Urteil des OLG Düsseldorf vom 07.11.2002

OLG Düsseldorf: überwiegendes interesse, auflage, anfechtung, ausschluss, rechtskraft, körperverletzung, rechtsschutz, anfechtbarkeit, beschwerdefrist, rechtshängigkeit

Oberlandesgericht Düsseldorf, 3 Ws 407/02
Datum:
07.11.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Senat für Straf- und Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ws 407/02
Vorinstanz:
Landgericht Wuppertal, 22 Kls 430 Js 132/01 - 20/02 II
Normen:
StPO § 28 Abs. 2 Satz 2
Leitsätze:
Die isolierte Anfechtung des ein Ablehnungsgesuch zurückweisenden
Beschlusses ist auch dann gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO
ausgeschlossen, wenn der abgelehnte Richter erst nach Erlass dieses
Beschlusses zum erkennenden Richter geworden ist.
Tenor:
b e s c h l o s s e n :
Die sofortige Beschwerde ist gegenstandslos
G r ü n d e
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I
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Dem Angeklagten werden Verstöße gegen das Heilpraktikergesetz in elf Fällen und
tateinheitlich hiermit Körperverletzung in sieben Fällen, davon in drei Fällen mittels
eines gefährlichen Werkzeuges, vorgeworfen. Die Anklage ist unter dem 26. August
2002 bei dem Landgericht Wuppertal erhoben worden. Mit Schriftsatz vom 27.
September 2002 hat der Angeklagte die Vorsitzende der nach dem
Geschäftsverteilungsplan für dieses Verfahren zuständigen 2. großen Strafkammer
wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Kammer hat das Ablehnungsgesuch
- ohne Mitwirkung der abgelehnten Richterin - durch Beschluss vom 2. Oktober 2002 als
unbegründet verworfen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 11. Oktober 2002
eingegangene sofortige Beschwerde des Angeklagten. Mit Beschluss vom 17. Oktober
hat die 2. große Strafkammer die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das
Hauptverfahren eröffnet.
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II
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Die sofortige Beschwerde ist gegenstandslos, da sie mit Eröffnung des Hauptverfahrens
unzulässig geworden ist.
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Gemäß § 28 Abs. 2 StPO kann ein Beschluss, durch den ein Ablehnungsgesuch als
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unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen worden ist, nur zusammen
mit dem Urteil angefochten werden, wenn er einen erkennenden Richter betrifft.
Erkennender Richter ist, wer zur Mitwirkung in der Hauptverhandlung berufen ist (vgl.
OLG Karlsruhe NJW 1975, 458 [459]). Zur Mitwirkung in der Hauptverhandlung berufen
ist ein Richter nicht erst ab deren Beginn, sondern bereits dann, wenn feststeht, dass die
Hauptverhandlung vor dem Spruchkörper stattfindet, dem der Richter angehört. Der zur
Durchführung der Hauptverhandlung berufene Spruchkörper steht mit der
Rechtshängigkeit des Verfahrens fest, die im ersten Rechtszug grundsätzlich mit der
Eröffnung des Hauptverfahrens eintritt (vgl. BGHR, StPO § 28, Rechtsmittel 1; OLG Köln
NJW 1993, 608; OLG Karlsruhe a.a.O. ; Pfeiffer in KK StPO, 4. Auflage, § 28 Rn. 3;
Lemke in HK StPO, 3. Auflage, § 28 Rn. 8).
Vorliegend ist das Hauptverfahren gegen den Angeklagten durch Beschluss vom 17.
Oktober 2002 vor der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Wuppertal eröffnet
worden. Damit ist die abgelehnte Richterin zur erkennenden Richterin geworden mit der
Folge, dass die isolierte Anfechtung des Beschlusses über das sie betreffende
Ablehnungsgesuch gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig geworden ist. Darauf,
dass der Beschluss bereits vor Eröffnung des Hauptverfahrens ergangen ist, kommt es
entgegen einzelner Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur (vgl. Wendisch in
Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 28 Rn. 16; Pfeiffer in KK, StPO, 4. Auflage, § 28
Rn. 3) nicht an. Der Beschluss über ein Ablehnungsgesuch betrifft nach Eröffnung des
Hauptverfahrens auch dann einen erkennenden Richter, wenn er vorher ergangen und
angefochten worden ist. Allein diese Auslegung entspricht dem Zweck des § 28 Abs. 2
Satz 2 StPO. Die Vorschrift dient der Beschleunigung des gesamten Hauptverfahrens,
dessen Fortgang nicht durch Rechtsmittel verzögert werden soll (vgl. OLG Celle,
Beschluss vom 26. Mai 1998 - 1 Ws 101/98 -; sh. auch OLG Celle NJW 1973, 1054
[1055]). Insbesondere soll durch den (vorläufigen) Ausschluss der Beschwerde
verhindert werden, dass der abgelehnte Richter gemäß § 29 Abs. 1 StPO bis zum
Ablauf der Beschwerdefrist bzw. bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts auf die
Vornahme unaufschiebbarer Amtshandlungen beschränkt und im Übrigen von einer
weiteren Tätigkeit ausgeschlossen ist. Wird - wie hier - ein Vorsitzender Richter
abgelehnt, so hätte die Anfechtbarkeit des ein Ablehnungsgesuch abschlägig
bescheidenden Beschlusses insbesondere zur Folge, dass der Vorsitzende bis zur
formellen Rechtskraft des Beschlusses gehindert wäre, die ihm nach den §§ 213, 214
StPO obliegenden Maßnahmen zur Vorbereitung der Hauptverhandlung zu treffen. Auch
könnte eine kurzfristig nach der Eröffnung des Hauptverfahrens anberaumte
Hauptverhandlung bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht beginnen. Die
sich hieraus ergebenden Verzögerungen des Hauptverfahrens sollen durch § 28 Abs. 2
Satz 2 StPO verhindert werden. Sie würden jedoch auch dann eintreten, wenn der das
Ablehnungsgesuch abschlägig bescheidende Beschluss bereits vor der Eröffnung
ergangen ist. Daher ist eine isolierte Beschwerde ab Eröffnung des Hauptverfahrens
stets nach § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeschlossen, ohne dass es darauf ankäme, ob
das Ablehnungsgesuch vor oder nach der Eröffnung verworfen bzw. zurückgewiesen
wurde. Es ist auch kein überwiegendes Interesse des Angeklagten erkennbar, den sein
Ablehnungsgesuch abschlägig bescheidenden Beschluss nach zwischenzeitlicher
Eröffnung des Hauptverfahrens noch zur Überprüfung des Beschwerdegerichts stellen
zu können. Insbesondere wird sein Rechtsschutz durch den Ausschluss der
Beschwerdemöglichkeit nicht verkürzt, da es ihm unbenommen ist, eine aus seiner Sicht
fehlerhafte Zurückweisung oder Verwerfung des Beschlusses im Falle der Verurteilung
mit der Revision zu rügen.
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Eine vor der Eröffnung eingelegte Beschwerde wird mit der Eröffnung unzulässig und
damit gegenstandslos. Die Entscheidung BGH NJW 1952, 234, auf die sich die nicht
näher begründete Gegenauffassung beruft, gibt für die vorliegend zu beurteilende
Rechtsfrage nichts her, da die Beschwerde in dem dort entschiedenen Fall bereits vor
Eröffnung des Hauptverfahrens abschlägig beschieden worden war. Im Übrigen
widerspräche die Gegenauffassung auch dem für das strafprozessuale
Beschwerdeverfahren geltenden Grundsatz, dass das Beschwerdegericht die
Zulässigkeitsvoraussetzungen des Rechtsmittels nach Maßgabe des
Verfahrensstandes zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zu beurteilen hat (vgl. OLG
Rostock StV 1994, 194 zum Wegfall der Beschwer zwischen Einlegung der
Beschwerde und der Entscheidung des Beschwerdegerichts).
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