Urteil des OLG Düsseldorf vom 21.10.2003

OLG Düsseldorf (kläger, zpo, schätzung, höhe, abwerbung, verhandlung, beweislast, stelle, verlust, anlage)

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-20 U 139/02
Datum:
21.10.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-20 U 139/02
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des
Landge-richts Krefeld vom 16. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn
nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
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Zum Sachverhalt wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug
genommen. Das Landgericht hat die auf Zahlung von 272.412,04 Euro gerichtete
Schadensersatzklage abgewiesen, weil entweder der Zeuge K. die Mandanten des
Klägers nicht in unlauterer Weise zum Wechsel zu der Beklagten veranlasst habe, oder
ein etwaiges unlauteres Verhalten des Zeugen der Beklagten jedenfalls nicht
zuzurechnen sei. Der Berufungsvortrag des Klägers rechtfertigt im Ergebnis keine
andere Beurteilung, so dass die Berufung auf den entsprechenden Antrag der Beklagten
zurückzuweisen war.
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Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung ausführlich auf alle die Gesichtspunkte
hingewiesen, unter denen eine Schlüssigkeit des Klagevortrags zweifelhaft erscheint.
Im wesentlichen ging es dabei um drei Punkte, nämlich die Verantwortlichkeit der
Beklagten für die angeblichen Abwerbungshandlungen des Zeugen K., sodann die
Frage, ob K. alle zur Beklagten gewechselten Mandanten in unlauterer Weise
beeinflusst habe und schließlich um eine schlüssige Darlegung der Schadenshöhe. Der
Kläger hat daraufhin nur zu dem an zweiter Stelle genannten Gesichtspunkt ergänzend
Stellung genommen. Deshalb bedarf es keiner Prüfung, ob der neue Vortrag in der
mündlichen Verhandlung insoweit schlüssig ist, und ob er nach den neuen
Berufungsvorschriften überhaupt in prozessual zulässiger Weise eingeführt werden
konnte. Jedenfalls bleibt es bei dem unzureichenden Vortrag des Klägers zur
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Verantwortlichkeit der Beklagten für Handlungen des Zeugen K. und zur
Schadenshöhe. Unter beiden Gesichtspunkten ist die Klage weiterhin nach dem
eigenen Vorbringen des Klägers unbegründet.
1.)
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Der vorliegende Prozess ist vom Kläger im wesentlichen mit dem selben Vortrag geführt
worden, wie der Arbeitsgerichtsprozess gegen den Zeugen K., obwohl vorliegend in
erster Linie begründet werden müsste, weshalb die Beklagte für die behaupteten
Handlungen des Zeugen K. haften soll. Schon das angefochtene Urteil hat einen
Beweisantritt dafür vermisst, dass der Zeuge K. in Absprache mit der Beklagten die
Mandanten des Klägers in unlauterer Weise abgeworben hätte insbesondere, dass er
auf Veranlassung der Beklagten nachteilige Behauptungen über die Büroorganisation
und Arbeitsweise des Klägers verbreitet habe. Daran hat sich auch im Vortrag der
Berufung nichts geändert, so dass der Senat nochmals darauf hingewiesen hat, es
müsse vorgetragen werden, dass die Beklagte in das schädigende Verhalten
eingebunden gewesen sei.
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Wie schon im erstinstanzlichen Vortrag des Klägers immer wieder von einem bewussten
und gewollten Zusammenwirken der Beklagten mit dem Zeugen K. die Rede war, so
spricht auch der Berufungsvortrag immer wieder pauschal davon, die Handlungen des
Zeugen seien "mit Wissen und Wollen" der Beklagten geschehen, ohne dass dies
irgendwie näher substantiiert würde. Es handelt sich ersichtlich nicht um
Tatsachenvortrag, sondern um eine (unzutreffende) rechtliche Würdigung. Auch an
einem Beweisantritt für eine Einbindung der Beklagten in unlauterer
Abwerbungshandlungen des Zeugen K. fehlt es weiterhin. Zwar trägt die Berufung vor,
der Partner J. habe bei einem Gespräch mit einer Bewerberin zum Ausdruck gebracht,
er wisse, dass Herr K. zum Januar 2000 eine Menge Mandanten mit zu ihm bringen
werde und dass daher mit viel Arbeit zu rechnen sei. Das lässt indes nicht erkennen,
dass J. von einer etwaigen Abwerbung mit unlauterer Mitteln wusste oder diese sogar
veranlasst hatte. Dieser Vortrag lässt offen, ob die Mandanten aufgrund unlauterer
Abwerbung durch K. kommen würden oder ob sie K. einfach deswegen zur Beklagten
folgen würden, weil dieser ihnen als der verlässliche Sachbearbeiter des Klägers
bekannt war. Zu diesem Hauptstreitpunkt der Parteien äußert sich der Berufungsvortrag
an dieser Stelle nicht, so dass der zu diesem Vorbringen angetretene Beweis nicht zu
erheben ist.
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2.)
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Eine Beweiserhebung zum Grunde des Anspruchs kommt allgemein auch deshalb nicht
in Frage, weil der Vortrag des Klägers zur Schadenshöhe ebenfalls unschlüssig ist.
Auch darauf hat der Senat in der mündlichen Verhandlung hingewiesen. Die Berufung
hat sich darauf beschränkt, wegen der Schadenshöhe auf das erstinstanzliche
Vorbringen des Klägers Bezug zu nehmen. Es ist schon zweifelhaft, ob eine derartige
pauschale Bezugnahme auf das Vorbringen der ersten Instanz zu einer wesentlichen
Teilfrage nach neuem Berufungsrecht überhaupt zulässig ist. Die Berufung eröffnet
keine zweite Tatsacheninstanz mit voller Prüfung des Urteils mehr, sondern ist auf eine
Kontrolle und Behebung der gerügten Mängel beschränkt (vgl. Thomas/Putzo/Reichold,
ZPO, 24. Aufl., § 520, Rdn. 31). Jedenfalls aber bezieht sich die Berufung auf einen
Vortrag in erster Instanz, der offensichtlich unschlüssig ist.
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Der Kläger hat vor dem Landgericht die Klage zur Höhe mit Umsatzverlusten begründet
(vgl. etwa Seite 20 ff der Klageschrift). Mit den 42 zur Beklagten gewechselten
Mandanten (vgl. Anlage K 21) habe er einen Jahresumsatz von 426.233,32 DM
gemacht. Die Klageforderung wird berechnet mit 125 % der Umsatzerlöse, das sind
532.791,65 DM bzw. 272.412,04 EUR (vgl. auch die Anlagen K 26, wo noch mit den 140
% des Umsatzes gerechnet wird, die vor den Arbeitsgerichten verlangt wurden, vgl.
deren Urteile Bl. 25 und 43 GA). Der Kläger will den Schaden auf der Basis einer
Teilveräußerung der Praxis berechnen, weil ihm die Beklagte diese Mandanten mit Hilfe
des Zeugen K. "gestohlen" habe und verweist dazu auf eine Entscheidung des BGH zur
"Bewertung des Anteils an einer Steuerberaterpraxis beim Zugewinnausgleich" (Anlage
K 22).
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Eine derartige Schadensberechnung ist offensichtlich unzulässig. Die Beklagte hat sich
demgemäss schon eingangs der Klageerwiderung vom 21. Mai 2002 veranlasst
gesehen, auf "Gemeinplätze" des Schadensersatzrechts zu verweisen. Zur Ermittlung
des entgangenen Gewinns aus selbständiger Arbeit sei nach der Rechtsprechung
abzustellen auf die anhand des Betriebsergebnisses konkret festzustellende
Gewinnminderung. Der Kläger beschränkte sich demgegenüber auf die Darstellung von
Umsatzzahlen, die von der Beklagten auch bezweifelt würden.
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Diese Kritik ist völlig berechtigt. Der Erwerbsschaden bei freien Berufen besteht in dem
Verlust bisher entgangener Einnahmen und dem Unterbleiben gesteigerter Gewinne
(vgl. § 252 BGB und Palandt/Heinrichs, BGB, 62. Aufl., § 252, Rdn. 16). Da es auf eine
konkret festzustellende Gewinnminderung ankommt, sind Angaben des Umsatzes
rechtlich unerheblich, weil der mit Verlust arbeitende Freiberufler keinen
Erwerbsschaden hat. Entscheidend ist der Nettogewinn, der sich nach Abzug sämtlicher
Ausgaben (Löhne, Steuer) ergibt. Schon an solchen Angaben fehlt es hier.
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Für eine Schadensschätzung nach den §§ 252 BGB, 287 ZPO mangelt es jedoch
darüber hinaus an einem konkreten Vortrag des Klägers, wie die Entwicklung des
Betriebes infolge der angeblichen Abwerbung tatsächlich gelaufen ist und wie sie ohne
diese verlaufen wäre. Das muss in der Regel anhand von Bilanzen dargestellt werden,
die sachverständig ausgewertet werden können (vgl. Palandt/ Heinrichs, aaO).
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Bei solcher Lage, bei der es an zureichenden Anhaltspunkten für eine rechtlich
zulässige Schadensschätzung völlig fehlt, hilft dem Kläger auch die
Beweiserleichterung des § 287 ZPO nicht. Diese Vorschrift ändert nichts daran, dass
der Kläger die Darlegungs- und Beweislast für die Höhe seines Schadens trägt; er muss
dem Gericht zumindest hinreichende Anknüpfungspunkte für die Schätzung darlegen.
Der Tatrichter überschreitet die seinem Ermessen gesetzten Grenzen, wenn er zu einer
Schätzung greift, ohne für sie eine tragfähige Grundlage zu haben (BGH NJW 95, 1023,
1024). Der Kläger muss auch bei Anwendung des § 252 BGB die Tatsachen im
einzelnen darlegen und beweisen, die seine Gewinnerwartung wahrscheinlich machen
sollen (BGH NJW 88, 3016, 3017). Das hat der Kläger mit der bloßen Darstellung der
Umsatzverluste nicht getan, weil sie für den entgangenen Gewinn nichts ergeben. Die
von ihm gewählte "abstrakte" Schadensberechnung ist nicht zulässig (vgl. BGH aaO).
Mangels konkreter Anhaltspunkte zum Gewinnentgang wäre eine Schätzung willkürlich;
§ 287 ZPO rechtfertigt es nicht, auf die nach Sachlage unerlässlichen Erkenntnisse zu
verzichten (BGH NJW-RR 95, 1320 - Steuereinrichtung II). Da der Kläger die
erforderlichen Schätzungsgrundlagen auch nach dem Hinweis des Senats nicht
geliefert hat, muss es sich nach den Grundsätzen der Beweislast zu seinem Nachteil
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auswirken, dass die Schätzung nicht erfolgen kann.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den § 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711
ZPO.
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Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass, weil keine klärungsbedürftigen
Rechtsfragen zu entscheiden waren.
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a.
Dr. Sch. Sch.
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