Urteil des OLG Düsseldorf vom 25.07.2002

OLG Düsseldorf: eltern, vergütung, mittellosigkeit, entschädigung, holzhauer, haushalt, einkünfte, verwandter, werkstatt, hausgemeinschaft

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-25 Wx 96/01
Datum:
25.07.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
25. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-25 Wx 96/01
Tenor:
Auf die weitere Beschwerde der Antragstellerin werden der Beschluss
des Landgerichts Kleve vom 17.10.2001 und der Beschluss des
Amtsgerichts Geldern vom 05.09.2001 aufgehoben.
Der Antragstellerin ist seitens der Staatskasse für das Kalenderjahr 2000
eine Aufwandsentschädigung von 306,78 € (600 DM) zu gewähren.
Die außergerichtlichen Kosten beider Beschwerdeinstanzen werden der
Staatskasse auferlegt.
I.
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Für die am 25.08.1965 geborene Betroffene besteht seit dem 15.02.1985 wegen
geistiger Gebrechen eine Pflegschaft/Betreuung. Zur Betreuerin ist ihre Mutter, die
Antragstellerin bestellt worden. Die Betroffene lebt mit ihren Eltern in Hausgemeinschaft
und arbeitet in einer Werkstatt für Behinderte. Unter dem 07.03.2001 hat die
Antragstellerin beantragt, ihr eine Aufwandsentschädigung aus der Staatskasse zu
bewilligen. Das Amtsgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 05.09.2001
zurückgewiesen, weil die Mittellosigkeit der Betreuten mit Blick auf die grundsätzlich
gegebene Unterhaltspflicht ihres Vaters nicht ausreichend dargetan sei, insbesondere
Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Vaters der Betreuten
fehlten. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat das
Landgericht durch Beschluss vom 17.10.2001, auf dessen Gründe im Einzelnen Bezug
genommen wird, zurückgewiesen. Im Wesentlichen hat es - ebenso wie das Amtsgericht
- ausgeführt, die Mittellosigkeit der Betreuten lasse sich nicht feststellen. Im Rahmen der
Prüfung der Mittellosigkeit seien auch Unterhaltsansprüche der Betreuten zu
berücksichtigen, zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Vaters der
Betreuten seien aber keine Angaben gemacht worden.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere sofortige Beschwerde der
Antragstellerin. Zur Begründung trägt sie vor: Es laufe der höchstrichterlichen
Rechtsprechung zuwider, wenn ausgerechnet der "vornehmlich als Betreuer
erwünschten Personengruppe" keine Aufwandsentschädigung zustehen sollte. Die
Antragstellerin und ihr Ehemann wirtschafteten gemeinsam. Es komme auf die
wirtschaftlichen Verhältnisse des Vaters der Betreuten nicht an, weil ansonsten der vom
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Gesetzgeber vorgesehene Anreiz für die Betreuertätigkeit gerade von Eltern wegfalle.
Der Bezirksrevisor wurde gehört.
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Wegen des weiteren Vorbringens im Einzelnen wird auf den Akteninhalt verwiesen.
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II.
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Das
eingelegte Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die Staatskasse hat der
Antragstellerin für das Kalenderjahr 2000 eine Aufwandsentschädigung von 600 DM
(306,78 €) zu zahlen. Der Antrag der Antragstellerin vom 07.3.2001 auf die Festsetzung
einer Aufwandsentschädigung nach § 1835 a Abs. 1 BGB bezieht sich auf die
Aufwandsentschädigung für das Jahr 2000. Dahingehend ist der Antrag auszulegen,
auch wenn es dort heißt, dass die Antragstellerin die letzte Entschädigung im Jahre
1998 bekommen habe. Denn nach § 1835 a Abs. 4 BGB erlischt der Anspruch auf
Aufwandsentschädigung, wenn er nicht binnen drei Monaten nach Ablauf des Jahres, in
dem der Anspruch entsteht, geltend gemacht wird.
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Das Landgericht hat der Betreuerin die Aufwandsentschädigung nach §§ 1835 a Abs. 1
und Abs. 3, 1908 i BGB verweigert, weil bei dem nach § 1836 c Nr. 1 BGB
einzusetzenden Einkommen auch Unterhaltsansprüche des Betreuten zu
berücksichtigen seien. Mangels Kenntnis der persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse des Vaters der Betreuten könne deren Mittellosigkeit nach §§ 1835 a, 1908
i BGB derzeit nicht festgestellt werden. Feststellungen zu den persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen des Vaters der Betreuten seien auch nicht deswegen
entbehrlich, weil die Betreuerin die Mutter der Betroffenen sei. Diese Auffassung des
Landgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern, so dass der angefochtene Beschluss
keinen Bestand haben kann (§ 27 FGG). Der Senat kann in der Sache selbst
entscheiden, weil nach Aktenlage der zu beurteilende Sachverhalt feststeht.
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Nach §§ 1835 a Abs. 1 und Abs. 3, 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Betreuer, der
nicht Berufsbetreuer ist, aus der Staatskasse eine Aufwandsentschädigung, wenn der
Betreute mittellos ist. Diese Entschädigung betrug bis zum 31.12.2001 600 DM (=
306,78 €); ab 01.01.2002 beläuft sie sich auf 312 €. Der Betreute gilt bereits dann als
mittellos, wenn er die Aufwandsentschädigung aus seinem einzusetzenden Einkommen
oder Vermögen
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1. nicht oder nur zum Teil oder nur in Raten oder
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2. nur im Wege gerichtlicher Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen
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aufbringen kann (§ 1836 d BGB).
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Einzusetzendes Vermögen besitzt die Betreute nicht. Auch verfügt sie nicht über
laufende Einkünfte, aus denen sie die Aufwandsentschädigung zahlen könnte. Nach
den Berichten der Betreuerin ist davon auszugehen, dass die Betreute für ihre Tätigkeit
in der Werkstatt für Behinderte monatlich 198 DM bzw. 220 DM netto bei freier
Unterkunft und Verpflegung erhält und bei ihren Eltern wohnt, die sie unterhalten bzw.
versorgen. Die Sozialhilfe, die die Betreute nach dem Akteninhalt möglicherweise
bezieht, ist kein Einkommen im Sinne des § 1836 e BGB. Von ihren laufenden
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Einkünften von derzeit höchstens 220 DM kann die Betreute die
Aufwandsentschädigung nicht zahlen. Ihr Taschengeldkonto wies am 28.04.2001 ein
Guthaben von 3.511,78 DM aus. Dieser Betrag ist nicht einzusetzen. Denn nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 24.10.2001, FamRZ 2002,
157), der der erkennende Senat sich angeschlossen hat (Beschluss vom 24.01.2002, 25
Wx 86/01), sind dem Betreuten in der Regel nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG 4.500 DM als
Schonvermögen zu belassen. Die Betreute gilt auch angesichts der Tatsache, dass sie
unter den Voraussetzungen der §§ 1601 ff BGB gegen ihre Eltern Anspruch auf
Unterhalt hat, als mittellos. Der Unterhaltsanspruch gegen ihre Mutter, die Betreuerin, ist
nach § 1835 a Abs. 3, 2. Hs. BGB bei der Bestimmung des Einkommens nach § 1836 c
Nr. 1 BGB nicht zu berücksichtigen. Im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanzen
kann die Betroffene auch nicht auf den Unterhaltsanspruch gegen ihren Vater verwiesen
werden. Bereits nach § 1836 a Abs. 3 BGB in der bis zum 31.12.1998 geltenden
Fassung stand dem Betreuer eine pauschale Aufwandsentschädigung zu. Es war
umstritten, ob der Betreuer, der dem Betroffenen unterhaltspflichtig ist, diese
Entschädigung verlangen konnte. Der BGH hat klargestellt, dass sie auch dem Betreuer
zusteht, der naher Verwandter oder Elternteil des Betroffenen ist (BGH FamRZ 1996,
1145, 1147). Bei der Neuregelung der Vergütung des Vormunds und des Betreuers
durch das Betreuungsänderungsgesetz vom 25.06.1998 (Bundesgesetzblatt I Seite
1580) hat der Gesetzgeber die Aufwandsentschädigung in § 1835 a Abs. 3 BGB
aufgenommen und im zweiten Halbsatz der Vorschrift bestimmt, dass
Unterhaltsansprüche des Betreuten gegen den Betreuer unberücksichtigt bleiben. Durch
diese Regelung soll die Bereitschaft naher Verwandter gefördert werden, eine
ehrenamtliche Betreuung zu übernehmen, damit die Heranziehung zu vergütender
Berufsbetreuer vermieden werden kann (Bundestagsdrucksache 13/7158, Seite 24).
Diese Regelung des § 1835 a Abs. 3 2. Hs. BGB gilt nur für die
Aufwandsentschädigung. Sowohl bei der Vergütung des Vormunds bzw. Betreuers (§
1836 Abs. 3 BGB) als auch beim Aufwendungsersatz (§ 1835 BGB), der die pauschale
Aufwandsentschädigung durchaus übersteigen kann, fehlt eine dem § 1835 Abs. 3, 2.
Hs. BGB entsprechende Bestimmung. Dies bedeutet, dass dort Unterhaltsansprüche
uneingeschränkt einzusetzen sind, auch soweit sie sich gegen den Vormund (Betreuer)
richten. Bei der pauschalen Aufwandsentschädigung bleiben grundsätzlich nur
Unterhaltsansprüche gegen den Vormund (Betreuer) selbst unberücksichtigt. Wenn der
Betreute Unterhaltsansprüche gegen andere als den Betreuer hat, so z. B. ein von
einem Kind betreuter Elternteil gegen weitere Kinder, müssen diese Ansprüche zur
Finanzierung der Aufwandsentschädigung eingesetzt werden. Anders ist es jedoch,
wenn der Betreute, der Betreuer und der andere unterhaltspflichtige Verwandte in einem
Haushalt leben und diese auch gegenüber dem Betreuer unterhaltspflichtig sind. Dies
trifft insbesondere dann zu, wenn - wie hier - die verheirateten Eltern mit dem
betreuungsbedürftigen volljährigen Kind in einem Haushalt zusammenleben, nur ein
Elternteil zum Betreuer bestellt worden ist und Unterhaltsansprüche des Kindes gegen
den anderen Elternteil bestehen. In diesem Fall sind die Eltern einander
unterhaltspflichtig (§ 1356 BGB). Sie haben ihrerseits dem Kind, das nicht über
ausreichende Einkünfte und über Vermögen verfügt (§ 1602 Abs. 1 BGB), Unterhalt zu
leisten, den sie auch als Naturalunterhalt erbringen können (§ 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB).
Als Bestandteil dieses (Natural-) Unterhalts schulden sie dem Kind auch den Aufwand
für die rechtliche Betreuung. Daher erbringt der zum Betreuer bestellte Elternteil die
Betreuungsleistungen als Unterhalt zugunsten des Kindes (vgl. Erman - Holzhauer, 10.
Aufl., § 1835 a BGB, Rdnr. 4). Sie werden - allenfalls von meist geringfügigen
Baraufwendungen für die rechtliche Betreuung abgesehen (Porti, Fahrten zum
Vormundschaftsgericht usw.) - aus der Haushaltskasse bestritten und entsprechend der
nach § 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB getroffenen Bestimmung der Eltern im Wesentlichen
von dem Elternteil erbracht, der als Betreuer tätig wird. Dies bedeutet, dass in der Regel
Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil - wenn überhaupt - nur in
geringem Umfang bestehen können. Verlangt der zum Betreuer bestellte Elternteil die in
§ 1835 a Abs.1 Satz 1 BGB vorgesehene Pauschale, so kommt es weder auf Umfang
und Schwierigkeit der Betreuung noch auf die tatsächlich entstandenen Kosten an
(Erman - Holzhauer, 10. Aufl., § 1835 a BGB Rdnr. 2). Das Gesetz nimmt vielmehr mit
der Pauschalierung bewußt in Kauf, dass der Betreuer über die aufgewendeten Kosten
hinaus eine gewisse Vergütung erhält. Mit dem Unterhaltsrecht ist aber nicht zu
vereinbaren, dass ein Elternteil, der (Natural-)Unterhalt schuldet, vom
unterhaltsberechtigten Kind eine Vergütung verlangt, die dieses gegen den anderen
Elternteil als Barunterhalt geltend machen muss. Dieser Widerspruch zwischen dem
Unterhaltsrecht einerseits und der pauschalierten Aufwandsentschädigung des § 1835 a
Abs. 1 Satz 1 BGB andererseits kann nur aufgelöst werden, wenn in entsprechender
Anwendung des § 1835 a Abs. 3 2. Hs BGB auch Unterhaltsansprüche des unter
Betreuung stehenden volljährigen Kindes gegen den anderen Elternteil, der mit dem
zum Betreuer bestellten Elternteil und mit dem Kind in Hausgemeinschaft lebt,
unberücksichtigt bleiben. Nur auf diese Weise kann der oben dargelegte Zweck des
Gesetzes erreicht werden, die Bereitschaft eines Elternteils zu fördern, ehrenamtlich die
Betreuung ihres behinderten Kindes zu übernehmen und dadurch die Bestellung eines
Berufsbetreuers zu vermeiden, die im Allgemeinen wesentlich höhere Kosten
verursachen würde als die ohnehin nur geringfügige Aufwendungspauschale. Zudem
haben bereits das Bundesverfassungsgericht (BverfGE 51, 251, 268) und der BGH
(FamRZ 1996, 1145, 1147) darauf hingewiesen, dass derjenige, der eine
Vormundschaft oder Betreuung führt, ein persönliches Opfer erbringt und es ihm nicht
zumutbar ist, darüber hinaus noch ein materielles Opfer auf sich zu nehmen. Nur aus
fiskalischen Gründen hat der Gesetzgeber die Aufwandsentschädigung auf ein
absolutes Minimum begrenzen müssen (BGH, a. a. O.). Um so mehr ist es geboten,
durch eine dem Zweck des Gesetzes entsprechende erweiternde Auslegung des § 1835
a Abs. 3 BGB Nachteile für den Elternteil zu vermeiden, der nicht zum Betreuer seines
volljährigen Kindes bestellt ist. Der Antragstellerin ist daher die begehrte
Aufwandsentschädigung aus der Staatskasse zu gewähren. Ein Rückgriff der
Staatskasse auf den Unterhaltsanspruch gegen den Vater der Betreuten scheidet aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG. Es entspricht der
Billigkeit, dass die Staatskasse der Antragstellerin die dieser zur Durchführung der
Beschwerde und weiteren Beschwerde entstandenen Kosten erstattet.
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Gegenstandswert: 600 DM
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