Betonstahl) dieses Urteil aufgehoben und die Sache an den Senat zurückverwiesen.
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Im erneuten Berufungsverfahren vertiefen die Klägerinnen ihr Vorbringen zu den von
ihnen behaupteten nicht nur unwesentlichen Abweichungen des von der Beklagten
vertriebenen Betonstahls von den Anforderungen.
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Die Klägerinnen beantragen,
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unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 09.02.2001
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1. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu
Wettbewerbszwecken kaltverformten Betonstahl im Ring BST 500 KR
anzubieten, abzugeben, zur Abgabe bereit zu halten oder sonstwie in den
Verkehr zu bringen, der hinsichtlich des Qualitätsmerkmals Bruchdehnung A10
oder des Verhältnisses Rm/Re die vorgeschriebenen Mindestwerte oder die
vorgeschriebenen Mittelwerte gemäß dem gültigen bauaufsichtlichen
Zulassungsbescheid des D. I. B. nicht entspricht;
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hilfsweise,
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die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu
Wettbewerbszwecken kaltverformten Betonstahl im Ring BST 500 KR
anzubieten, abzugeben, zur Abgabe bereit zu halten oder sonstwie in den
Verkehr zu bringen, der hinsichtlich der Merkmale Bruchdehnung A10 oder des
Verhältnisses Rm/Re nicht den vorgeschriebenen Quantilwerten gemäß dem
gültigen bauaufsichtlichen Zulassungsbescheid des D. I. B. entspricht;
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höchst hilfsweise,
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die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, Betonstahl BSt 500 KR in den
verkehr zu bringen, der ausweislich der Ergebnisse der eigenen
Werkprüfzeugnisse der Beklagten die verbindlichen Vorgaben für die
Eigenüberwachung hinsichtlich des Qualitätsmerkmals Bruchdehnung A10
(>=12,5%) und/oder hinsichtlich des Qualitätsmerkmals Rm/Re (>=1,10)
verfehlt, insbesondere wenn dies wie in der Anlage BK19 geschieht;
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2. der Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 1. ein
Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs
Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren anzudrohen;
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3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerinnen 25.000,00 DM nebst 5%
Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
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4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen allen
Schaden zu ersetzen, welcher diesen aufgrund der unter Ziff. 1. bezeichneten
Wettbewerbshandlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird;
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5. die Beklagte zu verurteilen, gegenüber den Klägerinnen Auskunft über den
Umfang der Wettbewerbshandlungen gem. Ziff. 1 zu erteilen, dies unter
Angabe des Zeitpunktes, des Gebietes, des Umfanges und der Adressaten.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Auch die Beklagte vertieft ihr zur Verteidigung der angefochtenen Entscheidung
erfolgtes Vorbringen und macht weiterhin geltend, der von ihr in Verkehr gebrachte
Betonstahl weiche nicht wesentlich von der erteilten Zulassung ab.
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Der Senat hat bereits im ersten Berufungsverfahren Stellungnahmen des D. I. B.
eingeholt. Hinsichtlich der Fragen wird auf den Beweisbeschluss vom 9. Oktober 2001
(Bl. 397 f. GA) und hinsichtlich des Ergebnisses auf die Stellungnahmen des D. I. B.
vom 21.02.2002 (Bl. 412 f. GA) und vom 27.06.2002 (Bl. 441 f. GA) Bezug genommen.
Er hat nunmehr Beweis erhoben auf Grund des Beweisbeschlusses vom 21.11.2006
(Bl. 571 GA), auf den hinsichtlich der Beweisfragen Bezug genommen wird, durch
Einholung behördlicher Auskünfte des D. I. B. und des M. N.. Hinsichtlich der erteilten
Auskünfte wird auf die schriftlichen Auskünfte des D. I. B. vom 31.01.2007 (Bl. 580 ff.
GA) und des M. N. vom 05.02.2007 (Bl. 593 ff. GA) sowie die schriftlichen
Zusammenfassungen der mündlichen Anhörungen vor dem Senat seitens des M. N.
vom 21.06.2007 (Bl. 626 ff. GA) und des D. I. B. vom 07.03.2008 (Bl. 648 ff. GA) Bezug
genommen.
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Hinsichtlich aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
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2. Entscheidungsgründe
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Die Berufung der Klägerinnen ist nicht begründet. Nach Durchführung der
Beweisaufnahme steht nicht fest, dass die Beklagte unter dem Gesichtpunkt des
Vorsprungs durch Rechtsbruch (§ 1 UWG a.F.) oder der Täuschung der Abnehmer (§ 3
UWG a.F.) bzw. nach § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG bzw. § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG
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unlauter gehandelt hat. In der Sache hat sich weder durch das UWG 2004 noch durch
die inzwischen erfolgte Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken
gegenüber Verbrauchern mit der Änderung des UWG zum 29.12.2008 etwas geändert.
Insbesondere bedarf es keiner Entscheidung der Frage, ob unter § 4 Nr. 11 UWG bei
richtlinienkonformer Auslegung nur noch auf Gemeinschaftsrecht beruhende
Regelungen berücksichtigt werden können, denn das Produkt Betonstahl ist ein
industrielles Zwischenprodukt, das nicht an Verbraucher veräußert wird, so dass die
beanstandeten Wettbewerbshandlungen nicht dem Regelungsbereich der Richtlinie
unterfallen und insoweit keine richtlinienkonforme Auslegung geboten ist.
Es ist nicht festzustellen, dass die Beklagte Betonstahl in den Verkehr gebracht und mit
dem Übereinstimmungskennzeichen versehen hat, der nicht dem gültigen allgemeinen
bauaufsichtlichen Zulassungsbescheid entspricht. Dabei ist nach dem Revisionsurteil in
dieser Sache davon auszugehen, dass eine Abweichung des jeweiligen Baustahls von
der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung des D. I. B., die nicht wesentlich ist, nach
§ 28 Abs. 1 NBauO und den entsprechenden Vorschriften der übrigen Bundesländer als
Übereinstimmung anzusehen ist. Voraussetzung für die Feststellung eines Vorsprunges
durch Rechtsbruch (§ 1 UWG a.F.), eines nach § 4 Nr. 11 UWG unlauteren
Marktverhaltens und einer Irreführung der Abnehmer über die Übereinstimmung des
Baustahls mit der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung ist daher, dass der von der
Beklagten gelieferte Baustahl nicht nur unwesentlich von dem Zulassungsbescheid
abweicht. Dies kann nicht festgestellt werden.
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Hinsichtlich der im Zulassungsbescheid geforderten Quantilwerte und hinsichtlich der
Durchschnittswerte ergibt sich dies bereits daraus, dass aus den von den Klägerinnen
getätigten Testkäufen keine für das Produkt repräsentative Stichprobe gebildet werden
kann und sich repräsentative Ergebnisse nur durch die im Rahmen der kombinierten
Eigen- und Fremdüberwachung gewonnenen, systematisch gezogenen Proben erzielen
lassen. Etwas anderes gilt für die im Zulassungsbescheid aufgeführten Mindestwerte.
Bei deren Unterschreitung ist zu entscheiden, ob diese "nicht wesentlich" im Sinne von
§ 28 Abs. 1 NBauO ist. Bei den am untersuchten Betonstahl der Beklagten festgestellten
Abweichungen von den geforderten Mindestwerten handelt es sich aber um solche, die
nicht wesentlich sind und die daher als Übereinstimmung mit der bauaufsichtlichen
Zulassung gelten. Soweit die in den Wekprüfzeugnissen ausgewiesenen Werte von den
Vorgaben für die schmelzweise Prüfung abweichen, sind diese ebenfalls nicht
wesentlich.
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Der Sachverständige Dipl. Ing. G., der auch zweitinstanzlich als Vertreter des M. NRW
angehört worden ist, hat schon in seinem erstinstanzlich erstatteten Gutachten
nachvollziehbar und anschaulich dargelegt, dass im Rahmen der Untersuchung von
Einzelproben, die von Wettbewerbern vorgelegt werden, nur eine Überprüfung auf die
Abweichungen der Mindestwerte des Zulassungsbescheides möglich ist. Er hat unter
dem Punkt "Probenahme" ausgeführt, dass die Probenahme nach einem festgelegten
Verfahren erfolgen muss, das auf angemessenen statistischen Methoden beruht. Zur
Untersuchung der Quantilwerte sei das Ergebnis aller Proben, mindestens 200 Stück,
zu untersuchen und zu bewerten. Proben, die von Wettbewerbern entnommen worden
sind, ermöglichten daher weder Aussagen zum langfristigen Qualitätsniveau
(Quantilwerte), noch zur Gesamtheit der Schmelze (Durchschnittswerte). Er hat dies in
seiner egänzenden Stellungnahme weiter ausgeführt und zu dem von den Klägerinnen
vorgelegten Gutachten von Prof. Dr. Ing. habil. R. (Anlage K37, Bl. 204 ff. GA) Stellung
genommen. Zwar sei es rein mathematisch möglich, Quantilwerte auch aus wenigen
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Einzelproben zu errechnen, bei unbekannter Standardabweichung sei jedoch dann nur
eine grobe Abschätzung möglich. Es sei daher nicht möglich, aufgrund dieser Werte die
Übereinstimmung des das langfristige Qualitätsniveau bestimmenden Quantilwertes zu
ermitteln, zumal eine selektive Beprobung nicht ausgeschlossen werden könne.
Bestätigt wird dies bereits durch die beiden im ersten Berufungsverfahren eingeholten
Stellungnahmen des D. I. B., die ebenfalls auf eine repräsentative Probenentnahme
verweisen. Der sachverständige Dipl. Ing. G. hat dies nochmals in seiner mündlichen
Anhörung durch den Senat erläutert und durch einen Vergleich zur Ermittlung eines
Wahlergebnisses veranschaulicht. Bestätigt wird dies im Ansatz auch durch das von
den Klägerinnen vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. Ing. R. (Anlage BK 20). Dessen
Beurteilung weicht von der des M. nur insoweit ab, als er der – allerdings nicht näher
erläuterten – Ansicht ist, die über einen Zeitraum von acht Monaten erfolgten Testkäufe
seien zufällig erfolgt und deshalb repräsentativ (Anlage BK20, S. 10). Dem vermag der
Senat jedoch nicht beizutreten. Zwar setzt eine repräsentative Stichprobe voraus, dass
sie in gewissem Sinne zufällig entnommen wird. Darüber hinaus erfordert sie aber ein
repräsentatives Probennahmemuster. Dies wird durch den von dem Sachverständigen
G. gezogenen Vergleich zur Wahlforschung ohne weiteres deutlich: Auch die zufällige
Befragung von 0,3% der Wähler – diesem Wert entspricht das Verhältnis der Testkäufe
zur Gesamtproduktion – ermöglicht keine valide Aussage über das Wahlergebnis. Aus
diesem Grunde verwenden Meinungsforschungsinstitute für repräsentative Befragungen
ein Verfahren, bei dem die Befragten repräsentativ in den für die Frage relevanten
Gesichtspunkten für die Gesamtmenge sind bzw. stellen statistische Vergleiche zum
Beispiel mit früheren Ergebnissen im gleichen Stimmbezirk an. Eine repräsentative
Probe muss daher – wenn es wie hier um die Produktion eines immer Abweichungen
unterliegenden Massenproduktes geht – in einem systematischen Verfahren genommen
werden, dass den die Eigenschaften des Produktes bestimmenden Umständen
(Ausgangsschmelze, Produktionsanlagen etc.) Rechnung trägt. Nichts anderes hat auch
die Vertreterin des D. I. B., Frau Dipl. Ing. H. in ihrer mündlichen Anhörung vor dem
Senat erklärt. Insbesondere hat sie darauf hingewiesen, dass ein statistisches
Verfahren, um aus Prüfergebnissen zufällig entnommener Proben auf die
Grundgesamtheit schließen zu lassen, der Verteilung der jeweiligen Eigenschaften
angepasst sein muss. Das bedeutet, dass dann, wenn - wie hier – eine systematische
Probenentnahme nicht vorliegt, auch aus einem Unterschreiten der Vorgabewerte in
mehr als 5% der Fälle nicht geschlossen werden kann, dass diese Quantilwerte auch in
der allein zu beurteilenden Gesamtproduktion festzustellen sind.
Aus den von den Klägerinnen durchgeführten Testkäufen lässt sich daher die
Einhaltung der Quantilwerte und der schmelzenbezogenen Mittelwerte nicht ermitteln.
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Ermitteln lässt sich jedoch die mögliche Unterschreitung von Einzelwerten. Insoweit hat
aber bereits das erstinstanzlich eingeholte Gutachten ergeben, dass diese nicht
wesentlich sind, weshalb das beprobte Material nicht als nicht zulassungskonform
angesehen werden kann. Der Sachverständige Dipl. Ing. G. hat insoweit ausgeführt,
dass bei der Beurteilung der Messergebnisse zunächst Messungenauigkeiten zu
berücksichtigen seien und hat sodann unter Berücksichtigung dieser
Messungenauigkeiten seine Messergebnisse in der Anlage 5 zu seinem Gutachten
zusammengestellt. Beim Verhältnis Rm/Re hat er in zwei Fällen Abweichungen
festgestellt, bei der Bruchdehnung A10 in vier Fällen. Diese Abweichungen hat der
Sachverständige sodann daraufhin untersucht, ob sie "nicht wesentlich" sind und ist zu
dem Ergebnis gelangt, dass sie nicht wesentlich seien. Hinsichtlich der Bruchdehnung
hat der Sachverständige erläutert, dass dieses Merkmal für die Bauwerksicherheit nicht
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entscheidend sei. Er hat in diesem Zusammenhang ergänzend noch den Wert der
Dehnung bei Höchstlast Agt ermittelt und ausgeführt, in Zusammenschau mit dem dort
ermittelten Wert seien die gemessenen Überschreitungen nicht wesentlich. Dabei ist der
Sachverständige zutreffend davon ausgegangen, dass zur Beurteilung der Frage, wann
eine Abweichung nur nicht wesentlich ist, insbesondere auf deren Auswirkungen auf die
Bauwerkssicherheit abzustellen ist. Er hat dies sehr ausführlich nochmals in seiner
Anhörung vor dem Senat erläutert. Er hat insbesondere auch Vergleiche zu
vergleichbaren Produkten, nämlich Betonstahlmatten, angestellt und daraus gefolgert,
dass auch die Abweichung im Verhältnis Rm/Re nicht wesentlich ist, weil sich aus dem
Vergleich ergebe, dass die geringfügige Unterschreitung die Tragwerkssicherheit nicht
beeinträchtige. Das ist nachvollziehbar und zutreffend. Insbesondere ist es zulässig, die
Frage, ob eine Abweichung nicht wesentlich ist, danach zu beantworten, ob die
Abweichung zu einer Beeinträchtigung der Bauwerkssicherheit führt. Dieser
Zusammenhang rechtfertigt ohne weiteres den Vergleich mit Produkten, die ähnlich
beschaffen und zu gleichen Zwecken eingesetzt werden. Auch das Abstellen darauf,
dass bei Gesamtbetrachtung auch des von der Zulassung nicht erfassten Wertes Agt die
Abweichungen des Gesamtproduktes von der Zulassung nicht wesentlich im Sinne von
§ 28 NBauO sind erschließt sich unmittelbar. Der Sachverständige hat in diesem
Zusammenhang im Anschluss an die Fachliteratur erläutert, dass nur die maßgebliche
Bauwerkssicherheit der Agt-Wert aussagekräftiger ist und dass bei ausreichendem Agt-
Wert Unterschreitungen des A10-Wertes im hier gegebenen Bereich tolerabel seien.
Nichts anderes gilt für die in den Werkprüfzeugnissen der Beklagten dokumentierten
Werte. Auch diese belegen keine nicht mehr als "nicht wesentlich" zu bewertende
Abweichung. Zwar können hier zum Vergleich auch die schmelzbezogenen Mittelwerte
herangezogen werden, weil die Beprobung im Rahmen der Eigenüberwachung
systematisch erfolgt ist. Bei genauer Betrachtung liegt aber im Bereich des
Verhältnisses Rm/Re nur in zwei Fällen eine ganz geringfügige und im Bereich der
Bruchdehnung A10 in vier Fällen nur eine nicht wesentliche Abweichung vom Mittelwert
– und in keinem Fall eine Unterschreitung der Mindestwerte – vor.
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Der Zulassungsbescheid gibt als Wert für das Verhältnis Rm/Re >= 1,10 vor. Die
Werkprüfzeugnisse weisen diesen Wert jedoch mit drei Nachkommastellen aus. Die
Klägerinnen sehen in Werten 1,098, 1,097, 1,096 und 1,099 zu Unrecht eine
Unterschreitung des vorgegebenen Wertes, denn bei mathematisch richtiger Rundung
auf die zwei Nachkommastellen des Zulassungsbescheides handelt es sich bei diesen
Werten um den Mittelwert des Zulassungsbescheides, nämlich 1,10. Allein die Werte
1,085 (gerundet auf zwei Stellen: 1,09) und 1,092 (ebenfalls gerundet: 1,09)
unterschreiten den Durchschnittswert minimal. Wie der Sachverständige Dipl. Ing. G.
erläutert hat, wird beispielsweise bei Betonstahlmatten ein Streckgrenzverhältnis von
1,03 als ausreichend angesehen. Der Wert liegt in jedem Fall sehr nahe an dem
geforderten Durchschnittswert und deutlich über dem Mindestwert und dem 5%-
Quantilwert, so dass hierin nicht mehr als eine "nicht wesentliche" Abweichung gesehen
werden kann.
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Nichts anderes gilt für die vier Unterschreitungen des Bruchdehnungswertes A10.
Abgesehen von der fraglichen bautechnischen Bedeutung dieses Wertes sind die
Abweichungen absolut geringfügig, zumal die erforderlichen Mindestwerte jeweils
deutlich überschritten werden und der Wert in weiteren Schmelzen wiederum deutlich
überschritten wird. Dies rechtfertigt wie auch die Unterschreitung der Mindestwerte in
zwei von acht der vom Sachverständigen untersuchten Proben hier erst recht die
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Bewertung als nicht wesentliche Abweichung vom Zulassungsbescheid.
Es kann somit nicht festgestellt werden, dass die Beklagte Betonstahl in den Verkehr
gebracht hat, der entgegen §§ 24, 28 NBauO nicht den Anforderungen der Zulassung
entspricht. Sie hat daher weder wettbewerbswidrig gehandelt, noch die Vertragsstrafe
verwirkt, wobei dahin stehen kann, ob diese Vertragsstrafenvereinbarung überhaupt
wirksam war.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 und § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung
zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Es besteht kein
Anlass, erneut die Revision zuzulassen. Der Rechtsstreit wirft keine Fragen von
grundsätzlicher Bedeutung mehr auf und hat keine über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung.
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Streitwert: 275.000,00 €
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