Urteil des OLG Düsseldorf vom 01.10.2003

OLG Düsseldorf (Rückvergütung, Rabatt, Wahrscheinlichkeit, Skonto, Kostenverteilung, Bedingung, Schwund, Rücknahme, Rückführung, Fahren)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 45/03
01.10.2003
Oberlandesgericht Düsseldorf
Vergabesenat
Beschluss
VII-Verg 45/03
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss der 2. Verga-
bekammer des Bundes - VK 2 - 40/03 - vom 11. Juli 2003 wird zu-
rückgewiesen. Zur Klarstellung wird der Beschluss der Vergabekammer
aufgehoben; es ergehen insgesamt folgende Anordnungen:
I. Der Antragsgegnerin wird untersagt, den Zuschlag auf der Grundlage
ihrer bisherigen Wertung an die Beigeladene zu er-teilen.
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die Angebote unter Be-achtung
der Rechtsaufassung des Senats neu zu werten.
II. Von den Kosten des Vergabekammerverfahrens tragen die An-
tragstellerin 50 % und die Antragsgegnerin sowie die Beigelade-ne 50 %
als Gesamtschuldner.
Von den erstinstanzlichen, zur zweckentsprechenden Rechts-verfolgung
notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin tra-gen diese selbst 50
% und die Antragsgegnerin und die Beigela-dene je 25 %.
Umgekehrt tragen von den erstinstanzlichen notwenigen Ausla-gen der
Antragsgegnerin und der Beigeladenen diese selbst
50 % und die Antragstellerin jeweils 50 %.
III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der not-
wendigen Auslagen der Antragstellerin fallen der Beigeladenen zur Last.
Die Beigeladene und die Antragsgegnerin tragen ihre Aufwen-dungen
selbst.
IV. Für die Antragstellerin und die Beigeladene war die Hinzuzie-hung
eines Verfahrensbevollmächtigten im Vergabekammerver-fahren
notwenig, für die Antragstellerin auch in der Beschwerde-instanz.
V. Die Wertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren erfolgt, sobald die
Verfahrensbeteiligten hierzu ergänzend - binnen zwei Wo-chen ab
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Zugang dieses Beschlusses - vorgetragen haben.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin schrieb im offenen Verfahren durch Bekanntmachung vom 13.1.2003
die Lieferung von Tonern und Tintenpatronen sowie Farbbändern für diverse Drucker
europaweit aus. Daneben forderte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 23.1.2003 unter
anderem die Antragstellerin zur Angebotsabgabe auf. Darin heißt es, dass der Zuschlag
auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erteilt werde und folgende Zugschlagskriterien
relevant seien: Gesundheits-/Umweltverträglichkeit, Testlauf (Qualität/Leistungsfähigkeit),
Preis und Abholungskonzept. Die Angebotsfrist endete am 5.3.2003. Insgesamt gingen bei
der Antragsgegnerin 18 Angebote ein, von denen 16 ausgeschlossen wurden; übrig
blieben die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen.
Mit Schreiben vom 11.4.2003 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie
den Zuschlag nicht erhalten werde, weil sie eine ungünstigere Bewertungsziffer als die
Beigeladene erreicht habe. Die Antragstellerin rügte die Angebotswertung und beantragte
unter dem 28.4.2003 die Nachprüfung des Vergabeverfahrens mit dem Ziel, ihr den
Zuschlag zu erteilen.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag teilweise als unzulässig angesehen, ihm
jedoch im Übrigen entsprochen und im Wesentlichen - soweit hier von Interesse -
ausgeführt: Ein Vergaberechtsfehler liege darin, dass die Antragsgegnerin die von der
Beigeladenen angebotene Rückvergütung für leere Tonerkartuschen in die Wertung
einbezogen habe, ohne dass diese Leistung von ihr verlangt worden sei. Ferner sei nicht
hinreichend absehbar, ob der von der Beigeladenen angebotene Umsatzrabatt tatsächlich
zum Tragen komme. Der Antragsgegnerin sei die Neuwertung aufzugeben. Da aufgrund
der beabsichtigten vertraglichen Regelungen die Gefahr bestehe, dass die
Beschaffungsbeziehung durch wiederholte oder automatische Vertragsverlängerungen
unter Ausschluss von Wettbewerb fortgesetzt werde, sei ferner erforderlich, die Laufzeit des
bislang unbefristeten Vertrages auf 3 Jahre zu begrenzen.
Mit ihrer sofortigen Beschwerde erstrebt die Beigeladene die Aufhebung des
Vergabekammerbeschlusses.
II.
Das zulässige Rechtsmittel der Beigeladenen bleibt in der Sache erfolglos. Im Ergebnis hat
die Vergabekammer zu Recht entschieden, dass die Antragsgegnerin den Zuschlag noch
nicht an die Beigeladene erteilen darf und ihre Angebotswertung wiederholen muss. Durch
den Senat abweichend zu beurteilen sind nur die Kostenverteilung und die Frage der
Anordnung einer höchstens dreijährigen Vertragslaufzeit.
1. Umsatzrabatt/Rabattstaffel ab dem "Folgejahr"
Im Grundsatz ist es sachgerecht und nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin
Umsatzrabatte - wie geschehen - nach bestimmten Jahresumsatzzahlen gestaffelt bei den
Bietern abfragt. Je nachdem, ob und welche Angaben die Bieter hierzu machen, kann sich
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ein bestimmtes Angebot als wirtschaftlich vorzugswürdig erweisen. Voraussetzung für eine
vergaberechtskonforme Angebotswertung ist dann jedoch, dass die den Rabatten
zugrundegelegten (gestaffelten) Umsätze im Rahmen der von der Vergabestelle
vorzunehmenden Prognose genügend abgesichert sind, das heißt, mit genügender
Wahrscheinlichkeit auch erreicht werden können. Daran fehlt es hier jedenfalls bislang. Die
Antragsgegnerin gibt "ca. 350.000,-- EUR (netto)" als "derzeit geschätzten Jahresumsatz"
an (vgl. ihre "Allgemeinen Angaben"). Die Rabattstaffel soll sodann "für das Folgejahr" bei
Umsätzen von 400.000 EUR bis 600.001 EUR eingreifen. Weder dargetan noch sonst
ersichtlich ist jedoch, dass und in welchem Umfange diese Umsatzzahlen aus heutiger
Sicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Zwar hat die Beigeladene in
der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vortragen lassen, voraussichtlich komme
zumindest die erste, bis zu einem Jahresumsatz von 500.000 EUR angekündigte
Rabattstaffel (entsprechend einem Umsatzrabatt von 1 %) zum Tragen. Selbst für diese
Annahme fehlt es bislang jedoch an hinreichend verlässlichen Anhaltspunkten. Die
diesbezüglichen Angaben der Antragsgegnerin sind widersprüchlich. Ausweislich der
"Allgemeinen Angaben" in den Ausschreibungsunterlagen ist die Antragsgegnerin von
einem "derzeit geschätzten Jahresumsatz" von ca. 350.000 EUR netto ausgegangen. Ihrer
Angebotswertung hat sie hingegen einen Jahresumsatz von mindestens 500.000 EUR
zugrundegelegt (siehe Vergabevermerk vom 1.4.2003). Die tatsächlichen Gründe für die
von den Ausschreibungsunterlagen abweichende Schätzung sind weder in den
Vergabeakten dokumentiert, noch haben die Antragsgegnerin oder die Beigeladene die
insoweit maßgebenden Schätzgrundlagen vorgetragen. Damit ist derzeit unklar, ob und mit
welcher Gewichtung die Rabatte sachgerecht in die Preiswertung einfließen dürfen. Die
Antragstellerin hat keine Umsatzrabatte angeboten, während die Beigeladene Rabatte von
1 % (400.000 - 500.000 Stück), 1,5 % (501.000 - 600.000 Stück) und 2 % (> 601.000 Stück)
gewähren will. Die (ungerechtfertigte) Wertung dieser Rabatte kann mithin zu einer
Ungleichbehandlung zum Nachteil der Antragstellerin führen. Im Rahmen der Neuwertung
erhält die Antragsgegnerin Gelegenheit, den Ansatz und/oder die Gewichtung der Rabatte
zu prüfen. Sollte sie zu dem Ergebnis kommen, dass für die Realisierung der Umsätze
keine genügende Wahrscheinlichkeit besteht, wird der Rabatt der Beigeladenen
unberücksichtigt bleiben müssen. Schon mit Blick auf die Formulierung der
Antragsgegnerin, dass sie (nur) von deinem "derzeit geschätzten" Jahresumsatz von
350.000 Euro ausgehe, ohne diesen Zusatz bei den höheren Umsätzen der Rabattstaffel
zu wiederholen, war erkennbar, dass es sich bei der Rabattstaffel zunächst einmal nur um
eine vorsorgliche Abfrage der Antragsgegnerin handelte.
Die von der Vergabekammer angenommen Zweifel, ob die mit der Rabattgewährung
zusammenhängenden wirtschaftlichen Vorteile wirklich eintreten werden, hält der Senat
nicht für relevant, weil die Antragsgegnerin bei der anzustellenden Prognose und dem ihr
hierbei zustehenden Ermessen davon ausgehen darf, dass die Vertragspartner am Vertrag
festhalten werden, mag der jeweilige Auftragnehmer es auch in der Hand haben, das
Vertragsverhältnis nach § 12 des Vertrages zum Ablauf des ersten Vertragsjahres zu
kündigen. Gleiches gilt im Ergebnis für das Bedenken der Vergabekammer, die
Beigeladene könnte nach § 9 Abs. 1 des Vertrages eine Preiserhöhung begehren, was die
Umsatzrabatte aufzehren könnte. Letztlich stehen auch die Preise und Skonti der
Antragsstellerin unter diesem Vorbehalt.
2. Rückvergütung für verbrauchte Tonerkartuschen
Auch die Wertung der von der Beigeladenen angebotenen Rückvergütung für verbrauchte
Tonerkartuschen ist zu beanstanden. Zwar kann als sicher angenommen werden, dass
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irgendwelche Tonerkartuschen zu der Beigeladenen zurückgelangen und entsprechende
Rückvergütungen stattfinden werden, zumal die Beigeladene nach dem Vertrag zur
Rücknahme verbrauchter Tonerkartuschen verpflichtet wäre. Es lässt sich jedoch nicht
ohne Weiteres annehmen, dass die Rückvergütung für 100 % der verbrauchten
Tonerkartuschen erfolgen wird, wie die Antragsgegnerin bei ihrer bisherigen Wertung
offenbar unterstellt. Erfahrungsgemäß ist insoweit mit einem gewissen Schwund zu
rechnen. Davon geht ersichtlich auch die Beigeladene in ihrem Angebot aus, indem sie zur
Bedingung für die Rückvergütung macht, "dass die Produkte ohne technischen Defekt sind;
d.h. im Recyclingverfahren wieder aufgearbeitet werden können." Aber auch sonst ist mit
Verlusten zu rechnen, zum Beispiel im Zuge des Austausches oder der Ausmusterung von
Geräten. Prognosen der Antragsgegnerin dazu, in welchem Umfange tatsächlich -
organisatorisch und technisch - eine die Rückvergütung auslösende Rückführung der
Tonerkartuschen sichergestellt werden könnte, fehlen bislang. Auch insoweit erhält die
Antragsgegnerin Gelegenheit, die Prüfung im Rahmen der Neuwertung nachzuholen und
entsprechende Konsequenzen bei der Gewichtung dieses Preiselements zu ziehen.
3. Skonto
Die von beiden Bietern angebotenen Skonti sind bei der Neuwertung zu berücksichtigen.
Dass die Antragsgegnerin hierzu keinerlei Prognose über die Erfüllbarkeit der
Skontovoraussetzungen aufgestellt hätte, lässt sich nicht annehmen. Schon in dem von ihr
benutzten Formblatt heißt es (BWB-B014):
"Skonto...% bei Zahlung innerhalb von .... Tagen
...
gerechnet vom Tage nach Eingang der Rechnung mit zahlungsbegründenden
Unterlagen beim Auftraggeber.
Skontofristen unter 10 Tagen können nicht akzeptiert werden."
Die allgemein aufgestellte Prognose der Antragsgegnerin lautet also dahin, dass
Skontofristen von mindestens 10 Tagen eingehalten werden können. Maßgebend ist im
Übrigen, ob die für eine Skontogewährung gestellten Bedingungen realistischerweise
eintreten werden (vgl. zur Berücksichtigung von Skonti im Anwendungsbereich der VOB/A:
BGH BauR 2000, 254 f, 258; OLG Naumburg, OLG-Report 2001, 191 ff;
Daub/Eberstein/Kulartz, VOL/A, 5. Aufl., § 25 Rdn. 46; vgl. für die VOB/A im Übrigen
Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 10. Aufl., A § 25 Rdn. 165). Dies lässt sich hier für die von
beiden Bietern angebotene (übliche) Skontofrist von 14 Tagen annehmen.
4. Ungeachtet der weiter oben dargelegten Vergabeverstöße zum Nachteil der
Antragstellerin lässt sich nicht feststellen, dass die Antragstellerin in jedem Falle von
beiden Bietern die preisgünstigere wäre, also auch dann, wenn die von der Beigeladenen
angebotenen Umsatzrabatte und Rückvergütungen für verbrauchte Tonerkartuschen voll
zum Zuge kämen. Namentlich kann der von der Antragstellerin angebotene Rabatt für die
Selbstabholung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht berücksichtigt werden. Wie schon
die Vergabekammer ausgeführt hat, wäre der Rabatt für die Antragsgegnerin wirtschaftlich
nur interessant, wenn ihre Dienststellen im näheren Einzugsbereich des Firmensitzes der
Antragstellerin (Fulda) lägen. Allerdings hat die Antragstellerin im Schriftsatz vom
20.8.2003 darauf verwiesen, dass sich 17 Dienststellen der Antragsgegnerin in einem
Umkreis von 100 km befinden. Insoweit obliegt der Antragsgegnerin im Rahmen der
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nachzuholenden Wertung noch die Prüfung, ob und inwieweit nicht wenigstens für einen
Teil dieser Dienststellen die Inanspruchnahme des Selbstabholerrabattes in Betracht
kommt.
5. Die von der Vergabekammer aufgestellte Anordnung einer maximalen Vertragslaufzeit
von 3 Jahren ist nicht geboten. Nach dem geltenden Vergaberechtsregime sind unbefristete
Verträge oder Verträge mit nicht absehbarer Vertragsdauer grundsätzlich zulässig (vgl. § 3
Abs. 3 Satz 3 VgV).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer direkten und analogen Anwendung des § 128
Abs. 3 und 4 GWB sowie der § 162 Abs. 3 VwGO. Bei der erstinstanzlichen
Kostenverteilung ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin ihr Hauptziel, nämlich den
Zuschlag schon im Nachprüfungsverfahren zu erhalten, verfehlt hat.
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