Urteil des OLG Düsseldorf vom 23.03.2010

OLG Düsseldorf (bieter, aufschiebende wirkung, auftraggeber, ausdrücklich, gleichwertigkeit, ausschluss, abgabe, preis, beschwerde, vorschrift)

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 61/09
Datum:
23.03.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 61/09
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der
Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der
Bezirksregierung Münster vom 11. Dezember 2009 wird bis zur
Entscheidung über ihre Beschwerde verlängert.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
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Der Antrag der Antragstellerin gemäß § 118 Abs. 1 S. 3 GWB ist begründet. Denn ihre
Beschwerde und ihr Nachprüfungsantrag haben voraussichtlich Erfolg. Die
Antragsgegnerin hat einige der mit "Nebenangebot" gekennzeichneten weiteren
Angebote der Antragstellerin zu Unrecht ausgeschlossen.
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1.
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Allerdings schied, wie der Senat bereits mit Beschluss vom 07. Januar 2010 ausgeführt
hat, die Wertung von "Varianten" im Sinne des Art. 24 der Richtlinie 2004/18/EG (VKR)
bereits deswegen aus, weil als Zuschlagskriterium allein der Preis genannt war.
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Ob dies allein zur Folge hat, dass Vorschläge der Bieter zu "Varianten" nicht gewertet
werden dürfen oder ob in den Fällen, in denen der Auftraggeber – wie hier -
ausdrücklich zur Einreichung kostensparender Nebenangebote aufgefordert hat, das
Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen ist, weil der
Auftraggeber die Bieter durch die ausdrückliche Zulassung von (vergaberechtlich
unzulässigen) Nebenangeboten in die Irre geführt hat, was möglicherweise auch
Einfluss auf die Ausgestaltung des Hauptangebotes hatte, bedarf keiner Entscheidung.
5
2.
6
Der Antragsgegner durfte die "Nebenangebote" der Antragstellerin, die gleichwertige
Gegenstände im Sinne des § 9 Nr. 10 S. 2 VOB/A (= Art. 23 Abs. 8 S. 2 VKR) betrafen,
nicht ausschließen.
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a) Der Antragsgegner hatte in ihrer Ausschreibung unter "410 Richtfabrikatsliste" zu den
Einzelpositionen bestimmte "Planungsfabrikate" aufgeführt, aber gleichzeitig
"gleichwertige" Artikel zugelassen.
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b) Die Nennung von "Planungsfabrikaten" war nach § 9 Nr. 10 S. 2 VOB/A (= Art. 23
Abs. 8 S. 2 VKR) nur zulässig, wenn "der Auftragsgegenstand nicht hinreichend genau
und allgemein verständlich beschrieben werden" konnte. Derartige Gründe werden nicht
vorgetragen. Dies führt grundsätzlich dazu, dass wegen der Verletzung des
Grundsatzes produktneutraler Ausschreibung und unzulässiger Bevorzugung der
Leitprodukte das Vergabeverfahren zu wiederholen ist (vgl. Senat, VergabeR 2010,
277). Dem könnte allein entgegen stehen, dass die Rüge – so die Beigeladene –
gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 2 GWB n.F. präkludiert wäre. Dies bedarf im Hinblick auf die
nachfolgenden Ausführungen in diesem Verfahrensstadium jedoch keiner näheren
Erörterung.
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c) Der Antragsgegner hat "gleichwertige" Artikel nur dann zugelassen, wenn die
"Gleichwertigkeit … bei Abgabe des Angebotes vom Bieter nach[gewiesen]" wurde. Das
ist mit § 9 Nr. 10 S. 2 VOB/A (= Art. 23 Abs. 8 S. 2 VKR) nicht vereinbar. Wie bereits
dargelegt, lässt diese Vorschrift die Nennung von Leitfabrikaten nur deswegen zu, weil
eine anderweitige Beschreibung des Auftragsgegenstandes auf unüberwindliche
Schwierigkeiten stoßen würde. Eine weitere Bevorzugung der Leitfabrikate ist nicht
zulässig. Im Gegensatz zu § 9 Nr. 7 VOB/A (= Art. 23 Abs. 4 VKR) und § 9 Nr. 8 S. 2
VOB/A (= Art. 23 Abs. 5 VKR) (s. auch § 21 Nr. 2 VOB/A) ist der Bieter daher nicht
gehalten, die "Gleichwertigkeit" mit der Angebotsabgabe nachzuweisen. Eine derartige
Anforderung führte zu Erschwernissen bei dem Angebot anderweitiger Fabrikate. Die in
den vorgenannten Vorschriften nur für die dort aufgeführten Fallgestaltungen
vorgeschriebenen Gleichwertigkeitsnachweise können nicht auf den Fall des § 9 Nr. 10
S. 2 VOB/A übertragen werden.
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Es ist nicht ersichtlich, dass eine derartige Rüge zu einem Punkt, der – soweit
ersichtlich, bisher in der vergaberechtlichen Rechtsprechung noch nicht erörtert worden
ist (in dem Beschluss des OLG Jena vom 31.08.2009 – 9 Verg 6/09 ist er nicht
angesprochen worden) – gemäß § 107 Abs. 3 GWB n.F. präkludiert wäre.
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d) Die von dem Antragsgegner vor der Vergabekammer genannten Gründe für eine
fehlende Gleichwertigkeit der von den "Planungsfabrikaten" abweichenden Fabrikate
überzeugen nicht. Er hat geltend gemacht, es sei aus optischen oder technischen
Gründen eine einheitliche Ausstattung der Häuser notwendig. Ob dies Gründe dafür
gewesen wären, nach § 9 Nr. 10 S. 1 VOB/A (Art. 23 Abs. 8 S. 1 VKR) Angebote nur des
bestimmten Fabrikates zuzulassen, kann offen bleiben. Mit der Zulassung gleichwertiger
Fabrikate hat der Antragsgegner jedoch nicht mit den "Planungsfabrikaten" identische
Fabrikate ausdrücklich zugelassen, dazu steht seine jetzige Auffassung, es gebe
überhaupt keine gleichwertigen Fabrikate, in unüberbrückbarem Gegensatz.
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Ob das Fehlen einer Seifenablage (Nr. 7) sowie eine messingverchromte Duschstange
(statt einer aus Aluminium, Nr. 8) eine Gleichwertigkeit ausschließt, kann offen bleiben,
da selbst bei Ausschluss dieser "Nebenangebote" das Angebot der Antragstellerin unter
Berücksichtigung der "gleichwertigen Nebenangebote" im Hinblick auf den geringen
Preisvorsprung des von dem Antragsgegner bevorzugten Angebots der Beigeladenen
preislich zu bevorzugen wäre.
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e) Unerheblich ist, dass die Antragstellerin ihre von den "Planungsfabrikaten"
abweichenden Fabrikate mit "Nebenangebote" überschrieben hat. Vorab ist
klarzustellen, dass die Antragstellerin auch ein die "Planungsfabrikate" enthaltendes
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Hauptangebot eingereicht hat.
aa) Allerdings handelte es sich bei den Angeboten mit den "Planungsfabrikaten"
gleichwertiger Artikel nicht um Nebenangebote. Ihr Inhalt wich nämlich nicht von der
Leistungsbeschreibung des Antragsgegners ab. Bietet ein Bieter andere als
Leitfabrikate an, handelt es sich nicht um Varianten im Sinne des Art. 24 VKR (vgl. auch
§ 25 Nr. 4 VOB/A; übersehen von VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.08.2009 –
1 VK 37/09); diese sind vielmehr durch § 9 Nr. 10 S. 2 VOB/A (= Art. 23 Abs. 8 S. 2 VKR)
ohne Weiteres ausdrücklich zugelassen. Ein Ausschluss als nicht zugelassenes
Nebenangebot wäre unzulässig (vgl. auch EuGH RIW 1990, 152).
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bb) Auch sieht § 21 Nr. 3 S. 2 VOB/A vor, dass "Nebenangebote … auf besonderer
Anlage gemacht und als solche deutlich gekennzeichnet werden" müssen. Auch wenn
man diese Vorschrift auf die hier vorliegende Fallgestaltung übertragen würde, ist dies
bereits deshalb unerheblich, weil ein Verstoß gegen diese Vorschrift nicht zu einem
Ausschluss des Nebenangebots führt; dieser Verstoß ist weder in § 25 Nr. 1 noch in §
25 Nr. 5 VOB/A – anders als ein Verstoß gegen § 21 Nr. 4 VOB/A (dazu BGH, Urteil vom
20.01.2009 – X ZR 113/07) – als Ausschlussgrund vorgesehen (vgl. Kratzenberg, in
Ingenstau/Korbion, VOB, 16. Aufl., § 25 Rdrn. 91; Dähne, in
Kapellmann/Messermschmidt, VOB, 2. Aufl., § 25 VOB/A Rdnr. 98; Prieß, in
Motzke/Pritzker/Prieß, VOB, § 21 VOB/A Rdnr. 54; Rusam, in Heiermann/Riedl/Rusam,
VOB, 10. Aufl., § 25 VOB/A Rdnrn. 101, 124; anders zukünftig § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. f)
VOB/A 2009).
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Die Bezeichnung als "Nebenangebote" durch die Antragstellerin ist zudem im Hinblick
auf die zitierte Entscheidung der Vergabekammer Baden-Württemberg sowie die
unklare Behandlung mehrerer Hauptangebote (s. dazu nachfolgend unter f)) vertretbar
gewesen.
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f) Die inhaltlich als Hauptangebote zu behandelnden Angebote sind nicht deshalb –
ganz oder teilweise – auszuschließen, weil ein Bieter nur ein einziges – nicht aber
mehrere – Hauptangebote zu einem Ausschreibungsgegenstand einreichen könnte.
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Die Behandlung "weiterer" Hauptangebote ist in der Literatur und Rechtsprechung
bisher noch weitgehend ungeklärt. Die von Rusam (a.a.O., § 25 VOB/A Rdnrn. 149 ff.;
Leinemann/Kirch, VergabeNews 2008, 134) vorgebrachten Bedenken beziehen sich auf
die Abgabe zweier technisch identischer Angebote zu unterschiedlichen Preisen.
Rusam (a.a.O.) nimmt den Fall technisch unterschiedlicher Angebote ausdrücklich von
seinen Betrachtungen aus. Der Senat sieht vorläufig keine Bedenken dagegen, mehrere
Hauptangebote eines Bieters, die sich in technischer Hinsicht unterscheiden,
zuzulassen.
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Zunächst einmal kann für die Abgabe mehrerer Hauptangebote mit unterschiedlichen
technischen Lösungen ein Bedürfnis bestehen (so auch Leinemann/Kirch, a.a.O.). Der
Bieter kann sich aus vertretbaren Gründen im Unklaren darüber sein, ob die von ihm
angebotene Leistung vom Auftraggeber als "gleichwertig" im Sinne der § 9 Nr. 7, Nr. 8,
Nr. 10 S. 2, § 21 Nr. 2 VOB/A angesehen wird. Gehört zu den Zuschlagskriterien neben
dem Preis auch die Qualität, kann er nur bedingt vorhersehen, inwieweit qualitative
Verbesserungen, insbesondere bei funktionaler Ausschreibung (§ 9 Nrn. 15 ff. VOB/A),
letztlich zu einer Verbesserung seiner Zuschlagschancen führen werden.
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Bedenken können bei dieser Fallgestaltung nicht aus den Grundsätzen der
Gleichbehandlung und Transparenz (vgl. EuGH, Urteil vom 23.12.2009 – C-376/08)
hergeleitet werden. Der Inhalt des jeweiligen Angebots ist klar. Der Auftraggeber ist
gehalten, die unterschiedlichen Angebote – wie auch die unterschiedlichen Angebote
unterschiedlicher Bieter – anhand der Ausschluss- und Zuschlagskriterien zu bewerten.
Gegen die Einreichung von Nebenangeboten (sofern sie zugelassen und zulässig sind)
werden unter diesem Gesichtspunkt auch keine Bedenken erhoben, obwohl auch in
einer derartigen Fallgestaltung vom Auftraggeber – u.a. – aus mehreren Angeboten
desselben Bieters eine Auswahl zu treffen ist. Ist der Preis – wie hier – das einzige
Zuschlagskriterium, hat der Auftraggeber das billigste (unter den nicht aus sonstigen
Gründen auszuschließenden) Angeboten auszuwählen.
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3.
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Öffentliche Belange im Sinne des § 118 Abs. 2 GWB stehen der Verlängerung der
aufschiebenden Wirkung nicht entgegen. Zu diesen Belangen gehört auch die Vergabe
des Auftrages an den kostengünstigsten Bieter.
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4.
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Einer Kostenentscheidung bedarf es in diesem Verfahrensstadium nicht.
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Dicks Schüttpelz Frister Vors. Richter am OLG Richter am OLG Richterin am OLG
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