Urteil des OLG Düsseldorf vom 28.10.2010

OLG Düsseldorf (stand der technik, bundesrepublik deutschland, geschwindigkeit, träger, eingriff, stand, technik, fachmann, wirkung, lehre)

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-2 U 81/09
Datum:
28.10.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-2 U 81/09
Tenor:
I.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 4b Zivilkammer des
Landgerichts Düsseldorf vom 09.06.2009 – Az.: 4b O 90/08 – wird
zurückgewiesen.
II.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen ihrer
Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
V.
Der Streitwert wird für die erste und die zweite Instanz auf 3.800.000,- €
festgesetzt.
Gründe
1
I.
2
Die Klägerin ist seit dem 30.08.2007 eingetragene Inhaberin des am 15.12.2000 in
englischer Verfahrenssprache angemeldeten europäischen Patents EP 1 240 XXXB1
(Anlage TW 1; Klagepatent), das in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft steht. Es
betrifft eine Vorrichtung zur Änderung der Geschwindigkeit von Fahrrädern,
insbesondere eine Schaltung, die die Geschwindigkeit von Fahrrädern mittels
Zahnrädern ändert, welche im Inneren der Hinterradnabe angeordnet sind. Seine
Erteilung wurde am 26.09.2007 vom Europäischen Patentamt (EPA) veröffentlicht, der
Hinweis hierauf vom Deutschen Patent- und Markenamt am 08.11.2007 bekannt
gemacht. Der von der Beklagten eingereichte Einspruch gegen das Klagepatent wurde
vom EPA in der mündlichen Verhandlung vom 13.07.2010 zurückgewiesen.
3
Die vorliegend streitgegenständlichen Ansprüche 1, 6 und 11 des Klagepatents lauten
nach der beim DPMA eingereichten und inzwischen veröffentlichten deutschen
Übersetzung (TW 1a):
4
1.
5
Vorrichtung zur Änderung der Geschwindigkeit von Fahrrädern, umfassend:
6
ein angetriebenes Kettenrad (100), welches die Antriebskraft eines antreibenden
Kettenrades aufnimmt; einen Geschwindigkeitsregelabschnitt, umfassend:
7
einen auf einer Seite des angetriebenen Kettenrades (100) befestigten Träger (210),
eine Vielzahl von an dem Träger angebrachten Planetengetrieben (220), wobei die
Planetengetriebe jeweils wenigstens einen ersten Zahnabschnitt und einen zweiten
Zahnabschnitt aufweisen; wenigstens zwei Sonnenräder (231, 232), an denen
jeweils Sperrzähne am Innenumfang ausgebildet sind, wobei eines der
Sonnenräder mit dem ersten Zahnabschnitt jedes Planetengetriebes eingreift und
ein zweites der Sonnengetriebe mit dem zweiten Zahnabschnitt an jedem der
Planetengetriebe eingreift; und
8
ein Hohlrad (240), welches mit den Planetengetrieben (220) eingreift;
9
einen Ausgangsabschnitt, umfassend:
10
ein Nabengehäuse (310), welches mittels des Trägers (210) und des Hohlrades
(240) die Antriebskraft an das Hinterrad eines Fahrrades überträgt; und
11
zwischen dem Träger (210) und dem Nabengehäuse (310) sowie dem Hohlrad (240)
und dem Nabengehäuse (310) angebrachte Kupplungsmittel (320) für eine gezielte
Übertragung der Antriebskraft;
12
und einen Abschnitt zur Regelung der Geschwindigkeitsänderung, umfassend:
13
eine Nabenwelle (410) mit einem Sperrklinkenpositionierabschnitt (411);
wenigstens zwei Sperrklinkensätze (421, (422), welche wirksam sind, um mit den
Sperrzähnen (231a), 232a) der wenigstens zwei Sonnenräder (231), (232)
einzugreifen; einen um die Nabenwelle (410) verlaufenden
Sperrklinkensteuerungsring (430), welcher wirksam ist, um die Stellung der
wenigstens zwei Sperrklinkensätze (421), (422) zu steuern;
14
eine Übersetzungsscheibe (450), an deren Außenumfang entlang eine Rille vorgesehen
ist und die einen Hakenabschnitt an dem Außenumfang aufweist, wobei die
Übersetzungsscheibe wirksam ist, um die Stellung des Sperrklinkensteuerungsrings
(430) über einen vermittelnden Abschnitt zu übersetzen:
15
eine Feder (460) zum Zurückführen der Stellung der Übersetzungsscheibe in ihre
ursprüngliche Stellung; und
16
einen Beabstandungsabschnitt (470), welcher eine freie Drehbewegung der
Übersetzungsscheibe relativ zu dem Nabengehäuse ermöglicht.
17
6.
18
Vorrichtung zur Änderung der Geschwindigkeit von Fahrrädern nach Anspruch 1, wobei
die Sperrklinken (421), (422) Folgendes umfassen:
19
einen Nasenabschnitt (421a), (422a), welcher im Inneren des
Sperrklinkensteuerungsrings (430) positioniert ist;
20
und
21
einen Verschlussabschnitt (421b), (422b), welcher mit den am Innenumfang des
Sonnengetriebes (231), (232) ausgebildeten Sperrzähnen (231a, 232a) in Eingriff
oder außer Eingriff gelangt.
22
11.
23
Vorrichtung zur Änderung der Geschwindigkeit von Fahrrädern nach Anspruch 1,
umfassend mehr als zwei Sperrklinkensätze (421), (422), wobei eine Vielzahl von
Sperrklinkensteuerungsringen (430) jeweils zwischen den Sperrklinkensätzen (421),
(422) angebracht ist.
24
Die nachfolgend eingeblendeten Figuren zeigen die Erfindung anhand bevorzugter
Ausführungsbeispiele, Figur 3 als Schnittansicht, Figur 4 als Schnittansicht entlang der
Linie A-A` aus der Figur 3, Figur 5 als Schnittansicht des
Geschwindigkeitsänderungsregelabschnitts, Figur 6 als perspektivische Ansicht des
Geschwindigkeitsregelungsabschnitts und Figur 7 als perspektivische
Einzelteildarstellung des Geschwindigkeitsregelabschnitts:
25
Die Beklagte ist die deutsche Generalvertretung des japanischen
Fahrradkomponentenherstellers A Inc. Als solche bietet sie auf ihrer Internetseite
diverse Produkte von A an, welche sie an den Fachhandel liefert. Zu diesen Produkten
zählen auch die Hinterradnaben SG-8XXX/22, SG-8YYY/22, SG-8YXY/27, SG-
8YXY/27-VS und SG-XS00 (angegriffene Ausführungsformen), von denen ein Exemplar
der angegriffenen Ausführungsform SG-8YSX als Anlage TW 9 zur Gerichtsakte
gereicht ist. Alle Naben unterscheiden sich in verschiedenen Details, nicht aber in der
grundsätzlichen Mechanik der Gangschaltung, die – soweit vorliegend von Interesse –
der im von A gehaltenen Europäischen Patent EP 1 323 XCXB1 (Anlage L 2,
Übersetzung DE 602 18 1ZZZ T2 Anlage L3) beschriebenen entspricht und wie in der
nachfolgend eingeblendeten Figur aus der genannten Patentschrift dargestellt
aufgebaut ist:
26
Die Klägerin ist der Ansicht, dass die angegriffenen Ausführungsformen das
Klageschutzrecht verletzen, weshalb sie die Beklagte vor dem Landgericht auf
Unterlassung, Schadensersatz und Rechnungslegung in Anspruch genommen hat. Zur
Begründung hat sie geltend gemacht, es sei zur Patentverletzung ausreichend, dass
zwischen dem Träger, auf dem sich die Planetenräder befinden, und dem
angetriebenen Kettenrad ein Kraftfluss stattfinde. Eine drehfeste Fixierung beider Teile
sei ebenso wenig erforderlich wie eine räumliche Nähe derselben. Auch sehe das
Klagepatent nicht vor, dass jedes Sonnenrad mit mindestens zwei Sperrklinken arretiert
werde. Vielmehr verwende das Klageschutzrecht den Begriff des Sperrklinkensatzes zur
Zusammenfassung der verschiedenen Komponenten, aus denen eine Sperrklinke
bestehe (Nasenabschnitt, Verschlussabschnitt, Feder u.s.w.). Jedenfalls, so die
Klägerin, sei das entsprechende Merkmal (Merkmal 6b) der unten wiedergegebenen
Merkmalsanalyse) äquivalent verwirklicht, was sie hilfsweise geltend macht. Schließlich
hält die Klägerin die bei den angegriffenen Ausführungsformen in Halbkreisform
ausgebildete Sperrklinkensteuerung für klagepatentgemäß, da auch eine solche
Ausformung die erfindungsgemäße Funktion eines Sperrklinkensteuerungsrings erfülle
und ein Ring ohnehin nicht vollständig geschlossen sein müsse.
27
Die Beklagte hat demgegenüber in allen vorgenannten Punkten eine Verletzung des
Klageschutzrechts in Abrede gestellt und – im Hinblick auf den zum damaligen
Zeitpunkt noch nicht beschiedenen Einspruch gegen das Klagepatent – hilfsweise die
Aussetzung des Verfahrens beantragt. Sie hat im Wesentlichen die Ansicht vertreten,
das Merkmal der Befestigung des Trägers auf einer Seite des Kettenrades erfordere
eine unmittelbare und drehfeste Verbindung der beiden Teile. Ein Satz von Sperrklinken
müsse aus mindestens zwei Sperrklinken bestehen und ein halbkreisförmiges
Steuerungselement sei kein Steuerungsring, da ein Ring begrifflich ein "kreisförmiges
Band" bezeichne.
28
Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die angegriffenen
Ausführungsformen verletzten das Klagepatent schon deshalb nicht, da sie keine zwei
Sperrklinkensätze pro Sonnenrad aufwiesen. Das Klagepatent verwende den Begriff
des Sperrklinkensatzes zur Bezeichnung des Vorhandenseins einer Mehrzahl von
Sperrklinken, wie sich aus der Patentbeschreibung ergebe. Daher müssten mindestens
zwei Sperrklinken pro Sonnenrad vorhanden sein, was bei den angegriffenen
Ausführungsformen unstreitig nicht der Fall ist. Eine äquivalente Verwirklichung dieses
Merkmals scheitere am Fehlen der Gleichwertigkeit. Der Fachmann werde durch die
Klagepatentschrift nicht dahingehend angeleitet, anstelle von zwei Sperrklinken pro
Sonnenrad nur eine zu verwenden.
29
Hiergegen wendet sich die Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres
erstinstanzlichen Vorbringens mit der Berufung. Sie meint, das Landgericht habe bei der
Auslegung des Merkmals der wenigstens zwei Sperrklinkensätze die technische Lehre
der Erfindung verkannt und den Begriff zu eng ausgelegt. Jedenfalls müsse aber von
einer entsprechenden äquivalenten Verwirklichung ausgegangen werden, da mit nur
einer Sperrklinke dieselbe Wirkung erzielt werde wie mit zweien, nämlich die
Arretierung des Sonnenrades. Im Hinblick auf den Stand der Technik, wie er sich z.B.
aus der bereits erstinstanzlich vorgelegten Offenlegungsschrift DE 197 20 794 A1
(Anlage TW 14) ergebe, habe die Verwendung nur einer Sperrklinke auch nahegelegen.
Schließlich ziehe der Fachmann bei Lektüre des Klagepatents die Verwendung nur
einer Sperrklinke pro Sonnenrad auch als gleichwertig in Betracht.
30
Die Klägerin beantragt,
31
das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 09.06.2009 – Az.: 4b O 90/08 –
abzuändern und
32
I. die Beklagte zu verurteilen
II. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft
bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu zwei Jahren,
wobei die Ordnungshaft an ihrem jeweiligen Geschäftsführer zu vollstrecken ist, zu
unterlassen,
33
34
Vorrichtungen zur Änderung der Geschwindigkeit von Fahrrädern,
umfassend: ein angetriebenes Kettenrad, welches die Antriebskraft eines
antreibenden Kettenrades aufnimmt; einen
geschwindigkeitsregelabschnitt, umfassend: einen auf einer Seite des
angetriebenen Kettenrades befestigten Träger, eine Vielzahl von an dem
Träger angebrachten Planetenrädern, wobei die Planetenräder jeweils
wenigstens einen ersten Zahnabschnitt und einen zweiten Zahnabschnitt
aufweisen; wenigstens zwei Sonnenräder, an denen jeweils Sperrzähne
am Innenumfang ausgebildet sind, wobei eines der Sonnenräder mit dem
ersten Zahnabschnitt jedes Planetengetriebes eingreift und ein zweites
der Sonnenräder mit dem zweiten Zahnabschnitt an jedem der
Planetengetriebe eingreift; und ein Hohlrad, welches mit den
Planetenrädern eingreift; einen Ausgangsabschnitt, umfassen: ein
Nabengehäuse, welches mittels des Trägers und des Hohlrades die
Antriebskraft an das Hinterrad des Fahrrades überträgt; und zwischen
dem Träger und dem Nabengehäuse sowie dem Hohlrad und dem
Nabengehäuse angebrachte Kupplungsmittel für eine gezielte
Übertragung der Antriebskraft; und einen Abschnitt zur Regelung der
Geschwindigkeitsänderung, umfassend: eine Nabenwelle mit einem
Sperrklinkenpositionierabschnitt; wenigstens zwei Sperrklinkensätze,
welche wirksam sind, um mit den Sperrzähnen der wenigstens zwei
Sonnenräder einzugreifen; einen um die Nabenwelle verlaufenden
Sperrklinkensteuerungsring, welcher wirksam ist, um die Stellung der
wenigstens zwei Sperrklinkensätze zu steuern; eine
Übersetzungsscheibe, an deren Außenumfang eine Vorrichtung
vorgesehen ist, um mit einem Schaltzug einzugreifen, wobei die
Übersetzungsscheibe wirksam ist, um die Stellung des
Sperrklinkensteuerungsrings über einen vermittelnden Abschnitt zu
übersetzen; eine Feder zum Zurückführen der Stellung der
Übersetzungsscheibe in ihre ursprüngliche Stellung; und einen
Beabstandungsabschnitt, welcher eine freie Drehbewegung der
Übersetzungsscheibe relativ zu dem Nabengehäuse ermöglicht,
35
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen
oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder
einzuführen oder zu besitzen,
36
insbesondere wenn
37
die Sperrklinken folgendes umfassen: einen Nasenabschnitt, welcher im
Inneren des Sperrklinkensteuerungsrings positioniert ist und einen
Verschlussabschnitt, welcher mit den am Innenumfang des Sonnenrades
ausgebildeten Sperrzähnen in Eingriff oder außer Eingriff gelangt,
38
und/oder
39
die Vorrichtung zur Änderung der Geschwindigkeit von Fahrrädern mehr
als zwei Sperrklinkensätze umfassen, wobei eine Vielzahl von
Sperrklinkensteuerungsringen jeweils zwischen den Sperrklinkensätzen
angebracht ist;
40
2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu I. 1.
bezeichneten Handlungen seit dem 26. Oktober 2007 begangen hat, und zwar
durch Vorlage eines Verzeichnisses, aus dem ersichtlich sind
41
a. die einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –
preisen nebst Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
b. die einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –
preisen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
c. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren
Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
d. die nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und
der erzielte Gewinn;
42
43
44
II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu
ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 26. Oktober
2007 entstanden ist oder noch entstehen wird.
45
46
Hilfsweise zum Antrag Ziffer I. 1. beantragt die Klägerin,
47
… die Beklagte zu verurteilen,
48
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- €, ersatzweise
Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft
bis zu zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihrem jeweiligen
Geschäftsführer zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
49
Vorrichtungen zur Änderung der Geschwindigkeit von Fahrrädern,
umfassend: ein angetriebenes Kettenrad, welches die Antriebskraft eines
antreibenden Kettenrades aufnimmt; einen
geschwindigkeitsregelabschnitt, umfassend: einen auf einer Seite des
angetriebenen Kettenrades befestigten Träger, eine Vielzahl von an dem
Träger angebrachten Planetenrädern, wobei die Planetenräder jeweils
wenigstens einen ersten Zahnabschnitt und einen zweiten Zahnabschnitt
aufweisen; wenigstens zwei Sonnenräder, an denen jeweils Sperrzähne
am Innenumfang ausgebildet sind, wobei eines der Sonnenräder mit dem
ersten Zahnabschnitt jedes Planetengetriebes eingreift und ein zweites
der Sonnenräder mit dem zweiten Zahnabschnitt an jedem der
Planetengetriebe eingreift; und ein Hohlrad, welches mit den
Planetenrädern eingreift; einen Ausgangsabschnitt, umfassen: ein
Nabengehäuse, welches mittels des Trägers und des Hohlrades die
Antriebskraft an das Hinterrad des Fahrrades überträgt; und zwischen
dem Träger und dem Nabengehäuse sowie dem Hohlrad und dem
Nabengehäuse angebrachte Kupplungsmittel für eine gezielte
Übertragung der Antriebskraft; und einen Abschnitt zur Regelung der
Geschwindigkeitsänderung, umfassend: eine Nabenwelle mit einem
Sperrklinkenpositionierabschnitt; wenigstens zwei Sperrklinken, welche
wirksam sind, um mit den Sperrzähnen der wenigstens zwei Sonnenräder
einzugreifen; eine um die Nabenwelle verlaufende halbkreisförmige
Sperrklinkensteuerungsvorrichtung, welche wirksam ist, um die Stellung
der wenigstens zwei Sperrklinken zu steuern; eine Übersetzungsscheibe,
an deren Außenumfang eine Vorrichtung vorgesehen ist, um mit einem
Schaltzug einzugreifen, wobei die Übersetzungsscheibe wirksam ist, um
die Stellung der halbkreisförmigen Sperrklinkensteuerungsvorrichtung
über einen vermittelnden Abschnitt zu übersetzen; eine Feder zum
Zurückführen der Stellung der Übersetzungsscheibe in ihre ursprüngliche
Stellung; und einen Beabstandungsabschnitt, welcher eine freie
Drehbewegung der Übersetzungsscheibe relativ zu dem Nabengehäuse
ermöglicht,
50
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen
oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder
einzuführen oder zu besitzen,
51
insbesondere wenn
52
die Sperrklinken folgendes umfassen: einen Nasenabschnitt, welcher im
Inneren des Sperrklinkensteuerungsrings positioniert ist und einen
Verschlussabschnitt, welcher mit den am Innenumfang des Sonnenrades
ausgebildeten Sperrzähnen in Eingriff oder außer Eingriff gelangt,
53
und/oder
54
die Vorrichtung zur Änderung der Geschwindigkeit von Fahrrädern mehr
als zwei Sperrklinkensätze umfassen, wobei eine Vielzahl von
Sperrklinkensteuerungsringen jeweils zwischen den Sperrklinkensätzen
angebracht ist;)
55
Die Beklagte beantragt,
56
die Berufung zurückzuweisen.
57
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht unter Wiederholung und
Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens unter anderem geltend, eine äquivalente
Verwirklichung des Merkmals der wenigstens zwei Sperrklinkensätze sei auch deshalb
zu verneinen, da es an der Gleichwirkung fehle. Bei Verwendung nur einer Sperrklinke
pro Sonnenrad seien weitere Modifikationen notwendig, um sichere Schaltvorgänge zu
ermöglichen. Werde das jeweilige Sonnenrad durch nur eine Sperrklinke arretiert,
bestehe die Gefahr, dass das Sonnenrad infolge ungleichmäßiger Belastung aus dem
Lot der Mittelachse geschoben werde. Beim oben genannten A-Patent werde dem durch
einen Sonnenradführungsring entgegen gewirkt. Bei der Verwendung von zweien oder
mehr Sperrklinken sei eine Verschiebung durch die gleichmäßige Verteilung der Kräfte
ausgeschlossen.
58
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der
Parteien nebst Anlagen sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
59
II.
60
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
61
Die Klage ist unbegründet, da die angegriffenen Ausführungsformen das Klagepatent
weder wortsinngemäß noch in äquivalenter Weise verletzen.
62
1.
63
Nach der einleitenden Erläuterung der Klagepatentschrift (insofern wird im Folgenden
allein auf die Übersetzung TW 1a Bezug genommen, deren Richtigkeit nicht streitig ist)
betrifft die Erfindung eine Vorrichtung zur Veränderung der Geschwindigkeit von
Fahrrädern (Gangschaltung), welche in die Hinterradnabe eingebaut wird.
64
Im Stand der Technik waren zum einen Gangschaltungen bekannt, die eine Umsetzung
der Antriebskraft über am Mittelrahmen und am Hinterrad angebrachte, miteinander
gekoppelte Kettenräder ermöglichen. Bei derartigen Vorrichtungen treten jedoch
während der Geschwindigkeitsänderung Geräusche und Stöße auf, was das
Klagepatent als nachteilig bezeichnet.
65
Bekannt waren weiterhin Schaltungen, die in die Hinterradnabe eingebaut werden. Hier
basiert die Übersetzung der Antriebskraft auf der Verzahnung mehrerer, in der
Hinterradnabe eingebauter Innenzahnräder, wobei die Übersetzung über eine in der
Hinterradnabe angebrachte Steuerung erfolgt. Das Klagepatent führt als Beispiel einer
66
Übersetzung vom Innenradverzahnungstyp eine Übersetzungsnabe für Fahrräder aus
der japanischen Offenlegungsschrift Nr. Hei7-10069 an, die im Klagepatent in den
nachfolgend eingeblendeten Figuren 1 und 2 illustriert wird:
Diese Hinterradnabenschaltung erlaubt eine Übersetzung der Antriebskraft in drei
unterschiedlichen Geschwindigkeitszuständen, dem sog.
Niedrigkeitsgeschwindigkeitszustand sowie dem ersten und dem zweiten
Hochgeschwindigkeitszustand. Die durch den Fahrer aufgebrachte Antriebskraft wird
mittels einer Kette an das am Hinterrad positionierte Kettenrad (2a) geleitet. Im
Niedrigkeitsgeschwindigkeitszustand erfolgt die Umsetzung der Antriebskraft über das
Zahnrad (2a), den damit verbundenen Träger (2) und eine lösbare Kupplung (7) auf die
Nabe (1). Eine Übersetzung findet nicht statt. Vielmehr wird die Antriebskraft "1 zu 1" an
das Hinterrad übertragen, Zahnrad (2a) und Nabe (1) drehen sich mit der gleichen
Geschwindigkeit. Zum Wechsel in einen der Hochgeschwindigkeitszustände wird die
Kupplung (7) gelöst und damit der direkte Eingriff des Trägers (2) in das Nabengehäuse
(1) unterbrochen. In beiden Hochgeschwindigkeitszuständen erfolgt die Antriebskraft
sodann über ein am Träger (2) angebrachtes Planetengetriebe. Eines der beiden
Sonnenräder (12, 13), die beide frei um die nicht drehbare Hinterradachse (6) rotieren
können, wird mittels an den Sonnenrädern angebrachter Sperrklinken (12a, 13a) auf der
Hinterradachse (6) arretiert. Die Sperrklinken sind dabei derart ausgestaltet, dass sie in
ausgerücktem Zustand gegen Vorsprünge stoßen, die an der Nabenwelle ausgebildet
sind. Durch selektives Ausrücken der Sperrklinken kann jeweils das eine oder das
andere Sonnenrad an der Hinterradachse fixiert und dadurch an der Rotation gehindert
werden. Jedes der Sonnenräder steht mit Planetenrädern (11) in Eingriff, die ihrerseits
mit einem Hohlrad (1c) in Eingriff stehen, welches durch eine Kupplung mit der
Hinterradnabe (1) verbunden ist. Im Hochgeschwindigkeitszustand wird die Antriebskraft
über den Träger (2) an die Planetenräder (11) übertragen, die über das jeweils arretierte
Sonnenrad abrollen und hierdurch die Antriebskraft an das Hohlrad und damit die
Hinterradnabe übertragen. Die erhöhte Geschwindigkeit wird dadurch erreicht, dass die
Sonnenräder mehr Zähne aufweisen als die Planetenräder, so dass eine Umdrehung
um das Sonnenrad in eine Vielzahl von Umdrehungen des Hohlrades übersetzt wird.
Verschiedene Hochgeschwindigkeitszustände stellen sich dadurch ein, dass die
Sonnenräder in unterschiedliche Zahnabschnitte der Planetenräder eingreifen und
damit unterschiedliche Verhältnisse der Verzahnung zwischen Sonnenrad und
Planetenrad (= unterschiedliche Übersetzungen) ermöglichen.
67
Das Klagepatent bemängelt an den Schaltungen des Innenverzahnungstyps aus dem
Stand der Technik zum einen die Verzögerung der Wirkung des Schaltvorgangs, die
darauf beruht, dass eine der beiden Sperrklinken, die auf sich gegenüber liegenden
Seiten angebracht sind, eingreifen muss, so dass die Verzögerung bis zu einer halben
Umdrehung des Sonnenrades dauern kann. Dem kann zwar durch eine Erhöhung der
Sperrklinkenanzahl begegnet werden, jedoch ist die Möglichkeit, die Anzahl von
Sperrklinken zu erhöhen, aus technischen Gründen begrenzt. Zum anderen kritisiert das
Klagepatent die Ausgestaltung der Steuerungsvorrichtung der Sperrklinken, welche die
Umschaltung zwischen den einzelnen Sonnenrädern herbeiführt. Die im Stand der
Technik bekannten Vorrichtungen beschreiben eine Steuerung mittels einer um die
Hinterradachse ausgebildeten Steuerungshülse (26). Diese Steuerungshülse weist
mehrere Fensterausschnitte auf, die ein Ausrücken der gewünschten Sperrklinke
erlauben. Hieran erachtet das Klagepatent als nachteilig, dass nicht ausgerückte
Sperrklinken während der Fahrt stets über die Steuerhülse rotieren, wodurch sowohl
unerwünschte Geräusche als auch ein vermehrter Verschleiß der Bauteile auftreten.
68
Das Klagepatent betrachtet es daher als seine Aufgabe, eine Hinterradnabenschaltung
bereit zu stellen, die die Geschwindigkeit von Fahrrädern mittels Innenzahnrädern
ändert, die im Inneren einer Hinterradnabe angeordnet sind, und die die Innenzahnräder
mit auf einer Nabenwelle angebrachten Steuerungen steuert, so dass das Fahrrad eine
ansprechende Erscheinungsform aufweist, die Betätigung der
Geschwindigkeitsänderung komfortabel ist, wobei die Wirkung der Betätigung nach
einem Betrieb stattfindet, geringe Geräusche auftreten, wenn die Geschwindigkeit von
Fahrrädern geändert wird und die Stufen der Geschwindigkeit leicht erweiterbar sind.
69
Es löst diese Aufgabe durch eine Vorrichtung gemäß Anspruch 1. Die dort beschriebene
Steuerungsvorrichtung (Figur 7, oben eingeblendet) umfasst Sperrklinken, die an der
Nabenwelle (der Hinterradachse) anliegen und in ausgerücktem Zustand in die
Innenverzahnung der Sonnenräder eingreifen. Die Sperrklinken setzen sich unter
anderem zusammen aus einem Verschlussabschnitt (421b, 422b), der mit der
Innenverzahnung des jeweiligen Sonnenrades in Eingriff stehen kann, und aus einem
Nasenabschnitt (421a, 422a), der in einem Steuerungsring (430) positioniert ist. Der
Steuerungsring (430) erstreckt sich um die Nabenwelle herum und steuert, wenn er
gedreht wird, die Ausrückposition der Sperrklinken. Auf diese Weise kommt die
erfindungsgemäße Steuerung der Sperrklinken ohne Verwendung einer Steuerhülse
aus und ermöglicht einen stoßfreien Wechsel der Umsetzung über die einzelnen
Sonnenräder ohne unnötige Geräusche und Verschleiß einer Steuerhülse.
70
In seinem Hauptanspruch sieht das Klagepatent demgemäß die Kombination folgender
Merkmale vor:
71
Vorrichtung zur Änderung der Geschwindigkeit von Fahrrädern, umfassend:
72
(1) ein angetriebenes Kettenrad (100), welches die Antriebskraft eines antreibenden
Kettenrades aufnimmt;
73
(2) einen Geschwindigkeitsregelabschnitt, umfassend:
74
(2a) einen Träger (210), der auf einer Seite des angetriebenen Kettenrades (100)
befestigt ist,
75
(2b) eine Vielzahl von Planetenrädern (220), die an dem Träger angebracht sind;
76
(2c) die Planetenräder weisen jeweils wenigstens einen ersten Zahnabschnitt und
einen zweiten Zahnabschnitt auf;
77
(2d) wenigstens zwei Sonnenräder (231, 232), an denen jeweils Sperrzähne am
Innenumfang ausgebildet sind;
78
(2d1) eines der Sonnenräder greift mit dem ersten Zahnabschnitt jedes
Planetenrades ein;
79
(2d2) das zweite der Sonnenräder greift mit dem zweiten Zahnabschnitt an
jedem der Planetenräder ein;
80
(3) ein Hohlrad (240), das mit den Planetenrädern (220) eingreift;
81
(4) einen Ausgangsabschnitt, umfassend: ein Nabengehäuse (310), das die
Antriebskraft an das Hinterrad des Fahrrades überträgt;
82
(4a) die Antriebskraft wird mittels des Trägers (210) und des Hohlrades übertragen;
83
(5) Kupplungsmittel (320) für eine gezielte Übertragung der Antriebskraft;
84
(5a) die Kupplungsmittel sind zwischen dem Träger (210) und dem Nabengehäuse
(310) sowie
85
(5b) zwischen dem Hohlrad und dem Nabengehäuse (310) angebrachte
Kupplungsmittel (320) angebracht;
86
(6) ein Abschnitt zur Regelung der Geschwindigkeitsänderung, umfassend:
87
(6a) eine Nabenwelle (410) mit einem Sperrklinkenpositionierabschnitt (411);
88
(6b) wenigstens zwei Sperrklinkensätze (421, 422), die wirksam sind, um mit den
Sperrzähnen (231a, 232a) der wenigstens zwei Sonnenräder (231, 232)
einzugreifen;
89
(6c) einen Sperrklinkensteuerungsring (430), der
90
(6c1) um die Nabenwelle (410) verläuft und
91
(6c2) wirksam ist, um die Stellung der wenigstens zwei Sperrklinkensätze (421,
422) zu steuern;
92
(6d) eine Übersetzungsscheibe (450),
93
(6d1) an deren Außenumfang entlang eine Rille vorgesehen ist, und die einen
Hakenabschnitt an dem Außenumfang aufweist,
94
(6d2) und die wirksam ist, um die Stellung des Sperrklinkensteuerungsrings
(430) über einen vermittelnden Abschnitt zu übersetzen;
95
(6e) eine Feder (460), die zum Zurückführen der Stellung der Übersetzungsscheibe
in ihre ursprüngliche Stellung dient;
96
(6f) einen Beabstandungsabschnitt (470), der eine freie Drehbewegung der
Übersetzungsscheibe relativ zu dem Nabengehäuse ermöglicht.
97
Näherer Erörterung bedarf im Hinblick auf den Streit der Parteien das Merkmal (6b),
welches vorsieht, dass der Abschnitt zur Regelung der Geschwindigkeitsänderung
wenigstens 2 Sätze von Sperrklinken umfasst.
98
a) Die zahlenmäßige Festlegung auf mindestens "2" Sperrklinkensätze trägt – wie die
Klägerin selber einräumt – dem Umstand Rechnung, dass die Sperrklinkensätze mit den
Sperrzähnen der Sonnenräder eingreifen sollen und anspruchsgemäß (Merkmal (2d))
wenigstens 2 Sonnenräder vorgesehen sind. Insoweit korrespondiert die (Mindest-
99
)Anzahl der Sperrklinkensätze mit der (Mindest-)Anzahl der Sonnenräder, was im
Übrigen auch einer technischen Notwendigkeit entspricht. Mit Hilfe der
Sperrklinkensätze sollen die Sonnenräder einzeln arretiert werden, was verlangt, dass
für jedes in der Schaltung vorhandene Sonnenrad ein seiner Fixierung dienender
Sperrklinkensatz vorhanden ist.
b) Nach der Fassung des Patentanspruchs korrespondiert zu jedem Sonnenrad nicht
"eine Sperrklinke", die mit den Sperrzähnen des Sonnenrades eingreift, sondern "ein
Sperrklinkensatz", nämlich ein Satz von Sperrklinken. Merkmal (6b) fordert nämlich nicht
"wenigstens 2 Sperrklinken", die mit den Sperrzähnen der (wenigstens 2) Sonnenräder
eingreifen, sondern "wenigstens 2 Sätze von Sperrklinken", die mit den Sperrzähnen
der (wenigstens 2) Sonnenräder zusammenwirken.
100
Schon rein sprachlich kann mit einem "Satz von Sperrklinken" nicht bloß 1 einzelne
Sperrklinke gemeint sein. Bei einem solchen Verständnis wären die Worte "Satz von"
ebenso überflüssig und sinnlos wie der Plural "Sperrklinken". In Betracht kommen nur 2
mögliche Deutungen für den Zusatz "Satz von":
101
Gefordert sind mehrere, nämlich mindestens 2 Sperrklinken je Sonnenrad;
das Wort "Satz" bezeichnet den Bausatz, d.h. die Gesamtvorrichtung, die eine
funktionstüchtige Sperrklinke einschließlich ihrer Antriebsmittel ausmacht.
102
103
Ernsthaft in Betracht zu ziehen ist mit dem Landgericht nur die erstgenannte Alternative:
104
(a) Für das Verständnis des Klagepatents haben von vorneherein die EP 0 383 350, DE
297 16 586, US 4 838 122 und – vor allem – die DE 197 20 794 außer Betracht zu
bleiben. Sie sind im Erteilungsverfahren nicht berücksichtigt worden. Für sie wird auch
nicht behauptet, dass es sich um dem Fachmann allgemein geläufigen Stand der
Technik handelt.
105
(b) Gattungsbildender – im Klagepatent (Figuren 1 – 2) abgebildeter – Stand der
Technik ist die japanische Offenlegungsschrift 7-10069. Zu ihr, als dem
Entwicklungsstand, den es mit dem Klagepatent weiterzuentwickeln gilt, führt die
Klagepatentschrift aus, dass an den Seiten der beiden Sonnenräder (12, 13)
Sperrklinken (12a, 13a) angebracht sind, um die Sonnenräder einzeln auf der Nabe zu
arretieren. Aus den Figuren 1A – 2C der Klagepatentschrift, die eben diesen Stand der
Technik dokumentieren, erschließt sich, dass jedem der beiden Sonnenräder (12, 13)
jeweils 2 Sperrklinken (12a, 13a) zugeordnet sind. Die Patentschrift greift diesen
Gesichtspunkt auch im Beschreibungstext (S. 4 Z. 16 – 33) ausdrücklich auf, wo es
heißt:
106
"Allerdings gibt es bei einem solchen obigen Geschwindigkeitsregeltyp einen
Nachteil, da zwei Sperrklinken 12a, 13a auf sich gegenüberliegenden Seiten
angebracht sind. Das heißt, wenn ein Fahrer einen Hebel zur Änderung der
Geschwindigkeit eines Fahrrades betätigt, wird die Wirkung der Betätigung
107
verzögert, bis eine der Sperrklinken 12a, 13a Wirkung zeigt. Meistens tritt die
Wirkung der Betätigung ein, nachdem das Rad eine halbe Umdrehung durchgeführt
hat.
Während die oben genannten Nachteile durch das Vorhandensein mehrerer
Sperrklinken verringert werden können, ist es notwendig, dass die Form der
Regelbuchse 21 geändert werden muss. Da es aber auch notwendig ist, dass die
Form des Vorsprungs zur Fixierung der Zahnräder 6a verändert werden muss, ist
eine (gemeint: weitere) Erhöhung der Anzahl von Sperrklinken begrenzt.
108
Selbst wenn die Sperrklinken nicht in Betrieb sind, findet immer Reibung zwischen
den Sperrklinken 12a, 13a und der Regelbuchse 21 statt. Die Reibung verursacht
ebenfalls Geräusche und Verschleiß, was auch ein Schwachpunkt ist."
109
Diesen Stand will das Klagepatent verbessern. Im Betrieb der Nabenschaltung sollen
nur noch geringe Geräusche sowie eine verminderte Reibung der Sperrklinken
auftreten. Außerdem soll die Schaltung leicht auf weitere Geschwindigkeitsstufen
erweiterbar sein.
110
Zur Lösung geht das Klagepatent von dem Konzept einer die Nabe umgebenden
Steuerhülse und darauf radial von außen einwirkenden Sperrklinken ab und steuert die
Sperrklinken stattdessen von der Seite her. Auf die Zahl der Sperrklinken pro
Sonnenrad kommt es dabei nicht an, weswegen die Annahme nahe liegt, dass das
Klagepatent mit dem gesteuerten "Satz von Sperrklinken" je Sonnenrad diejenige
Konstruktion meint und beibehalten will, die es im gattungsbildenden Stand der Technik
vorgefunden hat und der sich dadurch auszeichnet, dass pro Sonnenrad 2 Sperrklinken
(eben ein "Satz von Sperrklinken") vorgesehen sind.
111
Gestützt wird dieses Verständnis durch die Ausführungsbeispiele des Klagepatents. Die
Figuren 4, 5, 7 verdeutlichen, dass jeder der im Beschreibungstext (S. 8 Z. 20, 24)
angesprochenen Sperrklinkensätze (421) und (422) jeweils 2 mit demselben
Bezugszeichen – (421) bzw. (422) – gekennzeichnete Sperrklinken aufweist. Dasselbe
Verständnis (dass jeder Sperrklinkensatz mindestens 2 Sperrklinken umfasst) liegt der
Bemerkung auf S. 9Z. 20 – 24 zugrunde, wonach bei der Ausführungsvariante nach
Figur 5 bei Betätigung des Sperrklinkensteuerungsrings nur ein Satz von Sperrklinken
wahlweise gesteuert wird. Mit dem "Satz von Sperrklinken" können nur die beiden,
demselben Sonnenrad zugeordneten Sperrklinken gemeint sein, die übereinstimmend
das Bezugszeichen (421) bzw. (422) tragen. Hätte das Klagepatent mit dem Begriff
"Sperrklinkensatz" tatsächlich den Bausatz, also die Gesamtvorrichtung einer
Sperrklinke, gemeint, hätte es hier heißen müssen, dass wahlweise jeweils 2 Sätze von
Sperrklinken gesteuert werden.
112
In der Patentschrift findet sich zwar verschiedentlich die Bezugnahme auf "die zweite
Sperrklinke (422)" – S.9 Z. 31; S.10 Z. 2; S. 110 Z. 7; S. 12 Z. 30; S. 14 Z. 14, 16; S. 14
Z. 28; S. 16 Z. 15, 20; gleiches gilt für die "erste Sperrklinke (421)" – S. 10 Z. 4; S. 11 Z.
30; S. 12 Z. 26, 28; S. 13 Z. 11; S. 14 Z. 12; S. 16 Z. 3, 8; und für die "dritte Sperrklinke" –
S. 16 Z. 22, 29 f. An den angegebenen Orten finden sich jedoch Erläuterungen zum
Aufbau, zur Funktions- und zur Wirkungsweise der jeweiligen Sperrklinkentypen, die
inhaltlich auf beide Sperrklinken desselben Typs in gleicher Weise zutreffen. Mit der
"ersten Sperrklinke", der "zweiten Sperrklinke" und der "dritten Sperrklinke" sind
deshalb immer beide baugleichen Sperrklinken des betroffenen Klinkensatzes gemeint.
113
Dass die mindestens 2 Sperrklinken desselben Satzes gleich und nicht verschieden
sind, folgt für den Fachmann aus dem geforderten Sperrklinkensatz, der sich von Natur
aus durch eine Mehrzahl gleichartiger Gegenstände auszeichnet.
Es mag sein, dass jede Sperrklinke einen Antrieb benötigt, so dass sich die Sperrklinke
als Gesamtheit ("Bausatz") mehrerer Vorrichtungsteile begreifen lässt. Dass der Begriff
"Satz von Sperrklinken" auf diesen Sachverhalt anspielt und einen "Bausatz einer
Sperrklinke" meint, findet jedoch in der gesamten Patentschrift nach dem Gesagten
keinerlei Stütze.
114
2.
115
Von der technischen Lehre des Klagepatents machen die angegriffenen
Ausführungsformen, die unstreitig nur über jeweils 1 Sperrklinke pro Sonnenrad
verfügen, keinen Gebrauch.
116
a)
117
Für eine wortsinngemäße Verwirklichung fehlt es jedenfalls am Merkmal (6b).
118
b)
119
Dieses wird auch nicht mit äquivalenten Mitteln umgesetzt.
120
Zwar erstreckt sich der Schutzbereich eines Patents auch auf vom Wortsinn
abweichende Ausführungen, wenn der Fachmann aufgrund von Überlegungen, die am
Sinngehalt der Ansprüche, d.h. an der darin beschriebenen Erfindung anknüpfen, die
bei der angegriffenen Ausführungsform eingesetzten abgewandelten Mittel mit Hilfe
seiner Fachkenntnisse zur Lösung des der Erfindung zugrunde liegenden Problems als
gleichwirkend auffinden konnte (vgl. BGH GRUR 1986, 803 – Formstein; 1988, 896 –
Ionenanalyse; 1989, 903 – Batteriekastenschnur; 2002, 511 (512) – Kunststoffrohrteil).
Eine äquivalente Benutzung liegt damit aber nur vor, wenn in Bezug auf das Ersatzmittel
kumulativ die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
121
a) Das Austauschmittel muss dieselbe technische Wirkung erzielen, die das im
Patentanspruch beschriebene Lösungsmittel nach der Lehre des Klagepatents
erreichen soll (Gleichwirkung);
122
b) der Durchschnittsfachmann mit dem Kenntnisstand des Prioritätstags muss ohne
erfinderische Überlegungen in der Lage gewesen sein, das Austauschmittel als
funktionsgleiches Lösungsmittel aufzufinden (Naheliegen);
123
c) der Fachmann muss die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten
Mitteln als eine Lösung in Betracht gezogen haben, die zu der im Wortsinn des
Patenanspruchs liegenden gegenständlichen Ausführungsform gleichwertig ist
(Gleichwertigkeit).
124
Jedenfalls letzteres ist auch dann zu verneinen, wenn man mit der Klägerin davon
ausgeht, dass mit nur einer Sperrklinke pro Sonnenrad der erfindungsgemäße Zweck
erreicht wird und dass die betreffende Abwandlung für den Fachmann zum
Prioritätszeitpunkt auch nahelag. Der Patentanspruch hält ihn ausdrücklich dazu an,
125
mindestens 2 Sperrklinken pro Sonnenrad vorzusehen. Aus welchen technischen
Gründen diese Festlegung erfolgt ist, obwohl die Arretierung des jeweiligen
Sonnenrades auch durch nur 1 Sperrklinke möglich ist, wird in der Patentbeschreibung
nicht erläutert. Der Fachmann ist deshalb gehalten, sich eng am Anspruchswortlaut zu
orientieren, weil ihm der technische Hintergrund dafür fehlt, ob er die
Sperrklinkenanzahl pro Sonnenrad reduzieren kann, ohne den Anspruchserfolg zu
gefährden. Verlässt er die vorgegebene Zahl von mindestens 2 Sperrklinken pro
Sonnenrad, so orientiert er sich dabei nicht an der im Patentanspruch geschützten
Lehre; vielmehr muss er diese ignorieren und zu der (der geschützten Lehre
zuwiderlaufenden) Erkenntnis kommen, dass es für den Erfindungserfolg auf eine
bestimmte Anzahl von Sperrklinken pro Sonnenrad nicht ankommt. Damit wendet er
sich von der Lehre des Patentanspruchs 1 ab und setzt seine bessere eigene
Erkenntnis an die Stelle von der des Klagepatents.
III.
126
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
127
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr.10, 711
ZPO.
128
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht. Es handelt sich um eine
Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, die keine
entscheidungserheblichen Rechtsfragen aufwirft, deren Beantwortung durch den
Bundesgerichtshof zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erforderlich wäre.
129
Die Streitwertfestsetzung beruht auf folgenden Erwägungen:
130
Bei Einreichung der Klage (01.04.2008) betrug die Restlaufzeit des Klagepatents
(Ablauf 12/2020) 12 Jahre und 9 Monate. Ausgehend von einem Jahresumsatz der
Beklagten von 3.000.000,- € ist – evtl. Steigerungen unberücksichtigt gelassen – für die
Restlaufzeit ein Gesamtumsatz von 38.000.000,- € zugrunde zu legen. Der
Vergleichsvorschlag der Klägerin vor Verkündung des erstinstanzlichen Urteils (Anlage
L 26) lautete auf eine Lizenz für die Vergangenheit, d.h. vor 12/08, von 20 % und für die
Zukunft von 15 %. Selbst wenn man einen geringeren Satz heranzieht und
berücksichtigt, dass die Forderungen einen einkalkulierten Verhandlungsspielraum
enthalten, ist ein Lizenzsatz von jedenfalls 10 % ernstzunehmen. Das führt zu einem
Streitwert von 3.800.000,- € für beide Instanzen. Bzgl. der Berufung ist der
Unterlassungsanspruch in einen wertgleichen Schadensersatzanspruch umgeschlagen.
131
Der Schriftsatz der Klägerin vom 06.10.2010 rechtfertigt keine andere Beurteilung. An
die von ihr verlangten Linzenzsätze, die der Senat bereits um einen Abschlag bereinigt
hat, ist sie gebunden.
132
X Y Z
133