Urteil des OLG Düsseldorf vom 19.02.2002

OLG Düsseldorf: altersrente, abfindung, sozialplan, positive vertragsverletzung, arbeitslosigkeit, meinung, direktversicherung, rentenanspruch, kündigungsfrist, tarifvertrag

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-24 U 125/01
Datum:
19.02.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-24 U 125/01
Vorinstanz:
Landgericht Duisburg, 4 O 468/00
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 10. Mai 2001 verkünde-tet
Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg
wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsrechtszuges trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelas-sen,
die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000
EUR abzuwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Si-cherheit in
derselben Höhe leisten.
T a t b e s t a n d :
1
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Rechtsanwaltsvertrag in
Anspruch.
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Der am 26. Dezember 1941 geborene Kläger war bei der Firma S- GmbH seit dem 1.
Oktober 1991 als technischer Angestellter beschäftigt. Zuletzt bezog er ein Gehalt von
6.045,55 DM netto. Unter dem 28. Juni 1999 kündigte die Arbeitgeberin das
Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen zum 30. September 1999. Der Kläger
erteilte den Beklagten das Mandat, ihn in der arbeitsrechtlichen Angelegenheit zu
vertreten. Mit Klageschrift vom 7. Juli 1999 erhoben diese Kündigungsschutzklage. Im
Verlaufe des Verfahrens legte die Arbeitgeberin einen Sozialplan vom 28. Mai 1999 vor.
Dort ist unter anderem vereinbart:
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"Arbeitnehmer bis zum vollendeten 57. Lebensjahr, deren Arbeits- bzw.
Anstellungsverhältnis unter Beachtung der tariflichen, gesetzlichen oder
einzelvertraglichen Kündigungsfrist aus betriebsbedingten Gründen aufgelöst oder
gekündigt wird, erhalten als Abfindungen im Sinne der §§ 9 und 10 KSchG pro
vollendetem Beschäftigungsjahr (bis zum Austritt) 0,635 Bruttonormalverdienste.
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Arbeitnehmer, die das 57. Lebensjahr vollendet haben, erhalten als Abfindung
einen Betrag in Höhe von 36,5 % eines Nettonormalverdienstes/Monat für jeden
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Monat bis zum frühestmöglichen Erhalt einer gesetzlichen Altersrente bzw.
Erwerbsunfähigkeitsrente brutto ausgezahlt.
...
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Arbeitnehmer, die einen sofortigen Anspruch auf Altersrente bzw. vorgezogene
gesetzliche Altersrente haben, erhalten eine Abfindung in Höhe von 10.000 DM,
sofern sie ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist ausscheiden."
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Die Beklagten führten mit der Arbeitgeberin Verhandlungen über die Höhe der
Abfindung. Als Höchstsumme bot diese 91.000 DM an, von denen 76.600 DM auf die
Abfindung gemäß §§ 9 und 19 KSchG, § 3 Ziffer 9 EStG und 14.400 DM auf die
bestehende Direktversicherung entfallen sollten.
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Am 21. Oktober 1999 schloss der Kläger mit seiner Arbeitgeberin einen
Prozessvergleich, in dem die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 76.600 DM sowie
eine Zahlung von 14.400 DM auf die Direktversicherung vereinbart wurden.
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Unter dem 14. Dezember 1999 teilten die Beklagten dem Kläger mit, eine Klage auf
Zahlung einer höheren Abfindung hätte keine Aussicht auf Erfolg gehabt und nach dem
Sozialplan sei nur ein Betrag von 67.412,16 DM für ihn vorgesehen gewesen. Auf eine
entsprechende Anfrage teilte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte dem
Kläger mit Schreiben vom 14. Juli 2000 mit, eine Altersrente ohne Rentenabschlag
werde ab dem 1. Juli 2007 gezahlt.
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Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Rechtsansicht der Beklagten zu der Höhe der
Abfindung sei falsch. Auf ihn sei die Regelung für Arbeitnehmer ab dem 57. Lebensjahr
anzuwenden gewesen. Der frühestmögliche Zeitpunkt für eine gesetzliche Altersrente
sei der 1. Juli 2007. Dabei hätte sich, wie er behauptet, ein Abfindungsanspruch in Höhe
von 191.975 DM netto = 300.100 DM brutto ergeben. Zudem habe er Anspruch auf
einen Härteausgleich in Höhe von 7.800 DM. Wegen der Berechnung der
Klageforderung im einzelnen wird auf Seite der Klageschrift verwiesen.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 245.982,75 DM nebst 5
% Zinsen über dem Basiszinssatz gemäß § 1 Diskontüberleitungsgesetz seit dem
26. September 2000 zu zahlen.
13
Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie haben behauptet, sie hätten erreicht, dass die ursprünglich angebotene Abfindung
von 76.600 DM auf 91.000 DM erhöht worden sei. In dem Termin bei dem Arbeitsgericht
habe der Kläger persönlich mit dem Personalleiter seiner früheren Arbeitgeberin
verhandelt und vereinbart, dass hiervon 14.400 DM auf die Direktversicherung gezahlt
werden sollten. Es sei insgesamt 40 Mitarbeitern gekündigt worden.
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Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, ein Anspruch auf eine höhere Abfindung
habe nicht bestanden. Es sei die Regelung für Arbeitnehmer ab dem 57. Lebensjahr
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angewendet worden. Der Kläger hätte nach 27 Monaten eine Altersrente beziehen
können. Dies sei mit Erreichen des 60. Lebensjahres möglich. Eine höhere Abfindung
wäre ihm auch durch ein Urteil des Arbeitsgerichts nicht zugesprochen worden.
Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, nach dem Sozialplan
hätte der Kläger nicht besser gestanden als nach dem Prozessvergleich.
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Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt.
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Er wiederholt und ergänzt sein erstinstanzliches Vorbringen und ist der Auffassung,
wenn es wie hier verschiedene Auslegungsmöglichkeiten gebe, müsse die für den
Arbeitnehmer günstigste gelten. Dann bestehe aber keine Grundlage für eine vorzeitige
Zwangsverrentung. Aus dem Bewilligungsbescheid des Arbeitsamts W vom 22. Februar
2001 sei ersichtlich, dass der Kläger einen Rentenanspruch auf Arbeitslosengeld für
960 Kalendertage habe. Zudem er sei seit dem 26. August 1999 krankgeschrieben
gewesen, so dass für ihn eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit von vornherein hätte
ausscheiden müssen. Schließlich sei auch die Frage, ob die Abfindung als Brutto- oder
Nettobetrag zu zahlen sei, entgegen der Meinung des Landgerichts nach der für den
Arbeitnehmer günstigsten Auslegung zu beantworten.
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Der Kläger hat die Klage um 14.400 DM - Jahresprämien 2003 bis 2006 ermäßigt und
beantragt nunmehr,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 231.582,75 DM
nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26. Dezember 2000 zu zahlen.
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Der Beklagte bittet um Zurückweisung der Berufung.
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Er wiederholt ebenfalls sein erstinstanzliches Vorbringen.
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Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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I.
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Die zulässige Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg. Das Landgericht hat einen
Regressanspruch gegen den Beklagten zu Recht verneint. Die Angriffe des Klägers in
der Berufungsinstanz geben keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.
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1. Im Rahmen eines Mandatsverhältnisses ist ein Rechtsanwalt verpflichtet, die
Interessen seines Mandanten umfassend wahrzunehmen und ihn vor vermeidbaren
Nachteilen zu bewahren. Erwägt der Mandant den Abschluss eines Vergleichs, muss
der Rechtsanwalt ihm dessen Vor- und Nachteile darlegen. Dies gilt in besonderem
Maße für einen Abfindungsvergleich (BGH NJW 2000, 1944 ff.). Nach diesen
Grundsätzen kann den Beklagten keine positive Vertragsverletzung des
Rechtsanwaltsvertrages zur Last gelegt werden:
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2. Nach der zutreffenden Berechnung des Landgerichts, die der Kläger hinsichtlich der
rechnerischen Richtigkeit nicht beanstandet hat, hätte die Anwendung der Alternative im
Sozialplan, die für Arbeitnehmer gelten sollte, die das 57. Lebensjahr vollendet haben,
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keine für den Kläger günstigere Gestaltung gebracht.
a) Dem Kläger ist darin beizupflichten, dass der Sozialplan eine Abfindung in
pauschaler Form vorsah, das heißt abstrakt und nicht auf den Einzelfall zugeschnitten.
Der Senat kann dem Kläger jedoch nicht darin folgen, dass deshalb diejenige
Auslegungsmöglichkeit zu wählen sei, die dem Arbeitnehmer am günstigsten ist.
Vielmehr ist ein Sozialplan wie eine Betriebsvereinbarung auszulegen (BAG AP 1 zu §
77 BetrVG 1972 Auslegung; AP 2 zu § 112 BetrVG 1972; Schaub,
Arbeitsrechtshandbuch, 9. Aufl., § 244 V 2, Seite 2005) und eine solche wie ein
Tarifvertrag (Schaub a.a.O. § 231 II 2 b, Seite 1870). Es kann deshalb nur der Wille
berücksichtigt werden, der hinreichend Ausdruck gefunden hat (Schaub a.a.O. Seite
1870 m.w.N.). Auch kann die nachträgliche Handhabung bei zweifelhaftem Wortlaut zur
Auslegung herangezogen werden (BAG AP 24 zu § 59 BetrVG).
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Das bedeutet im Ergebnis, dass die Auslegung nach allgemein gültigen Kriterien
vorzunehmen ist. Dem ist zu folgen, weil ein Sozialplan nicht einseitig zugunsten der
Arbeitnehmer aufgestellt wird, sondern das Ergebnis von Verhandlungen zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer-Vertretung unter Berücksichtigung der Interessen der
betroffenen und der im Betrieb verbleibenden Arbeitnehmer sowie der finanziellen
Möglichkeiten des Arbeitgebers.
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Dabei hat die Einigungsstelle einen weiten Ermessensspielraum, wie sie die den
Arbeitnehmern entstehenden Nachteile ausgleichen will (Schaub a.a.O. § 244 V 4 d,
Seite 2008; BAG AP 7 zu § 112 BetrVG 1972).
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b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist dem Landgericht darin zuzustimmen, dass
unter die Wendung "frühestmöglicher Erhalt einer gesetzlichen Altersrente" auch die
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit fällt, wie sie hier für den Kläger ab 1. Januar 2002
möglich war. Letzteres ergibt sich aus der Rentenauskunft der
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 12. Juli 2000. Weshalb sich insoweit
aus der früheren Rentenauskunft der Bundesversicherungsanstalt vom 14. Juli 1999
etwas anderes ergeben sollte, ist entgegen der Meinung des Klägers nicht ersichtlich.
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Der Regelung, betreffend Abfindungen, im Sozialplan vom 28. Mai 1999 ist zu
entnehmen, dass die Abfindung der Höhe nach bzw. im Zeitraum des Bezugs begrenzt
sein sollte für Arbeitnehmer, die bereits einen Anspruch auf gesetzliche Altersrente
hatten oder das 57. Lebensjahr vollendet hatten. Für Arbeitnehmer, die bereits eine
Möglichkeit zum Rentenbezug besaßen, sollte bei sofortigem Ausscheiden eine
Abfindung von 10.000 DM gezahlt werden, wobei auch ausdrücklich die Möglichkeit der
vorgezogenen gesetzlichen Altersrente einbezogen war. Mit der Wendung
"frühestmöglicher Erhalt von gesetzlicher Altersrente bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente" ist
hinreichend deutlich gemacht, dass der einzelne Arbeitnehmer nach dem Sozialplan nur
dann noch Anspruch auf monatliche Leistungen als Abfindung bekommen sollte, wenn
er noch keinerlei Möglichkeit zum Bezug einer gesetzlichen Rente hatte. Wäre, wie
nach Auffassung des Klägers, mit dem gesetzlichen Rentenbezug stets ein solcher ab
vollendetem 65. Lebensjahr gemeint, so wäre die Verwendung des Wortes
"frühestmöglich" überflüssig gewesen.
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Die Regelung nach der vom Landgericht vorgenommenen und vom Senat gebilligten
Auslegung ergibt auch insofern einen Sinn, als damit gewährleistet ist, dass der
betreffende Arbeitnehmer in jedem Falle monatliche Bezüge erhält, nämlich sobald er
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einen gesetzlichen Rentenanspruch hat, gegenüber der Rentenkasse und bis dahin
nach dem Sozialplan. Dies erscheint auch insofern angemessen, als bei dieser Lösung
mehr finanzielle Mittel für diejenigen Arbeitnehmer übrig blieben, die in absehbarer Zeit
noch keinen Anspruch auf gesetzliche Rente hatten. Dem entsprechend hat das
Bundesarbeitsgericht es auch mehrfach für zulässig angesehen, dass einem
Arbeitnehmer nach einem Sozialplan nur dann Ansprüche zustehen, wenn er nach
Erschöpfung der Möglichkeit, Arbeitslosengeld zu beziehen, vorgezogenes
Altersruhegeld beantragt, wobei dann auch eine gekürzte Rente in Kauf zu nehmen ist
(BAG NJW 1983, 1136; 1989, 480).
Nach allem ist die streitige Wendung dahin auszulegen, dass der frühestmögliche
Bezug von gesetzlicher Altersrente auch die gesetzliche Altersrente wegen
Arbeitslosigkeit umfasst.
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c) Entgegen der Meinung des Klägers ist der von ihm zitierten Entscheidung des
Bundesarbeitsgerichts vom 19. Oktober 1999 (NZA 2000, 732 = ZIP 2000, 815 = AP §
112 BetrVG 1972 Nr. 135) nicht zu entnehmen, was unter dem frühestmöglichen Bezug
einer gesetzlichen Altersrente zu verstehen ist. Der Begriff der gesetzlichen Altersrente
ist dort nicht näher erläutert, und auch aus dem Zusammenhang der
Entscheidungsgründe ergibt sich nicht, dass die Altersrente aufgrund Arbeitslosigkeit
nicht darunter fallen kann.
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d) Dem Landgericht ist schließlich darin zuzustimmen, dass die Abfindung ohne darüber
hinausgehende Zahlung von Steuern und Sozialabgaben auszuzahlen war. Auf die
zutreffenden Ausführungen Blatt 8 f. des angefochtenen Urteils wird verwiesen, wobei
schon fraglich ist, ob es angesichts des eindeutigen Wortlauts ("brutto ausgezahlt")
überhaupt einer Auslegung bedarf. Ist aber auszulegen, so im Sinne der Auslegung des
Landgerichts.
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II.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen. Es handelt sich weder um eine Sache
von grundsätzlicher Bedeutung, noch weicht der Senat von einer anderen
obergerichtlichen Entscheidung ab (§§ 543 Abs. 2 ZPO, 26 Nr. 8 EG ZPO).
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Streitwert für die Berufungsinstanz, zugleich Höhe der Beschwer für den Kläger:
118.406,37 EUR = 231.582,75 DM.
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a. E T VROLG ROLG ROLG
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