Urteil des OLG Düsseldorf vom 15.12.2004

OLG Düsseldorf: ärztliche behandlung, körperliche integrität, schmerzensgeld, brücke, billigkeit, genugtuung, misshandlung, akte, körperverletzung, kasachstan

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-15 U 239/02
Datum:
15.12.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-15 U 239/02
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 15. November 2002
verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf unter
Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert
und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger 1.500,00 EUR nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
14. November 2001 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 1) verpflichtet ist, dem Kläger
sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden, der ihm noch
dadurch entstehen wird, dass der Beklagte zu 1) ihn am 15. Juni 2001 in
einem Garten an der Sstraße in N. im Gesicht verletzt hat, zu ersetzen,
soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger
übergegangen sind oder übergehen; bei der Berechnung von künftigen
Ersatzansprüchen des Klägers ist ein Mitver-schuldensanteil von 50%
zu berücksichtigen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Klägers
haben dieser selbst 90% und der Beklagte zu 1) 10% zu tragen. Von den
außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) haben dieser selbst 20%
und der Kläger 80% zu tragen. Der Kläger hat die außergerichtlichen
Kosten des Beklagten zu 2) zu tragen.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
I.
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Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung eines
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Schmerzensgeldes und Feststellung ihrer Verpflichtung zum Ersatz entstandener und
künftiger materieller und immaterieller Schäden in Anspruch. Die Parteien sind
Spätaussiedler aus Kasachstan und waren miteinander befreundet. Am 15. Juni 2001
gegen 18.00 Uhr suchte der Kläger die Beklagten in einem von dem Beklagten zu 1)
gemieteten Garten auf der Sstraße in N auf. Dort hielt sich auch die frühere Freundin
des Klägers, die erstinstanzlich als Zeugin vernommene Frau R, geborene H, auf. Der
Kläger hatte zunächst eine erregte Auseinandersetzung mit seiner früheren Freundin, in
deren Verlauf er nach seinem eigenen Vorbringen Beschimpfungen ausstieß und Frau
R "mit der flachen Hand gegen das Gesicht drückte".
Der Kläger hat behauptet, er habe daraufhin das Gartengelände verlassen wollen und
sich zum Tor begeben. Bevor er dort angekommen sei, habe er sich auf Zuruf des
Beklagten zu 1) umgedreht und unmittelbar danach mehrere Faustschläge von diesem
erhalten. Dieser habe sodann ihn, den Kläger, gepackt und ihn von hinten festgehalten.
Der Beklagte zu 2) habe ihm weitere Fausthiebe ins Gesicht versetzt. Dann sei es ihm,
dem Kläger, "ohne jede Gegenwehr" gelungen zu fliehen.
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Durch die Schläge der Beklagten habe er eine doppelseitige Kieferfraktur, eine tiefe
Collumfraktur links und eine Querfraktur im Bereich der Zähne 41 bis 43 erlitten; die
Zähne 41 und 42 seien später extrahiert worden. Infolge der erlittenen Verletzungen
habe er starke Schmerzen gehabt und sei mindestens 6 Monate arbeitsunfähig
gewesen.
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Der Kläger hat beantragt,
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1.
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die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn ein angemessenes
Schmerzensgeld in Hohe von mindestens 8.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. November 2001 zu zahlen,
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2.
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festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihm als Gesamtschuldner
sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Vorfall vom 15. Juni
2001 gegen 18.00 Uhr in Neuss, Sstraße, zu erstatten, soweit die Ansprüche nicht
auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
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Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie haben bestritten, den Kläger körperlich verletzt zu haben. Nachdem der Kläger die
Zeugin Rath körperlich bedrängt habe, so haben die Beklagten behauptet, habe der
Beklagte zu 1) ihn lediglich des Geländes verwiesen. Hierbei habe er ihn
möglicherweise aus dem Garten gedrängt, indem er ihn weg geschoben habe.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen: Nach der Vernehmung der Zeugin Rath
stehe nicht fest, dass der Kläger von den Beklagten geschlagen worden sei. Die Zeugin
habe nicht wahrgenommen, was zwischen den Parteien geschehen sei, nachdem diese
den Garten verlassen hätten. Zwar habe der Beklagte zu 1) im Rahmen seiner
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Einlassung im Ermittlungsverfahren eingeräumt, es habe im Wald eine tätliche
Auseinandersetzung zwischen den Parteien gegeben. Diese Hergangsschilderung
habe sich der Kläger aber nicht zu eigen gemacht. Es spreche auch keine tatsächliche
Vermutung für die Richtigkeit des vom Kläger geschilderten Geschehensablaufs, weil
die von ihm behaupteten Verletzungen weder am 15. Juni 2001 im Lkrankenhaus noch
am 18. Juni 2001 von dem ihn behandelnden Arzt Dr. M festgestellt worden seien.
Mit der Berufung macht der Kläger geltend, die zeitnah zum Vorfall festgestellten
Verletzungen in dem Notfallbehandlungsschein des Lkrankenhauses in N stünden im
Widerspruch zur Einlassung des Beklagten zu 1). Dieser habe bei seiner polizeilichen
Verletzung am 26. Juni 2001 ausgesagt, er habe den Kläger mit der flachen Hand ins
Gesicht geschlagen. Die Schilderung des Klägers stimme mit der Darstellung der
Beklagten überein. Der Akteninhalt unter Einbeziehung der Beiakten rechtfertige
jedenfalls die ergänzende Parteivernehmung des Klägers. Denn dieser habe
hinsichtlich des haftungsbegründenden Tatbestands bereits einigen Beweis für die
Richtigkeit seines Vorbringens erbracht. Dies folge daraus, dass der Kläger zeitnah zu
dem streitgegenständlichen Vorfall notfallmäßig wegen Gesichtsverletzungen behandelt
worden sei und der Beklagte zu 1) sich im Ermittlungsverfahren dahin eingelassen
habe, er habe den Kläger ins Gesicht geschlagen. Für den haftungsausfüllenden
Tatbestand, also die Frage, welche Verletzungsfolgen im Einzelnen aus der von dem
Beklagten zu 1) begangenen Körperverletzung herrührten, sei ein geringerer
Beweisgrad ausreichend. Er, der Kläger, habe im Anschluss an die ihm von den
Beklagten am 15. Juni 2001 zugefügten körperlichen Misshandlungen keine weiteren
Verletzungen von anderer Seite erlitten. So seien die Frakturen auf den am 15. Juni
2001 im Lkrankenhaus gefertigten Röntgenbildern zu erkennen.
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Eine Gesamtschau der Umstände begründe auch für Außenstehende die starke
Vermutung, dass sich der Beklagte an seiner, des Klägers, Misshandlung aktiv beteiligt
habe. Dieser habe ihn am 17. Juni 2001 besucht und sich dafür entschuldigt, dass er ihn
geschlagen habe.
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Der Kläger beantragt,
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1.
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagten als Gesamtschuldner
zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe
in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 8.000,00 EUR
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 14.
November 2001,
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2.
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festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihm sämtlichen materiellen und
immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm dadurch entstanden ist oder noch
entstehen wird, dass die Beklagten ihn am 15. Juni 2001 in seinem Garten an der
Sstraße in N mit Schlägen u. a. ins Gesicht verletzt haben, soweit die Ansprüche
nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie wiederholen ihr Vorbringen aus der ersten Instanz und bestreiten weiterhin, dass sie
den Kläger geschlagen hätten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die tatsächlichen
Feststellungen des angefochtenen Urteils sowie auf die im Berufungsrechtszug
gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen und auf die Sitzungsniederschriften
Bezug genommen.
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Der Senat hat durch Einholung eines von Dr. Z erstatteten Gutachtens Beweis darüber
erhoben, ob auf den am 15. Juni 2001 im Lkrankenhaus N gefertigten Röntgenbildern
Kieferfrakturen erkennbar sind.
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Die Akte Staatsanwaltschaft Düsseldorf 908 Js 1555/01 ist zur Information des Senats
beigezogen worden und hat bei den Verhandlungsterminen im Berufungsrechtszug
vorgelegen.
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II.
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Die Berufung hat nur zum geringeren Teil Erfolg. Die Klage ist, soweit sie sich gegen
den Beklagten zu 1) richtet, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahmen teilweise
begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
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1.
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Der Kläger hat infolge einer körperlichen Auseinandersetzung mit dem Beklagten zu 1)
am 15. Juni 2001 eine Kieferfraktur erlitten, die schließlich eine Extraktion der Zähne 41
und 42 und deren Ersatz durch eine Brücke zur Folge hatte.
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Es steht aufgrund des Gutachtens fest, dass der Kläger eine nicht dislozierte - die
Knochenbruchstücke waren also nicht gegeneinander verschoben - Unterkieferfraktur
erlitten hat. Diese war medio-rechts-lateral gelegen und verlief bis zu den
Schneidezähnen im Unterkiefer. Die gezogenen Zähne 41 und 41 lagen in dem
betroffenen Quadranten.
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Eine Erklärung dafür, dass sich der Kläger die Verletzung bei einer anderen
Gelegenheit als der Auseinandersetzung am 15. Juni 2001 zugezogen haben könnte,
gibt es nicht: Die Röntgenbilder wurden zeitnah noch am Abend der
Auseinandersetzung am 15. Juni 2001 aufgenommen. Der für die Notfallbehandlung
zuständige Arzt attestierte eine Lockerung der unteren Schneidezähne (Bl. 2 der Akte
StA Düsseldorf 908 Js 1555/01). Es erscheint ausgeschlossen, dass der Kläger sich die
Verletzung innerhalb des Zwischenraums von drei Stunden zugezogen hat. Genauso
unwahrscheinlich ist es, dass er die Verletzung bereits vor der Auseinandersetzung
hatte. Der Vortrag des Beklagten zu 1), der Kläger habe gegenüber Zeugen einige Zeit
vom dem 15. Juni 2001 erklärt, er sei soeben aus dem Urlaub in Kasachstan
zurückgekehrt, wo er von Mafia-Leuten überfallen und verprügelt worden sei, dabei
habe er Zahn- und Kieferverletzungen erlitten, ist unerheblich. Es ist mehr als
unwahrscheinlich, dass der Kläger wegen einer in Kasachstan irgendwann einmal
erlittenen Verletzung ausgerechnet am Tage der Auseinandersetzung der Parteien das
Krankenhaus zum Zwecke einer Notfallbehandlung aufsuchte. Die dort festgestellte
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Gesichtsverletzung war akut.
2.
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Der der Verletzung zu Grunde liegende Sachverhalt ist streitig. Es steht nur eine
Gewalteinwirkung des Beklagten zu 1) fest.
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Der Kläger hat seine schriftsätzlich vorgetragene Version des Geschehens, vor dem
Verlassen des Gartengeländes habe er sich auf Zuruf der Beklagten umgedreht,
unmittelbar darauf habe er mehrere Fausthiebe des Beklagten zu 1) erhalten, sodann
habe der Beklagte zu 1) ihn festgehalten, der Beklagte zu 2) habe ihm mehrere
Fausthiebe ins Gesicht versetzt, nicht bewiesen.
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Sie steht schon im Gegensatz zu seiner Schilderung bei der Polizei (Bl. 1R der Akte
Staatsanwaltschaft Düsseldorf 908 Js 1555/01). Dort ist von einem gleichzeitigen Zuruf
nicht die Rede. Der Beklagte zu 1) soll ihn nach dieser Schilderung vielmehr zunächst
dreimal auf die linke Wange geschlagen haben. Erst später sei der Beklagte zu 2) dazu
gekommen und habe ihn mit der Faust einen Schlag ins Gesicht versetzt. Nach der
Aussage der Zeugin R ist der gleichzeitige Zuruf der beiden Beklagten ebenfalls
unwahrscheinlich, denn nach ihren Angaben ist zunächst der Beklagte zu 1) aus dem
Garten gelaufen, erst einige Minuten später, so hat die Zeugin angegeben, sei der
Beklagte zu 2) gefolgt.
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Es kann dahin stehen, ob der Kläger sich hilfsweise seine Angaben bei seiner
polizeilichen Vernehmung zu eigen gemacht hat. Der dort geschilderte
Geschehensablauf ist jedenfalls hinsichtlich der Beteiligung des Beklagten zu 2) nicht
bewiesen. Die dortigen Angaben des Klägers stimmen zwar mit dem Verletzungsbild
überein. Beide Beklagten haben jedoch die Beteiligung des Beklagten zu 2) in Abrede
gestellt. Der Beklagte zu 2) - im Verfahren StA Düsseldorf 908 Js 1555/01 als Zeuge
vernommen - will nur einen Schlichtungsversuch unternommen haben (Bl. 8 der
Beiakte). Der Beklagte zu 1) hat dies bei seiner Beschuldigtenvernehmung bestätigt. Für
die fehlende Beteiligung des Beklagten zu 2) spricht die Rücknahme der gegen ihn
gerichteten Strafanzeige des Klägers (Bl. 3 der Beiakte). Es ist zwar unstreitig, dass der
Beklagte zu 2) sich am 17. Juni 2001 beim Kläger wegen des Vorfalls entschuldigt hat.
Der Inhalt der Entschuldigung ist allerdings streitig: Der Beklagte zu 2) gibt an, er habe
sein Bedauern darüber, was sich in "seinem" Garten abgespielt habe, zum Ausdruck
gebracht. Der Kläger behauptet zwar erstmals in der zweiten Instanz - unter
Beweisantritt -, der Beklagte zu 2) habe sich dafür entschuldigt, dass er ihn, den Kläger,
geschlagen habe. Der Kläger ist mit diesem Beweisantritt jedoch nach § 531 Abs. 2
ZPO ausgeschlossen. Es handelt sich um ein neues Angriffsmittel. Die
Voraussetzungen nach § 531 Abs. 2 Ziffer 1 - 3 ZPO für die ausnahmsweise Zulassung
neuer Angriffsmittel im Berufungsrechtszug sind nicht erfüllt. Die in erster Instanz
durchgeführte Beweisaufnahme diente ersichtlich der Klärung des Hergangs der
Verletzung des Klägers. Es ist unverständlich, warum der Kläger den Zeugen nicht
bereits in Vorbereitung jener Beweisaufnahme benannt hat.
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Nach alledem steht lediglich eine Gewaltanwendung des Beklagten zu 1) fest. Dieser
hat schriftsätzlich und anlässlich seiner Beschuldigtenvernehmung eingeräumt, er habe
den Kläger mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen (vgl. Bl. 4 der Beiakte). Es
handelt sich letztlich um die einzige als Ursache der Verletzung des Klägers in Betracht
kommende Einwirkung, denn der Beklagte zu 1) selbst hat einen Faustschlag des
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Beklagten zu 2) gegen den Kläger ausgeschlossen. Aus der Verletzung des Klägers ist
zu schließen, dass die Darstellung, der Schlag des Beklagten zu 1) sei nur mit der
flachen Hand erfolgt, die Dinge beschönigt. Tatsächlich handelte es sich um mindestens
einen Faustschlag, denn ein solcher war zur Herbeiführung eines Unterkieferbruchs
erforderlich.
Der Kläger hat sich die Darstellung des Beklagten zu 1) bei dessen polizeilicher
Vernehmung spätestens in der Berufungsbegründung hilfsweise zu eigen gemacht. Der
dortige Vortrag ist entsprechend auszulegen (§§ 133, 157 BGB). Der Kläger vertritt die
Auffassung, dass unter Würdigung des gesamten Akteninhalts, damit ist auch derjenige
der Beiakte gemeint, feststehe, dass der Beklagte zu 1) ihm ins Gesicht geschlagen
habe und kritisiert die Feststellung des Landgerichts, er habe sich diesen Vortrag nicht
zu eigen gemacht. Die erst in der Berufungsbegründung erfolgte Bezugnahme des
Klägers auf die polizeiliche Vernehmung des Beklagten zu 1) ist nach § 531 Abs. 2
Ziffer 2 ZPO zuzulassen. Das Landgericht hätte den Kläger nach § 139 Abs. 1 ZPO
darauf hinweisen müssen, dass die pauschale Bezugnahme auf die Beiakte nicht
ausreiche und konkretisiert werden müsse, welche Stellen der Beiakte als Sachvortrag
oder Beweismittel in den Prozess eingeführt werden sollen.
39
3.
40
Die Verletzungshandlung des Beklagten zu 1) war nicht nach § 32 StGB oder § 127
Abs. 1 StPO gerechtfertigt.
41
Der Angriff gegen des Klägers gegen die Zeugin R war abgeschlossen. Ein Angriff des
Klägers gegen den Beklagten zu 1) lag nicht vor. Dem steht nicht entgegen, dass der
Beklagte zu 1) bei seiner polizeilichen Vernehmung angegeben hat, der Kläger habe mit
angewinkelten Ellenbogen nach ihm geschlagen (Bl. 4 der Beiakte). Der Kläger befand
sich vor dem Beklagten zu 1) auf der Flucht. Er "ging recht schnell weg" (Bl. 4 der
Beiakte), der Beklagte zu 1) folgte ihm. Hieraus ergibt sich eine Bedrohung des Klägers
durch den Beklagten zu 1). Der Beklagte zu 1) wollte den Kläger auch nicht nach § 127
Abs. 1 StPO festnehmen. Es kann dahin stehen, ob die Voraussetzungen des
Festnahmerechts vorlagen. Dagegen spricht, dass die Identität des Klägers bekannt
war. Jedenfalls ergibt sich aus dem weiteren Ablauf, dass es dem Beklagten zu 1) nicht
um die Festnahme des Klägers ging, denn sonst hätte er die Polizei gerufen.
42
4.
43
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nach § 847 BGB in der am 15. Juni 2001
geltenden Fassung ist die Funktion des Anspruchs zu berücksichtigen. Der Anspruch ist
vorrangig auf den Ausgleich der Schäden des Verletzten gerichtet, der durch das
Schmerzensgeld in die Lage versetzt werden soll, sich Erleichterungen und andere
Annehmlichkeiten an Stelle derer zu verschaffen, deren Genuss ihm durch die
Verletzung unmöglich gemacht wurde. Darüber hinaus soll das Schmerzensgeld auch
zu einer Genugtuung führen (Palandt/Thomas, Bürgerliches Gesetzbuch, 61. Auflage, §
847 BGB, Rn. 4 m.w.N.).
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Der Kläger hat einen Kieferbruch erlitten, er musste sich einer einwöchigen stationären
Behandlung unterziehen, letztlich mussten ihm die Zähne 41 und 42 gezogen werden,
er hat jetzt dort eine Brücke. Der Kläger war nach einer von ihm vorgelegten
Stellungnahme der Klinik für Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie des
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Universitätsklinikums bis zum 20. Juli 2001 arbeitsunfähig.
Bei hinsichtlich der Verletzungsfolgen vergleichbar gelagerten Fällen wurden
Schmerzensgelder zwischen 3.000,00 EUR und 3.500,00 EUR angenommen (vgl.
Hacks, Ring, Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 22. Aufl., Nr. 1197, 1171, 1144, 1134,
1124, 1126). Eine derartige Größenordnung ist für die weiteren Überlegungen zu
Grunde zu legen. Im vorliegenden Fall darf allerdings nicht außer Betracht bleiben, dass
der Kläger die Auseinandersetzung mit dem Beklagten zu 1) durch eine vorsätzlich
begangene Straftat gegen die Zeugin R provoziert hatte. Er hatte - wohl aus Eifersucht -
der Zeugin derart ins Gesicht geschlagen, dass diese blutete. Nach ihrer Aussage lief
der Beklagte zu 1), als er dessen gewahr wurde, hinaus; so wie es die Zeugin
schilderte, handelte es sich um eine spontane Reaktion des Beklagten zu 1). Der Kläger
musste im Moment seiner Entgleisung mit durchaus heftigen Gegenmaßnahmen der
Beklagten rechnen, für die sich das Zulassen der Misshandlung eines weiblichen
Gastes in ihrem Milieu als Gesichtsverlust darstellen konnte, dem durch entsprechende
"Zurechtweisung" des Klägers zu begegnen war. Hier gilt, dass sogar ein vollständiger
Ausschluss des Schmerzensgeldes in Betracht kommen kann, wenn der Verletzte eine
dem Anlass vollkommen unangemessen gefährliche Auseinandersetzung selbst mit
provoziert und die erlittenen Verletzungen nicht außer Verhältnis zu den offen liegenden
Gefahren der eingegangenen Auseinandersetzung standen (so OLG Frankfurt/M., NJW
2000, 1424). § 847 Abs. 1 BGB spricht die Billigkeit des Schadensausgleichs an und
formuliert damit nicht nur einen Entschädigungsmaßstab der Höhe nach. Das Postulat
der Billigkeit der Entschädigung verdeutlicht vielmehr, dass der Anspruch auf Zahlung
eines Schmerzensgeldes wegen der Folgen einer Körperverletzung schon in seiner
rechtsgedanklichen Grundlage von dem Ziel bestimmt ist, einen unerlaubten Eingriff in
die körperliche Integrität "billig", nämlich in einer Weise auszugleichen, die dem
verletzten Rechtsgefühl des Geschädigten Genugtuung verschaffen kann. Ist bei
abgewogener Betrachtung für eine Genugtuung kein Raum, so kann dies unter
Umständen dazu führen, dass auch ein Ausgleich des "Nicht-Vermögensschadens",
eine Entschädigung wegen erlittener Schmerzen oder sonstiger Leiden schon im Ansatz
nicht mehr als "billig" eingeschätzt werden kann.
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Es liegt hier insofern anders als in dem vom OLG Frankfurt/M. entschiedenen Fall, als
der Kläger die Auseinandersetzung mit dem Beklagten zu 1) nicht begonnen hat, der
Beklagte zu 1) sie viel mehr dadurch gesucht hat, dass er den Kläger verfolgte. Die vom
Kläger erlittenen als erheblich zu bezeichnenden Verletzungen dürfen ebenfalls nicht
unberücksichtigt bleiben. Der Rechtsgedanke der Billigkeit darf gleichwohl hier nicht
außer Acht gelassen werden und gebietet die erhebliche Reduzierung des Betrags, der
dem Kläger zustünde, hätte ihn der Beklagte zu 1) völlig grundlos traktiert. Bei
sachgerechter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger die Gefahrenlage
durch die durch nichts gerechtfertigte Misshandlung der Zeugin Rath überhaupt erst
schuf, erscheint ein Schmerzensgeld von nur 1.500,00 EUR angemessen. Es trägt der
unangemessenen Reaktion des Beklagten zu 1) und den erheblichen
Beeinträchtigungen des Klägers Rechnung, berücksichtigt aber auch sachgerecht die
Rolle des Klägers als Streitverursacher.
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5.
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Der Anspruch ist nach §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. ab dem 14. November
2001 zu verzinsen. Der Beklagte zu 1) hat den Vortrag des Klägers zum Verzugseintritt
nicht bestritten.
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6.
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Der Feststellungsantrag ist nur teilweise zulässig. Das nach § 256 ZPO erforderliche
Feststellungsinteresse liegt vor, soweit sich der Feststellungsantrag auf den künftigen
materiellen und immateriellen Schaden bezieht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich
der Kläger zur Behandlung der Verletzungsfolgen zu einem späteren Zeitpunkt
nochmals in ärztliche Behandlung begeben muss, so etwa, wenn zahnärztliche Arbeiten
an der eingesetzten Brücke erforderlich werden.
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Das Rechtsschutzinteresse fehlt hingegen, soweit der Kläger die Feststellung der
Einstandspflicht der Beklagten für bereits entstandene Schäden begehrt. Am
erforderlichen Feststellungsinteresse mangelt es regelmäßig, wenn die Klage auf
Leistung möglich und zumutbar ist (Zöller/Greger, ZPO, 24. Auflage, § 253 ZPO, Rn. 7a).
Das gilt erst recht dann, wenn - wie im Streitfall - die entstandenen Schäden schon
Gegenstand einer Leistungsklage sind und der Kläger nicht einmal ansatzweise
Schadenspositionen darlegt, die zwar entstanden sind, sich aber gleichwohl noch nicht
beziffern lassen.
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Der danach als zulässig verbleibende sich auf künftige materielle und immaterielle
Schäden beziehende Feststellungsantrag ist nur in Bezug auf den Beklagten zu 1)
teilweise begründet. Es ist ein mitwirkendes Verschulden des Klägers nach § 254 Abs.
1 BGB zu berücksichtigen. Dass der Kläger die Ursache für die Auseinandersetzung der
Parteien durch die vorsätzliche rechtswidrige Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin
R überhaupt erst schuf, darf auch hier nicht außer Betracht bleiben und führt zu einer
hälftigen Kürzung seiner Ansprüche. Die Provokation des Geschehens durch den
Kläger und der Umstand, dass der Beklagte zu 1) sich zu seinem brutalen Handeln hat
provozieren lassen, sind als etwa gleichgewichtige Ursachen zu werten.
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7.
54
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 10, 711, 713 ZPO. Ein
begründeter Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht.
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Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird wie folgt festgesetzt:
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Zahlungsantrag: 8.000,00 EUR
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Feststellungsantrag: 1.000,00 EUR
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