Urteil des OLG Düsseldorf vom 18.05.2006

OLG Düsseldorf: verbandsklage, private krankenversicherung, verbraucherschutz, versicherungsnehmer, versicherer, empfehlung, unterlassungsklage, wettbewerbshandlung, ergänzung, vag

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-6 U 116/05
Datum:
18.05.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-6 U 116/05
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 4. Mai 2005 verkündete
Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf – 12 O 192/04 –
unter Zurückwei-sung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise
abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte hat es zu unterlassen, sich bei der Regulierung von
Schadenfällen in der Krankenversicherung gegenüber
Bestandsversicherten auf die ab No-vember 2003 zu § 5 Abs. 2 MB/KK
94 eingefügte Ergänzung „oder wird für eine medizinisch notwendige
Heilbehandlung oder sonstige Maßnahme eine unan-gemessene hohe
Vergütung berechnet“ zu berufen.
Der Beklagten wird für jeden Verstoß gegen dieses Unterlassungsgebot
ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft
von bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten angedroht.
Die Androhung der Ersatzordnungshaft und der Ordnungshaft erfolgt mit
der Maßgabe, dass sie am Vorstandsvorsitzenden der Beklagten zu
vollziehen sind.
Der Kläger ist befugt, die Urteilsformel mit der Bezeichnung der
verurteilten Be-klagten auf deren Kosten im Bundesanzeiger zu
veröffentlichen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 3/10 und die Beklagte
zu 7/10.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Soweit wegen Geldforderungen zu vollstrecken ist, können beide
Parteien die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des für die jeweils andere Partei aufgrund dieses Urteils
vollstreckbaren Geldbetrages ab-wenden, wenn nicht die vollstreckende
vollstreckbaren Geldbetrages ab-wenden, wenn nicht die vollstreckende
Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages leistet. Darüber hi-naus kann die Beklagte
die Zwangsvollstreckung wegen des Unterlassungsge-botes durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,00 € abwenden, wenn nicht der
Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e :
1
A)
2
Zum Sachverhalt wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil
Bezug genommen. Gegen das die Klage abweisende Urteil wendet sich der Kläger mit
seiner Berufung. Er macht geltend:
3
§ 1 UKlaG sei (wie früher schon § 13 AGBG) immer dann anwendbar, wenn die
streitgegenständliche Klausel einer generellen "abstrakten" Betrachtungsweise
zugänglich sei. Es komme alleine darauf an, ob die Berufung auf die
streitgegenständliche Klausel mit dem allgemein zwingenden Recht unvereinbar sei
und daher zu einer unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners führe. Im
Übrigen gehe es überhaupt nicht um die Frage der Einbeziehung, sondern eine
einseitige Veränderung der Vertragsinhalte im Wege eines Treuhänderverfahrens. Hier
stehe weder das Ob oder das Wie einer solchen Einbeziehung in Streit, sondern die
alleine von der Beklagten gewünschte Implementierung einer zusätzlichen und ihre
Leistungsverpflichtung einschränkenden Klausel in bestehende Verträge. Dies sei aber
gerade keine Einbeziehung. Er, der Kläger, wende sich also nicht gegen die
Einbeziehung der streitgegenständlichen Klausel, sondern gegen diese selbst, weil sie
schlicht unwirksam sei: Sie sei auf keine Weise Vertragsbestandteil geworden, weder
durch eine (nicht einmal von der Beklagten behauptete) Einbeziehung, noch durch ein
Treuhänderverfahren. Denn die Voraussetzungen für ein solches lägen nicht vor. Es
gebe keine Veränderung der Verhältnisse des Gesundheitswesens im Sinne von § 178
g Abs. 3 Satz 1 VVG, sondern nur eine richtige Auslegung einer Klausel durch den
Bundesgerichtshof. Es gebe auch keine Feststellung der Unwirksamkeit einer Klausel
im Sinne von § 178 g Abs. 3 Satz 2 VVG, abgesehen davon, dass die Zustimmung des
vermeintlichen Treuhänders auch nur den behaupteten Fall einer Veränderung der
Verhältnisse des Gesundheitswesens zum Gegenstand gehabt habe. Schließlich fehle
es an einem ordnungsgemäßen Treuhänderverfahren. Der Treuhänder sei nicht
unabhängig im Sinne von § 178 g Abs. 3 Satz 1 VVG i.V.m. § 12 b Abs. 3 Satz 1 VAG.
4
Wenn ihm die Klagebefugnis schon nicht in unmittelbarer Anwendung von § 1 UKlaG
zustehe, so doch wenigstens in entsprechender Anwendung. Zumindest aber sei die
Klage gemäß § 2 Abs. 1 UKlaG begründet. Ohne eine Verbandsklagemöglichkeit wären
die betroffenen Versicherungsnehmer schutzlos; sie könnten sich nur in seltenen
Ausnahmefällen wehren, weil sie weder das Wissen noch die Mittel für eine effektive
Rechtsverteidigung hätten. Eine die Verbandsklagemöglichkeit ablehnende Auffassung
würde ausschließlich den Interessen der ohnehin strukturell überlegenen
5
Versicherungswirtschaft dienen und die schutzwürdigen Interessen der versicherten
Verbraucher entgegen den Anforderungen der einschlägigen EG-Richtlinien und des
Grundgesetzes vernachlässigen.
Schließlich habe es das Landgericht versäumt, die Vorschriften der §§ 3, 8 UWG zu
prüfen.
6
Hinsichtlich des geltend gemachten Folgenbeseitigungsanspruchs verweist der Kläger
auf sein erstinstanzliches Vorbringen.
7
Der Kläger beantragt,
8
das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 4. Mai 2005 – 12 O 192/04 – wie folgt
abzuändern:
9
I.
10
Die Beklagte hat es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom
Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise
Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, sich bei der Regulierung von
Schadenfällen in der Krankenversicherung gegenüber Bestandsversicherten auf
die ab November 2003 zu § 5 Abs. 2 MB/KK 94 eingefügte Ergänzung "
oder wird
für eine medizinisch notwendige Heilbehandlung oder sonstige Maßnahme
eine unangemessene hohe Vergütung berechnet
11
II.
12
Die Beklagte wird verurteilt,
13
1.
14
dem Kläger (hilfsweise: einem Angehörigen der zur Verschwiegenheit
verpflichteten Berufe, der im Falle der Nichteinigung durch das Gericht zu
benennen ist) durch Vorlage eines geordneten Verzeichnisses Auskunft darüber zu
erteilen, welchen Versicherungsnehmern sie ab November 2003 geänderte
Versicherungsbedingungen gem. Nr. I zugeschickt hat in Verbindung mit der
Behauptung, dass diese ab dem 1. Januar 2004 gültig seien;
15
2.
16
den in dem Verzeichnis gemäß Nr. II. 1. aufgelisteten Versicherungsnehmern ein
Schreiben zu übermitteln, in welchem sie richtig stellt, dass die unter Nr. I
aufgeführte Ergänzung der Versicherungsbedingungen unwirksam ist und dass
insoweit die bis 31. Dezember 2003 gültigen Versicherungsbedingungen
unverändert fortgelten, weshalb Schadenfälle, die in der Zwischenzeit unter
Berufung auf die geänderte Versicherungsbedingung gemäß Nr. I reguliert wurden,
unverzüglich nachreguliert werden;
17
3.
18
dem Kläger (hilfsweise: einem Angehörigen der zur Verschwiegenheit
19
dem Kläger (hilfsweise: einem Angehörigen der zur Verschwiegenheit
verpflichteten Berufe, der im Falle der Nichteinigung durch das Gericht zu
benennen ist) vor Versendung der Richtigstellungsschreiben gemäß Nr. 2.
Gelegenheit zur Überprüfung und Sicherstellung zu geben, dass jeder
Versicherungsnehmer gemäß Nr. 1 ein Richtigstellungsschreiben gemäß Nr. 2
erhält;
19
äußerst hilfsweise zu II. 1.-3.,
20
dem Kläger die Befugnis zuzusprechen, die Urteilsformel zu I. mit der Bezeichnung
der verurteilten Beklagten auf deren Kosten im Bundesanzeiger zu veröffentlichen.
21
Die Beklagte beantragt,
22
die Berufung zurückzuweisen.
23
Sie erwidert: Dem Kläger gehe es nicht um eine inhaltliche Unwirksamkeit der
geänderten Klausel, sondern allein um die Art deren Einbeziehung in die bestehenden
Verträge. Dem Kläger gehe es lediglich um die Frage, ob die beanstandete Klausel
– unabhängig von ihrem Inhalt – Vertragsbestandteil geworden sei. Dies könne weder
nach dem Wortlaut noch nach der vom Kläger bemühten erweiternden Auslegung der
§§ 1, 2 UKlaG noch nach §§ 3, 8 UWG Gegenstand einer Verbandsklage sein. Selbst im
Rahmen einer erweiternden Auslegung schützten die Ansprüche aus § 1 UKlaG
lediglich gegen den Inhalt von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, niemals gegen die
Art ihrer Einbeziehung. Auch § 2 UKlaG sei nicht einschlägig, weil mit der aus Sicht des
Klägers fehlerhaften Einbeziehung der geänderten Klausel in die Bestandsverträge
gerade die Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Rede stehe.
Fragen der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen seien jedoch
insgesamt aus dem Anwendungsbereich von § 2 UKlaG ausgenommen. Selbst wenn
man § 2 UKlaG für anwendbar hielte, würde ein Anspruch aus dieser Norm jedenfalls
deshalb scheitern, weil es sich bei den vermeintlich von der Beklagten verletzten
Vorschriften nicht um Verbraucherschutzgesetze handele. Im Übrigen hätten die
Voraussetzungen von § 178 g Abs. 3 VVG vorgelegen und sei das Treuhänderverfahren
ordnungsgemäß durchgeführt worden.
24
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die nachfolgenden tatsächlichen
Feststellungen Bezug genommen.
25
B)
26
Die zulässige Berufung des Klägers hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang
Erfolg. Die Unterlassungsklage ist zulässig und begründet. Der
Folgenbeseitigungsanspruch ist nur in Gestalt des zuletzt gestellten Hilfsantrages
begründet.
27
I.
28
Die Verbandsklage ist zwar nicht nach § 1 UKlaG, aber nach § 2 UKlaG zulässig.
29
1.
30
Als Klage nach § 1 UKlaG ist das Begehren des Klägers nicht zulässig.
31
Die Unterlassungsklage nach § 1 UKlaG ist nur zulässig zur Kontrolle des Inhalts von
Allgemeinen Geschäftsbedingungen, nicht aber zur Frage ihrer Einbeziehung (BGH,
MDR 1983, 113, NJW-RR 1987, 45, NJW-RR 2003, 103, 104). Vorliegend steht die
Einbeziehung der Klauseländerung in Streit; es geht einzig um die Frage, ob das
Treuhänderverfahren zur wirksamen Einbeziehung der Klauseländerung geführt hat.
Gegen den Inhalt der Klausel für sich gesehen hat der Kläger nichts vorgebracht. Dies
gilt auch für sein Berufungsvorbringen. Bei Lichte betrachtet beanstandet er nach wie
vor nicht den Inhalt der Klausel, sondern deren Einbeziehung in die bestehenden
Verträge.
32
2.
33
Die Unterlassungsklage ist aber nach § 2 UKlaG zulässig. Insbesondere ist der Kläger
nach dieser Vorschrift klagebefugt. Denn er beanstandet mit dem seiner Ansicht nach
unwirksamen "Diktat" einer zulässigen Klausel im Kern ein Verhalten, das nicht in der
Verwendung einer unwirksamen Klausel liegt und (nur) deshalb nicht nach § 1 UKlaG
im Wege der Verbandsklage angegriffen werden kann. Er will eine
verbraucherschutzgesetzwidrige Praktik rügen, die nicht von § 1 UKlaG, sondern von
dem insoweit als Auffangtatbestand zu verstehenden § 2 UKlaG erfasst wird.
34
a)
35
Zweck des § 2 UKlaG ist es, die Lücke zu füllen, die der Rechtsschutz nach § 1 UKlaG
und § 8 UWG hinterlässt (vgl. zu § 22 AGBG, aus dem § 2 UKlaG hervorgegangen ist,
Micklitz in Münch.Komm., 4. Aufl., § 22 Rdnr. 11). § 1 UKlaG und § 8 UWG hinterlassen
bei einem über den Einzelfall hinausgehenden Verstoß gegen verbraucherschützende
Vorschriften dann eine Lücke, wenn die Kollektivinteressen des Verbrauchers in
anderer Weise verletzt werden als durch die Verwendung unwirksamer Allgemeiner
Geschäftsbedingungen oder ein die Verbraucherinteressen verletzendes Handeln zum
Zwecke des Wettbewerbs. Dabei schließen sich die Verbandsklage nach § 8 UWG, die
– wie hier (was noch auszuführen sein wird) – auf ihre Grenze stößt im Bereich
außerhalb der Kundenwerbung, also im Bereich der Vertragsabwicklung, und die
Verbandsklage nach § 2 UKlaG aus (§ 8 Abs. 5 Satz 2 UWG; Palandt/Bassenge, BGB,
65. Aufl., § 2 UKlaG Rdnr. 2).
36
Erkennt man den Sinn des § 2 UKlaG, ist es sinnwidrig, diese Vorschrift deswegen für
nicht anwendbar zu halten, weil die Verwendung wirksamer Allgemeiner
Geschäftsbedingungen in Frage steht. Mit der Formulierung "in anderer Weise als durch
Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen" will das
Gesetz eine lückenausfüllende Verbandsklage nicht verhindern, sondern ermöglichen.
Der Weg für einen effektiven Verbraucherschutz durch die Ermöglichung einer
Verbandsklage bei der Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen
ist durch § 1 UKlaG und der bei einem die Verbraucherinteressen verletzenden Handeln
zum Zwecke des Wettbewerbs ist durch § 8 UWG eröffnet. Wenn diese Vorschriften
nicht greifen, ist der Weg für eine Verbandsklage nach § 2 UKlaG unter den dortigen
Voraussetzungen frei. Da mit § 1 UKlaG der Verbraucher vor ihrem Inhalt nach
unwirksamen AGB geschützt werden soll, lässt sich die Formulierung "in anderer Weise
als durch Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen" in §
2 UKlaG im Ergebnis also zwanglos dahin auslegen, dass mit ihr "in anderer Weise als
37
durch Verwendung oder Empfehlung von unwirksamen Allgemeinen
Geschäftsbedingungen" gemeint ist.
Dieser Auslegung entspricht die Entstehungsgeschichte des § 2 UKlaG. Diese
Vorschrift ist hervorgegangen aus § 22 AGBG. Dort hieß es in Abs. 1 Satz 2 noch
unmissverständlich, dass die Verbandsklage nach Abs. 1 Satz 1 keine Anwendung
finde für Zuwiderhandlungen, die in der Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen
Geschäftsbedingungen bestehen, "die mit diesem Gesetz nicht in Einklang stehen;
hierfür gilt § 13." Bei der Verwendung wirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen
war die Anwendbarkeit von § 22 ABGB also nicht ausgeschlossen. Die bei der Fassung
des § 2 Abs. 1 UKlaG vorgenommene Änderung des § 22 Abs. 1 AGBG war nur
redaktioneller Art, die Verbandsklagebefugnis bei wirksamen Allgemeinen
Geschäftsbedingungen blieb erhalten. Dies ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien.
Danach sollte § 2 Abs.1 Satz 1 UKlaG nach Funktion und Wortlaut der jüngsten
Fassung des § 22 Abs. 1 Satz 1 AGBG entsprechen, wobei die Wendung "in anderer
Weise als durch Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen
Geschäftsbedingungen" hinzugefügt wurde, gerade um § 22 Abs. 1 Satz 2 AGBG
inhaltlich aufzunehmen (BT-Drucks. 14/6040 S. 274).
38
b)
39
Mit einem Verstoß gegen § 178 g Abs. 3 VVG rügt der Kläger einen Verstoß gegen ein
Verbraucherschutzgesetz im Sinne von § 2 UKlaG. Danach dient eine Vorschrift dem
Verbraucherschutz, wenn der Verbraucherschutz ihr eigentlicher Zweck ist. Dabei kann
die Vorschrift neben dem Verbraucherschutz auch anderen Zwecken dienen. Nicht
genügend ist allerdings, wenn dem Verbraucherschutz in der Vorschrift nur eine
untergeordnete Bedeutung zugemessen wird, er insbesondere, wie etwa bei § 123
BGB, nur eine zufällige Nebenerscheinung des eigentlichen Hauptzweckes darstellt
(vgl. Micklitz a.a.O. Rdnr. 25; Palandt/Bassenge a.a.O. Rdnr. 5). Angesichts der in § 2
UKlaG genannten Beispiele verbraucherschützender Vorschriften ist für die Annahme
sonstiger Vorschriften als verbraucherschützend eine gewisse Vergleichbarkeit mit den
genannten Beispielen erforderlich. Den Beispielen ist gemein, dass sie speziell auf das
Verhältnis zwischen Unternehmern und Verbrauchern zugeschnitten sind oder der
Verbraucherschutz ihr eigentlicher Zweck ist (vgl. Micklitz a.a.O. Rdnr. 34). Denn sind
Vorschriften speziell auf das Verhältnis zwischen Unternehmern und Verbrauchern
zugeschnitten, ist ihnen eine verbraucherschützende Wirkung immanent.
40
§ 178 g VVG ist speziell auf das Verhältnis zwischen Verbraucher
(Versicherungsnehmer) und Unternehmer (Versicherer) zugeschnitten. Aber nicht nur
dieser Zuschnitt, sondern auch der Inhalt der Regelung zeigt ihre
verbraucherschützende Funktion. § 178 g VVG dient nämlich dem Interesse der
Versicherungsnehmer an der dauerhaften Erfüllbarkeit des Versicherungsvertrages (vgl.
Hohlfeld in Berliner Kommentar zum VVG, § 178 g Rdnr. 6). Dass auch der Versicherer
ein vitales Interesse am Schutz vor seiner Insolvenz hat, ändert an dem Interesse der
Versicherungsnehmer, im Versicherungsfall die versprochene Versicherungsleistung zu
erhalten, nichts. Darüber hinaus soll zum Schutze der Verbraucher durch § 178 g VVG
gewährleistet werden, dass nur unter Einhaltung eines dem Verbraucherschutz
dienenden Verfahrens (der Treuhänder ist Interessenvertreter der
Versicherungsnehmer, Hohlfeld a.a.O. Rdnr. 10) und gesetzlich festgelegter
Voraussetzungen eine Vertragsänderung erfolgt.
41
II.
42
Die Unterlassungsklage ist auch begründet. Die Beklagte hat mit der Klauseländerung
gegen § 178 g Abs. 3 VVG verstoßen. Daher darf sie sich auf diese Änderung nicht
berufen.
43
Die Beklagte verfolgte mit der Klauselergänzung das Ziel, auf das Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 12. März 2003 (NJW 2003, 1596 ff.) präventiv zu reagieren. Die
Beklagte hat aber allenfalls die Möglichkeit einer repressiven Beitragsanpassung.
44
1.
45
Die Durchführung des Treuhänderverfahrens beschränkt die gerichtliche Überprüfung
nicht auf die Ordnungsgemäßheit dieses Verfahrens. Vielmehr ist die verbindliche
Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Klauselanpassung den Gerichten
vorbehalten (BVerfG, VersR., 2000, 214; Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 178 g Rdnr.
8, 10).
46
2.
47
Die Beklagte hätte, wäre es ohne die umstrittene Klauseländerung zu einem allgemein
veränderten Schadensbedarf gekommen und wäre diese Veränderung von nicht nur
untergeordneter Bedeutung und nicht nur vorübergehender Dauer gewesen, die
Möglichkeit gehabt, eine Prämienanpassung nach § 178 g Abs. 2 VVG vorzunehmen.
Dabei wäre es nicht darauf angekommen, ob diese Möglichkeit nur dann eröffnet ist,
wenn die Bedarfsänderung nicht von vornherein einzukalkulieren ist (§ 12 b Abs. 2 Satz
4 VAG; Römer a.a.O. Rdnr. 3; anders Hohlfeld a.a.O. Rdnr. 9). Denn von einer
Fehlkalkulation bei Vertragsschluss hätte nicht ausgegangen werden können, weil sich
die Beklagte auf die – jedenfalls seit BGH, NJW 1978, 589 – herrschende Meinung und
gängige Rechsprechung stützen konnte.
48
3.
49
Da es im Kern um einen befürchteten veränderten Schadensbedarf geht, ist der
Beklagten unter den gegebenen Umständen der Weg nach § 178 g Abs. 3 Satz 1 VVG
verschlossen. Nach dieser Vorschrift ist eine Klauseländerung nur zulässig, wenn sie
zur hinreichenden Wahrung der Belange der Versicherten erforderlich erscheint. Dies ist
vorliegend nicht der Fall. Dem Interesse der Versichertengemeinschaft (und auch dem
der Beklagten) an der weiteren Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge im Fall eines
allgemein veränderten Schadensbedarfs wird bereits durch § 178 g Abs. 2 VVG
hinreichend Rechnung getragen.
50
Die zu einer Reduzierung der vertraglich vereinbarten Versicherungsleistungen
führende Klauseländerung wäre im Zeitpunkt ihrer Vornahme zur Wahrung der Belange
der Versicherten nur dann als erforderlich erschienen, wenn ohne sie eine von der
Versichertengemeinschaft vernünftigerweise zu missbilligende Kostensteigerung zu
befürchten gewesen wäre. Denn andere positive Auswirkungen der Klauseländerung
als die Vermeidung einer Kostensteigerung sind nicht ersichtlich.
51
Dass ohne die Klauseländerung eine von der Versichertengemeinschaft
vernünftigerweise zu missbilligende Kostensteigerung zu befürchten gewesen wäre,
52
kann nicht festgestellt werden. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich
nach dem Vorbringen der Beklagten in ihrer Klageerwiderung, dort S. 6 f. = Bl. 78 f. GA,
die von ihr für das Jahr 2003 befürchtete Kostensteigerung auf rund 2,4 % ihrer
Gesamtaufwendungen für Versicherungsfälle in diesem Jahr belief und nicht ersichtlich
ist, dass damit der für eine Beitragserhöhung notwendige Schwellenwert von 10 % nach
§ 12 b Abs. 2 Satz 2 VAG oder 5 % nach § 8 b Abs. 1.1 Satz 2 MB/KK 94 erreicht
worden wäre. Ohne Erreichen des Schwellenwertes hätten die Versicherten bei
Fortgeltung der bisherigen Klausel und damit unveränderten Versicherungsleistungen
also nicht einmal eine Beitragserhöhung hinnehmen müssen. Ohne drohende
Beitragserhöhung erfordern die Belange der Versicherten eine Reduzierung des
Versicherungsumfanges nicht, zumal die Wesentlichkeitsschwelle für eine
Beitragsanpassung ihren Grund darin findet, dass Änderungen unterhalb dieser
Schwelle die dauernde Erfüllbarkeit der Verträge kaum gefährden können (Hohlfeld
a.a.O. Rdnr. 8).
Auch wenn bei späteren Prämienanpassungen Kostensteigerungen eines Jahres, die
noch nicht zur Überschreitung des Schwellenwertes geführt haben, in den folgenden
Jahren zu den dann festgestellten Kostensteigerungen hinzuaddiert werden und
dadurch die ursprünglich eine Prämienanpassung nicht rechtfertigende
Kostensteigerung zusammen mit weiteren Kostensteigerungen einmal eine
Prämienanpassung rechtfertigen kann, ist nicht ersichtlich, dass der Teil der danach
möglicherweise zu erwartenden Erhöhung der jährlichen Versicherungsprämie, der auf
dem im Verhältnis zur umstrittenen Klauseländerung Mehr an Versicherungsleistungen
beruhen würde, so hoch wäre, dass ein Krankenversicherter vernünftigerweise nicht
mehr gewillt wäre, diese auf die Jahresprämie anteilig umzulegende Erhöhung
hinzunehmen. Vielmehr ist im Grundsatz davon auszugehen, dass der Privatversicherte
die private Krankenversicherung u.a. deshalb ausgewählt hat, um sich auch
kostenintensive Behandlungen ermöglichen zu können, soweit dies für ihn wirtschaftlich
vertretbar erscheint. Nur wenn das von ihm nach einer Abwägung der Beitragserhöhung
einerseits und des Leistungsverlustes andererseits vernünftigerweise hinnehmbare Maß
überschritten ist, kann davon ausgegangen werden, dass die eine solche
Prämienerhöhung verhindernde Klauseländerung zur Wahrung der Belange der
Versicherten erforderlich erscheint. Hier dagegen erscheint mangels entgegenstehender
Anhaltspunkte eine etwa erst in Zukunft einmal notwendig werdende
Prämienanpassung nach § 178 g Abs. 2 VVG als das vorzuziehende (vgl. Prölss/Martin,
VVG, 27. Aufl., § 178 g Rdnr. 26) mildere Mittel.
53
Auch wenn das von der Beklagten befürchtete Steigerungsvolumen von rund 2,4 % ihrer
Gesamtaufwendungen wegen der Besonderheiten der Prämienberechnung nicht mit
einer auf den jeweiligen Versicherten etwa einmal zukommenden Steigerungsrate
gleichzusetzen ist, ändert sich nichts daran, dass Umstände, die zur hinreichenden
Wahrung der Belange der Versicherten eine Klauseländerung erforderlich erscheinen
lassen, selbst unter Berücksichtigung des im Anschluss an die rechtlichen Hinweise im
Senatstermin gefertigten Schriftsatzes der Beklagten vom 4. Mai 2005 nicht festgestellt
werden können.
54
4.
55
Die Voraussetzungen des § 178 g Abs. 3 Satz 2 VVG sind ebenfalls nicht erfüllt. Hierzu
fehlt es bereits an einem diesbezüglichen Treuhänderverfahren. Darüber hinaus geht es
weder um den Ersatz einer unwirksamen Klausel noch erweist sich die
56
Bedingungsanpassung als unabweisbar. Mit der letztgenannten Voraussetzung für eine
Klauseländerung soll der Gefahr vorgebeugt werden, dass der Versicherungsvertrag
vom Versicherer ohne Not zu Ungunsten des Versicherungsnehmers verändert wird
(Hohlfeld a.a.O. Rdnr. 22). Da die Klauseländerung schon nicht zur hinreichenden
Wahrung der Belange der Versicherten erforderlich erscheint, ist sie erst recht nicht
unabweisbar.
5.
57
Es besteht Wiederholungsgefahr. Die umstrittene Klauselergänzung hat die Beklagte
gerade deshalb vorgenommen, um sich gegenüber ihren Bestandsversicherten auf sie
berufen zu können.
58
6.
59
Handelt es sich bei dem Diktat der geänderten Klausel um eine
verbraucherschutzgesetzwidrige Praktik und besteht Wiederholungsgefahr, hat die
Beklagte es zu unterlassen, sich bei der Regulierung von Schadenfällen in der
Krankenversicherung gegenüber Bestandsversicherten auf die geänderte
Versicherungsbedingung zu berufen.
60
III.
61
Der Folgenbeseitigungsanspruch ist nur in Gestalt des zuletzt gestellten Hilfsantrages
begründet.
62
1.
63
Der Anspruch aus § 2 UKlaG geht aber nicht auf ein Tätigwerden (Palandt/ Bassenge
a.a.O. Rdnr. 8). Da das Unterlassungsklagengesetz den Störungsbeseitigungsanspruch
in § 9 besonders geregelt hat, lässt sich der im Wettbewerbsrecht entwickelte
Grundsatz, dass der Unterlassungsanspruch auch einen Beseitigungsanspruch umfasst,
nicht hierhin übertragen. Anderenfalls wäre die Regelung zu § 9 Nr. 4 UKlaG überflüssig
(vgl. Staudinger/ Schlosser, Bearbeitung 1998, zu § 13 AGBG Rdnr. 27). Auch die
Veröffentlichungsbefugnis nach § 7 UKlaG spricht gegen einen
Folgenbeseitigungsanspruch. Schließlich hat der Gesetzgeber die Einführung des
Unterlassungsklagengesetzes nicht zum Anlass genommen, wie etwa in § 8 Abs. 1
UWG einen Beseitigungsanspruch ausdrücklich in das Unterlassungsklagengesetz
aufzunehmen.
64
2.
65
Auf § 8 UWG i.V.m. § 3 UWG kann der Kläger seine Klage nicht mit Erfolg stützen.
Diese Vorschriften sind mangels Vorliegens einer Wettbewerbshandlung im Sinne der
Legaldefinition des § 2 Abs. 2 Nr. 1 UWG nicht einschlägig. Maßnahmen, die der
Durchführung, Beendigung oder Rückabwicklung eines Vertragsverhältnisses dienen,
haben in der Regel keinen Marktbezug und stellen damit keine Wettbewerbshandlung
dar (Baumbach/Hefermehl/Köhler, Wettbewerbsrecht, 23. Aufl., § 2 UWG Rdnr. 53).
Insbesondere stellt es keine Wettbewerbshandlung dar, wenn ein Versicherer in einem
Rundschreiben an seine Versicherungsnehmer für unwirksam erklärte
Versicherungsbedingungen durch andere Bestimmungen ersetzt (so schon BGH, NJW-
66
RR 2003, 103; Baumbach/Hefermehl/Köhler a.a.O.). Nichts anderes gilt, wenn ein
Versicherer seine wirksamen Bedingungen auf dem Wege nach § 178 g Abs. 3 VVG
ändern will. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Änderung zulässig ist. Denn selbst
bei einer unzulässigen Änderung kann nicht von einer Wettbewerbshandlung
gesprochen werden. Vielmehr geht es um den Vorwurf eines Fehlverhaltens in einer
bestehenden Vertragsbeziehung ( Baumbach/Hefermehl/Köhler a.a.O.).
Die vom Kläger zitierten Entscheidungen des OLG Frankfurt vom 21. Juli 2005 – 6 U
175/04 – und OLG Bamberg vom 12. Oktober 2005 – 3 U 151/04 – betreffen anders
gelagerte Sachverhalte. Dort unterbreiteten die Versicherer wettbewerbswidrig ihren
Kunden Vertrags(änderungs)angebote. Sie traten mithin werbend an ihre Kunden heran.
An einem derartigen werbenden Auftreten fehlt es aber im vorliegenden Fall.
67
3.
68
Der zuletzt gestellte Hilfsantrag ist nach § 7 UKlaG begründet.
69
IV.
70
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht war nicht vor einer Entscheidung
zu hören (§ 8 UKlaG Abs. 2 Nr. 1). Denn § 1 UKlaG ist nicht einschlägig.
71
C.
72
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.
73
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.000 € festgesetzt (5.000 € für den
Antrag zu I., 2.500 € für die Anträge zu II. 1.-3., 500 € für den Hilfsantrag zu II. 1.-3.).
74
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und zur
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
75