Urteil des OLG Düsseldorf vom 14.06.2007

OLG Düsseldorf: stand der technik, erfindung, erfinder, vernehmung von zeugen, zusammensetzung, anfang, bestandteil, juristische person, geschäftsführer, rohstoff

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-2 U 78/02
Datum:
14.06.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Teilurteil
Aktenzeichen:
I-2 U 78/02
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 30. April 2002 verkündete
Urteil der 4a. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung
durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu
vollstrecken-den Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicher-heit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.022.583,76 € (=
2.000.000,00 DM) festgesetzt.
G r ü n d e:
1
I.
2
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen widerrechtlicher Erfindungsentnahme auf
Übertragung und Einwilligung in die Umschreibung des deutschen Anteils des
europäischen Patents 0 654 xxx (Anlage K 2; nachfolgend Vindikationspatent) in
Anspruch.
3
Die Klägerin, ihre französische Tochtergesellschaft, die A S.A. und die mit der Klägerin
gesellschaftsrechtlich verbundene A Chemie GmbH befassen sich u.a. mit der
Herstellung und dem Vertrieb von Festschmierstoffgemischen. Sie bieten unter der
Bezeichnung "C" anwendungsfertige Schmierstoffgemische für die Herstellung von
Reibbelägen für Kupplungs- und Bremsbeläge an.
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Die Beklagte stellt her und vertreibt u.a. Bremsbeläge, Bremsbänder,
Kupplungsscheiben und ähnliche Erzeugnisse. Von 1984 bis 1998 firmierte sie als "D
GmbH" und in der Zeit von 1998 bis 2000 als "E GmbH". Seit dem 26. Oktober 2000
5
lautet ihre Firma "F GmbH".
Reibbelagmischungen für Brems- oder Kupplungsbeläge werden z.B. für den Einsatz in
Kraftfahrzeugen benötigt. Derartige Mischungen bestehen grundsätzlich aus Metallen
(als Faser oder Pulver), Füllstoffen (inkl. eventueller anorganischer Fasern), Gleitmitteln
(Festschmierstoffe) sowie organischen Bestandteilen (Harz, Kautschuke, organische
Fasern, organische Füllstoffe). Als Feststoffschmiermittel werden in der Regel
Metallsulfide in Verbindung mit Graphit verwendet. Als Metallsulfid wurde in der
Vergangenheit Bleisulfid, insbesondere aber Antimontrisulfid eingesetzt. In der
Reibbelagbranche wurde spätestens im Jahre 1992 bekannt, dass – neben Bleisulfid –
auch Antimontrisulfid in den Verdacht geraten war, aufgrund seiner Toxizität kanzerogen
und gesundheitsgefährdend zu sein. Auch die Klägerin sah sich deshalb veranlasst,
nach einem Ersatzrohstoff u.a. für Antimontrisulfid zu suchen.
6
Da die Klägerin daran interessiert war, der Beklagten Schmierstoffgemische zu
verkaufen, lieferte sie dieser "Cs" zur Herstellung von Bremsbelägen zu
Erprobungszwecken. So übersandte sie der Beklagten mit Lieferschein vom 3. Mai 1993
drei Schmierstoffgemische mit den Bezeichnungen "C LM 20", "C LM 19" und "C LM 18"
als kostenlose Muster (Anlage K 10), nachdem sie die Beklagte bereits zuvor, nämlich
jedenfalls mit dem an deren Mitarbeiter Dr. G gerichteten Schreiben vom 13. Januar
1993 (Anlage K 25), davon unterrichtet hatte, dass man einen neuen Rohstoff als Ersatz
für Bleisulfid entwickelt habe. Unstreitig sind bei einem Gespräch am 23. Juni 1993, an
dem der Geschäftsführer der Klägerin, Herr H, sowie die Herren I und Dr. G von der
Beklagten teilnahmen und ein Mitarbeiter der Klägerin, Dr. von J, telefonisch
zugeschaltet war, Angaben über die Inhaltsstoffe der Cs gemacht worden. So hat Dr.
von J u.a. angegeben, die Muster enthielten Zinnsulfide.
7
Am 27. Oktober 1994 reichte die Beklagte unter Inanspruchnahme einer deutschen
Priorität vom 24. November 1993 (vgl. Anlage K 3) eine am 24. Mai 1995 veröffentlichte
europäische Patentanmeldung ein, welche eine Reibbelagmischung für Brems- und
Kupplungsbeläge betrifft. Diese Anmeldung führte zur Erteilung des europäischen
Patents 0 654 614 (Anlage K 2). Die Bekanntmachung des Hinweises auf die
Patenterteilung erfolgte am 31. März 1999. Zu den benannten Vertragsstaaten des
Vindikationspatents gehört die Bundesrepublik Deutschland.
8
Der Patentanspruch 1 des insgesamt acht Ansprüche umfassenden Vindikationspatents
lautet wie folgt:
9
Organisch gebundene Reibbelagmischung für mit einem Reibpartner aus Stahl
zusammenwirkende Brems- und Kupplungsbeläge bestehend aus
10
- Aramidfasern, - organischen und/oder anorganischen Füllstoffen, -
Schmierstoffen, - organischen Bindemitteln und/oder - Metallen oder
Metallverbindungen
11
dadurch gekennzeichnet,
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dass die Mischung zur Reduzierung der Rissanfälligkeit des Reibpartners
Zinnsulfide (SnS, SnS2) enthält, wobei die Zinnsulfide mit einem Gewichtsanteil
von 0,5 bis 10 Gew.-%, vorzugsweise 2 bis 8 Gew.-%, enthalten sind.
13
Wegen des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 8 des Vindikationspatents wird auf die
Patentschrift (Anlage K 2) verwiesen.
14
Ein von dritter Seite gegen die Erteilung des Vindikationspatents eingelegter Einspruch
wurde von der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts durch Entscheidung
vom 17. Oktober 2003 (Anlage BK 15) zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen
wird ausgeführt, zwar seien aus der Veröffentlichung "Bremsbeläge für
Straßenfahrzeuge" (E 11 = Anlage K 4) bis auf das den Einsatz von Zinnsulfiden
betreffende Merkmal alle Anspruchsmerkmale – auch diejenigen der Unteransprüche –
bekannt, doch habe die Einsprechende nicht nachweisen können, dass der Fachmann
den Gegenstand des Anspruchs 1 ohne erfinderische Tätigkeit aus dem Stand der
Technik habe ableiten können.
15
Nach Veröffentlichung der dem Vindikationspatent zugrunde liegenden Anmeldung kam
es zu einer Korrespondenz zwischen den Parteien, in deren Verlauf die Klägerin
geltend machte (vgl. Anlagen K 13, K 17), dass die von der Beklagten getätigte
Patentanmeldung zu einem entscheidenden Teil auf vertraulichem Wissen beruhe,
welches sie der Beklagten am 23. Juni 1993 übermittelt habe. Dem widersprach die
Beklagte mit der Begründung, die Anmeldung des Vindikationspatents beruhe auf einer
Erfindung ihres Mitarbeiters L und gehe nicht auf Informationen zurück, die bei dem
Gespräch vom 23. Juni 1993 den Mitarbeitern K und Dr. G gegeben worden seien.
Schon vorher sei die Erfindung des Mitarbeiters L fertig gewesen (vgl. Schreiben vom
30. Mai 2000).
16
Die Klägerin macht geltend, dass ihr die Beklagte den Gegenstand des
Vindikationspatents widerrechtlich entnommen habe. Sie hat vorgetragen, bereits im
Jahr 1992 habe sie damit begonnen, nach einem Ersatz für Antimon- und Bleisulfid als
Komponenten in Reibbelägen zu suchen. Insbesondere habe sie bereits seit 1992
daran geforscht, die bisher üblichen, potentiell gesundheitsgefährdenden Metallsulfide
Antimontrisulfid und Bleisulfid ganz oder teilweise durch Zinnsulfide zu ersetzen. Ihr
Geschäftsführer, Herr H, habe den damalige Abteilungsleiter der Beklagten für das
Gebiet "Produktentwicklung Scheibenbremsbeläge für Pkw", Herrn I, im Dezember 1992
darüber informiert, dass die Klägerin an einem Ersatzrohstoff für Antimontrisulfid und
Bleisulfid auf der Basis von Zinnsulfiden arbeite, wie aus dem "Besprechungs-
/Reisebericht vom 29.12.92" (Anlage K 5) hervorgehe. Diesbezüglich sei die Beklagte
auch mit Schreiben vom 13. Januar 1993 (Anlage K 25) unterrichtet worden. Ihre – der
Klägerin - Bemühungen hätten im Januar 1993 zum Erfolg geführt. Zu diesem Zeitpunkt
seien Probestücke von Reibbelägen hergestellt und getestet worden, die 1 %
Zinndisulfid (SnS2) enthalten hätten (vgl. Anlage K 6, Blatt 2). Da die Versuche positive
Ergebnisse gezeigt und ihr die Erkenntnis vermittelt hätten, dass Zinnsulfide in
Reibbelägen vorteilhaft eingesetzt werden könnten, habe sie auf Wunsch von Herrn I
der Beklagten am 3. Mai 1993 die Prüfkörper Cs LM 18 bis 20 als Muster zugesandt. Die
Zusammensetzung dieser Prüfkörper ergebe sich aus dem als Anlage K 11 überreichten
Auszug aus einem Laborjournal. Die Muster LM 19 und LM 20 hätten Zinndisulfid
(SnS2) in einer Menge von 3 bzw. 4 Gew.-% enthalten. Die Prüfkörper, die für den
Fachmann problemlos analysierbar gewesen seien, seien bei der Beklagten auf großes
Interesse gestoßen. Im Rahmen der am 23. Juni 1993 bei der Beklagten
stattgefundenen Besprechung seien die Mitarbeiter der Beklagten I und Dr. G durch
Herrn H und Dr. von J über die Zusammensetzung der Muster und insbesondere auch
über den Gehalt an Zinnsulfiden unterrichtet worden. Insbesondere habe ihr Mitarbeiter
Dr. von J die Vorteile der Verwendung von Zinndisulfid in Reibbelagmischungen
17
herausgestellt. Zur Menge an Zinnsulfiden habe ihr Mitarbeiter gesagt, dass die
gesamte Menge im Bereich von 5 bis 10 Gew.-% liege und der Anteil an Zinndisulfid,
wenn vorhanden, etwa die Hälfte ausmache.
Die der Beklagten am 12. Juli 1993 übersandten weiteren Muster "Cs" LM 21 – 23 (vgl.
Anlage K 14) hätten, wie sich aus dem als Anlage K 15 vorgelegten Auszuges aus dem
Laborbuch ergebe, "4 % SnxSx" enthalten; hierbei habe es sich um ein Gemisch aus
SnS und SnS2 gehandelt.
18
Die der Beklagten überlassenen Muster LM 18 bis LM 23 hätten jedenfalls weder
Antimontrisulfid noch Bleisulfid enthalten; der Beklagten sei also klar gewesen, dass
diese Sulfide durch Zinnsulfide ersetzt werden konnten.
19
Die von der Beklagten getätigte Patentanmeldung gehe nach allem auf das Wissen
zurück, welches sie – die Klägerin - über ihren Mitarbeiter und Erfinder Dr. von J, der ihr
seine Rechte übertragen habe, an Mitarbeiter der Beklagten weitergegeben habe.
20
Die Klägerin hat beantragt,
21
die Beklagte zu verurteilen, ihr den deutschen Anteil der Ansprüche 1 bis 8 des
EP 0 654 xxx B 1 betreffend eine Reibbelagmischung für Brems- und
Kupplungsbeläge abzutreten und in die Umschreibung der Patentrolle
einzuwilligen.
22
Die Beklagte hat um Klageabweisung gebeten. Sie hat die Aktivlegitimation der
Klägerin mit der Begründung bestritten, es sei nicht dargetan, dass der angebliche
Erfinder Dr. von J, der zudem Arbeitnehmer der A GmbH gewesen sei, seine Rechte an
der Erfindung wirksam auf die Klägerin übertragen habe. Die Klage könne auch deshalb
keinen Erfolg haben, weil sie nicht innerhalb der zweijährigen Ausschlussfrist des Art II
§ 5 Abs. 2 IntPatÜG erhoben worden sei.
23
Es werde bestritten, dass sich die Klägerin bzw. Dr. von J vor dem Prioritätstag des
Vindikationspatents im Besitz der fertigen Erfindung befunden habe. Wie die
unterschiedlichen Zusammensetzungen der Cs LM 18 – 23 zeigten, werde bezogen auf
die gesamte Reibbelagmischung, zu der die Cs nur einen Teil beitrügen, der
patentgemäße Gewichtsanteil von 0,5 bis 10 Gew.-% nicht zwangsläufig erreicht.
Ersichtlich sei auf Seiten der Klägerin auch die Bedeutung der Mischung zur
Reduzierung der Rissanfälligkeit des Reibpartners (z.B. der Bremsscheibe) nicht
erkannt worden. Das Problem der Rissanfälligkeit ergebe sich nur bei Bremsen in
Lastkraftwagen. Die Klägerin sei hiermit nie konfrontiert gewesen und habe deshalb von
diesbezüglichen Problemen gar keine Kenntnis haben können. Soweit die Klägerin auf
die Zusammensetzung der Cs LM 18 bis 23 verweise, enthalte die verwendete Rezeptur
keine Aramidfasern. Auch wenn man die Richtigkeit der Angaben der Klägerin
unterstelle, entspreche die zusammengestellte Reibbelagmischung nicht dem
Gegenstand des Patentanspruches 1.
24
Die von ihr zum Patent angemeldete Erfindung nach dem Vindikationspatent stamme
von ihrem Angestellten Manfred L, der in der Abteilung "Lastkraftwagen und
Nutzfahrzeuge" tätig gewesen sei. Bei derartigen Fahrzeugen seien in den letzten
Jahren verstärkt Scheibenbremsen zum Einsatz gekommen. Aufgrund der hohen
Belastungen dieser Scheibenbremsen infolge der hohen Fahrzeuggewichte neigten
25
diese zu Oberflächenrissen. Herr L sei damit betraut gewesen, die Rissanfälligkeit der
Bremsscheiben zu untersuchen und nach Möglichkeiten zu suchen, diese
Rissanfälligkeit durch eine geeignete Reibbelagmischung zu reduzieren. Herr L habe
dabei als Ursache für die Rissanfälligkeit der Bremsscheiben feststellen können, dass
die herkömmlichen Metallsulfide, wie beispielsweise Antimontrisulfid und Bleisulfid,
keine ausreichende Temperaturfestigkeit aufwiesen und daher bei Temperaturen über
400° Celsius ihre Schmierfunktion nicht mehr hätten ausüben können. Bei seinen
Recherchen sei Herr L auf die Möglichkeit des Einsatzes von Zinnsulfid gestoßen,
welches eine höhere Temperaturfestigkeit aufweise. Da die Zinnsulfide nicht in
ausreichenden Mengen natürlich vorkämen, hätten große Schwierigkeiten bestanden,
überhaupt Zinnsulfide zu beschaffen. Nach intensiven Bemühungen Anfang 1993 habe
Herr L im April 1993 eine ausreichende Menge Zinnsulfid durch die Firma M erhalten.
Eine erste Reibbelagmischung sei dann Anfang Mai 1993 hergestellt worden. Die
Erfindung sei damit unabhängig von irgendwelchen Mitteilungen der Klägerin im
Zeitraum Dezember 1992 bis Juni 1993 an ihre Mitarbeiter I und Dr. G aus der Abteilung
"Pkw-Bremsbeläge" entstanden. Ein Informationsaustausch zwischen den
organisatorisch und personell voneinander getrennten Abteilungen "Pkw-Bremsbeläge"
und "Lkw-Bremsbeläge" über den Einsatz von Zinnsulfiden habe im Übrigen auch nicht
stattgefunden.
Bei den ihr – unaufgefordert – überlassenen Prüfkörpern LM 18 bis 20 habe es sich
nicht um Reibbelagmischungen, sondern nur um Versuchs-Schmierstoffproben
gehandelt. Über deren Zusammensetzung habe sie Anfang Mai 1993 keine Kenntnis
erhalten. Später seien nur Angaben über die Dichtewerte gemacht worden. In der
Besprechung am 23. Juni 1993 hätten die Vertreter der Klägerin zwar mitgeteilt, die Cs
enthielten Zinnsulfide, doch seien Angaben über den Gehalt an Zinnsulfiden und
sonstige Inhaltsstoffe nicht gemacht worden. Die Proben seien von ihr – der Beklagten –
auch nicht analysiert worden. Dass die Zusammensetzung der ihr unaufgefordert
überlassenen Versuchsschmierstoffproben vor der Besprechung vom 23. Juni 1993
hinterfragt worden sei, sei alleine darauf zurückzuführen, dass zu jedem Bestandteil
einer Reibbelagmischung ein Sicherheitsdatenblatt erstellt werden müsse, aus dem
mögliche Gefahren hervorgingen. Die von der Klägerin stammenden wenigen Angaben
über die Inhaltstoffe seien jedenfalls nicht an den Erfinder L weitergeleitet worden.
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Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Klägerin fehle es
an der Aktivlegitimation. Die Klägerin habe nicht schlüssig dargetan, dass sie
Rechtsnachfolgerin des angeblichen bei ihr angestellten Erfinders Dr. von J sei. Weder
sei vorgetragen worden, dass die behauptete Erfindung nach den Vorschriften des
Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen wirksam in Anspruch genommen worden sei
noch sei eine vertragliche Übertragung dargetan. Wegen der näheren Einzelheiten wird
auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.
27
Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin, die unter Wiederholung und
Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens vorträgt, der Erfinder Dr. von J habe ihr
mündlich alle Rechte an der Erfindung übertragen. Im Hinblick auf die vom Landgericht
geäußerten Zweifel sei die Übertragung unter dem 21. März (Anlage K 29 ) und dem 29.
Juli 2002 (Anlage BK 1) schriftlich bestätigt und vorsorglich wiederholt worden.
28
Zum Vindikationsanspruch trägt die Klägerin ergänzend vor, Dr. von J habe sich bereits
mit der spätestens Ende 1992/Anfang 1993 gewonnenen Erkenntnis, dass Zinnsulfide
ein geeigneter Ersatzrohstoff für Bleisulfide bzw. Antimontrisulfid seien, in
29
Erfindungsbesitz befunden. Die Lehre des Vindikationspatents erschöpfe sich in der
Verwendung von Zinnsulfid (Bl. 568 GA). Der gesamten Branche sei bereits im Jahre
1991 die Notwendigkeit bekannt gewesen, Antimontrisulfid wegen seiner Toxizität zu
ersetzen. Dr. von J habe unmittelbar nach Erhalt eines betriebsinternen Rundschreibens
vom 6. November 1992, welches die Aufforderung enthalten habe, nach einem Ersatz
für Bleisulfid zu suchen (Anlage BK 4), damit begonnen, Überlegungen anzustellen und
Untersuchungen durchzuführen, durch welchen Stoff Bleisulfid und auch Antmontrisulfid
ersetzt werden konnte. Wie seine handschriftlichen Notizen auf dem Rundschreiben
zeigten, sei Dr. von J schon bald auf den Gedanken gekommen, Zinnsulfide
einzusetzen. Ab Januar 1993 durchgeführte Praxisversuche mit Prüfkörpern (vgl. Anlage
K 6) , die von ihm selbst im Entwicklungslabor der A S.A. hergestellte Zinnsulfide
enthalten hätten (vgl. Anlage K 23), hätten die Geeignetheit von Zinnsulfiden als
Festschmiermittelbestandteil bestätigt. Die der Beklagten zur Verfügung gestellten Cs
LM 18, 19 und 20 hätten bereits Zinnsulfide enthalten, die im Rahmen der in Anspruch 1
genannten Gewichtsanteile gelegen hätten. Das sei im Übrigen nicht entscheidend, weil
alle Bereichsangaben sowie die sonstigen in Anspruch 1 genannten Bestandteile der
Reibbelagmischung dem Stand der Technik entstammten und vom Fachmann ohne
weiteres auffindbar gewesen seien (Bl. 444 ff., 562, 568 GA).
Den ihr von der Klägerin mitgeteilten Erfindungsgedanken, Zinnsulfide als Bestandteil
der Schmierstoffgruppe einzusetzen, habe die Beklagte zur Grundlage der Anmeldung
des Vindikationspatents gemacht. Alle übrigen Komponenten der Reibbelagmischung
und auch die Bereichsangaben habe die Beklagte der Literaturstelle "Die
Reibbelagrezeptur" aus "Bremsbeläge für Straßenfahrzeuge" (Anlage K 4) entnommen,
wie der Vergleich mit der Beschreibung der Vindikationspatentschrift zeige.
Insbesondere das Beispiel in Abschnitt 0022 der Beschreibung entspreche in allen
Einzelheiten dem "Beispiel einer Rezeptur für Scheibenbremsen" gem. Tabelle 2 der
vorgenannten Literaturstelle, wovon auch die Einspruchsabteilung in ihrem Beschluss
vom 17. Oktober 2003 ausgegangen sei (vgl. z.B. Bl. 448, 444 ff., 850, 972 GA). Es sei
davon auszugehen, dass die Ausarbeitung der Vindikationsanmeldung letztlich auf
Angaben der Mitarbeiter I und Dr. G beruhe, die aufgrund der Informationen der Klägerin
die Bedeutung von Zinnsulfiden in Reibbelagmischungen erkannt und dem auf der
Patentschrift angegebenen Erfinder L weitergegeben hätten. Im Übrigen habe die
Beklagte eine Inanspruchnahme der Erfindung gegenüber dem Mitarbeiter L weder
vorgetragen noch belegt (vgl. Bl. 826 GA). Auch dies müsse Zweifel an der
Erfindereigenschaft des Mitarbeiters L erwecken.
30
Die Klägerin beantragt ,
31
das Urteil der 4a. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf aufzuheben und die
Beklagte zu verurteilen, ihr den deutschen Anteil der Ansprüche 1 bis 8 des EP 0
654 xxx B 1 betreffend eine Reibbelagmischung für Brems- und Kupplungsbeläge
abzutreten und in die Umschreibung der Patentrolle einzuwilligen,
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hilfsweise beantragt sie,
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die Beklagte zu verurteilen, ihr Miteigentum an dem deutschen Anteil DE
59408032.0 des europäischen Patentes EP 0 654 xxx B 1 zur Hälfte einzuräumen
und in die Miteintragung der Klägerin in die Patentrolle einzuwilligen.
34
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
36
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.
37
Wegen der Einzelheiten des umfangreichen Parteivorbringens wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze und die überreichten Unterlagen verwiesen, soweit sie
Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
38
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen. Insoweit wird auf die
Beweisbeschlüsse vom 16. März 2005 (Bl. 578 GA), 6. April 2005 (Bl. 589 GA), 22. Juli
2005 (Bl. 619 GA) und vom 7. Dezember 2006 (Bl. 890 GA) verwiesen. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschriften vom 29. September 2005
(Bl. 634 ff. GA ) und vom 1. März 2007 (Bl. 977 ff. GA ) Bezug genommen.
39
II.
40
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
41
Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch nach Artikel II § 5 Abs. 1 Satz 2
IntPatÜG in Verbindung mit Art. 60 Abs. 1 EPÜ nicht zu, wonach der Berechtigte,
dessen Erfindung von einem Nichtberechtigten angemeldet worden ist, vom
Patentinhaber die Übertragung des Patents verlangen kann.
42
Zugunsten der Klägerin kann aufgrund der Vereinbarungen gemäß Anlagen K 29 und
BK 1 davon ausgegangen werden, dass sie als Rechtsnachfolger ihres Mitarbeiters Dr.
von J für den geltend gemachten Anspruch aktivlegitimiert ist. Die Beweisaufnahme hat
jedoch nicht ergeben, dass das Vindikationspatent im Verhältnis zur Klägerin von einem
Nichtberechtigten angemeldet worden ist.
43
Nichtberechtigter ist derjenige, der sich die schöpferische Leistung des Erfinders, d.h.
dessen konkrete Erfindung zunutze gemacht hat. Die angemeldete Lehre muss sich auf
diesen Erfinder zurückführen lassen. Ein Erfinder, dessen Leistungsergebnis nicht
ausgenutzt wird, hat keine Ansprüche gegen den Anmelder (vgl. Benkard/Melullis,
PatG., 10. Aufl., § 8 Rdn 10). Erfinder der Lehre ist nach der Behauptung der Klägerin
deren Mitarbeiter Dr. von J, welcher ihr seine Rechte an der Erfindung übertragen habe.
Unabhängiger dritter Erfinder ist nach dem Vorbringen der Beklagte deren Mitarbeiter L.
Dessen Erfindung hat die Beklagte, wie sich der Erfinderbenennung auf dem Deckblatt
der Vindikationspatentschrift entnehmen lässt, zum Patent angemeldet. Die Klägerin hat
mit ihrer Klage schon deshalb keinen Erfolg, weil sie den ihr obliegenden Beweis (vgl.
hierzu BGH, GRUR 1979, 145, 147 – Aufwärmvorrichtung; BGH, GRUR 2001, 823, 825
– Schleppfahrzeug; Benkard/Melullis aaO. Rdn 16 a) nicht geführt hat, dass von ihr bzw.
ihrem Rechtsvorgänger Dr. von J stammende Informationen und Kenntnisse den
Mitarbeiter L der Beklagten, von dem diese ihre Rechte ableitet, erreicht haben und
dieser erst danach die erfindungsgemäße Lehre, die Gegenstand der Anmeldung ist,
fertig gestellt hat.
44
1.
45
Das Vindikationspatent betrifft
46
1. eine organisch gebundene Reibbelagmischung für mit einem Reibpartner aus
Stahl zusammenwirkende Brems- und Kupplungsbeläge bestehend aus
47
a. Aramidfasern,
b. organischen und/oder anorganischen Füllstoffen,
c. Schmierstoffen,
d. organischen Bindemitteln, und/oder
e. Metallen oder Metallverbindungen.
48
49
50
Übliche Reibbelagrezepturen haben, wie es in der Vindikationspatentschrift einleitend
heißt, folgenden schematischen Aufbau:
51
Metalle (als Faser oder Pulver),
Füllstoffe (inkl. eventueller anorganischer Fasern),
Gleitmittel (Festschmierstoffe),
organische Bestandteile (Harze, Kautschuke, organische Fasern, organische
Füllstoffe).
52
53
Je nach Anforderungsprofil bzw. Einsatzbereich sind die vorgenannten Rohstoffgruppen
unterschiedlich portioniert. Wie in der Beschreibung der Vindikationspatentschrift
dargestellt wird, seien wesentliche Ziele der Reibmaterialentwicklung die Optimierung
des Reibwertes in Verbindung mit dem Reibpartner (d.h. der Bremstrommel oder der
Bremsscheibe) des Reibbelages, die Verringerung des Verschleißes der Reibpartner
und die Optimierung des thermischen Verhaltens der Reibpartner. Die bei der Reibung
zwischen den Reibpartnern verrichtete Arbeit werde im Wesentlichen in Wärme
umgewandelt. Bei sehr hohen Belastungen entständen Spitzentemperaturen, die
durchaus den Schmelzpunkt des reibenden Materials in sogenannten
Mikrokontaktbereichen erreichten. Diese örtlichen Übertemperaturen könnten den
Reibpartner des Reibbelages, z.B. eine Bremsscheibe, örtlich sehr unterschiedlich
belasten (vgl. Sp. 1, Z. 18 – 32).
54
Zur Optimierung der Verschleißschutzeigenschaften sei es im Stand der Technik – die
Vindikationspatentschrift nennt hier die DE 40 18 671 und die DE 40 24 547 – bekannt,
als Festschierstoff Metallsulfide, insbesondere Antimontrisulfid, Molybdänsulfid, in
Verbindung mit pulverförmigem oder körnigem Graphit zu verwenden. Diese
Festschmierstoffe hätten sich in Verbindung mit anorganischen Füllstoffen zur
55
Verbesserung der Verschleißschutzeigenschaften an sich bewährt. Da die
entstehenden Schmierfilme bei Temperaturen über 400 °C auf der Bremsscheibe
zerstört würden, könnten gleichwohl bei hohen und ungleichmäßigen
Temperaturbelastungen, abgesehen von dem erhöhten Verschleiß, Oberflächenrisse an
der Oberfläche des Reibungspartners des Reibbelages entstehen (vgl. Sp. 2, Z. 22 –
35).
Als Aufgabe der Erfindung wird daher angegeben, eine Reibelagmischung
bereitzustellen, die bei hohen Spitzentemperaturbelastungen eine verringerte
Oberflächenrissanfälligkeit des Reibpartners zur Folge hat (Sp.2, Z.42 – 45).
56
Zur Lösung dieser Aufgabe dienen neben dem bereits oben dargestellten Merkmal (1.)
nebst Untermerkmalen des Anspruchs 1 folgende weitere Merkmale:
57
(2.) Die Reibbelagmischung enthält zur Reduzierung der Rissanfälligkeit des
Reibpartners Zinnsulfide (SnS, SnS2).
58
(3.) Die Zinnsulfide sind in der Mischung mit einem Gewichtsanteil von 0,5
bis 10 Gew.-%, vorzugsweise 2 bis 8 Gew.-% enthalten.
59
Zu den Vorteilen der patentgemäßen Lösung wird in Sp. 2, Z. 48 – Sp. 3, Z. 3
ausgeführt, die Verwendung von Zinnsulfiden, nämlich Zinnsulfid oder Zinndisulfid, als
festes Schmiermittel führe neben einer bemerkenswerten Verbesserung des
Verschleißes der Reibpartner gegenüber anderen bekannten Festschmiermitteln
überraschenderweise zu einem erheblichen Rückgang der Rissanfälligkeit des
reibungstechnischen Gegenstücks zum Reibbelag. Ein weiterer, aber nicht
unwesentlicher Vorteil bestehe darin, dass Zinnsulfide anstelle von potentiell
gesundheitsgefährdenden Metallsulfiden, z.B. Antimontrisulfid oder Bleisulfid,
verwendet werden könnten, so dass bei Verarbeitung und Herstellung von Reibbelägen
die gesundheitlichen Gefährdungen des Produktionspersonals reduziert werden
könnten.
60
Kern der erfindungsgemäßen Lehre ist danach der Einsatz von Zinnsulfiden in einer
herkömmlichen und in Fachkreisen geläufigen Reibbelagmischung, wie sie beispielhaft
in der Literaturstelle gemäß Anlage K 4 beschrieben wird. Dies entspricht auch der
Auffassung der sachkundigen Einspruchsabteilung (Anlage BK 15) und wird
insbesondere von der Klägerin für richtig gehalten.
61
2.
62
Nach Auffassung der Klägerin offenbaren jedenfalls die Cs LM 18 – 23 mit ihrer sich aus
den Laborbüchern ergebenden Zusammensetzung ( Anlagen K 11, K 15) die fertige
Erfindung (vgl. Bl. 366 GA), also eine Lehre, die den Fachmann zur erfolgreichen
Ausführung befähigt (BGH, GRUR 1971, 210, 212 – Wildverbißverhinderung) und die
mit der Lehre des Vindikationspatents wesensgleich ist. Das trifft jedenfalls im Hinblick
auf die in der Merkmalsgruppe (1.) genannten Rohstoffgruppen zu, denn die
unterschiedliche Portionierung verschiedener Rohstoffe in den Cs LM 18 – 23 beruht
ersichtlich auf einer relativen Beliebigkeit der Zusammensetzung üblicher
Reibbelagmischungen, wie sie auch in den breiten Bereichsangaben der
Unteransprüche ihren Niederschlag gefunden hat. Richtig ist zwar, dass die Cs keine
Aramidfasern enthalten. Dies ist deshalb unschädlich, weil es nicht auf eine vollständige
63
Übereinstimmung ankommt, sondern darauf, dass sie in den wesentlichen Elementen
besteht. Beliebige dem Fachmann ohne weiteres nahe liegende "handwerkliche
Zutaten" sind ohne Relevanz (vgl. Benkard/Melullis aaO. § 8 Rdn. 8 m.w.N.).
Aramidfasern – d.h. aus Terephthal- und Isophthalsäure sowie Phenylendiaminen
hergestellte aromatische Polyamidfasern – gehören zur Gruppe organischer Fasern und
haben festigkeitserhöhende Eigenschaften, so dass es für den Fachmann ohne weiters
nahe liegt, sie Reibbelagsmischungen beizufügen, und zwar – wie im Rezepturbeispiel
der Literaturstelle Anlage K 4 angeregt wird – mit dem etwa in Unteranspruch 8
vorgeschlagenen Gewichtsanteil (vgl. auch DE 40 24 547, S. 6, Beispiele 6, 8 und 9 mit
8 bzw. 5 u. 6 Gew.-% Aramidfasern).
Der Senat geht ferner davon aus, dass der erfindungsgemäße Gedanke, in
herkömmlichen Reibbelagmischungen Zinnsulfide einzusetzen, den Fachmann
zwangsläufig dazu führt, sowohl Zinnmonosulfid als auch Zinndisulfid zu verwenden,
wie dies gemäß Merkmal (2.) vorgesehen ist. Die Parteien sind sich ersichtlich darin
einig, dass Zinnsulfide regelmäßig in beiden Verbindungsformen vorliegen und
ähnliche Eigenschaften aufweisen (vgl. Bl. 439 GA und Bl. 512 – 514 GA). Auch
Anspruch 1 des Vindikationspatents differenziert nicht zwischen den beiden Formen,
sondern behandelt sie als gleichermaßen geeignet (vgl. Sp. 2, Z. 49: "Zinnsulfid
oder
Zinndisulfid"). Ob es neben Zinnmono- und Zinndisulfid noch weitere Zinn-
Schwefelverbindungen wie Zinntrisulfid (SnS3) gibt, worauf z. B. der Inhalt der auf Dr.
von J zurückgehenden PCT-Anmeldung WO 00/52116 (Anlage B 21) hindeutet oder ob
es sich, wie die Klägerin vorträgt (Bl. 439 GA), bei SnS3 um eine Mischform bestehend
aus SnS und SnS2 handelt, kann dahinstehen, weil Anspruch 1 zusätzliches
Zinntrisulfid nicht ausschließt (vgl. den Hinweisbeschluss des Senats vom 15. Januar
2004 zu I., 2., a). Schließlich ist der Klägerin auch darin zuzustimmen, dass die
Bereichsangabe des Merkmals (3.) kein die Wesensgleichheit tangierender Parameter
ist. Zu Recht weist die Klägerin darauf hin, dass für den Fachmann die
Bereichsangaben von Anspruch 1 und der Unteransprüche für Metallsulfid und damit
speziell für Zinnsulfide ebenfalls durch das Rezepturbeispiel der Literaturstelle Anlage
K 4 unmittelbar nahe gelegt werden und dass es bei einem Austausch von
Antimontrisulfid gegen das erfindungsgemäße Zinnsulfid eigentlich selbstverständliche
Zutat ist, in Orientierung an dem in Anlage K 4 für Antimontrisulfid vorgesehenen Anteil
von 6,00 Gew.-% auch für das Zinnsulfid eine den Wert von 6 Gew.-% einschließende
unkritische Bereichsspanne anzugeben (vgl. Bl. 445 – 449 GA). Soweit dem
Hinweisbeschluss des Senats vom 15. Januar 2004 eine abweichende Ansicht zu
entnehmen sein sollte, wird hieran nicht festgehalten. Aufgrund des Inhalts der von der
Klägerin vorgelegten Untersuchungsberichte und Laborbuchauszüge, deren inhaltliche
Richtigkeit vom Zeugen Dr. von J glaubhaft bestätigt worden ist (Bl. 1003 ff, 1005, 1010
ff GA), kann davon ausgegangen werden, dass Dr. von J jedenfalls im Mai 1993 im
Besitz der fertigen Erfindung war, weil er erkannt hatte, dass sich Zinnsulfid als
Bestandteil gebräuchlicher Reibbelagmischungen eignete und in Bezug auf
Verschleißschutzeigenschaften jedenfalls nicht weniger effektiv war als Bleisulfid oder
Antimontrisulfid.
64
3.
65
Der Klägerin ist jedoch nicht der ihr obliegende Beweis gelungen, dass das
Vindikationspatent ursächlich auf die Erfindung des Zeugen Dr. von J zurückgeht.
Vielmehr ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass der
Mitarbeiter L, von dem die Beklagte ihre Patentrechte ableitet, zu der Erfindung, die
66
Gegenstand des Vindikationspatents ist, ohne Kenntnis der Überlegungen des Zeugen
Dr. von J und unabhängig davon gefunden hat.
a)
67
Da eine juristische Person nicht als Erfinder in Betracht kommt, vielmehr nur eine
natürliche Person erfinderisch tätig sein kann (vgl. z.B. Benkard/Melullis, EPÜ, 2002, Art
60 Rdn. 11), ist nicht darauf abzustellen, ob irgend jemand im Betrieb der Beklagten
Kenntnis vom Erfindungsgedanken des Dr. von J erlangt hat, denn diese sind nicht
"Wissensvertreter" desjenigen, der als natürliche Person eine Erfindung angemeldet
oder seinem Arbeitgeber seine Erfindung zur Anmeldung zur Verfügung gestellt hat.
Entscheidend ist alleine, ob gerade der von der Beklagten als Erfinder benannte
Mitarbeiter L vom Erfindungsgedanken des Dr. von J erfahren und in dessen Kenntnis
den Gegenstand des Vindikationspatents aufgefunden hat.
68
Zwar hat die Klägerin zu Recht darauf hingewiesen (Bl. 826 GA), dass die Beklagte
bisher weder eine wirksame Inanspruchnahme der Erfindung gegenüber ihrem
Arbeitnehmer noch eine rechtsgeschäftliche Übertragung schlüssig dargelegt hat (vgl.
Bl. 76 GA). Dies hätte zur Folge, dass alle Rechte auf das Vindikationspatent dem
Erfinder L zuständen (vgl. BGH, GRUR 2006, 754, 758 ff. – Haftetikett). Jedoch ist die
Beklagte aufgrund der Legitimationswirkung der Registereintragung gemäß Art 74 EPÜ
i.V.m. § 30 Abs. 3 Satz 2 PatG 1981 für die Vindikationsklage passiv legitimiert (vgl.
Schulte, PatG, 7. Aufl. § 30, Rdn 5, 21 m.w.N.). Mit ihrem Hinweis will die Klägerin
allerdings ersichtlich die Passivlegitimation der Beklagten nicht bestreiten und erst recht
nicht – was unzulässig wäre - Rechte eines Dritten (L) geltend machen. Vielmehr will sie
offenbar geltend machen, die Beklagte sei mangels Einleitung geeigneter Schritte zur
Herbeiführung eines Rechtsübergangs selbst nicht von einer Erfindereigenschaft ihres
Mitarbeiters L überzeugt. Dieser Schluss lässt sich jedoch nicht ziehen und ist auch
durch die Beweisaufnahme widerlegt.
69
Das Ergebnis der Beweisaufnahme kann keinen ernsthaften Zweifel rechtfertigen, dass
als Erfinder im Betrieb der Beklagten allein deren Mitarbeiter L in Betracht kommt und
deshalb zu Recht als solcher auf dem Deckblatt der Vindikationspatentschrift genannt
wird. Der Senat ist auch davon überzeugt, dass L zu der Erfindung gelangt ist ohne aus
fremden Quellen geschöpft zu haben. Bei seiner Vernehmung als Zeuge hat der
Chemieingenieur L die Behauptung der Beklagten bestätigt, unabhängig von Dr. von J
das Zinnsulfid als Austauschstoff für Antimontrisulfid aufgefunden zu haben.
70
Der Zeuge schildert, aufgrund welcher Umstände er sich mit der Suche nach einem
Austauschstoff beschäftigt hat. Dabei ist unstreitig, dass schon vor 1993 der Verdacht
bestand, Antimontrisulfid sei (insbesondere nach Umwandlung zu Antimonoxid)
krebserregend. Dies war, wie die Parteien übereinstimmend vortragen (vgl. Bl. 510; Bl.
556 GA), in der Branche allgemein bekannt (vgl. auch Aussage I Bl. 991, 992, 993 GA).
Daher wurde in der Branche nach einem Ersatzstoff gesucht. Das ist eine Erklärung
dafür, dass auch der Zeuge L als Rezepturenentwickler im Forschungs- und
Entwicklungsbereich der Beklagten "Lkw Scheibe" mit diesem Thema beschäftigt war,
wie auch die Zeugin Kurreck bekundet hat (vgl. Bl. 650 ff GA). Im Einzelnen hat der
Zeuge L dargelegt (vgl. Bl. 634 R ff GA), dass er den Auftrag erhalten habe, ein
spezielles technisches Problem im Bereich der damals neu– bzw. weiterentwickelten
Scheibenbremsen für Lkw zu lösen. Es sei das Problem aufgetreten, dass bei Einsatz
der herkömmlichen Reibbeläge eine Rissbildung in den Bremsscheiben aufgrund der
71
beim Bremsvorgang auftretenden hohen Temperaturen (600° Celsius) zu beobachten
gewesen sei. Auch deswegen sei nach neuen Rezepturen geforscht worden. Konkreter
Anlass für ihn sei ein Auftrag der Firma Knorr (Bremsenhersteller) an die Beklagte im
Jahr 1992 gewesen. Jene sei die Systementwicklerin für ein Bremssystem eines neuen
Mercedes Nutzfahrzeuges (Aktros) gewesen und habe die Beklagte mit der Entwicklung
der entsprechenden Bremsbeläge beauftragt. Nachvollziehbar hat der Zeuge sodann
ausgeführt, dass ihm im Rahmen der Suche nach einem Ersatzstoff der Gedanke des
Einsatzes von Zinn beim Betrachten des Periodensystems (Anlage B 25) gekommen
sei, weil dieses Element in der Nachbarschaft des Antimon angesiedelt sei, so dass
vergleichbare Eigenschaften zu erwarten gewesen seien (Bl. 634 R, 641 GA). Daraufhin
habe er aus den allgemein zugänglichen Quellen Informationen über die Eigenschaft
von Zinn bzw. Zinnsulfid zusammengetragen (Bl. 636 R GA; Vgl. Anlagen B 26 ff). Im
Hinblick auf die bei Lkw-Scheibenbremsen aufgetretenen Probleme und im Hiblick auf
die bekannte Giftigkeit von Bleisulfid und Antimontrisulfid sei ihm der Einsatz von
Zinnsulfid aufgrund seiner Plättchenstruktur und des bei über 800° Celsius liegenden
Schmelzpunktes Erfolg versprechend erschienen.
Die Aussage des Zeugen L ist in sich folgerichtig und plausibel. Seine Angaben
darüber, was ihn veranlasst habe, sich mit der Suche nach einem Austauschstoff zu
beschäftigen, sind gut nachvollziehbar und durch weitere Anhaltspunkte belegt. Auch
der Diplom-Chemiker Dr. P hat bei seiner Zeugenaussage bestätigt, er habe als
damaliger Chef des Zeugen L diesen mit der Suche nach einem Austauschstoff für
Antimonsulfid beauftragt, weil bekannt gewesen sei, dass sich Antmontrisulfid beim
Bremsvorgang in krebserregendes Antimontrioxid umwandeln könne (Bl. 656 GA). Er
hat insbesondere auch die Aussage des Zeugen L (vgl. Bl. 637, 638, 642 R, 645, 647
GA), er sei ohne Anregung von dritter Seite - und zwar weder unmittelbar durch
Hinweise von Mitarbeitern der Klägerin noch mittelbar durch Informationen von
Mitarbeitern der Beklagten oder durch Analysen der von der Klägerin stammenden Cs -
selbständig auf den Gedanken gekommen, Zinnsulfide in Reibbelagmischungen
einzusetzen, bestätigt. So hat er die Frage, ob er – Dr. P – von irgendeiner dritten Seite
über Zinnsulfide als Bestandteil von Reibbelagmischungen unterrichtet worden sei,
bevor der Zeuge L davon berichtet habe, definitiv verneint. Es gibt keinen verwertbaren
Anhaltspunkt, eine solche Information könne an Dr. P vorbeigelaufen sein, denn er hat
die Entwicklungstätigkeit des Zeugen L nach seiner Aussage als Chef und Chemiker
begleitet (Bl. 656 GA).
72
Zwar verkennt der Senat nicht, dass insbesondere die damaligen und heutigen
Mitarbeiter der Beklagten geneigt sein könnten, für diese günstig auszusagen. Dies gilt
jedoch nicht für Dr. P, zumal ihm der Ärger über die im Oktober 1993 erfolgte
Behandlung durch die Beklagte, nämlich seine plötzliche unmittelbare Entlassung und
die – nach seiner Auffassung wohl unberechtigte - Nichtberücksichtigung seines
Beitrages beim Zustandekommen der Erfindung, deutlich anzumerken ist (Bl. 656, 659
GA), so dass insbesondere seiner Aussage keine Begünstigungstendenz zu Gunsten
der Beklagten unterstellt werden kann.
73
Dass der Zeuge L auf diese Weise selbständig und unabhängig von Beiträgen Dritter
bereits Anfang 1993 zu dem für die Erfindung entscheidenden und zentralen Gedanken
gelangt ist, Zinnsulfid als Bestandteil von herkömmlichen Reibbelagmischungen zu
verwenden, erscheint nach allem nachvollziehbar und plausibel. Im Hinblick auf den in
der gesamten Branche allgemein bekannten Umstand, dass die gängigen Metallsulfide,
nämlich Bleisulfid und Antimontrisulfid wegen ihrer Toxizität und ihres
74
gesundheitsgefährdenden Potentials in Verruf geraten waren, ergaben sich
Überlegungen der auf diesem Gebiet tätigen Entwicklungsfachleute bezüglich
geeigneter Ersatzstoffe zwangsläufig. Hinzukam für den Zeugen L die aufgrund von
Prüfstandsversuchen (vgl. Anlage B 23) aufgezeigte Ungeeignetheit herkömmlicher
Metallsulfide beim Einsatz in Reibbelägen für Lkw-Scheibenbremsen (vgl. Bl. 634 R,
636 GA). Als Ersatz für Blei- und Antimontrisulfid boten sich - insbesondere aus
Kostengründen und aufgrund von physikalischen und chemischen Eigenschaften – nur
wenige andere Metallsulfide an, wie auch der Zeuge L u.a. unter Hinweis auf das
Periodensystem der Elemente – vgl. Anlage B 25 – überzeugend dargelegt hat (Bl. 636,
636 R GA). Etwas Gegenteiliges ist auch dem Vortrag der Klägerin nicht zu entnehmen.
Dass ein auf dem Gebiet der Reibbelagentwicklung tätiger Fachmann bei seiner Suche
nach geeigneten Ersatzstoffen auf Zinnsulfid stieß, lag Ende 1992/Anfang 1993 daher
gleichsam "in der Luft". Ebenso war es nach Gewinnung einer solchen Erkenntnis,
wovon auch die Klägerin ausgeht, eine für Fachleute selbstverständliche Überlegung,
Zinnsulfid in einer herkömmlichen Reibbelagmischung mit der üblichen Spanne von
Gewichtsanteilen einzelner Komponenten einzusetzen.
Allein aufgrund der Überlegung, dass Zinnsulfid aller Voraussicht nach ein geeigneter
Bestandteil in einer herkömmlichen Reibbelagmischung mit hohen
Verschleißschutzeigenschaften sein und auch das gerade bei Lkw-Scheibenbremsen
aufgetretene Problem der Rissbildung im Reibbelagpartner (d.h. der Bremsscheibe)
lösen würde, war zwar die Erfindung noch nicht fertig, denn es bedurfte zunächst noch
der Durchführung von Versuchen, die dem Erfinder erst Klarheit verschaffen konnten, ob
der eingeschlagene Weg tatsächlich zu dem beabsichtigten technischen Erfolg führte
(vgl. BGH, GRUR 1971, 210, 212 re. Sp. – Wildverbißverhinderung), wie auch der
Zeuge L mit den Worten umschrieben hat, die von ihm gesammelten Informationen
hätten "eigentlich alle darauf hingedeutet, dass es sehr wohl lohnenswert sei, das
Ganze zu erproben" (Bl. 636 R GA). Die von L gewonnene Erkenntnis, dass Zinnsulfid
die gewünschten Eigenschaften besitzt, war jedoch ausschlaggebend dafür, dass bei
der Beklagten von L veranlasste Versuche in der Folgezeit durchgeführt wurden. Nicht
etwa sind die Versuche, wie noch auszuführen sein wird, erst durch Erkenntnisse aus
dem Bereich der Klägerin angeregt worden.
75
b)
76
Auch im Hinblick auf den weiteren Geschehensablauf erscheint es plausibel, dass L
schon Anfang 1993 der Überzeugung war, Zinnsulfid sei ein geeigneter Rohstoff, denn
er hat sich ohne Verzug und aus eigenem Antrieb bemüht, die Richtigkeit seiner
Überlegungen durch praktische Versuche zu bestätigen. So hat er, wie er
nachvollziehbar dargelegt hat, zunächst im Februar 1993 versucht, mit Labormitteln
Zinnsulfid selbst herzustellen, was misslungen sei (Bl. 643 R GA). Danach sei er auf die
Suche nach einem Rohstofflieferanten für Zinnsulfid gegangen, was sich als schwierig
erwiesen habe (Bl. 634 R, 635 GA). Dies ist nachvollziehbar, zumal auch der
Geschäftsführer H bei seiner informatorischen Anhörung von erheblichen
Schwierigkeiten berichtet hat, Zinnsulfid am Markt zu beschaffen (Bl. 1000 GA). Im
Einzelnen hat der Zeuge L bekundet, auf einen Hinweis der Laborleiterin Q habe er
versucht, bei der Firma R Zinnsulfid zu bekommen (Bl. 638, 642 f GA), was auch
gelungen sei. Nach Erhalt des Zinnsulfids Anfang Mai 1993 habe er dieses als Rohstoff
in die firmeneigene Datenbank eingestellt und eine Rezeptur geschrieben auf der Basis
der für Reibbeläge üblichen Mischungen (Bl. 642 f, 649 R G). 6 bis 8 Wochen später,
d.h. Ende Juni/Anfang Juli 1993 seien die ersten Beläge produziert worden, und einige
77
Wochen später seien die ersten Prüfstandsversuche durchgeführt worden (Bl. 635 GA).
Schon nach dem Schreiben der ersten Rezeptur habe er sich an seinen für das
Patentwesen zuständigen Kollegen Eggers gewandt, um überprüfen zu lassen, ob eine
Anmeldung erfolgen könne. Das Patent sei Anfang August ausgearbeitet und
eingereicht worden.
Der Beweiswert der Aussage des Zeugen L erfährt auch nicht deswegen eine
Einschränkung, weil seine Aussage darüber, ab wann ihm der Rohstoff Zinnsulfid zur
Verfügung stand und er infolgedessen beginnen konnte, Rezepturen zu schreiben,
Reibmischungen herstellen und diese testen zu lassen, wie die Klägerin meint,
unstimmig sei. Die in Augenscheinnahme vom Original des Lieferscheins über eine
erste Zinnsulfid-Lieferung (Anlage B 12) weist neben dem Eingangsstempel "06.VI.93"
eindeutig im unteren Teil einen Stempel der zentralen Warenannahme vom 6. Mai 1993
auf. Als Versandtag ist im Lieferschein der 27.04.1993 genannt. Dieser Zeitpunkt steht in
Übereinstimmung mit der Aussage des Zeugen L und den in den Versuchsprotokollen
(Anlage B 30 ff.) genannten Ausstellungsdaten für eine von ihm entwickelte erste
Rezeptur auf der Basis von Zinnsulfid. Die Anlage B 30 enthält als Tag der Ausstellung
der Rezeptur den 07.05.1993 und nennt als Grund für die Rezeptierung "Scheibenrisse"
und als theoretische Problemlösung "Einsatz von Zinnsulfid". Die Anlage B 32 enthält
als Tag der Ausstellung der Rezeptur den 10.05.1993 und nennt als Grund für die
Rezeptierung "Antimon- und Blei-freie Schmierstofferprobung" und als theoretische
Problemlösung "Einsatz von Zinnsulfid". Nach der Aussage des Zeugen Dr. G vergibt
die Entwicklungsdatenbank das Datum der ersten Ausstellung der neuen Rezeptur
automatisch. Im vorliegenden Fall bezogen auf das Versuchsprotokoll B 32 ist das der
10.05.1993 (Bl. 1029 GA). Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die
Forschungsunterlagen systematisch verfälscht haben könnte, wie die Klägerin mutmaßt,
sind für den Senat nicht ersichtlich. Die entsprechenden Bedenken der Klägerin, die
insbesondere darauf abstellt, dass der in den Versuchsprotokollen genannte Stoff
"Frenostannid" zu den in den Versuchsprotokollen genannten Daten noch nicht existiert
haben soll und dies daher ein Beleg dafür sei, dass die entsprechenden Versuche erst
später gemacht worden seien, greifen nicht durch. Bei Einsatz einer computergestützten
Datenbank, in der – wie bei der Beklagten jedenfalls zur damaligen Zeit - Daten ständig
überschrieben und ergänzt werden, lässt sich eine eindeutige zeitliche Zuordnung
bestimmter Einträge nicht herstellen (vgl. dazu Zeuge L Bl. 648 GA). Insbesondere der
Zeuge Dr. G (Bl. 1026 ff GA) hat nachvollziehbar bekundet, auf welche Art und Weise im
Unternehmen der Beklagten Versuche durchgeführt und protokolliert worden sind. Der
Entwickler, der einen Bremsbelag nach einer neuen Rezeptur hergestellt bekommen
wollte, konnte einen Auftrag an die Produktion nur stellen, wenn die von ihm
gewünschten Rohstoffe vom Labor mit einer unter Umständen vorläufigen
Rohstoffnummer (vgl. Bl. 1031 GA) versehen worden waren, was voraussetzte, dass der
Rohstoff in die Datenbank "eingepflegt" worden war.
78
Auch aus der Tatsache, dass sich L nicht an die Klägerin wandte, um an den für ihn
zunächst schwer erreichbaren Rohstoff Zinnsulfid zu gelangen, können keine negativen
Rückschlüsse für die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen gezogen werden. Die
Klägerin gehörte nicht zu den Rohstoff-Lieferanten der Beklagten, sondern war
Anbieterin für eigene Produkte, die sog. Cs, die fertige Mischungen an Substanzen
enthielten und als fertige Komponenten Bestandteile der Reibbelagmischungen der
Beklagten sein konnten.
79
Des Weiteren ergibt sich auch keine - von der Klägerin angenommene - Unstimmigkeit
80
der Aussage des Zeugen L über die erhaltene Menge von Zinnsulfid, nämlich aus der
Lieferung der Firma R vom 18. Mai 1993 über 3 kg und aus der Lieferung der Firma
Starck vom 6. August 1993 über 0,5 kg und der für die damit angesetzten
Versuchsreihen benötigten Mengen. Der Zeuge L hat nachvollziehbar bekundet, dass
sich aus den gelieferten Mengen in ausreichender Anzahl Nutzfahrzeugbeläge für
Versuchszwecke herstellen ließen (Bl. 642, 642 R GA).
Des weiteren gibt es auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Zeuge L aufgrund einer
Analyse der Inhaltsstoffe der von der Klägerin zur Verfügung gestellten Cs auf Zinnsulfid
als Austauschstoff für Antimontrisulfid gekommen ist oder hätte kommen können. Hierzu
hat die Beklagte nachvollziehbar dargelegt, dass sie die ihr überlassenen Prüfkörper
nicht im Detail analysiert hat, sondern dass die Prüfkörper als solche in ihre
Rohstoffdatenbank "eingepflegt" worden sind. Dort waren sie für die Entwickler
verfügbar, ohne dass Details über die Zusammensetzung ausgewiesen worden waren.
Die Zeugen L und Dr. G haben bestätigt, dass die genaue Art der Zusammensetzung
der C’s aus der Datenbank nicht hervorgegangen ist (Bl. 645; 1033 ff. GA). Aus Anlagen
B 41 und B 42 ergibt sich, dass die überlassenen Prüfkörper bei der Beklagten durch die
Pkw-Abteilung auf ihre Eignung als Bestandteil einer Reibbelagmischung getestet
wurden; die Versuchsergebnisse der Prüfkörper LM 18 bis LM 23 sind in der für den
Geschäftsführer der Klägerin H im Oktober 1993 erstellten Auswertung B 43 (vgl.
Aussage Dr. G Bl. 1040 GA) festgehalten und geben in Form einer Kurve nur die
Reibwerte von Bremsbelägen wieder, die aus den Cs gefertigt worden waren (vgl. auch
Bl. 939, 940 GA).
81
c)
82
Aufgrund der Anhörung des Geschäftsführers H und der Aussagen der Zeugen Dr. von
J, I und Dr. G geht der Senat zwar davon aus, dass Informationen über den von der
Klägerin beabsichtigten und später auch durchgeführten Einsatz von Zinnsulfiden an
Mitarbeiter der Beklagten gegangen sind. Allerdings kommt es, wie schon oben
ausgeführt worden ist, nicht darauf an, welche Kenntnisse den Angestellten der
Beklagten, namentlich den Zeugen I und Dr. G vermittelt worden sind. Es kommt allein
darauf an, ob der Erfinder L, von dem die Beklagte ihr Recht ableitet, Kenntnis von
Mitteilungen Dr. von Js erhalten und/oder ob er Kenntnis von den Inhaltsstoffen der
überlassenen Prüfkörper, beispielsweise durch Analyse etc., erhalten hat. Dies lässt
sich jedoch nicht feststellen.
83
aa)
84
Es mag zwar davon auszugehen sein, dass der Geschäftsführer H gegenüber dem
damaligen Leiter der Produktentwicklung von Reibstoffen für Pkw-Anwendungen, dem
Dipl.-Ing. I, bei einem Besuch im Dezember 1992 geäußert hat, die Klägerin habe
Zinnsulfid als Ersatzrohstoff für Antimontrisulfid und/oder Bleisulfid gefunden (vgl. die
informatorische Anhörung Hs Bl. 999, 1000 GA), zumal auch der Zeuge I nicht
ausschließt, dass eine derartige Bemerkung gefallen sein könnte (Bl. 983 GA). Da es
zwischen den Parteien aber eine Vielzahl von Gesprächs- und Projektthemen gab,
insbesondere auch über die Bemusterung mit unterschiedlich zusammengesetzten Cs
oder Compounds gesprochen wurde, wie der Zeuge I bekundet hat (Bl. 981, 990 ff GA),
ist es durchaus möglich und sogar wahrscheinlich, dass I der Bemerkung Hs nicht die
Bedeutung beigemessen hat, die ihr vielleicht rückblickend in Kenntnis der späteren
Entwicklung und der Erfindung zukommen kann. Offenbar ist auch nicht über
85
Einzelheiten gesprochen worden; der Zeuge I meint, "explizit" sei über Zinnsulfid als
Ersatz nicht gesprochen worden (Bl. 993 GA), und auch H hat angegeben, das Wort
"Zinnsulfid" sei – ohne dass Details genannt worden seien – im Zusammenhang mit der
Bemerkung gefallen, es gebe interessante Erkenntnisse, und er – H – glaube, die
Klägerin habe "was gefunden" (Bl. 999 GA). Unter diesen Umständen erscheint es
plausibel, dass der Zeuge I den Inhalt des Gesprächs mit dem Geschäftsführer H, vor
allem aber eine ihm ersichtlich nur als beiläufig erschienene Bemerkung über
Zinnsulfide nicht im Hause der Beklagten weitergegeben hat und vor allem nicht mit
dem Zeugen L, der seiner Abteilung nicht angehörte (Bl. 979 GA), hierüber gesprochen
hat. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass – wie die als Zeugen
vernommenen Mitarbeiter der Beklagten durchweg bekundet haben – die Pkw- und die
Lkw-Abteilung organisatorisch und personell voneinander getrennt waren und dass ein
regelmäßiger und systematischer Informationsaustausch zwischen den Angehörigen
dieser Abteilungen nicht üblich war.
Der nachfolgende Schriftverkehr zwischen den Parteien (vgl. Schreiben vom 13. Januar
1993 – Anlage K 25; Schreiben vom 1. Februar 1993 – Anlage BK 18; Schreiben vom
25. März 1993 – Anlage BK 7) konnte der Beklagten keine weiteren Erkenntnisse über
die Absicht der Klägerin verschaffen, Zinnsulfide in Reibbelagmischungen einzusetzen,
denn die Bezeichnung des in Aussicht genommenen Ersatz-Rohstoffs wird nirgends
erwähnt. Unabhängig davon, dass nichts dafür ersichtlich ist, der Zeuge L habe
Kenntnis vom Inhalt dieses Schriftverkehrs genommen oder auch nur habe nehmen
können, hat die Klägerin nach allem nicht den Beweis führen können, dass der
erfinderische Gedanke Ls, Zinnsulfide in herkömmlichen Reibbelagmischungen zu
verwenden, auf Anregungen und Überlegungen (mit)beruht, die ihren Ursprung in
Vorarbeiten und Vorüberlegungen des Zeugen Dr. von J haben. Vielmehr ist es sogar
ganz überwiegend wahrscheinlich, dass L unabhängig davon im Februar 1993 zu dem
der Erfindung zugrunde liegenden Kerngedanken gefunden hat, als Metallsulfid
Zinnsulfid als maßgebliche Komponente einzusetzen.
86
bb)
87
Ebensowenig gibt es Anhaltspunkte dafür, Anregungen von Seiten der Klägerin seien
zumindest insoweit für das Entstehen der fertigen Erfindung (mit)ursächlich, als sie erst
den Erfinder L ermutigt hätten, seine Erkenntnis weiter zu verfolgen und Zinnsulfide
durch die Beklagte bei geeigneten Rohstoffherstellern zu beziehen sowie die
beabsichtigten praktischen Versuche mit Zinnsulfiden auch durchzuführen.
88
Allein die Übersendung der Zinnsulfide enthaltenden Prüfkörper/Cs am 3. Mai 1993 (
Lieferschein Anlage K 10) war als Anregung ohnehin nicht geeignet. Auch die Klägerin
behauptet nicht, der Beklagten schon zu diesem Zeitpunkt die Inhaltsstoffe und deren
Zusammensetzung mitgeteilt zu haben oder dass die Beklagte schon vor dem Gespräch
vom 23. Juni 1993 die Prüfkörper tatsächlich auf ihre Zusammensetzung hin untersucht
und dabei das Zinnsulfid als Austauschstoff für Antimontrisulfid und Bleisulfid entdeckt
habe. Vielmehr kam es zu einer telefonischen Rückfrage der Laborleiterin der
Beklagten, Frau Q, nach der Zusammensetzung der Prüfkörper. Der Zeuge Dr. von J
bekundet hierzu, Frau Q gegenüber "Zinnsulfide" nicht namentlich genannt, sondern
gesagt zu haben, die Prüfkörper enthielten ein Metallsulfid, das ähnliche Eigenschaften
habe wie Bleisulfid und Antimontrisulfid, ansonsten enthielten sie das Übliche (Bl. 1003
GA ). Im Anschluss daran habe er die Dichtewerte der Prüfkörper per Fax vom 11. Mai
1993 (Anlage BK 19) übermittelt (vgl. Bl. 1004 GA). In diesem Zusammenhang ist von
89
Interesse, dass Dr. von J bei dem Telefonat mit Frau Q bei der Angabe der genauen
Inhaltsstoffe mit Rücksicht auf die Wahrung etwaiger Betriebsgeheimnisse der Klägerin
zurückhaltend war (vgl. Bl. 1004), ein Umstand, der die Klägerin wahrscheinlich
jedenfalls bis zum 23. Juni 1993 davon abgehalten hat, der Beklagten Einzelheiten über
ihre Überlegungen in Bezug auf und ihre Versuche mit Zinnsulfid als Bestandteil von
Reibbelägen mitzuteilen. Damit lässt sich bzgl. der vor Juni 1993 stattgefundenen
Gespräche und Mitteilungen schon nicht feststellen, dass die grundsätzliche Idee des
Einsatzes von Zinnsulfid als Ersatzstoff für Antimontrisulfid den direkten
Ansprechpartnern des Geschäftsführers H und des Zeugen Dr. von J (I, Dr. G, Q) zur
Kenntnis gekommen ist, geschweige denn, dass diese Idee den Zeugen L erreicht hätte.
Zwar ergibt sich aus der Aussage des Zeugen Dr. von J, dass er im Rahmen der
Besprechung vom 23. Juni 1993 zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin H und den
Mitarbeitern der Beklagten I und Dr. G, nach telefonischer Zuschaltung auf Bitten seines
Chefs, des Geschäftsführers H, die Zeugen I und Dr. G darüber informierte, die Anfang
Mai überlassenen Prüfkörper C LM 18 bis 20 enthielten Zinnsulfid als Austauschstoff für
Antimontrisulfid, ferner welche Eigenschaften Zinnsulfid aufweise und welchen Gehalt
an Zinnsulfid die Prüfkörper hätten (Bl. 1005 ff GA). Insoweit hat der Senat auch keine
Zweifel an der Richtigkeit der Aussage des Zeugen Dr. von J, der die Aussagen der
Zeugen I und Dr. G letztlich nicht widersprechen (Bl. 984 ff. ; Bl. 1021 ff. GA).
90
Eine direkte oder indirekte Weitergabe dieser Informationen an den Zeugen L ist jedoch
nicht belegt. Die Aussagen des Zeugen L und der weiteren Mitarbeiter der Beklagten
bestätigen vielmehr, dass es zu einem Informationsfluss bis zu dem Zeugen L nicht
gekommen ist. Es lassen sich weder in der Aussage des Zeugen L noch in den der
Zeugen Kurreck, Eggers und Dr. P Anhaltspunkte dafür gewinnen, dass L erst aufgrund
der Weitergabe von Informationen aus der Unterredung vom 23. Juni 1993 dazu ermutigt
worden wäre, die bereits gewonnene Erkenntnis, Zinnsulfid sei ein geeigneter
Substitutionsstoff für Antimon- und Bleisulfid, durch praktische Versuche zu bestätigen.
Die Zeugen verneinen durchweg, dass der Erfinder L über die Zeugen I und Dr. G von
der von der Klägerin gefundenen Einsatzmöglichkeit des Zinnsulfids erfahren und
daraufhin die Entwicklung der Reibbelagmischungen auf der Basis von Zinnsulfid weiter
betrieben habe.
91
Für die Aussagen der vernommenen Zeugen mögen sich verschiedne
Erklärungsmöglichkeiten anbieten: Die von der Klägerin angebotene
Erklärungsmöglichkeit liefe darauf hinaus, zumindest den Zeugen L, I und Dr. G zu
unterstellen, sie hätten gemeinschaftlich Unterlagen (Datenbankaufzeichnungen)
verfälscht, vor Gericht durchweg vorsätzlich falsch ausgesagt und die Beklagte bei
einem Prozessbetrug unterstützt. Für die Richtigkeit diesbezüglicher Mutmaßungen der
Klägerin gibt es jedoch keine eine Überzeugungsbildung ermöglichenden
Anhaltspunkte. Nahe liegender und letztlich plausibel erscheint eine sich aus den
Aussagen der Zeugen I und Dr. G ergebende Erklärungsvariante, nämlich die, dass man
bei der Beklagten gegenüber den Bemusterungsbemühungen der Klägerin skeptisch
eingestellt war, weil die gelieferten Prüfkörper den Anforderungen nicht genügten (vgl.
Bl. 986, 987; 1019, 1021/1022, 1039, 1040 GA). Zudem war, wie der Zeuge I durchaus
nachvollziebar bekundet hat, für ihn das Thema "Zinnsulfid" kein vorrangiges Thema
(Bl. 989 GA), und der Zeuge Dr. G hat ausgesagt, das Thema "Zinnsulfid" könne aus
seiner Sicht nicht so bedeutsam gewesen sein, weil er hierüber – was eigentlich seine
Aufgabe gewesen wäre, wenn über aus seiner Sicht relevante Dinge diskutiert worden
wäre – kein Gesprächsprotokoll angefertigt habe (Bl. 1022, 1023 GA). Eine gewisse
92
Bestätigung für die Richtigkeit dieser Aussage ist im Übrigen auch der von dem
Geschäftsführer H für die Klägerin angefertigte (interne) Bericht über das Gespräch vom
23. Juni 2003 (Anlage BK 20). Weder nimmt die Frage des Zinnsulfids in diesem Bericht
einen zentralen Platz ein, noch geht aus ihm hervor, dass gegenüber den
Gesprächspartnern auf Seiten der Beklagten die Bedeutung des Zinnssulfids als Ersatz
für Antimontrisulfid betont worden ist. Im Gegenteil spricht die Erwähnung des
Zinnsulfids auf der Seite 2 des Berichts – insbesondere im Zusammenhang mit der
erörterten Möglichkeit einer Überlassung nach Abschluss eines "Confidential
Agreements" – eher dafür, dass diese Frage gegenüber den Gesprächspartnern I und
Dr. G nachrangig behandelt worden ist, auch wenn der Zeuge Dr. von J auf Vorhalt –
nach Auffassung des Senats nicht überzeugend – gemeint hat, etwas in solchen
Berichten niederzuschreiben, was man selber gesagt habe (Bl. 1006 GA).
Da mithin die Klägerin für den von ihr behaupteten Informationsfluss als Ursache für die
von L entwickelte Erfindung, die Gegenstand des Vindikationspatents geworden ist,
beweisfällig geblieben ist, war das klageabweisende Urteil des Landgerichts im
Ergebnis zu bestätigen.
93
3.
94
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
95
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
96
Eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) kam nicht in Betracht, weil die
gesetzlichen Voraussetzungen dafür (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht gegeben sind: Die
vorliegende Rechtssache, die einen reinen Einzelfall betrifft, hat weder grundsätzliche
Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
97
R1 R2 R3
98