Urteil des OLG Düsseldorf vom 18.05.2005

OLG Düsseldorf: einstweilige verfügung, gesellschafterversammlung, gesellschaft mit beschränkter haftung, gewinnausschüttung, abfindung, neues tatsächliches vorbringen, überwiegendes interesse, firma

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-15 U 202/04
Datum:
18.05.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-15 U 202/04
Tenor:
Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das am 11. November
2004 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des
Landgerichts Düs-seldorf - Aktenzeichen: 32 O 126/04 - abgeändert und
unter Aufhebung der einstweiligen Verfügung des Landgerichts
Düsseldorf vom 1. Oktober 2004 der Antrag auf ihren Erlass
zurückgewiesen.
Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens werden den
Verfügungs-klägern auferlegt.
Gründe
1
I.
2
Die Parteien sind die Gesellschafter der Firma M. GmbH. Tatsächlicher
Unternehmenszweck der M. GmbH ist das Halten einer 21%igen Beteiligung an der N.
AG. Die Verfügungsklägerin ist zu 10% und der Verfügungskläger zu 15% am
Stammkapital der M. GmbH beteiligt, die Verfügungsbeklagten halten die übrigen 75%
des Stammkapitals.
3
Als Erben des im Jahre 1996 verstorbenen Dipl. Ing. L. waren die Verfügungskläger
noch u.a. an der G. und Partner GbR beteiligt, die weitere 53,4% des Stammkapitals der
N. AG hält.
4
Im Zuge der Erkrankung und des Todes des Erblassers, der der Ehemann der
Verfügungsklägerin und Vater des Verfügungsklägers war, strebten die
Verfügungskläger an, sich aus der N. AG zurückzuziehen. Zu diesem Zweck kündigten
die Verfügungskläger ihre Beteiligung an der M. GmbH zum 31.3.1996.
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In einem Verfahren der Verfügungskläger gegen die Gesellschafter der G. & Partner
GbR verpflichteten sich u.a. die Verfügungsbeklagten zu 3.) und 4.) in einem Vergleich
vom 21.6.2004, an die Verfügungskläger insgesamt (einschließlich Zinsen) über 2,2
Millionen EUR zu zahlen.
6
In § 8 des Gesellschaftsvertrages der M. GmbH findet sich folgende Regelung:
7
In § 8 des Gesellschaftsvertrages der M. GmbH findet sich folgende Regelung:
7
"Kündigung von Gesellschaftern
8
(1) Die Aufkündigung von Gesellschaftsanteilen einzelner Gesellschafter ist
erstmalig zum 31. Dezember 1989 mit einer Kündigungsfrist von 2 1/2 Jahren
möglich. Nach diesem Zeitpunkt ist die Kündigung mit einer Kündigungsfrist von 2
1/2 Jahren möglich.
9
(2) Für die Bewertung der Geschäftsanteile, sowie die Auszahlung der Anteile
gegen Entgelt findet der § 6 Abs. 3 und 5 des Gesellschaftsvertrages sinngemäße
Anwendung."
10
Der in Bezug genommene § 6 Abs. 5 lautet wie folgt:
11
"(5) Die Auszahlung des Entgelts für den eingezogenen Geschäftsanteil an den
betroffenen Gesellschafter erfolgt wahlweise sofort oder in Form einer
Ratenzahlung, wobei die Gesamtsumme des Entgelts auf maximal 5 gleiche Raten
aufgeteilt werden kann, die unverzinst in gleichen, aufeinanderfolgenden
Zeitabständen in dem auf die Einziehung des Geschäftsanteils folgenden Jahres
gezahlt werden. Über die Zahlungsweise beschließt die
Gesellschafterversammlung."
12
Nach der Kündigung der Gesellschaftsanteile bot der Verfügungsbeklagte zu 3) den
Verfügungsklägern unter Berufung darauf, dass er den gleichen Betrag für einen
anderen 25%igen Anteil verhandelt habe, für die Übernahme der Geschäftsanteile 1,2
Millionen DM an. Die Verfügungskläger holten daraufhin ein Schiedsgutachten ein,
welches die Abfindungsansprüche der Verfügungskläger auf 1.366.171,94 EUR
bezifferte. Die Gesellschafterversammlung lehnte mit Beschluss vom 5.11.1999 eine
Einziehung der Geschäftsanteile ab. Unter Berufung auf ein von ihnen eingeholtes
weiteres Gutachten machen die Verfügungskläger nunmehr in dem Rechtsstreit 32 O
34/04 des Landgerichts Düsseldorf gegen die M. GmbH Abfindungsansprüche in Höhe
von 2.210.635,00 EUR geltend.
13
Seit 1998 hat die M. GmbH ihre Gewinne thesauriert. In der Bilanz für 2003 der M.
GmbH sind daher Gewinnrücklagen von 1.212.037,09 EUR und ein Jahresüberschuss
2003 von 143.095,77 EUR ausgewiesen.
14
Die Gesellschaft lud auf den 31. August 2004 zu einer Gesellschafterversammlung, bei
der u.a. folgende Tagesordnungspunkte anstanden:
15
"1. Vorsorgliche nochmalige Feststellung der Jahresabschlüsse für die Jahre 1998
bis 2002.
16
a. Feststellung des Jahresabschlusses 2003
b. Verwendung des Ergebnisses 2003.
c. Auflösung von Rücklagen
17
..."
18
Auf Antrag der Verfügungskläger untersagte das Landgericht Düsseldorf mit Beschluss
vom 27.8.2004 den Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung,
19
a)
20
auf der Gesellschafterversammlung der Firma M. GmbH am 31. August 2004, die
Ausschüttung des Jahresüberschusses 2003 der Firma M. GmbH an die Gesellschafter
zu beschließen;
21
b)
22
auf der Gesellschafterversammlung der Firma M. GmbH die Auflösung der
Gewinnrücklagen der Firma M. GmbH und die Ausschüttung an deren Gesellschaftern
zu beschließen.
23
Auf der Gesellschafterversammlung vom 31.August 2004 wurden sodann einstimmig -
mit den Stimmen der Verfügungskläger - die Jahresabschlüsse 1998 bis 2002 bestätigt
und der Jahresabschluss 2003 beschlossen. Eine Beschlussfassung über die
Tagesordnungspunkte 3. und 4. fand im Hinblick auf die einstweilige Verfügung nicht
statt.
24
Die Gesellschaft lud daraufhin auf den 6. Oktober zu einer erneuten
Gesellschafterversammlung mit dem Tagesordnungspunkt "Verwendung des
Ergebnisses 2003".
25
Auf Antrag der Verfügungskläger hat das Landgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 1.
Oktober 2004 eine einstweilige Verfügung erlassen, mit der den Verfügungsbeklagten
unter Androhung von Ordnungsmitteln untersagt worden ist, ausdrücklich oder
sinngemäß zu beschließen, die thesaurierten Gewinne in Höhe von 1.232.037,09 EUR
und den Jahresüberschuss für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2003 in Höhe
von 143.095,77 EUR, die im Jahresabschluss der M. GmbH ausgewiesen sind, ganz
oder teilweise an die Gesellschafter auszuschütten und ganz oder teilweise zu einer
Erhöhung des Stammkapitals der Firma M. GmbH GmbH über den Betrag von
25.564,59 EUR hinaus zu verwenden.
26
Am 31. Januar 2005 beschloss die Gesellschafterversammlung der M. GmbH die
Liquidation.
27
Die Verfügungskläger haben geltend gemacht, die Ausschüttung der Gewinne wäre
nichtig gewesen, da die Gesellschaft es verabsäumt habe, ihren Anspruch auf Zahlung
eines Abfindungsguthabens in der Bilanz zu berücksichtigen. Dafür sei zumindest in
Höhe des vom Schiedsgutachter ermittelten Betrages eine Rückstellung zu bilden
gewesen. Unter Berücksichtigung dieses Anspruches sei kein Jahresüberschuss,
sondern ein Jahresfehlbetrag von 10.867,16 EUR zu verzeichnen.
28
Sie haben weiter geltend gemacht, die Auflösung der Gewinnrücklage und die
Gewinnausschüttung verstießen gegen die gesellschafterlichen Treuepflichten. Sie
dienten alleine dazu, ein Ausscheiden der Verfügungskläger aus der Gesellschaft weiter
zu verhindern und den Verfügungsklägern das verdiente Abfindungsguthaben
29
vorzuenthalten. Es sei treuwidrig, dass die Verfügungsbeklagten zu 3) und 4) sich die
Mittel zur Befriedigung der Ansprüche der Verfügungskläger aus dem gerichtlichen
Vergleich teilweise dadurch beschaffen wollten, dass sie weitere Abfindungsansprüche
der Verfügungskläger verhinderten.
Eine einstweilige Verfügung mit dem Ziel, einen Gesellschafterbeschluss zu verhindern,
sei hier deshalb zulässig, weil infolge des Gutglaubensschutzes ein einmal
ausgezahlter Überschuss von den Gesellschaftern auch im Falle einer erfolgreichen
Beschlussanfechtung nicht zurückerlangt werden könne.
30
Dass die Gesellschaft erneut zu einer Versammlung mit einem "vom Gericht verbotenen
Tagesordnungspunkt" lade, lasse befürchten, dass die Verfügungsbeklagten auch
künftig alles tun würden, um ihre Abfindungsansprüche zu vernichten.
31
Nachdem die Verfügungsbeklagten mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2004 Widerspruch
erhoben haben, haben die Verfügungskläger beantragt,
32
die einstweilige Verfügung aufrecht zu erhalten.
33
Die Verfügungsbeklagten haben beantragt,
34
die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass
zurückzuweisen.
35
Sie haben die Beeinflussung von Gesellschafterbeschlüssen im Wege der einstweiligen
Verfügung schon für unzulässig gehalten. Dies stelle eine unzulässige endgültige
Regelung dar. Ein Abfindungsanspruch der Verfügungskläger bestehe nicht, da die
Gesellschaft die Einziehung der Geschäftsanteile abgelehnt habe. Eine Abfindung sei
auch deshalb nicht in der Bilanz auszuweisen, weil durch die Zahlung selbst der im
Schiedsgutachten errechneten Abfindung das Stammkapital angegriffen würde, was
unzulässig sei. Sie haben weiter geltend gemacht, es sei nicht treuwidrig, wenn sie von
dem Recht auf Gewinnausschüttung Gebrauch machten. Den Verfügungsklägern ginge
es nur darum, auf ihre Kosten "Kasse zu machen". Im Übrigen handelten die
Verfügungskläger widersprüchlich, weil sie dem Jahresabschluss für 2003 zugestimmt
hätten.
36
Das Gericht sei auch durch seine vorangegangene Verfügung gehindert gewesen,
erneut die Ausschüttung der thesaurierten Gewinne zu verbieten.
37
Die Verfügungsbeklagten hätten zu keiner Zeit vorgehabt oder auch nur Veranlassung
zu der Annahme gegeben, sie beabsichtigten, das Stammkapital der M. GmbH zu
erhöhen.
38
Das Landgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 11. November 2004, auf dessen
tatsächliche Feststellungen im Übrigen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug
genommen wird, die einstweilige Verfügung aufrecht erhalten.
39
Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, die einstweilige Verfügung sei zur
Sicherung des Zahlungsanspruches der Verfügungskläger erforderlich. Aus dem
Gesellschaftsvertrag ergebe sich die Verpflichtung der Verfügungsbeklagten, bei den
Beschlüssen auf den Abfindungsanspruch der Verfügungskläger Rücksicht zu nehmen.
40
Eine Erfüllung sei aber nur möglich, wenn hierdurch keine Unterbilanz eintrete. Sie
dürften daher nicht durch die Auflösung von Rücklagen und Gewinnausschüttung der
Gesellschaft die Mittel zur Auszahlung der Geschäftsanteile entziehen.
Gegen dieses Urteil, dass den Verfügungsbeklagten am 30. November 2004 zugestellt
worden ist, haben diese mit am 14.Dezember 2004 bei Gericht eingegangenen
Schriftsatz vom 13. Dezember 2004 Berufung eingelegt und diese begründet.
41
Die Verfügungsbeklagten machen geltend, es liege kein Verfügungsanspruch vor, weil
dieser nach den Ausführungen des Landgerichts auf eine Geldleistung gerichtet sei. Es
werde zudem in unzulässiger Weise in Gesellschafterrechte eingegriffen. Die
einstweilige Verfügung schütze auch keinen bestehenden Anspruch, sondern sichere
dessen materiell-rechtliche Entstehung, was unstatthaft sei.
42
Die einstweilige Verfügung habe rechtswidrig in die Rechte der Verfügungsbeklagten
eingegriffen.
43
Die Verfügungsbeklagten beantragen,
44
die einstweilige Verfügung vom 01.10.2004 unter Aufhebung des Urteils des
Landgerichts Düsseldorf vom 11.11.2004, Az. 32 O 126/04, aufzuheben.
45
Die Verfügungskläger beantragen,
46
die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf, Az. 32 O 126/04,
zurückzuweisen.
47
Hilfsweise beantragen sie,
48
festzustellen, dass die Hauptsache erledigt ist.
49
Sie tragen vor, auf Grund des Liquidationsbeschlusses ergebe sich der
Verfügungsanspruch nunmehr auch aus § 73 Abs. 1 GmbHG. Im Übrigen wiederholen
und vertiefen sie ihr erstinstanzliches Vorbringen.
50
II.
51
Das Urteil des Landgerichts ist auf die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten hin
abzuändern und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen,
denn es fehlt sowohl an einem Verfügungsanspruch, als auch an einem
Verfügungsgrund.
52
A) Untersagung der Gewinnausschüttung 2003 und der Ausschüttung der thesaurierten
Gewinne
53
(1) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist nicht bereits unzulässig.
54
a) Dabei folgt der Senat nicht einer früher wohl h.M., wonach es von vorneherein
unzulässig ist, einem Gesellschafter im Wege der einstweiligen Verfügung zu verbieten,
sein Stimmrecht in einer Gesellschafterversammlung in einer bestimmten Weise
auszuüben bzw. nicht auszuüben (soweit ersichtlich zuletzt - wenn auch bereits stark
55
einschränkend - OLG Koblenz, Urt. v. 25.10.1990 - 6 U 238/90, NJW 1991, 1119, 1120).
Diese Auffassung wird damit begründet, dass jede Einwirkung auf die
Beschlussfassung einer Gesellschafterversammlung eine endgültige Regelung
herbeiführe, da ein einmal gefasster Beschluss im Falle der Aufhebung der
einstweiligen Verfügung nicht wegfalle, ebenso wenig, wie ein nicht gefasster
Beschluss nachträglich zur Entstehung gelange (OLG Koblenz, a.a.O. S. 1119).
Der Senat ist demgegenüber der Ansicht, dass die Beurteilung auf die materiell-
rechtliche Ebene zu verlagern ist und bei der Prüfung des Verfügungsanspruches und
des Verfügungsgrundes zu berücksichtigen ist, dass in einem derartigen Fall an den
Verfügungsgrund und den Verfügungsanspruch besonders hohe Anforderungen zu
stellen sind. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist nämlich nicht in jedem Fall
unzulässig ist, sondern muss ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn sich auf andere
Weise ein effektiver Rechtsschutz, den Art. 19 Abs. 4 GG garantiert, nicht erreichen lässt
(OLG München, GmbHR 1999, 718, 719). Im Ergebnis führt dies dazu, dass eine
einstweilige Verfügung zur Untersagung eines bestimmten Abstimmungsverhaltens nur
bei einer völlig klaren Sachlage oder bei einer besonders schwerwiegenden
Beeinträchtigung der Interessen des Verfügungsklägers, die nicht auf andere Weise
abgewendet werden kann, in Betracht kommt (wie hier: OLG Hamburg, NJW 1992, 186,
187; OLG Frankfurt NJW-RR 1992, 934, 934;OLG Frankfurt, GmbHR 1993, 161, 161 f.;
OLG Hamm, GmbHR 1993, 163 m. Anm. Michalski, a.a.O. S. 164; OLG München a.a.O.).
56
b) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch weiterhin nicht deshalb
teilweise, nämlich soweit den Verfügungsbeklagten eine Beschlussfassung über die
Ausschüttung der Gewinnrücklage untersagt wird, unzulässig, weil gemäß des Tenors
zu b) des Beschlusses vom 27. August 2004 einer derartige Ausschüttung bereits
untersagt wäre. Wäre dies der Fall, fehlte dem neuerlichen Verfügungsantrag zwar das
Rechtsschutzbedürfnis; der Tenor zu b) des Beschlusses vom 27. August 2004 bezieht
sich jedoch nur auf die Gesellschafterversammlung vom 31. August 2004. Hierfür spricht
schon der Wortlaut des Beschlusstenors. Nachdem es unter a) heißt "auf der
Gesellschafterversammlung der Firma ... am 31. August 2004 die Ausschüttung des
Jahresüberschusses ..." wird der Satz unter b) fortgeführt mit "auf der
Gesellschafterversammlung der Firma ... (Unterstreichung d.d. Gericht)". Wäre damit
eine andere Gesellschafterversammlung als diejenige vom 31. August 2004 gemeint,
hätte es sprachlich richtig unter b) heißen müssen "auf einer
Gesellschafterversammlung". Dafür, dass der Beschluss sich auf die
Gesellschafterversammlung vom 31. August 2004 beschränkt hat, spricht darüber
hinaus, dass auf die Antragsschrift Bezug genommen wird, in der diese Beschränkung
noch ausdrücklich aufgeführt ist und irgend ein Grund für eine Abweichung vom Antrag
nicht mitgeteilt wird.
57
Der Beschluss vom 27. August 2004 erfasst daher weitere
Gesellschafterversammlungen nicht, so dass mit dieser Begründung das
Rechtsschutzbedürfnis der Verfügungskläger nicht verneint werden kann.
58
(2) Den Verfügungsklägern steht jedoch ein Verfügungsanspruch schon nicht zu.
59
a) Verfügungsanspruch ist zunächst nicht ein eventueller Abfindungsanspruch der
Verfügungskläger. Soweit ein solcher bestehen sollte, richtet er sich ausschließlich
gegen die GmbH und damit nicht gegen die Verfügungsbeklagten. Im Übrigen wäre ein
Zahlungsanspruch auch nicht durch eine einstweilige Verfügung, sondern durch einen
60
Arrest zu sichern.
b) Die Verfügungskläger haben aber auch keinen Anspruch darauf, dass die
Verfügungsbeklagten die Beschlussfassung über die Gewinnverwendung unterlassen.
61
Es kann dahinstehen, ob sich die Verfügungskläger nicht widersprüchlich verhalten
haben, wenn sie einerseits den Jahresabschluss 2003 mit beschließen und
andererseits geltend machen, ein aufgrund dieses Jahresabschlusses gefasster
Gewinnausschüttungsbeschluss wäre nichtig, weil in der Bilanz keine Rückstellung für
ihre Abfindung eingestellt sei, denn soweit sie sich auf diesen Fehler stützen ist die
Bilanz bereits nach dem eigenen Sachvortrag der Verfügungskläger nicht fehlerhaft.
62
Unstreitig wäre die Gesellschaft nicht einmal zur Zahlung der im Schiedsgutachten
errechneten Abfindung an die Verfügungskläger in der Lage. Da die Verfügungskläger
aber der Ansicht sind, ihnen stehe ein Abfindungsanspruch in Höhe von 2.210.635,00
EUR zu, müsste die Gesellschaft ein freies Kapital in dieser Höhe aufweisen, um die
Verfügungskläger zu befriedigen. Das heißt, es müssten noch weitere ca. 900.000,00
EUR freies Kapital angesammelt werden. Damit ist aber in absehbarer Zeit nicht zu
rechnen. Dies gilt insbesondere, wenn die Verfügungsbeklagten zur Auflösung der
Gewinnrücklagen berechtigt wären. Aus Sicht der Verfügungsbeklagten ist die Bilanz
daher richtig, da in absehbarer Zeit fällige Ansprüche der Verfügungskläger nicht zu
erwarten sind.
63
Die entgegenstehende Auffassung der Verfügungskläger übersieht, dass der Austritt
aus der Gesellschaft nur möglich ist, wenn die Leistung der Abfindung nicht gegen
Kapitalerhaltungsvorschriften verstößt. Kann die Gesellschaft die Abfindung nicht ohne
Verstoß gegen Kapitalerhaltungsvorschriften leisten und ist auch kein
übernahmebereiter Dritter vorhanden, verringert sich nicht etwa der
Abfindungsanspruch, sondern der Austritt kann nicht vollzogen werden, so dass den
ausscheidungswilligen Gesellschaftern nur die Auflösungsklage bleibt
(Baumbach/Hueck, GmbHG, 17. Aufl., Anh. nach § 34 Rn. 19; Lutter/Hommelhoff,
GmbHG, 16. Aufl., § 34 Rn. 48; Hülsmann, GmbHR 2003, 198, 203; Goette, DStR 2001,
533, 539).
64
Der Beschluss wäre daher nicht wegen Verstoßes gegen zwingende
Bilanzierungsvorschriften nichtig oder anfechtbar, weil eine Abfindung der
Verfügungskläger in der zugrunde liegenden Bilanz nicht aufgeführt ist.
65
Soweit die Verfügungskläger ergänzend einen Rechenfehler rügen (Einbeziehung des
Stammkapitals) betrifft dies lediglich die Höhe des auszuschüttenden Betrages. Insoweit
wäre den Verfügungsklägern jedenfalls zuzumuten gewesen, eine Anfechtungsklage
abzuwarten.
66
c) Ein Verfügungsanspruch ergibt sich auch nicht daraus, dass die Verfügungsbeklagten
aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht verpflichtet wären, eine
Gewinnentnahme zu unterlassen.
67
Es ist im Grundsatz allgemein anerkannt, dass die Gesellschafter einer Gesellschaft mit
beschränkter Haftung sowohl gegenüber der GmbH als auch gegenüber den
Mitgesellschaften Treuepflichten haben (vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. § 14
Rn. 18 und Dreher, Die gesellschaftliche Treuepflicht bei der GmbH, DStR 1993, 1632,
68
1632). Grundsätzlich ergibt sich aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht
gegenüber der Gesellschaft, dass der Gesellschafter verpflichtet ist, deren Interessen
nicht durch eigennütziges Verhalten zu schädigen. Aus der Treuepflicht gegenüber den
Mitgesellschaftern ergibt sich die allgemeine Pflicht, auf deren Interessen Rücksicht zu
nehmen (Dreher, a.a.O. S. 1635).
Zu berücksichtigen ist ferner, ob es sich bei den ausgeübten Mitgliedschaftsrechten,
deren Treuwidrigkeit zu prüfen ist, um sog. uneigennützige Mitgliedschaftsrechte
handelt, wie dies z.B. im Regelfall bei Weisungen in
Geschäftsführungsangelegenheiten der Fall ist, oder ob es um Rechte geht, die bereits
ihrer Natur nach eigennützig sind, insbesondere um die Gewinnausschüttung (Dreher
a.a.O S. 1634). Bei diesen Beschlüssen, um die es auch hier geht, ist die
Berücksichtigung der Eigeninteressen des Gesellschafters geboten.
69
Bei der Frage, ob die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht es hier geboten hat, mit
Rücksicht auf etwaige Abfindungsansprüche der Verfügungskläger die
Beschlussfassung über eine Gewinnausschüttung und die Auflösung der seit 1998
angesammelten Gewinnrücklagen zu unterlassen, ist also das Eigeninteresse der
Verfügungsbeklagten gegen das Interesse der Verfügungskläger einerseits und gegen
eventuelle Interessen der Gesellschaft andererseits abzuwägen.
70
aa) Interesse der Verfügungskläger
71
Auf Seiten der Verfügungskläger ist zunächst zu berücksichtigen, dass diese aus der
Gesellschaft ausscheiden wollen. Dies setzt aber voraus, dass entweder ein Erwerber
für die Anteile der Verfügungskläger gefunden wird oder die Gesellschaft die Anteile der
Verfügungskläger einzieht. Letztere Möglichkeit besteht aber nur, wenn die Gesellschaft
ohne Beeinträchtigung des Stammkapitals in der Lage ist, den Verfügungsklägern eine
Abfindung zu zahlen (vgl. Hülsmann, Rechtspraktische Probleme beim Austritt von
Gesellschaftern aus der GmbH, GmbHR 2003, 198, 200 und 204). Unstreitig ist die
GmbH zur Zeit zur Zahlung einer Abfindung nicht einmal in der Lage, wenn den
Verfügungsklägern entgegen ihrer eigenen Behauptung nicht Abfindungsansprüche in
Höhe von 2,2 Millionen EUR, sondern nur in Höhe von rund 1,367 Millionen EUR
zustehen würden, weil für die Zahlung nur ein ungebundenes Kapital von 1,355
Millionen EUR zur Verfügung steht. Jedenfalls zur Zeit ist daher ein Austritt der
Verfügungskläger nach ihrem eigenen Vortrag nicht möglich (vgl. Baumbach/Hueck,
GmbHG, 17. Aufl., Anhang nach § 34 Rn. 19). Dann bestand aber nach dem unstreitigen
Sachvortrag auch zum Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Verfügung kein
Anspruch auf Zahlung einer Abfindung sondern allenfalls die Möglichkeit der
Verfügungskläger, Auflösungsklage zu erheben (vgl. OLG Köln, GmbHR 1998, 641,
642; OLG Brandenburg, GmbHR 1999, 540, 541; LG Hannover, GmbHR 2002, 267,
268).
72
Das von den Verfügungsklägern begehrte Unterlassen der Gewinnausschüttung führt
also nicht dazu, dass den Verfügungsklägern unmittelbar ein Abfindungsanspruch
zuwächst. Ebenso bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die von den
Verfügungsbeklagten beabsichtigte Gewinnausschüttung einen Abfindungsanspruch
der Verfügungskläger schon deshalb nicht vernichten konnte, weil ein solcher unstreitig
noch gar nicht bestand.
73
Das Interesse der Verfügungskläger ist damit auf die Zukunft gerichtet: Ihr Interesse geht
74
dahin, dass die Gesellschaft so lange Gewinne thesauriert, bis sie zur Zahlung ihrer
Abfindungsforderung in der Lage ist. Wann dies der Fall wäre ist jedenfalls unter
Zugrundelegung des von den Verfügungsklägern glaubhaft gemachten
Abfindungsanspruchs von mehr als 2,2 Millionen EUR nicht absehbar.
bb) Interesse der Gesellschaft
75
Hinsichtlich ihrer Kapitalausstattung ist es für die Gesellschaft gleichgültig, ob ihr das
Kapital durch die Gewinnausschüttung oder durch die Zahlung einer Abfindung
entzogen wird.
76
Die Verfügungskläger berufen sich darauf, dass sie ohne die einstweilige Anordnung
Auflösungsklage erheben müssten. Dem ist aber entgegen zu halten, dass die
Gesellschaft nach dem unter a) gesagten selbst bei den geringst möglichen
Abfindungsansprüchen der Verfügungskläger zur Einziehung ihrer Geschäftsanteile
nicht in der Lage ist, so dass durch die Thesaurierung des Jahresüberschusses 2003 im
Hinblick auf die Vermeidung einer Auflösungsklage nichts erreicht wäre.
Berücksichtigungsfähige Interessen der Gesellschaft sind daher nicht gegeben.
77
cc) Interesse der Verfügungsbeklagten
78
Maßgeblich kommt es damit darauf an, ob die Verfügungsbeklagten ein berechtigtes
Interesse an der Gewinnausschüttung haben. Dabei ist grundsätzlich zu
berücksichtigen, dass die Gesellschafter einer GmbH nach § 29 Abs. 1 GmbHG
grundsätzlich Anspruch auf ihren Anteil am Gewinn haben. Für den umgekehrten Fall ist
daher anerkannt, dass die Mehrheitsgesellschafter nicht durch eine ständige
Thesaurierung die Minderheitsgesellschafter gleichsam "aushungern" dürfen (Dreher
a.a.O. S. 1634 m.w.N. bei Fußnote 25). Ist damit ein erhebliches Interesse der
Minderheitsgesellschafter an der Gewinnausschüttung anzunehmen, welches die
Mehrheitsgesellschafter hindert, gegen den Willen der Minderheitsgesellschafter über
Jahre hinweg Gewinne zu thesaurieren, muss man auch den Mehrheitsgesellschaftern
ein berechtigtes Interesse an der Auflösung von Gewinnrücklagen und der
Ausschüttung von Gewinnen grundsätzlich zubilligen. Dem steht auch nicht entgegen,
dass über Jahre hinweg die Gewinne thesauriert wurden und nunmehr sachfremde
Erwägungen zur Aufgabe dieser Praxis führen, namentlich die von den
Verfügungsklägern unterstellte Absicht, ein Ausscheiden der Verfügungskläger aus der
GmbH zu unterbinden. Denn zum einen führt auch die von den Verfügungsklägern
bewirkte Thesaurierung des Jahresüberschusses 2003 nicht dazu, dass die GmbH in
die Lage versetzt würde, den Verfügungsklägern ein Ausscheiden durch Einziehung
ihrer Anteile zu ermöglichen. Vielmehr ist bei Zugrundelegung eines
Abfindungsanspruches in Höhe von 2,2 Millionen EUR, den die Verfügungskläger
immerhin klageweise geltend gemacht haben, ein Ausscheiden der Verfügungskläger
gegen Abfindung nur möglich, wenn auf Jahre hinaus die Gewinne immer weiter
thesauriert werden.
79
Zum anderen dürfte entgegen der Auffassung der Verfügungskläger die Tatsache, dass
die Verfügungsbeklagten zu 3) und 4) sich vergleichsweise zu erheblichen Zahlungen
an die Verfügungskläger verpflichtet haben, ein berechtigtes Interesse der
Verfügungsbeklagten zu 3) und 4) begründen, sich liquide Mittel zu verschaffen, die sie
in die Lage versetzen, die Forderungen der Verfügungskläger zu befriedigen. Insoweit
müssen sich auch die Verfügungskläger den Vorwurf gefallen lassen, dass sie
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einerseits von den Verfügungsbeklagten zu 3) und 4) Zahlungen fordern, sie aber
andererseits an einer "Versilberung" ihrer Kapitalanlagen hindern. Immerhin haben nicht
nur die Verfügungskläger legitime Ansprüche, sondern auch die verfügungsbeklagten
Mehrheitsgesellschafter.
dd) Abwägung
81
Ein überwiegendes Interesse lässt sich danach nicht feststellen: Zwar haben die
Verfügungskläger ein Interesse an einem kurzfristigen Ausscheiden aus der
Gesellschaft; demgegenüber haben aber auch die Verfügungsbeklagten ein
berechtigtes Interesse an der Gewinnausschüttung. Dabei ist noch zu berücksichtigen,
dass im Falle einer Gewinnausschüttung ja die Verfügungskläger keineswegs leer
ausgehen: Sie erhalten ebenfalls einen erheblichen Anteil der ausgeschütteten
Gewinne.
82
Ein Beschluss, durch den die M. GmbH die Gewinnrücklagen auflöst und den danach
sich ergebenden Gewinn an die Gesellschafter ausschüttet, wäre damit nicht treuwidrig.
Die Verfügungsbeklagten sind nicht aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht
gehindert, einen entsprechenden Beschluss zu fassen. Ein Verfügungsanspruch ist
nicht gegeben.
83
d) Ein Verfügungsanspruch der Verfügungskläger ergibt sich schließlich nicht aus § 73
Absatz 1 GmbHG.
84
Es ist zwar zutreffend, dass nach § 73 Absatz 1 GmbHG weder ein Beschluss, durch
den die Gewinnrücklage aufgelöst wurde, noch ein Beschluss, mit dem der
Jahresüberschuss 2003 an die Gesellschafter ausgeschüttet würde, zulässig ist.
85
Allerdings ist eine Abfindung der Verfügungskläger, die ja ebenfalls noch Gesellschafter
der GmbH sind, nach § 73 Absatz 1 GmbHG ebenfalls unzulässig.
86
§ 73 Abs. 1 GmbHG soll gesellschaftsfremde Gläubiger schützen; er begründet aber
keinen Unterlassungsanspruch eines Gesellschafters gegen einen anderen
Gesellschafter. Die Verfügungskläger als Mitgesellschafter haben daher keinen
Anspruch gegen die Verfügungsbeklagten aus § 73 Abs. 1 GmbHG, eine
Gewinnausschüttung zu unterlassen.
87
(3) Es liegt ferner kein Verfügungsgrund vor. Wie eingangs ausgeführt, sind an das
Vorliegen eines Verfügungsgrundes bei einstweiligen Verfügungen, die auf die
Willensbildung von Gesellschaftern Einfluss nehmen, besonders strenge Anforderungen
zu stellen.
88
Nicht ersichtlich ist schon, warum die Verfügungskläger sich nicht mit einer
Unterlassungsverfügung gegen die GmbH gewandt haben, mit der sie die Ausführung
von Beschlüssen vorübergehend hätten verhindern können. Mit einem derartigen Antrag
hätte man nicht zwingend warten müssen, bis ein entsprechender Beschluss gefasst
wurde, so dass das Argument, eine Entscheidung nach Beschlussfassung sei nicht vor
Ausführung des Beschlusses zu erwarten gewesen, nicht überzeugt.
89
B) Untersagung der Kapitalerhöhung
90
Hinsichtlich der mit der einstweiligen Verfügung erfolgten Untersagung einer
Kapitalerhöhung ist der Antrag ebenfalls zulässig, aber unbegründet.
91
(1) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist aus den unter A) genannten
Gründen zulässig.
92
(2) Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn jedenfalls einen Verfügungsgrund haben
die Verfügungskläger nicht glaubhaft gemacht.
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Würde man zugunsten der Verfügungskläger einen Verfügungsanspruch unterstellen,
müsste die konkrete, nicht anders abwendbare Gefahr bestehen, dass die Gesellschaft
mit den Gewinnen eine Kapitalerhöhung durchführt. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür,
dass die Gesellschafter dies vorhaben könnten, haben die Verfügungskläger nicht
einmal vorgetragen. Vielmehr haben sie - zu recht - darauf hingewiesen, dass
insbesondere die Verfügungsbeklagten zu 3) und 4) ein besonderes Interesse an einer
Ausschüttung haben. Diese würde aber unmöglich, wenn sie das Kapital erhöhen
würden.
94
C) Hilfsantrag
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Der Hilfsantrag ist nur für den Fall gestellt, dass der Senat in dem Liquidationsbeschluss
ein erledigendes Ereignis sieht und daher die einstweilige Verfügung nicht aufrecht zu
erhalten ist.
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Da die beantragte einstweilige Verfügung aus anderen Gründen unbegründet ist, bedarf
es einer Entscheidung über den Hilfsantrag nicht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
98
Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsätze der
Verfügungskläger vom 28. April 2005, 6. Mai 2005 und der Verfügungsbeklagten vom
29. April 2005 enthalten kein neues tatsächliches Vorbringen. Ein Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung war nicht geboten.
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Streitwert für die Berufungsinstanz: 100.000,00 EUR
100