Urteil des OLG Düsseldorf vom 04.10.2010

OLG Düsseldorf (kläger, kapitalanlage, beratung, anlage, höhe, bank, empfehlung, stimme, bezug, agio)

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-9 U 21/10
Datum:
04.10.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-9 U 21/10
Tenor:
Die Berufung der Kläger gegen das am 30.10. 2009 verkündete Urteil
der 1. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 120 % aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
120 % des von ihr zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
1
I.
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Die Kläger begehren von der Beklagten Schadensersatz wegen angeblich
unzulänglicher und fehlerhafter Beratung bei der Zeichnung einer Kapitalanlage.
3
Die Kläger eröffneten im September 2006 ein Depot bei der Beklagten. Als im Oktober
2007 ein Anlagebetrag aus einem bei Depoteröffnung gezeichneten Zertifikat, das sich
positiv entwickelt hatte, frei wurde, wandten sie sich an den Mitarbeiter V... der
Beklagten. In einem am 18.10.2007 mit diesem geführten Beratungsgespräch wurde ein
Risikoprofil für den Kläger erstellt. Aufgrund der Beratung erwarb der Kläger zugunsten
des gemeinsamen Depots beider Kläger 18 Bonus Express Defensiv Zertifikate, die von
der Lehman Brothers Treasury Co. B.V. mit Sitz in den Niederlanden emittiert und von
der Lehman Brothers Holdings Inc. mit Sitz in den USA garantiert wurden, zum Preis
von 18.000,00 € zuzüglich 2 % Agio, d.h. von insgesamt 18.360,00 €. Die Laufzeit und
die Verzinsung des Zertifikats hingen von der Entwicklung des Dow Jones EURO
STOXX 50 ab. Dabei war die Rückzahlung des eingezahlten Kapitals nicht garantiert;
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bei bestimmten Konstellationen konnte es zu einem teilweisen Verlust und im Extremfall
zu einem Totalverlust kommen.
Bei dem im Rahmen des Beratungsgesprächs erstellten Risikoprofil (Anlage B 10) gab
der Kläger zu seiner Risikoeinstellung an, dass für ihn ausschließlich die Sicherheit im
Vordergrund stehe und er in Geldangelegenheiten nur ungern Risiken eingehe
("Stimme voll zu"). Bei der Frage nach der Vermeidung von kurzfristigen Verlustrisiken
wählte er unter den vier Antwortmöglichkeiten zwischen den Antworten "stimme nicht
zu" und "stimme voll zu" die dritte Stufe, die näher an der Stufe "stimme voll zu" liegt.
Ferner kreuzte er bei der Frage, ob er gerne höhere Renditen erzielen wolle und dafür
bereit sei, Risiken zu akzeptieren, die zweite von vier möglichen Stufen, die näher an
der Alternative "stimme nicht zu" liegt, an. Gleiches gilt für die Aussage, dass ihn der
Verlust auch nur eines Teils seines Vermögens stark belasten würde. Als bevorzugte
Anlageform wählte er unter drei Alternativen die mittlere mit einer Rendite von -5 % bis
12 %. Seine Anlageerfahrung gab er mit bis zu Klasse 4 von 5 möglichen Kategorien,
als Anlagestrategie die Alternative "Ertrag" mit einem maximalen Risikoanteil von 70 %
an, während sie die Beklagte als "ausgewogen" einstufte. Aufgrund dieser Angaben
ermittelte die Beklagte die maximale Wertpapierrisikoklasse des Klägers mit Stufe 4.
Das Lehman-Zertifikat wurde von der Beklagten in die Risikoklasse 3 eingestuft.
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Im September 2008 wurde für die Lehman Brothers Investmentbank in den USA der
Gläubigerschutz angeordnet. Deshalb sind die Zertifikate derzeit weitgehend wertlos.
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Die Kläger sind der Auffassung, sie seien beim Erwerb der Zertifikate nicht anleger- und
objektgerecht beraten worden. Die Beklagte sei daher zur Rückerstattung der
Anlagesumme nebst Agio Zug um Zug gegen Rückübertragung der Zertifikate
verpflichtet. Hilfsweise machen sie Auskunftsansprüche bezüglich empfangener
Vermögensvorteile gegen die Beklagte geltend. Wegen der weiteren Einzelheiten wird
auf das erstinstanzliche Urteil verwiesen.
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Das Landgericht hat die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme mit der
Begründung abgewiesen, die Kläger hätten eine Falschberatung durch die Beklagte
nicht bewiesen.
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Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger, mit der sie ihr erstinstanzliches
Begehren weiterverfolgen. Sie machen geltend, die Beklagte habe in mehrfacher
Hinsicht gegen ihre Beratungspflichten verstoßen. Die Empfehlung der Lehman-
Zertifikate sei nicht anlegergerecht gewesen. Ihnen sei es auf eine sichere Anlage
angekommen. Um eine solche handele es sich bei den Lehman-Zertifikaten nicht. Die
Beklagte habe ihrer Empfehlung auch nicht das am 18.10.2007 erstellte Risikoprofil zu
Grunde legen dürfen. Es sei nur vom Kläger, nicht aber von der Klägerin unterschrieben
worden. Zudem seien die darin gestellten Fragen unverständlich. Zertifikate seien in fast
allen Risikostufen verzeichnet, so dass sie - die Kläger - davon hätten ausgehen dürfen,
dass es sich um eine sichere Anlage handele. Auch die in Bezug auf die
Risikoeinstellung gestellten Fragen seien ungeeignet. So sei nicht erkennbar gewesen,
dass weitere Abstufungen zwischen den vorgegebenen Kategorien "stimme voll zu" und
"stimme nicht zu" bestanden. Letztlich sei dem Risikoprofil zu entnehmen, dass sie eine
sichere Kapitalanlage ohne Risiken zeichnen wollten. Dem würden die Lehman-
Zertifikate nicht gerecht. Der Zeuge V... habe sie auch nicht über das Emittentenrisiko
aufgeklärt. Dieses hätte unabhängig von der Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz der
Lehman Brothers Investmentbank offengelegt werden müssen. Die Lehman-Zertifikate
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seien auch deshalb als Kapitalanlage gänzlich ungeeignet gewesen, weil die
Auszahlungsbedingungen selbst für einen Bankfachmann völlig unverständlich und
unübersichtlich seien. Für den Anleger sei nicht erkennbar, dass sie keiner staatlichen
oder gesetzlichen Kontrolle unterlägen. Schließlich habe die Beklagte auch ihr
finanzielles Eigeninteresse am Geschäft nicht offengelegt. Insbesondere aus dem zur
Akte gereichten Artikel aus dem Nachrichtenmagazin "Stern" ergebe sich, dass die
Beklagte als zentrale Rechnungsstelle für Lehman Brothers tätig gewesen sei. Sie habe
zudem Kick-Back-Zahlungen erhalten, ohne hierüber ordnungsgemäß aufzuklären. Die
im Flyer und in der Wertpapiersammelorder hierzu enthaltenen Angaben seien
missverständlich und unvollständig.
Die Kläger beantragen,
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unter Abänderung des am 30.10.2009 verkündeten Urteils des Landgerichts
Düsseldorf,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger als Gesamtgläubiger 18.360,00 €
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent seit dem 02.11.2007 bis zur
Rechtshängigkeit und nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und nebst außergerichtlichen
Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.176,91 € zu zahlen, Zug um Zug gegen
Aushändigung bzw. Übertragung von Stück 18 Inhaberschuldverschreibungen,
verbrieft als Miteigentumsanteil an der Globalurkunde zur International-
Securities-Identification-Number (ISIN) DE000A0S1160, ausgegeben von
Lehman Brothers Treasury Co. B.V. als Emittentin;
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2. hilfsweise die Beklagte zu verurteilen,
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a) den Klägern Auskunft zu erteilen über sämtliche Zahlungen in Geld, auch
sonstige geldwerte Leistungen, die die Beklagte erhält oder erhalten hat für die
Empfehlung gegenüber den Klägern zum Erwerb der unter dem Klageantrag in
Ziffer 1 bezeichneten Inhaberschuldverschreibungen;
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b) erforderlichenfalls die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben an
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Eides statt zu versichern.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung der Kläger zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil und bestreitet Pflichtverletzungen anlässlich der
Beratung am 18.10.2007. Die Empfehlung der Lehman-Zertifikate habe dem Risikoprofil
der Kläger entsprochen. Diesem sei nicht zu entnehmen, dass die Kläger eine sichere
Anlage gewünscht hätten. Vielmehr habe der Kläger seine Anlagestrategie als
ertragsorientiert mit einem Risikoanteil von 70 % eingestuft und angegeben, dass seine
Aufträge auch bei einer Abweichung vom Risikoprofil durchgeführt werden sollten. Beim
Erwerb des ersten Zertifikats im September 2006 habe er sogar einen Risikoanteil von
100 % im Depot akzeptiert. Bei den Zertifikaten handele es sich auch nicht um
hochspekulative Papiere, sondern um solche, die aus der damaligen Sicht selbst einem
Anleger mit einer konservativen Anlagestrategie hätten empfohlen werden dürfen. Vor
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diesem Hintergrund sei ihre Empfehlung vertretbar gewesen. Der für eine ausgewogene
Anlagestrategie vorgesehene maximale Risikoanteil von 55 % sei dadurch nicht
überschritten worden. Die Kläger seien auch über das Emittentenrisiko unterrichtet
worden. Dieses werde bereits im Produktflyer erläutert. Zudem habe der Zeuge V...
darüber aufgeklärt. Eine mündliche Aufklärung sei an sich sogar entbehrlich gewesen,
weil das Emittentenrisiko aus damaliger Sicht lediglich theoretischer Natur gewesen sei.
Im Übrigen hätten die Kläger bereits in der Vergangenheit ein Zertifikat gezeichnet, so
dass sie mit dieser Anlageform vertraut gewesen seien. Schließlich seien die Kläger
über alle Vergütungsbestandteile umfassend aufgeklärt worden. Bei diesen handele es
sich nicht um Kick-Back-Zahlungen im Sinne der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes, so dass eine Aufklärungspflicht ohnehin nicht bestanden habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsniederschriften beider
Rechtszüge verwiesen.
20
II.
21
Die zulässige Berufung der Kläger hat in der Sache keinen Erfolg. Die Kläger können
von der Beklagten weder Schadensersatz noch die hilfsweise begehrte Auskunft
verlangen.
22
1.
23
Den Klägern steht der mit dem Hauptantrag geltend gemachte Schadensersatzanspruch
aus § 280 BGB wegen Verletzung von Pflichten aus einem Beratungsvertrag nicht zu.
24
a)
25
Zwischen den Klägern und der Beklagten, hier handelnd durch den Zeugen V..., ist
durch die Aufnahme des Verkaufsgesprächs in den Geschäftsräumen der Beklagten in
M... am 18.10.2007 stillschweigend ein Beratungsvertrag zustande gekommen. Inhalt
und Umfang der sich daraus für die Beklagte ergebenden Beratungspflichten sind dabei
von einer Reihe von Faktoren abhängig, die sich einerseits auf die Person des Kunden
und andererseits auf das Anlageobjekt beziehen. Zu den Umständen in der Person des
Kunden gehören insbesondere dessen Wissensstand über Anlagegeschäfte der
vorgesehenen Art und dessen Risikobereitschaft. Die empfohlene Anlage muss unter
Berücksichtigung seines Anlageziels auf die persönlichen Verhältnisse des Kunden
zugeschnitten, also "anlegergerecht" sein. In Bezug auf das Anlageobjekt hat sich die
Beratung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige
Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Dabei ist
zwischen den allgemeinen Risiken (Konjunkturlage, Entwicklung des Börsenmarktes)
und den speziellen Risiken zu unterscheiden, die sich aus den individuellen
Gegebenheiten des Anlageobjekts (Kurs-, Zins- und Währungsrisiko) ergeben. Die
Beratung der Bank muss richtig und sorgfältig, dabei für den Kunden verständlich und
vollständig sein und zeitnah über alle Umstände unterrichten, die für das
Anlagegeschäft von Bedeutung sind (vgl. BGH NJW 1993, 2433 m.w.N.).
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Nach diesen Maßstäben ist auf der Grundlage der erstinstanzlich durchgeführten
Beweisaufnahme eine Pflichtverletzung der Beklagten nicht festzustellen:
27
b)
28
Die Empfehlung des Bonus Express Defensiv Zertifikats der Lehman Brothers Treasury
Co. B.V. durch den Zeugen V... entsprach dem damaligen Profil des Klägers, der seine
Anlagestrategie als ertragsorientiert bezeichnete und die die Beklagte als ausgewogen
einschätzte. Aus dem am 18.10.2007 erstellten Risikoprofil des Klägers ist ersichtlich,
dass es ihm nicht ausschließlich um eine sichere Kapitalanlage ging, sondern dass für
ihn auch die Erzielung eines angemessenen Ertrages wesentliche Bedeutung hatte.
Den Angaben, dass für ihn ausschließlich die Sicherheit im Vordergrund stehe und dass
er nur ungern Risiken eingehe, stehen weitere Erklärungen entgegen, die das hohe
Sicherheitsbedürfnis relativieren. Bereits der Aussage, er wolle auch kurzfristige
Verlustmöglichkeiten auf jeden Fall vermeiden, hat der Kläger nicht uneingeschränkt
zugestimmt. Zudem hat er die Bereitschaft, für höhere Renditen Risiken zu akzeptieren,
nicht vollständig verneint und der Aussage, dass ihn ein auch nur teilweiser Verlust
seines Vermögens stark belasten würde, eher nicht zugestimmt. Als Anlageziel gab er
eine Rendite von -5 % bis 12 %, als Anlageerfahrung Kenntnisse bis zur Klasse 4, die u.
a. Kapitalanlagen in Nicht-€ Fonds einschließlich Länder- und Branchen-Aktienfonds
sowie in Aktien umfasst, an. All dies zeigt, dass der Kläger nicht von vornherein
risikoavers, sondern grundsätzlich in gewissem Umfang bereit war, im Interesse eines
besseren Ertrages überschaubare Risiken in Kauf zu nehmen.
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Die Gestaltung des Fragebogens ändert daran nichts. Dass die die Risikobereitschaft
kennzeichnenden Wahlmöglichkeiten Abstufungen zwischen den vorgegebenen
Antworten zulassen sollten, konnte bei verständiger Betrachtung keinem Zweifel
unterliegen und wurde vom Kläger auch nicht verkannt. Anders kann der Umstand, dass
er selbst von dieser Möglichkeit Gebrauch machte, ohne die Bedeutung der nicht mit
einer eigenen Überschrift versehenen Spalten zu hinterfragen, vernünftigerweise nicht
gewürdigt werden. Ebenso konnte ein Anleger, dessen Kenntnisse und Erfahrungen
nach eigenen Angaben die ersten vier Anlageklassen umfasste, aufgrund der
Zuordnung von Zertifikaten zu allen diesen Klassen nicht dem Irrtum unterliegen, dass
es sich hierbei in jedem Fall um eine risikolose oder risikoarme Kapitalanlage handele.
Es lag vielmehr auf der Hand, dass durch diese Zuordnung den unterschiedlichen
Risikostrukturen von Zertifikaten Rechnung getragen werden sollte. Ein - für die
Beklagte zudem erkennbarer - Irrtum des Klägers bei der Ausarbeitung des Risikoprofils
ist danach nicht feststellbar.
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Dass nur für den Kläger und nicht auch für seine Ehefrau, die Klägerin, ein Risikoprofil
erstellt wurde, ist unerheblich. Die Klägerin war beim Beratungstermin anwesend und
hat sich nach ihrer Darstellung am Beratungsgespräch beteiligt. Dabei ist aus ihren
Angaben anlässlich ihrer Anhörung vor dem Landgericht nicht ersichtlich, dass sie in
Bezug auf die zu zeichnende Kapitalanlage andere Vorstellungen hatte als der Kläger.
Angesichts dessen konnte der Zeuge V... davon ausgehen, dass das Risikoprofil von
beiden Eheleuten getragen wurde. Ohnehin ist aber ausweislich der
Wertpapiersammelorder vom 18.10.2007 nur der Kläger, dessen Risikoprofil erstellt
wurde, als Erwerber der Zertifikate aufgetreten.
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Die Kläger haben auch nicht bewiesen, dass es ihnen abweichend von den Angaben im
Risikoprofil im konkreten Fall auf eine besonders sichere Kapitalanlage ankam. Zwar
hat die Klägerin bei ihrer erstinstanzlichen Anhörung erklärt, sie hätten ausdrücklich
darauf hingewiesen, dass ein Verlust in jedem Fall vermieden werden solle; der Kläger
hat das unter Bezugnahme auf die Ausführungen seiner Ehefrau bestätigt. Diese
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Darstellung ist allerdings bereits schwerlich mit dem Inhalt des gleichzeitig erstellten
Risikoprofils vereinbar, aus dem sich eine solche Einstellung gerade nicht ergibt.
Warum der Kläger hier bei derselben Gelegenheit unterschiedliche Zielvorgaben
gemacht haben soll, ist nicht nachvollziehbar. Zudem hat auch der erstinstanzlich
vernommene Zeuge V... nicht zu bestätigen vermocht, dass es den Klägern auf eine
besonders sichere Kapitalanlage ankam. Zwar hatte er an Einzelheiten des mit den
Klägern geführten Gesprächs keine genaue Erinnerung. Er hat jedoch ausgeschlossen,
dass er den Klägern das Zertifikat empfohlen hätte, wenn sie eine absolut sichere
Kapitalanlage gewünscht hätten. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist insoweit
nicht zu beanstanden.
Die Empfehlung des Zeugen V..., Lehman-Zertifikate zu zeichnen, war auch
objektgerecht. Es handelte sich zwar um eine Anlage, die mit gewissen Risiken
verbunden war, nicht jedoch um eine hochspekulative Anlage, so dass sie in das
Risikoprofil der Kläger passte. Die Zertifikate orientierten sich an der Entwicklung des
Dow Jones EURO STOXX 50, eines Index, in dem 50 der größten führenden
Unternehmen aus unterschiedlichen Marktsektoren aus 12 EU-Staaten, u. a. auch
Deutschland, repräsentiert werden. Zu einem teilweisen oder gänzlichen Verlust des
Kapitals konnte es nach den Emissionsbedingungen nur kommen, wenn die Barriere
von 50 % des Ausgangswerts berührt oder unterschritten wurde. Dafür, dass dies im
Jahr 2007 für die Beklagte erkennbar unmittelbar bevorstand, ist nichts ersichtlich.
Zudem genoss die Lehman-Bank einen guten Ruf. Dass sie insolvent werden könnte,
war im Zeitpunkt der Zeichnung der Anlage äußerst unwahrscheinlich.
Dementsprechend verfügte die Kapitalanlage auch über ein gutes Rating bei den
führenden Rating-Agenturen.
33
c)
34
Auch weitere Beratungsfehler haben die Kläger nicht bewiesen. Insoweit ist der Senat
an die Beweiswürdigung des Landgerichts gebunden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), weil
konkrete Anhaltspunkte für deren Fehlerhaftigkeit oder Unvollständigkeit nicht bestehen
und von den Klägern auch nicht vorgetragen wurden.
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Hiernach können sich die Kläger nicht darauf berufen, sie seien nicht über das
Emittentenrisiko aufgeklärt worden. Dass ein solches bestand, ergibt sich aus dem bei
der Beratung verwendeten Flyer. Dort ist auf Seite 7 ausgeführt, dass die Rückzahlung
des Zertifikats von der Bonität der Emittentin bzw. Garantin abhängt. Deren
Einschätzung durch die führenden Rating-Agenturen und damit die Wahrscheinlichkeit,
dass es zu einem Zahlungsausfall kommen könnte, wird auf Seite 11 des Flyers
dargestellt. Dem Landgericht kann danach nicht zum Vorwurf gemacht werden, den
Zeugen V... nicht dazu befragt zu haben, ob er gegenüber den Klägern Angaben zur
Wahrscheinlichkeit eines "Kreditfalls" gemacht hat.
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Aus dem Flyer (Seite 10) ergibt sich weiterhin, dass das Risiko von Kapitalverlusten bis
hin zum Totalverlust bestand, wenn der maßgebliche Dow Jones EURO STOXX 50
mindestens einmal auf oder unter 50 % des Ausgangswertes fällt. Schließlich werden im
Flyer auch die Rückzahlungsmodalitäten erläutert, insbesondere in der schematischen
Darstellung auf den Seiten 6 und 7. Dabei ist unschädlich, dass diese Darstellung die
Rückzahlungsmodalitäten nur in ihren Grundzügen erklärt. Eine in jede
finanzmathematische Einzelheit gehende Darstellung konnten die Kläger aufgrund der
Komplexität der Finanzanlage nicht erwarten. Dies würde, wie bei jedem Erwerb von
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hochentwickelten Produkten, den Rahmen einer Beratung überschreiten. Eine solche
dient dazu, einem Kunden ein unübersichtliches Finanzprodukt verständlich zu erklären.
Dass dies nicht geschehen wäre, hat das Landgericht rechtsfehlerfrei nicht feststellen
können. Vielmehr will der Zeuge V... die erforderlichen Erläuterungen anhand des
Produktflyers erteilt haben. Dass diese Erläuterungen bezüglich der
Rückzahlungsmodalitäten falsch sein sollen, tragen die Kläger demgegenüber nicht vor.
Auch eine weiter gehende Hinweispflicht dahin, dass keine staatliche Kontrolle der
Ermittlung des Rückzahlungswertes erfolgt, bestand nicht; bei einem Produkt einer
ausländischen privaten Emittentin kann eine derart weitgehende staatliche Kontrolle
ohnehin nicht erwartet werden.
d)
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Die Kläger haben schließlich auch nicht bewiesen, dass sie pflichtwidrig nicht
ausreichend über das finanzielle Eigeninteresse der Beklagten an der Durchführung
des Geschäfts aufgeklärt worden sind.
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Eine allgemeine Verpflichtung der Bank, den Kunden über jedes finanzielle
Eigeninteresse aufzuklären, besteht nicht. Vielmehr ist die Bank nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung lediglich in Bezug auf die Gewährung und die
Höhe verdeckter Rückvergütungen zur umfassenden Aufklärung verpflichtet. Insoweit
besteht die Gefahr, dass sich die Bank bei der Beratung und Empfehlung von
Kapitalanlagen nicht allein am Kundeninteresse, sondern zumindest auch an ihrem
eigenen Interesse, möglichst hohe Rückvergütungen zu erhalten, orientiert (vgl. BGH
WM 2010, 885, 886). Solche aufklärungspflichtigen Rückvergütungen liegen allerdings
nur vor, wenn Teile der Ausgabeaufschläge oder Verwaltungskosten, die der Kunde
über die Bank an die Emittentin zahlt, hinter seinem Rücken an die beratende Bank
umsatzabhängig zurückfließen, so dass diese ein für den Kunden nicht erkennbares
Interesse hat, gerade diese Kapitalanlage zu empfehlen (vgl. BGH WM 2009, 2306,
2307; BGH WM 2010, 885, 886). Andere Vergütungen wie etwa Vertriebsprovisionen,
die nicht aus dem Ausgabeaufschlag geleistet werden, bedürfen dagegen ohne
Nachfrage des Kunden jedenfalls dann keiner besonderen weiteren Aufklärung durch
die Bank, wenn sie im Prospekt nach Inhalt und Höhe korrekt ausgewiesen sind und
dieser dem Kunden so rechtzeitig übergeben wird, dass er sich mit seinem Inhalt
vertraut machen konnte (vgl. BGH WM 2009, 2306, 2307).
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Nach diesen Maßstäben lässt sich ein Beratungsfehler der Beklagten vorliegend nicht
feststellen.
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Soweit die Beklagte das Agio in Höhe von 2 % erhalten hat, ist der Kläger hierüber u. a.
durch die von ihm unterzeichnete Wertpapiersammelorder vom 18.10.2007 aufgeklärt
worden. Eine Rückvergütung des Agios ist damit nicht "hinter dem Rücken" der Kläger
erfolgt. Entgegen der Auffassung der Kläger sind die entsprechenden Angaben in der
Wertpapiersammelorder auch nicht missverständlich. Die Abkürzungen "AA" und "VFP"
sind bereits im folgenden Absatz erläutert und in der Tabelle zudem untereinander
angeordnet, so dass sich die Angabe von 2 % nur auf das Agio beziehen konnte. Die
Bezugsgröße dieses Prozentsatzes und damit der absolute Betrag liegen auf der Hand
und ergeben sich zudem aus dem in der nächsten Spalte ausgewiesenen
"Anlagebetrag" von 18.360,00 €, der sich aus dem Nominalwert von 18.000,00 € und
2 % Agio zusammensetzt. Dass dieses Agio vom Kläger nicht jährlich zu zahlen und
damit auch nicht "pro anno" an die Beklagte weiterzureichen war, folgt
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unmissverständlich aus dem Orderformular. Im Übrigen wäre es aber auch unschädlich,
wenn die Kläger irrtümlich von einer höheren Vergütung ausgegangen wären. Durch
eine solche Überschätzung des finanziellen Eigeninteresses der Beklagten konnte
ihnen kein Nachteil entstehen.
Darüber hinausgehende finanzielle Interessen der Beklagten aufgrund einer
Vertriebsvergütung bzw. Innenprovision waren nicht aufklärungspflichtig, weil sie nicht
auf einer Rückvergütung im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung beruhen.
Dass Innenprovisionen geleistet worden sind, ergibt sich zudem aus Seite 11 des
Flyers. Dabei kommt es nicht darauf an, dass dieser erst anlässlich des
Beratungstermins an die Kläger ausgehändigt wurde, denn nach der Aussage des
Zeugen V... hat dieser üblicherweise mit den Kunden insbesondere die
Produktinformationen auf Seite 11 des Flyers, die auch die Angaben zu den
Vergütungen enthalten, besprochen. Anhaltspunkte dafür, dass dies in Bezug auf die
Kläger nicht erfolgt sein könnte, sind nicht ersichtlich. Danach steht schon nicht fest,
dass eine - etwa notwendige - Aufklärung über die Vergütung nicht erfolgt ist, was zu
Lasten der darlegungs- und beweispflichtigen Kläger geht.
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Schließlich fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte über die im Flyer
erwähnten Vergütungen hinaus weitere Rückvergütungen bzw. Provisionen erhalten
hat. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus dem von den Klägern vorgelegten
Presseartikel, der nur allgemeine, nicht auf konkrete Produkte bezogene Informationen
enthält.
44
e)
45
Soweit die Kläger geltend machen, sie seien anlässlich eines Telefonats im August
2008 von einer Frau K... davon abgehalten worden, ihre Zertifikate zu veräußern, kann
sich hieraus - abgesehen von der Frage, ob dieser Rat pflichtwidrig gewesen wäre - die
von den Klägern begehrte Rechtsfolge nicht ergeben. Im Übrigen haben die Kläger die
diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts mit der Berufung nicht angegriffen.
46
2.
47
Die Berufung der Kläger hat auch in Bezug auf den mit dem Hilfsantrag geltend
gemachten Auskunftsanspruch keinen Erfolg.
48
Den Klägern steht dieser Anspruch bereits deshalb nicht zu, weil die Beklagte, wie zu
Ziffer 1. d) ausgeführt worden ist, die Auskunft bereits erteilt hat. Anhaltspunkte dafür,
dass die Auskunft falsch oder unvollständig sein könnte, sind auf der Grundlage der
obigen Ausführungen nicht ersichtlich.
49
3.
50
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
51
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen
nicht vor.
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Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird wie folgt festgesetzt:
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Hauptantrag: 18.360,00 €
54
Hilfsantrag: 1.836,00 €
55
gesamt: 20.196,00 €
56