Urteil des OLG Düsseldorf vom 12.11.2009

OLG Düsseldorf (treu und glauben, stand der technik, kunststoff, angemessene entschädigung, rechnungslegung, umfang, patent, form, lehre, zpo)

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-2 U 121/08
Datum:
12.11.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-2 U 121/08
Tenor:
I.
Auf die Berufung wird das am 7. Oktober 2008 verkündete Urteil der 4a
Zivil-kammer des Landgerichts Düsseldorf abgeändert.
1.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in
wel-chem Umfang sie in der Zeit vom 22. Juni 2003 bis 30. September
2009
Vakuumpumpen, insbesondere für Bremskraftverstärker-Anlagen in
Kraftfahr-zeugen, mit einem antreibbaren Rotor, über den ein Flügel in
einem Gehäuse in Rotation versetzbar ist, wobei der Rotor aus
Kunststoff besteht und einstückig ausgebildet ist und wobei am Rotor
jeweils eine Gegenfläche für eine Auflagefläche einer Kupplung
vorgesehen ist, wobei über die Gegenfläche ein von der Antriebswelle
übertragenes Drehmoment in den Rotor einleitbar ist, wobei sich die
Gegenfläche an jeweils einstückig mit dem Rotor verbundenen
Antriebssegmenten befindet und mindestens zwei Antriebssegmente
vorgesehen sind, die durch einen geschlossenen Ring miteinander
verbunden sind, wobei zwischen den Antriebssegmenten und der
Kupplung am Rotor eine Blechkappe zum Schutz des Rotors vor
Verschleiß durch Aufpressen befestigt ist,
in der Bundesrepublik A angeboten, in Verkehr gebracht, gebraucht oder
zu den genannten Zwecken eingeführt hat,
und zwar unter Angabe
a)
der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen,
Liefermengen, Lieferzeiten und Lieferpreisen sowie der Namen und
Anschriften der gewerblichen Abnehmer einschließlich der
Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
b)
der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen,
Ange-botsmengen, Angebotspreisen sowie der Namen und Anschriften
der gewerblichen Angebotsempfänger,
c)
der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren
Aufla-genhöhe, Verbreitungszeitraum (aufgeschlüsselt nach
Kalendervierteljahren) und Verbreitungsgebiet (aufgeschlüsselt nach
Bundesländern),
d)
der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten
Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei
- die Angaben zu den Verkaufsstellen nur für die Zeit seit dem 1.
Septem-
ber 2008 und die Angaben zu d) nur für die Zeit seit dem 22. Juli 2009
zu machen sind,
- die Beklagte zum Nachweis der Angaben zu a) und b) die betreffenden
Rechnungen oder Lieferscheine in Kopie vorzulegen hat, wobei geheim-
haltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten
ge¬¬schwärzt werden dürfen.
2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist,
a)
an die Klägerin für die zu 1. bezeichneten, in der Zeit vom 22. Juni 2003
bis 21. Juli 2009 begangenen Handlungen eine angemessene
Entschädigung zu zahlen, wobei sich die Entschädigungspflicht auf die
Herausgabe dessen be-schränkt, was die Beklagte durch die Benutzung
des Gegenstandes des Ge-brauchsmusters 299 24 XXX auf Kosten der
Klägerin bzw. der B GmbH & Co. KG erlangt hat,
b)
der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu 1.
bezeichneten, in der Zeit vom 22. Juli 2009 bis 30. September 2009
begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
II.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III.
1.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in
wel-chem Umfang sie seit dem 23. August 2009
Vakuumpumpen für Bremskraftverstärker-Anlagen in Kraftfahrzeugen,
mit ei-nem antreibbaren Rotor, über den ein Flügel in einem Gehäuse in
Rotation versetzbar ist, wobei der Rotor aus Kunststoff besteht und
einstückig ausgebil-det ist und wobei am Rotor jeweils eine
Gegenfläche für eine Auflagefläche einer Kupplung vorgesehen ist,
wobei über die Gegenfläche ein von der An-triebswelle übertragenes
Drehmoment in den Rotor einleitbar ist,
in der Bundesrepublik A angeboten, in Verkehr gebracht, gebraucht oder
zu den genannten Zwecken eingeführt hat,
bei denen zum Schutz der Gegenflächen vor Verschleiß eine aus Blech
bestehende Kappe zwischen dem Rotor und der Kupplung am Rotor
durch Aufpressen befestigt ist,
und zwar unter Angabe der zu I. 1. a) bis d) bezeichneten Einzeldaten
unter Vorlage der dort genannten Belege, wobei der
Verbreitungszeitraum und das Verbreitungsgebiet betriebener Werbung
nicht nach Kalendervierteljahren und Bundesländern aufzuschlüsseln
ist.
2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen
Scha-den zu ersetzen, der ihr durch die zu 1. bezeichneten, seit dem 23.
August 2009 begangenen Handlungen entstanden ist und noch
entstehen wird.
IV.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 1/10 und die
Beklagte zu 9/10.
V.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung
von 500.000,-- € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung Sicher-heit in gleicher Höhe leistet. Die Klägerin darf die
Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
zu vollstreckenden Betrages ab-wenden, wenn nicht die Beklagte vor
der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe erbringt.
VI.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Klägerin ist seit dem 24. Juli 2007 eingetragene Inhaberin des Gebrauchsmusters
299 24 XXX, das eine Vakuumpumpe (insbesondere für Bremskraftverstärker-Anlagen
in Kraftfahrzeugen) betrifft und dessen Eintragung im. Mai 2003 bekannt gemacht
worden ist. Ursprüngliche Inhaberin des Klagegebrauchsmusters war die B GmbH & Co.
KG, deren gesamtes Vermögen im Jahr 2006 aus gesellschaftsrechtlichen Gründen bei
der Klägerin angewachsen ist.
3
Die eingetragenen Schutzansprüche 1, 15, 17 und 20 haben folgenden Wortlaut:
4
1.
5
Vakuumpumpe, insbesondere für Bremskraftverstärker-Anlagen in Kraftfahrzeugen,
mit einem antreibbaren Rotor (1), über den ein Flügel in einem Gehäuse in Rotation
6
versetzbar ist, wobei der Rotor (1) aus Kunststoff besteht und einstückig ausgebildet
ist,
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,
7
dass am Rotor (1) jeweils eine Gegenfläche (43) für eine Auflagefläche (41) einer
Kupplung (35) vorgesehen ist, wobei über die Gegenfläche (43) ein von der
Antriebswelle übertragenes Drehmoment in den Rotor (1) einleitbar ist.
8
15.
9
Vakuumpumpen nach Anspruch 1,
10
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,
11
dass die Gegenfläche (43) sich an einem über die antriebsseitige Stirnfläche des
Rotors (1) hervorstehenden Antriebssegment (45 A; 45 B) befindet.
12
17.
13
Vakuumpumpe nach einem der vorhergehenden Ansprüche,
14
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,
15
dass zumindest zwei Antriebssegmente (45 A, 45 B) vorgesehen sind, die durch
einen geschlossenen Ring (47) miteinander verbunden sind.
16
20.
17
Vakuumpumpe nach einem der vorhergehenden Ansprüche,
18
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,
19
dass ein erster, vorzugsweise als Zweifach (9) ausgebildeter Längsabschnitt (7) des
Rotors (1) mit einer topfförmigen, vorzugsweise aus Blech bestehenden Kappe (51)
versehen ist.
20
Die nachstehend eingeblendeten Abbildungen (Figuren 1, 10a, 11 und 12 der
Klagegebrauchsmusterschrift) verdeutlichen den Gegenstand der Erfindung anhand
bevorzugter Ausführungsbeispiele.
21
Die Beklagte – eine zum C-Konzern gehörende Gesellschaft italienischen Rechts –
vertreibt in der Bundesrepublik A Vakuumpumpen für Kraftfahrzeuge. Zu ihren
Abnehmern gehören die D AG und die F AG. Die Einzelheiten der Rotorkonstruktion
erschließen sich aus den nachfolgenden Abbildungen (Anlage B 2).
22
Sie zeigen – wie während des Berufungsverfahrens unstreitig geworden ist – den
einstückig aus Kunststoff gefertigten Rotor (gelb), der von einer aus Metall gefertigten
Kupplung (rot) angetrieben wird. Die Kupplung ist mit Hilfe eines Führungselements
(blau) fixiert, welches auf der Rotornabe verpresst ist.
23
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Vakuumpumpe der Beklagten widerrechtlich
die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters verwirklicht. Mit Rücksicht auf ein von
der C GmbH geführtes Löschungsverfahren hat sie Schutzanspruch 1 des
Klagegebrauchsmusters vor dem Landgericht in eingeschränkter Fassung geltend
gemacht, nämlich mit der Maßgabe, dass "ein erster Längsabschnitt des Rotors mit
einer topfförmigen Kappe versehen ist".
24
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die auf Auskunftserteilung,
Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichtete Klage
abgewiesen. Es hat eine Benutzung des Klagegebrauchsmusters verneint. Zwar
verfüge die angegriffene Ausführungsform in Gestalt des Führungselements (blau) über
einen Verschleißschutz. Dieser weise jedoch nicht die geforderte Ausgestaltung als
"topfförmige Kappe" auf.
25
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzlich erfolglos gebliebenes
Anspruchsbegehren weiter. Sie stützt sich dabei auf die nachfolgende
Anspruchsfassung, die Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters durch die
während des Berufungsverfahrens ergangene Teillöschungsentscheidung des
Deutschen Patent- und Markenamtes vom 21. Juli 2009 erhalten hat:
26
Vakuumpumpe, insbesondere für Bremskraftverstärker-Anlagen in Kraftfahrzeugen,
mit einem antreibbaren Rotor (1), über den ein Flügel in einem Gehäuse in Rotation
versetzbar ist, wobei der Rotor (1) aus Kunststoff besteht und einstückig ausgebildet
ist, und dass am Rotor (1) jeweils eine Gegenfläche (43) für eine Auflagefläche (41)
einer Kupplung vorgesehen ist, wobei über die Gegenfläche (43) ein von der
Antriebswelle übertragenes Drehmoment in den Rotor (1) einleitbar ist,
27
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,
28
dass sich die Gegenflächen (43) an jeweils einstückig mit dem Rotor verbundenen
Antriebssegmenten (45 A bzw. 45 B) befinden, wobei mindestens zwei
Antriebssegmente (45 A, 45 B) vorgesehen sind, die durch einen geschlossenen
Ring (47) miteinander verbunden sind, und wobei zwischen den Antriebssegmenten
(45 A, 45 B) und der Kupplung am Rotor (1) eine Blechkappe zum Schutz des
Rotors vor Verschleiß durch Aufklipsen, Aufpressen oder durch Eingießen beim
Spritzvorgang befestigt ist.
29
Im Laufe des Berufungsrechtszuges ist der Klägerin das zum Klagegebrauchsmuster
parallele deutsche Patent 199 81 XYX erteilt worden, welches im. Juli 2009
veröffentlicht worden ist und dessen Patentansprüche 2 und 20 wie folgt lauten:
30
2.
31
Vakuumpumpe, insbesondere für Bremskraftverstärker-Anlagen in Kraftfahrzeugen,
mit einem antreibbaren Rotor (1), über den ein Flügel in einem Gehäuse in Rotation
versetzbar ist, wobei der Rotor (1) aus Kunststoff besteht und einstückig ausgebildet
ist, wobei am Rotor mindestens eine Gegenfläche (43) für eine Auflagefläche (41)
einer Kupplung (35) vorgesehen ist, wobei über die Gegenfläche (43) ein von der
Antriebswelle übertragenes Drehmoment in den Rotor (1) einleitbar ist,
32
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,
33
dass zum Schutz der Gegenfläche (43) vor Verschleiß ein Blechteil (51) am Rotor
durch Aufklipsen, Aufpressen oder durch Eingießen beim Spritzgussvorgang
befestigt ist.
34
20.
35
Vakuumpumpe nach Anspruch 2,
36
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,
37
dass ein erster, vorzugsweise als zweifach (9) ausgebildeter Längsabschnitt (7) des
Rotors (1) mit einer topfförmigen, vorzugsweise aus Blech bestehenden Kappe (51)
versehen ist.
38
Mit am gleichen Tage bei Gericht eingereichtem Schriftsatz vom 22. Oktober 2009 hat
die C GmbH gegen das Klagepatent Einspruch erhoben.
39
Gestützt auf beide Klageschutzrechte hält die Klägerin an ihrem Verletzungsvorwurf fest.
Die angegriffene Ausführungsform verfüge insbesondere über eine
Verschleißschutzkappe aus Blech. Als solche sei das Führungselement (blau)
anzusprechen, das – wie unstreitig ist – mit seiner zentralen kreisförmigen Öffnung auf
der Nabe des Kunststoffrotors verpresst sei. Zwar verfüge das Führungselement über
lediglich zwei nach unten abgebogene Führungsnasen, deren Funktion darin bestehe,
die Gegenfläche des Rotors vor einem schädlichen Kontakt mit der Metallkupplung (rot)
zu schützen. Die beiden Führungsnasen seien für den erforderlichen Verschleißschutz
des Rotors jedoch völlig ausreichend, weil die Kupplung (rot) bei Betrieb der
Vakuumpumpe – wie im Berufungsrechtszug unstreitig gewesen ist – an keiner anderen
Stelle als im Bereich der Führungsnasen mit dem Rotor in Kontakt geraten könne.
40
Die Klägerin beantragt,
41
wie erkannt, jedoch mit der Maßgabe, dass im Hinblick auf das
Klagegebrauchsmuster für den gesamten Benutzungszeitraum (22. Juni 2003 bis
30. September 2009) die Schadensersatzhaftung der Beklagten festgestellt und
sie für den gesamten Zeitraum zur Auskunft über die nach den einzelnen
Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und den erzielten Gewinn
verurteilt werden soll, wobei die Klägerin die Rechnungslegung im Hinblick auf
beide Klageschutzrechte "schriftlich in gesonderter Form, vollständig und
wahrheitsgemäß" fordert.
42
Die Beklagte beantragt,
43
1.
44
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen;
45
2.
46
die auf das deutsche Patent 199 81 XYX gestützte Klage abzuweisen,
47
3.
48
hilfsweise, den Rechtsstreit bis zum Abschluss des Löschungsverfahrens gegen
das Klagegebrauchsmuster und des Einspruchsverfahrens gegen das
Klagepatent auszusetzen.
49
Sie vertritt den Standpunkt, dass die aus Metall gefertigte Kupplung (rot) wegen ihrer
mittels des Führungselementes (blau) erfolgten festen Verbindung mit dem
Kunststoffrotor (gelb) als Bestandteil des Rotors anzusehen sei, der infolge dessen –
entgegen der technischen Lehre der Klageschutzrechte – nicht mehr nur aus Kunststoff
bestehe und auch nicht einstückig ausgebildet sei. Werde die Kupplung (rot) zutreffend
als Teil des Rotors verstanden, könne ebenso wenig die Rede davon sein, dass der
Rotor über zwei Antriebssegmente verfüge, die durch einen geschlossenen Ring
miteinander verbunden sind. Vielmehr sei es so, dass bei der angegriffenen
Ausführungsform die Antriebssegmente durch die Zapfen der Kupplung bereitgestellt
würden, die als solche nicht den vorgenannten Anforderungen des
Klagegebrauchsmusters entsprächen. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der
Durchschnittsfachmann mit dem Begriff "Blechkappe" ein topfförmiges Gebilde
verbinde, welches bei der angegriffenen Ausführungsform im Hinblick auf das dort
verwendete Führungselement (blau) nicht vorhanden sei. Darüber hinaus sei das
Führungselement ausschließlich im Bereich der zentralen ringförmigen Bohrung mit der
Nabe des Kunststoffrotors (gelb) verpresst. Bei der gegebenen Ausgestaltung verbiete
sich die Feststellung, dass das Führungselement zwischen den Antriebssegmenten des
Rotors und der Kupplung durch Aufklipsen, Aufpressen oder Eingießen befestigt sei.
Der Ort der Befestigung liege vielmehr an anderer Stelle, nämlich im Bereich der
Rotornabe.
50
Im Hinblick auf die erstinstanzliche Teillöschung des Klagegebrauchsmusters bestreitet
die Beklagte, bis zur Löschungsentscheidung vom 21. Juli 2009 schuldhaft gehandelt zu
haben. Im Übrigen ist sie der Auffassung, dass die Klageschutzrechte insgesamt nicht
rechtsbeständig seien und deshalb der Verletzungsprozess zumindest auszusetzen sei.
51
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze
der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
52
II.
53
Die zulässige Berufung der Klägerin hat im Wesentlichen Erfolg. Die streitbefangenen
Vakuumpumpen verletzen das Klagegebrauchsmuster wortsinngemäß. Die Beklagte ist
der Klägerin deshalb im zuerkannten Umfang zur Auskunftserteilung und
Rechnungslegung verpflichtet. Außerdem ist für die Zeit bis zur
Teillöschungsentscheidung (21. Juli 2009) ihre Bereicherungshaftung und für die Zeit
danach ihre Schadensersatzverpflichtung dem Grunde nach festzustellen. Auf die
Klageerweiterung hin ist die Beklagte des Weiteren wegen wortsinngemäßer Verletzung
des Klagepatents zur Auskunftserteilung, Rechnungslegung und zum Schadenersatz zu
verurteilen.
54
1.
55
Die Klageschutzrechte betreffen eine Vakuumpumpe, wie sie insbesondere für
Bremskraftverstärkeranlagen in Kraftfahrzeugen verwendet wird.
56
Wie die nachfolgende Abbildung verdeutlicht,
57
besteht eine Vakuumpumpe üblicherweise aus zwei Gehäuseteilen, die in ihrem
Inneren einen im Querschnitt kreisförmigen Pumpenraum ausbilden, aus einem Rotor
sowie aus einem in dem Rotor hin- und her verschiebbaren Flügel. Das
Pumpengehäuse verfügt über einen Lufteinlass sowie einen an anderer Stelle
ausgebildeten Luftauslass. Wird der Rotor im Uhrzeigersinn gedreht, so saugt er in den
in Rotationsrichtung hinter ihm liegenden Raum durch den Einlass Luft an und drückt
aus dem in Drehrichtung vor ihm liegenden Raum Luft aus dem Auslass heraus. In
demjenigen Pumpenraum, der an den Einlass angeschlossen ist, entsteht hierdurch ein
Unterdruck, der im Bremskraftverstärker dazu ausgenutzt wird, den vom Fahrer auf das
Bremspedal ausgeübten Druck zu verstärken.
58
Ein Rotor der vorliegenden Art hat verschiedenen Anforderungen gerecht zu werden.
Zunächst ist zu berücksichtigen, dass sich mit zunehmendem Gewicht des Rotors das
Massenträgheitsmoment erhöht, was wiederum die Leistungsaufnahme der
Vakuumpumpe unerwünscht steigert. Zum Zweiten ist es erforderlich, das von einer
Antriebswelle bereitgestellte Drehmoment zufriedenstellend in den Rotor einzuleiten.
Schließlich muss die Übertragung des Drehmoments auf den Rotor in einer solchen
Weise geschehen, dass sich für den Rotor eine hinreichende Lebensdauer ergibt, d.h.
kein vorzeitiger Verschleiß auftritt.
59
Vor dem geschilderten technischen Hintergrund sehen die Klageschutzrechte – das
Klagegebrauchsmuster gemäß seiner durch die Teillöschungsentscheidung vom
22. Juli 2009 erhaltenen Anspruchsfassung – die Kombination folgender Merkmale vor:
60
Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters:
61
1. Vakuumpumpe mit einem antreibbaren Rotor (1).
62
63
2. Über den Rotor (1) ist ein Flügel in einem Gehäuse in Rotation versetzbar.
64
65
3. Der Rotor (1)
66
67
68
a. besteht aus Kunststoff,
69
b. ist einstückig ausgebildet.
70
71
4. Am Rotor (1) ist jeweils eine Gegenfläche (43) für eine Auflagefläche (41) einer
Kupplung vorgesehen.
72
73
5. Über die Gegenfläche (43) des Rotors (1) kann ein Drehmoment in den Rotor (1)
eingeleitet werden, das von einer Antriebswelle übertragen wird.
74
75
6. Die Gegenflächen (43) des Rotors (1) befinden sich an Antriebssegmenten (45A,
45B), die einstückig mit dem Rotor (1) ausgebildet sind.
76
77
7. Es sind mindestens zwei Antriebssegmente (45A, 45B) vorgesehen.
78
79
8. Die mindestens zwei Antriebssegmente (45A, 45B) sind durch einen
geschlossenen Ring (47) miteinander verbunden.
80
81
9. Zwischen den Antriebssegmenten (45A, 45B) und der Kupplung ist am Rotor (1)
eine Blechkappe (51) zum Schutz des Rotors (1) vor Verschleiß befestigt, und
82
zwar durch Aufklipsen, Aufpressen oder durch Eingießen beim Spritzvorgang.
83
Anspruch 2 des Klagepatents in der von der Klägerin geltend gemachten
84
(eingeschränkten) Fassung:
85
1. Vakuumpumpe mit einem antreibbaren (Rotor).
86
87
2. Über den Rotor (1) ist ein Flügel in einem Gehäuse in Rotation versetzbar.
88
89
3. Der Rotor (1)
90
91
a. besteht aus Kunststoff,
92
93
b. ist einstückig ausgebildet.
94
95
4. Am Rotor (1) ist jeweils eine Gegenfläche (43) für eine Auflagefläche (41) einer
Kupplung vorgesehen.
96
97
98
5. Über die Gegenfläche (43) ist ein Drehmoment in den Rotor (1) einleitbar, welches
von der Antriebswelle übertragen wird.
99
6. Zum Schutz der Gegenflächen (43) vor Verschleiß ist eine aus Blech bestehende
Kappe (51) am Rotor durch Aufklipsen, Aufpressen oder durch Eingießen beim
Spritzvorgang befestigt.
100
101
Dank der einstückigen Ausbildung des Rotors aus Kunststoff ergibt sich ein geringes
Gewicht, was das erforderliche Antriebsmoment für den Rotor herabsetzt. Die
Bereitstellung von Gegenflächen am Rotor, die mit korrespondierenden Auflageflächen
der angetriebenen Kupplung zusammenwirken, gewährleistet günstige Verhältnisse bei
der Einleitung des Drehmoments in den Rotor. Das Vorsehen gesonderter
Antriebssegmente, die untereinander durch einen geschlossenen Ring verbunden sind,
gewährleistet ein hohes Maß an Stabilität. Die Verschleißschutzkappe stellt schließlich
sicher, dass der Eingriff zwischen der Kupplung (die typischerweise aus Metall gefertigt
ist) und dem Kunststoffrotor nicht zu einem vorzeitigen Verschleiß des Rotors führt.
102
2. Die angegriffene Vakuumpumpe der Beklagten verwirklicht die Merkmale beider
Klageschutzrechte wortsinngemäß.
103
a) Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass der Rotor bei der angegriffenen
Ausführungsform ausschließlich durch das Kunststoffbauteil (gelb) gebildet wird und
dass es sich bei dem daran befestigten Ringelement (rot) um eine Kupplung handelt, die
zwischen die eigentliche Antriebseinheit und den Rotor geschaltet ist, um die vom
Antrieb bereitgestellte Rotationsbewegung an den Rotor zu übertragen. Die vom
Landgericht gegebenen Begründungserwägungen lassen keinen Rechtsfehler
erkennen; sie werden auch von der Beklagten im Berufungsrechtszug nicht angegriffen.
104
Zu ihrer Rechtsverteidigung wendet die Beklagte vielmehr ein, der Rotor sei deshalb
nicht einstückig aus Kunststoff ausgebildet, weil das aus Metall bestehende
Ringelement (rot) mit Hilfe des Führungselements (blau) fest und unverlierbar mit dem
Rotor verbunden sei, weswegen die Kupplung (rot) als integraler Bestandteil des Rotors
(gelb) zu betrachten sei, der infolgedessen nicht mehr nur aus Kunststoff bestehe und
auch nicht mehr einstückig sei.
105
Dieser Argumentation ist zu widersprechen. Die Klageschutzrechte verhalten sich nicht
dazu, ob und ggfs. wie (lösbar oder nicht lösbar) Kupplung und Rotor miteinander
verbunden sind. Erforderlich ist bloß, dass die Kupplung über Auflageflächen verfügt,
die mit Gegenflächen des Rotors dergestalt zusammenwirken können, dass ein
Drehmoment der Kupplung – über dessen Auflageflächen und die Gegenflächen - in
den Rotor eingeleitet werden kann. Die Drehmomentübertragung hängt ersichtlich nicht
davon ab, ob die Kupplung mit ihrem Eingriffsbereich leicht vom Rotor getrennt werden
kann oder ob die Kupplung – wie bei der angegriffenen Ausführungsform – fest mit dem
106
Rotor verbunden ist.
Unerheblich ist im vorliegenden Zusammenhang auch die Erwägung der Beklagten, die
Klageschutzrechte sähen aus der Gründen der Gewichtsersparnis einen Kunststoffrotor
vor, womit es in Widerspruch stehe, an den Rotor eine gewichtsträchtige (weil aus
Metall bestehende) Kupplung fest anzubinden. Zum einen ist bereits nicht ersichtlich,
dass der Durchschnittsfachmann für das Kupplungselement überhaupt eine andere
Materialbeschaffenheit als die aus Metall in Erwägung ziehen würde. Immerhin ist die
Kupplung – wie im Verhandlungstermin vom 29. Oktober 2009 erörtert – Belastungen an
beiden Enden ausgesetzt, nämlich bedingt durch die Antriebseinheit, welche die
Kupplung in Rotation versetzt, und verursacht durch den Rotor, an den das Drehmoment
weitergegeben werden muss. Auf den Vorhalt des Senats hat auch die Beklagte nicht
geltend gemacht, dass der Fachmann im Prioritätszeitpunkt der Klageschutzrechte eine
Kunststoffkupplung ernsthaft in Erwägung gezogen hätte. Völlig unabhängig davon ist
es in jedem Fall eine Tatsache, dass die Klageschutzrechte sich ausschließlich zu dem
Material des Rotors verhalten und allein deswegen die Materialbeschaffenheit der
Kupplung dem freien Belieben des Fachmanns überlassen. Die Entscheidung für eine
Ausführung in Metall mag insofern zu einem erhöhten Gewicht der Vakuumpumpe
führen; an einer Benutzung der Klageschutzrechte ändert sie in jedem Fall nichts, weil
weder das Klagegebrauchsmuster noch das Klagepatent sich hinsichtlich der Kupplung
auf irgendein bestimmtes Material festlegen.
107
b)
108
Ausgehend von der Feststellung, dass der Rotor der angegriffenen Ausführungsform
durch das Kunststoffbauteil (gelb) gebildet wird, lässt sich nicht ernsthaft bestreiten,
dass der Rotor dort, wo die Führungsnasen des Führungselements (blau) zur Anlage
kommen, Gegenflächen für korrespondierende Auflageflächen der Kupplung (rot)
besitzt, über die das Drehelement der Kupplung (rot) in den Rotor (gelb) eingeleitet wird.
Die besagten Gegenflächen des Rotors sind dabei Teil von zwei teilbogenförmigen
Antriebssegmenten, die untereinander durch einen geschlossenen Ring verbunden
sind.
109
c) Das Führungselement (blau) der angegriffenen Ausführungsform stellt eine
Verschleißschutzkappe aus Blech dar, die durch Aufpressen am Rotor zwischen den
Antriebssegmenten und der Kupplung befestigt ist.
110
Was zunächst das Merkmal der "Blechkappe" betrifft, so besagt der von den
Klageschutzrechten verwendete Begriff "Kappe" nichts dazu, dass die Kappe eine
bestimmte äußere Gestaltung aufweisen, insbesondere eine Topfform einhalten muss.
Derartige Anforderungen sind weder im Hinblick auf den beabsichtigten
Verschleißschutz für den Kunststoffrotor unerlässlich noch ist sonst jeder "Kappe" eine
Topfform eigen. Bestätigt wird dies bereits durch die angegriffene Ausführungsform,
hinsichtlich derer zwischen den Parteien im Berufungsverfahren unstreitig ist, dass der
Kunststoffrotor nur an denjenigen beiden Stellen mit der Metallkupplung in Kontakt
geraten (und damit einem Verschleiß unterliegen) kann, an denen sich die
Führungsnasen des Führungselementes (blau) erstrecken. Unter dem Gesichtspunkt
des Verschleißschutzes bedarf es daher – technisch funktional betrachtet – keiner
großräumigeren Erstreckung des Führungselements (Verschleißschutzkappe) in
Umfangsrichtung als sie durch die vorhandenen Führungsnasen der angegriffenen
Ausführungsform bereitgestellt wird. Nachdem die Blechkappe anspruchsgemäß auf
111
den Rotor aufgepresst, aufgeklipst oder aufgespritzt werden soll, ist auch nicht zu
erkennen, dass eine im wesentlichen vollständige Erstreckung der Führungsnasen im
Umfangsrichtung aus Gründen eines festen Sitzes der Verschleißschutzkappe auf dem
Rotor gefordert ist. Sie erleichtert in fertigungstechnischer Hinsicht auch nicht das
Aufpressen oder Aufklipsen als solche, weswegen die Beklagte zu Unrecht
argumentiert, eine rundum geschlossene Kappe biete im Hinblick auf die Herstellung
der beanspruchten Vakuumpumpe Handhabungsvorteile. Nach allem teilt der Senat
nicht die von der Löschungsabteilung des Deutschen Patent- und Markenamtes zu
einem parallelen Gebrauchsmuster der Klägerin (299 24 ZZZ) geäußerte Auffassung
(Anlage ROKH 4, S. 9), dass die Begriffe "Kappe" und "topfförmige Kappe" Synonyme
seien. Mit Rücksicht auf dasjenige, was die "Blechkappe" nach der in den
Klageschutzrechten beanspruchten technischen Lehre leisten soll, handelt es sich – wie
im Verhandlungstermin vom 29. Oktober 2009 erörtert – vielmehr
um ein Gebilde aus Blech,
112
113
das auf die Oberfläche eines Rotors aufgesetzt werden kann,
114
115
dort eng anliegt
116
117
und dank seiner Formgebung die ihm zugewiesene Funktion eines
Verschleißschutzes für den Kunststoffrotor erfüllen kann.
118
119
Den genannten Anforderungen wird das Führungselement (blau) der angegriffenen
Ausführungsform – was auch die Beklagte im Verhandlungstermin vom 29. Oktober
2009 nicht in Abrede gestellt hat – in vollem Umfang gerecht. Insbesondere erstrecken
sich die Führungsnasen so zwischen den Antriebssegmenten des Rotors und der
Kupplung, dass die Metallkupplung im Betrieb der Vakuumpumpe ausschließlich gegen
die Führungsnasen und nicht gegen das Kunststoffmaterial des Rotors anschlagen
kann. Ebenso ist das Führungselement am Rotor (nämlich dessen Nabe) durch
Aufpressen befestigt.
120
Weitergehende Anforderungen als die genannten stellen die Klageschutzrechte nicht.
Entgegen der Auffassung der Beklagten besagen die von der Klägerin geltend
gemachten Anspruchsfassungen vor allem nicht, dass sich der Ort der Befestigung
(mittels Aufklipsen, Aufpressen oder Eingießen) zwischen den Antriebssegmenten des
Rotors und der Kupplung befinden muss. Zwar ist der Beklagten einzuräumen, dass die
gewählte Anspruchsformulierung – "… und wobei zwischen den Antriebssegmenten
und der Kupplung am Rotor eine Blechkappe zum Schutz des Rotors vor Verschleiß
durch Aufklipsen, Aufpressen oder durch Eingießen beim Spritzvorgang befestigt ist" –
bei rein philologischer Betrachtung dahin verstanden werden könnte, dass die besagte
Befestigung der Verschleißschutzkappe im Bereich zwischen den Antriebssegmenten
des Rotors und der Kupplung stattfinden soll. Ein derartiges Verständnis ließe jedoch
die technischen Zusammenhänge außer Betracht. Dem Durchschnittsfachmann ist
unmittelbar einsichtig, dass es für den Zweck des Verschleißschutzes allein darauf
ankommt, dass sich das Material der blechernen Schutzkappe dort befindet, wo die
Kupplung mit den Antriebssegmenten in Kontakt kommen kann. Vor diesem Hintergrund
versteht er die technische Lehre der Klageschutzrechte ohne weiteres dahin, dass sich
die Blechkappe als solche zwischen den Antriebssegmenten und der Kupplung
erstrecken soll, d.h. dort befinden muss. Irgendein vernünftiger Grund dafür, dass auch
die Befestigung der Blechkappe am Rotor in dem besagten Bereich zwischen
Antriebssegmenten und Kupplung erfolgen muss, ist demgegenüber für den Fachmann
nicht zu erkennen. Wenn die Klageschutzrechte vorschreiben, dass die Schutzkappe
am Rotor auf bestimmte Weise, nämlich durch Aufklipsen, Aufpressen oder Eingießen,
festgelegt werden soll, so begreift der Fachmann unschwer, dass auf die beschriebene
Weise einerseits eine verlässliche, andererseits aber fertigungstechnisch einfache
Möglichkeit der Befestigung vorgeschlagen wird. Unter beiden Gesichtspunkten kommt
es nicht darauf an, dass der Ort der Befestigung zwischen den Antriebssegmenten und
der Kupplung liegt; entscheidend ist vielmehr – und allein -, dass die Blechkappe am
Rotor durch eine der vorgesehenen Maßnahmen – Aufpressen, Aufklipsen oder
Einspritzen – festgelegt wird. Auch die Beklagte vermag nicht aufzuzeigen, wieso es in
technisch-funktionaler Hinsicht einen grundsätzlichen Unterschied ausmachen soll, ob
die Blechkappe am Rotor im Bereich der Auflage- und Gegenflächen oder anderenorts
fixiert wird.
121
d) Der Klägerin ist es nicht verwehrt, sich gegenüber der Beklagten darauf zu berufen,
dass das Führungselement der angegriffenen Ausführungsform, obwohl es keine
Topfform aufweist, eine Verschleißschutzkappe i.S.d. Klageschutzrechte ist. Zwar hat
der patentanwaltliche Vertreter der Klägerin während der Löschungsverhandlung gegen
das Klagegebrauchsmuster zu Protokoll erklärt, dass das Attribut "topfförmig" gegenüber
dem Begriff "Kappe" nur tautologische Bedeutung habe (vgl. Anlage ROKH 3, Bl. 3).
Soweit die Beklagte sich deswegen auf die BGH-Entscheidung "Weichvorrichtung II"
(Mitt 1997, 364) beruft, wonach ein Patentanmelder treuwidrig handelt, wenn er im
Einspruchsverfahren erklärt, für eine bestimmte Ausführungsform keinen Patentschutz
zu begehren, und in einem Verletzungsverfahren dennoch gegenüber einem am
Einspruchsverfahren Beteiligten Ansprüche wegen dieser Ausführungsform geltend
macht, sofern seine schutzbereichsbeschränkende Erklärung Grundlage für die
Aufrechterhaltung des Patents oder dessen Fassung war und der Verletzungsbeklagte
auf die Redlichkeit und Zuverlässigkeit des Patentanmelders vertrauen durfte, geht ihre
Verteidigung ins Leere. Die Beklagte ist bereits im Verhandlungstermin vom 29. Oktober
2010 darauf hingewiesen worden, dass die Protokollerklärung als solche zunächst bloß
eine Meinungsäußerung darstellt und ihr eine schutzbereichsbeschränkende (Verzichts-
)Wirkung allenfalls unter besonderen Begleitumständen der Löschungsverhandlung
122
entnommen werden kann. Die Beklagte hat dennoch nichts zum Inhalt und Verlauf des
Löschungsverfahrens, insbesondere zum Hintergrund der Protokollerklärung
vorgetragen. Darüber hinaus ist auch nicht dargelegt, dass die Aufrechterhaltung des
Klagegebrauchsmusters in der vorliegend geltend gemachten eingeschränkten Fassung
gerade der Topfform der Verschleißschutzkappe geschuldet ist. Ihre Berufung auf die
Grundsätze von Treu und Glauben sind damit in zweierlei Hinsicht unschlüssig.
3.
123
Nachdem das Klagegebrauchsmuster im Löschungsverfahren in der von der Klägerin
zur Grundlage ihres Klagebegehrens gemachten Form aufrecht erhalten worden ist,
besteht kein Anlass zu einem Zweifel, dass die technische Lehre des
Klagegebrauchsmusters jedenfalls mit dem von der Löschungsabteilung als schutzfähig
anerkannten Inhalt rechtsbeständig ist.
124
4.
125
Weil die Beklagte somit das Klagegebrauchsmuster widerrechtlich benutzt hat, ist sie
der Klägerin gemäß § 24 Abs. 1 GebrMG zur Unterlassung verpflichtet. Hinsichtlich der
nach der Löschungsentscheidung vom 21. Juli 2009 vorgenommenen
Benutzungshandlungen fällt der Beklagten auch ein Verschulden zur Last, weil sie von
der Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters im aufrecht erhaltenen Umfang
ausgehen musste und dessen Verletzung bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen
Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können. Für die Zeit vor dem 21. Juli 2009 lässt
sich ein schuldhaftes Handeln demgegenüber nicht feststellen. Es entspricht der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (GRUR 1977, 250, 252 ff. –
Kunststoffhohlprofil), dass bei der Beurteilung des Verschuldens in Fällen der
Verletzung eines im Löschungsverfahren geänderten und nur teilweise aufrecht
erhaltenen Gebrauchsmusters sorgfältig zu prüfen ist, ob der Benutzer im Zeitpunkt der
Verletzungshandlung bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennen konnte und
musste, dass er ein rechtsbeständiges Gebrauchsmuster verletzt, wobei die
Sorgfaltspflichten nicht überspannt werden dürfen. Bei der Verletzung des ohne
materielle Prüfung seiner Schutzfähigkeit eingetragenen Gebrauchsmusters kann ein
Verschulden deswegen nur angenommen werden, wenn der Benutzer mit dessen
Schutzfähigkeit gerechnet hat oder rechnen musste. Ein Verschuldensvorwurf hat
demgegenüber zu unterbleiben, wenn der Benutzer begründete Bedenken gegen die
Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters in seiner eingetragenen Fassung erheben
konnte, wobei sich die Schutzfähigkeitsbedenken auch aus dem Stand der Technik
ergeben können. Unter solchen Umständen hat der Benutzer in Erfüllung seiner
Sorgfaltspflichten sachkundigen Rat von erfahrenen Patentanwälten oder von auf dem
Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes sachkundigen Rechtsanwälten einzuholen.
Außerdem ist er gehalten, seine Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des
Klagegebrauchsmusters in einer verfahrensrechtlich geeigneten Form, z.B. durch die
Einleitung eines Löschungsverfahrens, geltend zu machen.
126
Den geschilderten Obliegenheiten ist die Beklagte vorliegend nachgekommen. An der
Sachkunde ihrer Prozessvertreter äußert auch die Klägerin – zu Recht – keine Zweifel.
Das von der konzernverbundenen C GmbH eingeleitete Löschungsverfahren hat beim
Deutschen Patent- und Markenamt auch weitgehenden Erfolg gehabt. Dies wird nicht
nur daran deutlich, dass in den aufrecht erhaltenen Schutzanspruch 1 diverse weitere
Merkmale aus den Unteransprüchen 15, 17 und 20 aufgenommen worden sind, sondern
127
hat seinen Niederschlag auch darin gefunden, dass die Klägerin mit 25 % der Kosten
des Löschungsverfahrens belastet worden ist. Beides macht deutlich, dass die Beklagte
zu Recht die Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters in seiner eingetragenen
Fassung in Abrede gestellt hat.
Für die Zeit bis zum 21. Juli 2009 schuldet die Beklagte der Klägerin allerdings eine
Entschädigung nach den Vorschriften der Bereicherungshaftung, worüber hilfsweise –
auch von Amts wegen - zu befinden war (BGH, GRUR 1977, 250, 253 –
Kunststoffhohlprofil). Da die Klägerin den genauen Umfang der vorgefallenen
Benutzungshandlungen noch nicht kennt, besteht ein rechtliches Interesse daran, dass
die Schadenersatz- und Bereicherungshaftung der Beklagten zunächst dem Grunde
nach festgestellt wird (§ 256 ZPO).
128
Außerdem hat die Beklagte der Klägerin im zuerkannten Umfang Auskunft zu erteilen
und Rechnung über ihre Benutzungshandlungen zu legen (§ 24b GebrMG, § 242, 259
BGB), wobei für die Zeit der Bereicherungshaftung keine Kosten- und Gewinnangaben
verlangt werden können und der Auskunftsanspruch die Vorlage geeigneter Belege
umfasst. Soweit die Klägerin eine "vollständige und wahrheitsgemäße" Rechnung
"schriftlich in gesonderter Form" begehrt, bestand kein Anlass, den Urteilstenor
entsprechend zu fassen. Es versteht sich von selbst, dass Auskünfte zur
Rechnungslegung vollständig und der Wahrheit gemäß erteilt werden müssen und jede
Rechnungslegung schriftlich und in geordneter Form zu erfolgen hat.
129
Für die Zeit seit dem 23. August 2009 schuldet die Beklagte Auskunft,
Rechnungslegung und Schadenersatz auch auf der Grundlage des Klagepatents (§§
139 Abs. 2, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB).
130
5.
131
Anlass, denn Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, besteht nicht. Soweit das
Klagegebrauchsmuster in Rede steht, ist nicht ersichtlich, mit welchen Argumenten die
Beklagte die getroffene Teillöschungsentscheidung des Deutschen Patent- und
Markenamtes vom 21. Juli 2009 mit Aussicht auf Erfolg anfechten können soll. Soweit
sich das Anspruchsbegehren auf das Klagepatent stützt, hat die Beklagte
zwischenzeitlich zwar einen umfangreichen Einspruchsschriftsatz vorgelegt. Dies ist
jedoch derart kurzfristig vor dem Verhandlungstermin vom 29. Oktober 2009 geschehen,
dass der Klägerin eine sachgerechte Erwiderung hierauf schlechterdings unmöglich
war. Unter den gegebenen Umständen verbietet sich für den Senat die Annahme, dass
das Einspruchsvorbringen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zum Widerruf des
Klagepatents führen wird. Zur Rechtfertigung der verspäteten Vorlage des
Einspruchsschriftsatzes kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, dass die
Einspruchsfrist noch nicht abgelaufen war. Wenn sich die Beklagte im laufenden
Verletzungsprozess gegenüber den Ansprüchen aus dem Klagepatent mit einem
Einspruch verteidigen will, so war es ihre prozessuale Pflicht, ihre Einwendungen
gegen den Rechtsbestand des Klagepatents so rechtzeitig in das Verfahren
einzuführen, dass der Klägerin noch eine sachgerechte Erwiderung möglich war.
Nachdem die Parteien über den Erfindungsgegenstand bereits im Löschungsverfahren
gegen das Klagegebrauchsmuster umfangreich gestritten haben, ist auch nichts dafür
ersichtlich, dass der Beklagten eine entsprechend frühzeitige Abfassung ihres
Einspruchsschriftsatzes nicht möglich oder zumutbar war.
132
III.
133
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
134
Die Anordnung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, 711, 108
ZPO.
135
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 543 ZPO). Es handelt sich um eine
Einzelfallentscheidung, die keine Fragen aufwirft, deren Beantwortung durch den
Bundesgerichtshof zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung oder zur Fortbildung des
Rechts erforderlich ist.
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