Urteil des OLG Düsseldorf vom 18.02.2010

OLG Düsseldorf (kläger, vergütung, tatsächliche vermutung, höhe, abrechnung, honorar, schneider, leistung, unangemessenheit, tätigkeit)

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-24 U 183/05
Datum:
18.02.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-24 U 183/05
Vorinstanz:
Landgericht Wuppertal, 19 O 21/05
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird unter Zurückweisung seines
weiterge-henden Rechtsmittels das am 18. November 2005 verkündete
Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal -Einzelrichter-
teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.170,94 EUR nebst Zinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04. Mai
2005 zu zahlen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Von den Kosten aller Rechtszüge tragen der Kläger 89% und der
Beklagte 11%. Davon ausgenommen sind die außergerichtlichen
Auslagen der Partei-en im zweiten Durchgang des
Berufungsrechtszuges; von diesen Auslagen tragen der Kläger 60% und
der Beklagte 40%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen,
die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, es sei denn, der
Beklagte leistet vorher Sicherheit in gleicher Höhe.
Die Revision wird zugunsten des Klägers zugelassen.
G r ü n d e
1
A.
2
Die Parteien streiten, soweit hier noch von Interesse, um das Honorar, dass der
klagende Rechtsanwalt für die Verteidigung des Beklagten in einem vor dem
Schöffengericht Wuppertal geführten Strafverfahren (14 Ls 21 Js 1132/99 AG Wuppertal)
verlangt. Der Beklagte war angeklagt, als Geschäftsführer der F. und K. GmbH (künftig:
F-GmbH) gemeinschaftlich handelnd mit seinem gesondert verfolgten
Mitgeschäftsführer in der Zeit von Februar 1991 bis November 1994 in 46 Fällen
Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite in Höhe von
3
mindestens rund 550.000 DM nicht abgeführt und tateinheitlich Betrug begangen sowie
Gewerbe- und Körperschaftssteuer in Höhe von mindestens rund 400.000 DM verkürzt
zu haben. Der Beklagte wurde erstinstanzlich wegen Beitragsvorenthaltung in
Tateinheit mit Betrug in 22 Fällen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitstrafe
von neun Monaten verurteilt, nachdem das Gericht die (mangelhaft angeklagten)
Steuerdelikte auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 StPO eingestellt hatte. Im
Berufungsrechtszug, in dem der Beklagte von seinem jetzigen Prozessbevollmächtigten
vertreten worden ist, ist das Verfahren gemäß § 153 a StPO nach Zahlung einer
Geldbuße (20.000 EUR) eingestellt worden. Vorausgegangen war ein im Jahre 1994
eingeleitetes Ermittlungs- und Strafverfahren mit gleichem Gegenstand, in welchem der
Kläger den Beklagten bereits verteidigt hatte und das nach durchgeführter
Hauptverhandlung wegen eines Verfahrenshindernisses am 10. November 1999
eingestellt worden war (14 Ls 21 Js 1390/94 AG Wuppertal, künftig: Erstverfahren). Das
im Erstverfahren abgerechnete Honorar (11.554,07 EUR) hat der Kläger erhalten. Am
07. Dezember 1999, unmittelbar nach Erhebung der Anklage im hier umstrittenen
Strafverfahren, unterzeichnete der Beklagte eine vom Kläger vorformulierte Erklärung,
welche mit "Honorarvereinbarung" überschrieben ist (künftig: Honorarvereinbarung).
Unter Bezugnahme auf die Bestellung des Klägers zu seinem Strafverteidiger erklärte
sich der Beklagte darin bereit, ein "Wahlverteidigerhonorar" zu einem Stundensatz von
450 DM (230,08 EUR) zzgl. der gesetzlichen Mehrwertsteuer zu zahlen (Nr. 1 Abs. 1
Satz 1; Nr. 2 Satz 1). Die Honorarvereinbarung enthält u. a. folgende weitere
Einzelregelungen:
Nr. 1 Abs. 1 Satz 2: Abrechnung jeder angefangenen Viertelstunde zu einem Viertel des
Stundensatzes (künftig: Zeittaktklausel)
4
Nr. 1 Abs. 1 Satz 3: Honorierung anwaltlicher Tätigkeit außerhalb der Kanzlei nach der
Zeittaktklausel vom Verlassen des Büros bis zur Rückkehr ins Büro
5
Nr. 1 Abs. 2 Satz 1: Mindesthonorar in Höhe der gesetzlichen Vergütung
6
Nr. 2 Sätze 1 u. 2: Auslagenerstattung (Reisekosten, Tage- und Abwesenheitsgelder,
Postgebühren und Schreibauslagen, Kopierkosten zu 1,00 DM/Kopie)
7
Auf der Grundlage der dem Beklagten unter dem 29. November 2004 erteilten
Kostennote über 25.094,79 EUR (GA 48) und der im Prozess nachgelieferten
Stundenaufzeichnung fordert der Kläger (unter Berücksichtigung einer Teilzahlung von
2.000 EUR) ein Zeithonorar in Höhe von noch 23.094,79 EUR.
8
Der Kläger hat mit seiner am 23. Februar 2005 zugestellten Klage neben dem hier
streitigen Verteidigerhonorar ferner gesetzliches Honorar für anderweitige anwaltliche
und steuerberatende Tätigkeiten im Auftrag der F-GmbH in Höhe von 64.163,04 EUR
(künftig: Gebührenforderung) geltend gemacht und beantragt,
9
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 87.257,83 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Eintritt der Rechtshängigkeit zu zahlen.
10
Der Beklagte hat um
11
Klageabweisung
12
gebeten.
13
Er hat die Nichtigkeit der Honorarvereinbarung und u. a. geltend gemacht, am 17.
Dezember 2002 durch Scheckbegebung und -einlösung weitere 6.000 EUR an den
Kläger auf das Verteidigerhonorar gezahlt zu haben. Das Zeithonorar sei
unangemessen hoch, in berechtigter Höhe sei der Kläger befriedigt.
14
Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Der Senat hat auf dessen
Berufung die Klage abgewiesen (Urteil v. 29. August 2006 bei JURIS). Die dagegen
gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde hat der Bundesgerichtshof hinsichtlich der
Gebührenforderung zurückgewiesen (Beschluss v. 16. Dezember 2008, -IX ZR 174/06-,
juris) und im Übrigen wegen des Verteidigerhonorars die Revision zugelassen. Auf die
Revision des Klägers hat der Bundesgerichtshof das Senatsurteil aufgehoben und den
Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der
Nichtzulassungsbeschwerde und der Revision an den Senat zurückverwiesen (Urteil v.
19. Mai 2009 -IX ZR 174/06-, NJW 2009, 3301).
15
Unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens beantragt der Kläger jetzt noch,
16
das am 18. November 2005 verkündete Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts
Wuppertal -Einzelrichter- teilweise abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an ihn
23.094,79 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit Eintritt der Rechtshängigkeit zu zahlen.
17
Der Beklagte bittet um
18
Zurückweisung der Berufung.
19
Auch er wiederholt sein bisheriges Vorbringen und macht ergänzend geltend, der
abgerechnete Zeitaufwand sei insbesondere auch mit Blick darauf überzogen, dass der
Kläger durch seine Bestellung als Verteidiger im Erstverfahren mit der Materie bereits
umfassend vorbefasst gewesen sei.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Akteninhalt Bezug
genommen. Die Akten des Strafverfahrens (14 Ls 21 Js 1132/99 AG Wuppertal ohne die
vier Beleg-Leitzordner) haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen
Verhandlung. Der Senat hat eine Stellungnahme vom Vorstand der
Rechtsanwaltskammer Hamm eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf das
Gutachten vom 05. Oktober 2009 Bezug genommen.
21
B.
22
Der noch nicht rechtskräftig entschiedene Teil des Rechtsmittels
(Strafverteidigerhonorar) ist teilweise begründet. Der Beklagte schuldet dem Kläger
insoweit nur noch 9.170,94 EUR nebst Zinsen.
23
I.
24
Der Beklagte führt keinen konkreten Angriff gegen die im angefochtenen Urteil
getroffene Feststellung, er habe seine Behauptung nicht unter Beweis gestellt, auf das
Strafverteidigerhonorar über die zugestandenen 2.000,00 EUR hinaus weitere 6.000,00
25
EUR gezahlt zu haben. Entscheidungserhebliche Fehler zum Nachteil des Beklagten
sind insoweit auch nicht ersichtlich. Die Beurteilung des Landgerichts ist im Ergebnis
richtig.
1. Da der Kläger die behauptete Teilerfüllung explizit in Abrede gestellt hat, hat es dem
Beklagten als demjenigen, der sich auf das (teilweise) Erlöschen der Forderung berufen
hat, oblegen, diesen Einwand unter Beweis zu stellen (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB,
69. Aufl., § 362 Rn 16, § 363 Rn 1 m.w.Nachw.).
26
2. Allerdings hat der Beklagte abweichend von der im angefochtenen Urteil getroffenen
Feststellung für seine Behauptung Beweis angeboten, nämlich einerseits durch die
Anregung, ihn selbst dazu eidlich als Partei zu vernehmen, andererseits durch das
Angebot, in der mündlichen Verhandlung "Bankunterlagen" vorzulegen. Das
letztgenannte Angebot, mit dem der Beklagte einen Urkundenbeweis angekündigt
haben dürfte, hat er nicht erfüllt. Er hat in den mündlichen Verhandlungen erster Instanz
vom 04. Mai 2005 und 28. Oktober 2005 entgegen seiner Ankündigung keine
geeigneten Urkunden vorgelegt, wie es gemäß § 420 ZPO hätte geschehen müssen.
Dem erstgenannten Beweisangebot brauchte das Landgericht nicht nachzugehen. Eine
Vernehmung des Beklagten als Partei gemäß § 448 ZPO kam nicht in Betracht. Eine
Parteivernehmung ist nur dann angezeigt, wenn nach dem Sach- und Streitstand in der
letzten mündlichen Verhandlung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Wahrheit der
zu beweisenden Tatsache spricht (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 448 Rn 4
m.w.Nachw.). Eine solche Prozesslage hat nicht vorgelegen. Im Gegenteil: Da der
Beklagte entgegen seiner Ankündigung Urkunden (etwa Belege für die Einlösung eines
Schecks, Kontoauszüge) und auch sonstige Beweisanzeichen (etwa Urkundenkopien)
nicht vorgelegt hat, sprach mehr dafür, dass die Darstellung des die Teilerfüllung
bestreitenden Klägers der Wahrheit entspricht.
27
Der Umstand, dass das Landgericht die vom Beklagten vorgelegten Kopien eines am
18. November 2002 ausgestellten Schecks und eines an den Kläger gerichteten
Schreibens gleichen Tags, in dem die Scheckübersendung angekündigt worden ist,
nicht als Beweisanzeichen bewertet hat, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zwar hat
das Landgericht übersehen, dass das in dem Schreiben zitierte Aktenzeichen (14 Ls 21
Js 1390/94 statt 14 Ls 21 Js 1132/99) nur eine Falschbezeichnung gewesen sein dürfte.
Prozessentscheidend ist dieser Irrtum indes nicht geworden, denn der Kläger hat diese
Scheckzahlung mit Wertstellung zum 11. Dezember 2002 in seiner Abrechnung
berücksichtigt.
28
II.
29
Der Auffassung des Klägers, die Überprüfung der Honorarvereinbarung sei dem Senat
auf Grund des Revisionsurteils vom 19. Mai 2009 generell entzogen, ist nicht zu folgen.
Denn dieses Urteil hat sich ausschließlich mit der formellen Wirksamkeit der
Vereinbarung befasst und diese bejaht. Ausdrücklich hat der Bundesgerichtshof die
Sache zur Überprüfung der Berufungsangriffe des Beklagten gegen den
Vergütungsanspruch zurückverwiesen. Damit steht einer Befassung mit dem Inhalt der
Vereinbarung, insbesondere mit ihrer Angemessenheit im Hinblick auf die gesetzlichen
Höchstgebühren für die Strafverteidigertätigkeit des Klägers nicht nur nichts im Wege,
sie ist vielmehr geboten.
30
III.
31
Der Kläger hat ausweislich der Honorarrechnung in Verbindung mit der
Zeitaufzeichnung entgegen der Feststellung im angefochtenen Urteil nicht "minutiös",
sondern er hat an den 23 Tagen, an denen er vertraglich geschuldete Leistungen
erbracht hat, in 21 Fällen jeweils volle Stunden zwischen einer und acht Stunden,
einmal eine halbe und in einem weiteren Fall eine viertel Stunde abgerechnet
(insgesamt 23 Zeittakte) und kommt auf diesem Weg zu einem Zeitaufwand von
insgesamt 92,75 Stunden. Der Kläger meint, diese Abrechnungsweise sei mit Blick auf
die vereinbarte Zeittaktklausel (Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 Honorarvereinbarung) gedeckt. Das
ist indes nicht der Fall. Die Zeittaktklausel ist, wie der Senat bereits entschieden hat (vgl.
Urt. v. 29. 06. 2006 - I-24 U 196/04 -, AGS 2006, 530 = NJW-RR 2007, 129, 130 sub
B.II.3b, bb) und woran er nach erneuter Prüfung festhält, unwirksam (a.A. OLG
Schleswig AGS 2009, 209 m. zust. Anm. Schons S. 210 und zfs 2009, 345 = m. zust.
Anm. Hansens S. 346, 347).
32
1. Die Zeittaktklausel verstößt gegen § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, weil sie
strukturell geeignet ist, das dem Schuldrecht im allgemeinen und dem
Dienstvertragsrecht im besonderen zugrunde liegende Prinzip der Gleichwertigkeit von
Leistung und Gegenleistung (Äquivalenzprinzip) empfindlich zu verletzen, wodurch der
Verwendungsgegner unangemessen benachteiligt wird (zur Anwendung der AGB-
Bestimmungen auf vorformulierte Nebenabreden in Honorarvereinbarungen vgl. Bunte
NJW 1981, 2657, 2658; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., § 4 RVG Rn. 24
Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 18. Aufl., § 3a Rn. 53; Mayer/Kroiß/Teubel, RVG, 2. Aufl., §
4 Rn. 130 ff; Mayer, AGB-Kontrolle und Vergütungsvereinbarung, AnwBl. 2006, 168,
169).
33
a) Die Parteien haben durch die gemäß § 307 Abs. 3 BGB keiner Inhaltskontolle
unterliegende Preisabrede vereinbart, dass der Zeitaufwand des Klägers mit 450
DM/Std [230,08 EUR/Std] vergütet werden soll. Damit ist das maßgebliche
Äquivalenzverhältnis von voller Leistung und Gegenleistung (der gerichtlichen
Inhaltskontrolle entzogen) privatautonom bestimmt. Daraus folgt gleichzeitig, dass der
Wert eines Zeitaufwands, der nur den Bruchteil einer Stunde ausmacht, auch nur dem
entsprechenden Bruchteil der Stundenvergütung entspricht.
34
b) Von dieser vertraglich vorausgesetzten Äquivalenz weicht die vorformulierte
Zeittaktklausel in ganz erheblicher Weise ab. Sie ist nämlich geeignet, die
ausbedungene vollwertige Leistung, wie sie der Mandant nach Gegenstand und Zweck
des Vertrages erwarten darf, unangemessen zu verkürzen. Sie unterliegt deshalb als
Preisnebenabrede, der keine Leistung des Klägers (Verwenders) im Interesse des
Beklagten als Verwendungsgegner entspricht, der Inhaltskontrolle (vgl. nur BGH NJW
1987, 1931, 1935 sub B.I.1 m.w.N.; NJW 2002, 2386; Palandt/Grüneberg, BGB, 69.
Aufl., § 307 Rn. 62 m.w.N). Die Unangemessenheit der Zeittaktklausel ergibt sich aus
folgenden Umständen:
35
aa) Nach ihr ist nicht nur jede Tätigkeit des Klägers, die etwa nur wenige Minuten oder
gar auch nur Sekunden in Anspruch nimmt (z. B. ein kurzes Telefongespräch,
Personalanweisungen, kurze Rückfragen, das Lesen einfacher und kurzer Texte), im
Zeittakt von jeweils 15 Minuten zu vergüten, sondern auch jede länger andauernde
Tätigkeit, die den jeweiligen Zeitabschnitt von 15 Minuten auch nur um Sekunden
überschreitet, und zwar nicht beschränkt auf eine einmalige Anwendung z. B. am Ende
eines Arbeitstages (diese Art der Rundung billigend z. B. Bischof in:
36
Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/ Mathias/Uher, RVG, 3. Aufl., § 3a Rn 23), sondern
gerichtet auf die stetige Anwendung auch mehrmals täglich.
bb) Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, ob etwa, wie das bei der so
genannten anwaltlichen Hot-Line-Beratung üblich ist (vgl. BGH NJW 2003, 819, 821),
nur eine minutengerechte Abrechnung angemessen ist oder ob mit Blick darauf, dass
der Rechtsanwalt z.B. bei der Entgegennahme eines auch nur kurzen Ferngesprächs
aus seinem aktuellen Gedankenfluss und Arbeitsrhythmus herausgerissen wird und
eine gewisse Zeit benötigt, um die unterbrochene Arbeit konzentriert fortsetzen zu
können, formularmäßig ein angemessener Zeitzuschlag vereinbart werden darf (vgl.
dazu z.B. Bischof aaO; Kuhla/Hüttenbrink, Verwaltungsprozess, 3. Auflage, Abschn. G,
Stichw. "Honorarvereinbarung/Zeithonorar" Rn. 145). Dem Senat erscheint zweifelhaft,
ob solche (meist unvermeidbaren) Zeitverluste überhaupt formularmäßig zu Lasten der
an der Unterbrechung beteiligten Mandanten abgerechnet werden können, zumal dies
ein so genanntes "double-billing" eröffnet, also die Aufrundung der Zeitfraktion bis zum
Ablauf des folgenden 15-Minuten-Zeittakts zu Lasten beider Mandanten formal erlaubt.
Näher liegt es, dass diese Vorgänge, weil sie häufig und kaum zu vermeiden sind,
kalkulatorisch über die Stundensätze erwirtschaftet werden müssen (vgl. dazu Kilian
AnwBl 2004, 688, 689f, der auf der Grundlage US-amerikanischer Untersuchungen
darauf hinweist, dass im Durchschnitt zwei abrechnungsfähigen Stunden ein effektiver
Aufwand von drei Zeitstunden entspricht).
37
Einer abschließenden Entscheidung dieser Rechtsfrage bedarf es indes nicht, weil
jedenfalls ein 15-minütiger Zeittakt, wie er hier vorformuliert vereinbart worden ist,
evident zu einer Benachteiligung des Mandanten führt. So würde z. B. schon die
Entgegennahme oder Führung von vier kurzen Ferngesprächen/Tag (mit
durchschnittlich 15 Sekunden pro Gespräch) auf der Grundlage der Zeittaktklausel zur
Abrechnung eines Stundenhonorars von 450 DM [230,08 EUR] statt eines tatsächlich
insgesamt nur verdienten Minutenhonorars von 7,50 DM [3,87 EUR] führen. Es liegt auf
der Hand, dass es sich dabei nicht mehr um eine angemessene Kompensation von
Unterbrechungen des Arbeitsflusses handelt. Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass
die Zeittaktklausel ja nicht nur bei den in Rede stehenden kurzen
Arbeitsunterbrechungen zur Anwendung kommt, sondern bei jeder - auch längere Zeit
dauernden - Tätigkeit, die vor dem Ablauf eines Zeittaktes von 15 Minuten endet oder
aus beliebigen (überwiegend sogar steuerbaren) Anlässen (z. B. Bearbeitung anderer
Mandate, Terminswahrnehmungen, Pausen, private Tätigkeiten, Beendigung des
Arbeitstages) unterbrochen wird. Dadurch entfaltet die Zeittaktklausel strukturell zu
Lasten des Mandanten in erheblicher Weise sich kumulierende Rundungseffekte (Senat
aaO.; I. Hartung, Die Vergütungsvereinbarung nach § 4 Abs. 1 RVG, in Festschrift für W.
Hartung, 2008, Seite 33; kritisch auch Hommerich/Kilian, Vergütungsvereinbarung
deutscher Rechtsanwälte S. 87; Krämer/Maurer/Kilian, Vergütungsvereinbarung und –
management, 2005, Rn. 599; Bischof in: Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/
Mathias/Uher, aaO; insow. ebs. Rick in: Schneider/Wolf/Rick, RVG, 4. Aufl., § 3a Rn 61,
der eine "Deckelung" für erforderlich hält; vgl. ferner Hansens RVGreport 2009, 164; a.
A. Römermann in: Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., § 4 Rn 1, der jeden
belieben Zeittakt, sogar einen Tagestakt für zulässig hält und Rick in: Kilian/Stein/Rick,
PraxHdb. f. AnwKanz u. Notariat, § 29 Rn 235, der einen 15-Min.-Takt ohne
Einschränkung f. zul. hält).
38
Da der Rechtsanwalt (anders als etwa ein nach Stundenlohn abrechnender
Werkunternehmer oder Architekt, der für nur einen Auftraggeber arbeitet) bei seiner
39
täglichen Arbeit in der Regel nicht kontinuierlich nur ein Mandat, sondern
typischerweise deren mehrere bearbeitet, entstehen bei den Mandatsbearbeitungen
auch folgerichtig und Tag für Tag zahlreiche Zeitintervallfraktionen, die stets, wiederholt
und auch mehrmals täglich zur Anwendung der Zeittaktklausel in allen bearbeiteten
Mandaten und zu Lasten eines jeden Mandanten führen können ("multi-billing"; krit.
dazu Hansens aaO und Bischof aaO). Daraus erhellt, dass die Wirksamkeit der
Zeittaktklausel nicht davon abhängen kann, ob der Rechtsanwalt von ihr extensiven
oder nur zurückhaltenden Gebrauch macht (so aber Schons AGS 2009, 210; ebs.
Charlier/Berners, PraxKomm/StBGebV, 2. Aufl., § 4 Rn 23 zum ähnl. § 4 StBGebV). Nur
weil ihr extensiver Gebrauch darüber hinaus auch einen Verstoß gegen § 242 BGB
bedeuten kann und vom Senat festgestellt worden war, hatte der Bundesgerichtshof
(AGS 2009, 209 = AnwBl 2009, 554) in dem Beschluss über die
Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Senatsurteil (aaO), in dem er sich der
Rechtsauffassung des Senats zu § 242 BGB angeschlossen hatte, keine Veranlassung,
sich mit der vom Senat schon in jenem Urteil unter dem Aspekt des § 307 BGB
verneinten Wirksamkeit der vorformulierten Zeittaktklausel zu befassen.
cc) Die Zeittaktklausel kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass eine
Abrechnung nach kürzeren Zeitabschnitten zu einem unzumutbaren Arbeitsaufwand
des Rechtsanwalts bei der Zeiterfassung führt. Der Aufwand bei der Zeiterfassung hängt
mit Blick auf die seit langem verfügbaren und deshalb auch zum Einsatz zu bringenden
modernen Zeiterfassungssysteme nicht von der Länge des Zeitabschnitts ab (vgl. dazu
schon Knief, Das Preis-/Leistungsverhältnis der anwaltlichen Dienstleistungen - eine
Auseinandersetzung mit der Zeitgebühr, AnwBl. 1989, 258; vgl. auch
Hommerich/Kilian/Jackmuth/Wolf, Die Vereinbarung der anwaltlichen Vergütung, BRAK
2006, 253, 256 und Hommerich/Kilian, Vergütungsvereinbarungen deutscher
Rechtsanwälte S. 88 f, wonach zum Zeitpunkt der repräsentativen Stichprobe im
Frühjahr 2005 allerdings nur 28% der Rechtsanwälte zur Zeiterfassung
Computerprogramme einsetzten.).
40
dd) Gegen die hier vertretene Rechtsauffassung spricht schließlich auch nicht, dass z.
B. § 13 Abs. 2 StBGebV dem Steuerberater erlaubt, für die dort genannten Tätigkeiten
eine Zeitgebühr zwischen 19,00 EUR und 46,00 EUR je angefangene halbe Stunde zu
liquidieren. Diese Bestimmung hat entgegen der Rechtsauffassung des OLG Schleswig
(AGS 2009, 209 = zfs 2009, 345) keine Leitbildfunktion. Die erheblichen Rundungs- und
Kumulierungseffekte zu Lasten des Mandanten, die nach Ansicht des Senats erst zur
Unangemessenheit und Unwirksamkeit der vorformulierten Zeittaktklausel führen, treten
bei Anwendung des § 13 Abs. 2 StBGebV typischerweise nicht ein. Das liegt einerseits
daran, dass dieses Zeithonorar bei dem gesetzlichen Gebührensatzrahmen von 38,00
€/Std. bis 92,00 €/Std. (Mittelsatz 65,00 €/Std.) sehr deutlich unter den Zeithonorarsätzen
liegt, die Rechtsanwälte üblicherweise vereinbaren (vgl.
Hommerich/Kilian/Jackmuth/Wolf, aaO S. 256, wonach der durchschnittliche
Stundensatz im Jahre 2005 bei ca. 180,00 EUR liegt), andererseits daran, dass das
gesetzliche Zeithonorar des § 13 Abs. 2 StBGebV nur für enumerativ bestimmte
Tätigkeiten des Steuerberaters verlangt werden kann (vgl. Eckert, StBGebV, 4. Aufl., §
13 Rn 1 f.; BGH NJW-RR 2001, 493 sub II. 2), zu denen z.B. Beratungsleistungen nicht
gehören (vgl. OLG Düsseldorf OLGR 2003, 449 sub A. II. 2), während beim vereinbarten
Zeithonorar ausnahmslos sämtliche Tätigkeiten erfasst werden, die der Rechtsanwalt für
den Mandanten entfaltet.
41
ee) Ebenso verhält es sich bei der Entschädigung von Sachverständigen,
42
Dolmetschern, Übersetzern, ehrenamtlichen Richtern und Zeugen nach dem
Justizvergütungs- und –entschädigungsgesetz (JVEG). Soweit diese Personen nach
Zeitaufwand entschädigt werden, sehen alle einschlägigen Bestimmungen
Beschränkungen vor, die unangemessene Kumulierungen und Aufrundungen zu Lasten
der Staatskasse und der Parteien verhindern sollen. Ehrenamtliche Richter und Zeugen
(§§ 15 Abs. 2 S. 2, 19 Abs. 2 S. 2 JVEG) werden zwar für die gesamte Zeit ihrer
Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten entschädigt, aber
nicht für mehr als 10 Stunden täglich, wobei nur die letzte angefangene Stunde voll
entschädigt wird. Das Gleiche, allerdings ohne die zehnstündige Zeitbegrenzung, gilt für
nach Stundensätzen zu entschädigende Sachverständige, Dolmetscher und Übersetzer
mit der Einschränkung, dass nur die letzte angefangene halbe Stunde voll entschädigt
wird. Das bedeutet insbesondere für die Entschädigung von Sachverständigen, dass
der notwendige Zeitaufwand für die Anfertigung von Gutachten nicht durch
Arbeitsintervalle unterhalb von 30 Minuten beliebig und ohne, dass der Sachverständige
eine konkrete Leistungen erbringen müsste, kumuliert werden kann. Vielmehr findet
gerade auch bei einem mehrtägigen Arbeitsprozess, während dessen der
Sachverständige die Leistungszeit minutengenau zu erfassen hat, nur an dessen Ende
einmalig eine Zeitaufrundung statt, wenn die Addition der insgesamt erforderlichen Zeit
am Ende des Arbeitsprozesses hinter einer vollen halben Stunde zurückbleibt
(Meyer/Höver/Bach, JVEG, 23. Aufl., § 8 Rn 8.52.; Binz/Dornhöfer/Petzold/Zimmermann,
JVEG 2007, § 8 Rn 16; Schneider/Rödel, JVEG 2007, § 8 Rn 100; Zimmermann, JVEG
2005, § 8 Rn 5).
ff) Ganz Ähnliches gilt für die Vergütung von hauptberuflich tätig werdenden
Vormündern und Verfahrenspflegern, deren Dienstleistung nach § 1836 BGB in
Verbindung mit § 3 Abs. 1 des Vormünder- und Betreuervergütungsgesetzes (VBVG,
abgedr. bei Palandt/Diederichsen, BGB, 69. Aufl., Anh. zu § 1836) und nach § 168 Abs.
1 Nr. 2 FamFG vergütet wird. Der notwendige Zeitaufwand ist minutengenau zu
erfassen, ohne dass hier eine Zeitaufrundung gestattet wäre, auch nicht am Ende der
Leistungszeit (vgl. OLG Braunschweig JurBüro 2002, 3210, 321 und FamRZ 2003, 882,
884; OLG Stuttgart FamRZ 2003, 934, 935; Palandt/Diederichsen, aaO, § 3 VBVG Rn 3
f; Staudinger/Bienwald, BGB 2004, § 1836 Rn 68 m.w.Nachw.; Bumiller/Harders,
FamFG, 9. Aufl, § 168 Rn 1).
43
gg) Soweit der Berufsbetreuer abweichend davon nach pauschalierten Stundensätzen
vergütet wird (§ 5 VBVG), beruht das auf der gesetzlichen Implementierung des
Mediansystems. Die Vergütung erfolgt also nach tätigkeitsbezogenen und zeitlich
gestaffelten pauschalen Stundensätzen, die sich am so genannten Zentralwert
orientieren (vgl. Palandt/Diederichsen, aaO, § 5 VBVG Rn 3). Dieses
Zeitvergütungssystem, bei dem es weder auf den im Einzelfall tatsächlich anfallenden
noch auf den im Einzelfall erforderlichen Zeitaufwand ankommt, ist mit dem hier
relevanten System zur Erfassung des erforderlichen Zeitaufwands nicht vergleichbar
und deshalb ohne jede Aussagekraft.
44
c) Rechtsfolge der unangemessenen Klausel ist ihre Nichtigkeit, § 307 Abs. 1 Satz 1
BGB. Mit Blick auf das im Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen geltende
Verbot der geltungserhaltenden Reduktion (vgl. nur Palandt/Grüneberg, aaO, vor § 307
Rn. 8 m.w.N.) kann die Klausel auch nicht mit einem zulässigen Inhalt aufrechterhalten
bleiben.
45
aa) Der ersatzlose Wegfall der Zeittaktklausel hat zur Folge, dass die Leistung des
46
Klägers im Streitfall nur minutengenau honoriert werden kann. Weil es an einer
entsprechenden Abrechnung fehlt, kann grundsätzlich nur der Zeitaufwand vergütet
werden, dessen Erfassung mit Sicherheit von der Zeittaktklausel nicht beeinflusst ist. Im
Streitfall hat der Kläger insgesamt 23 Zeitintervalle im (aufgerundeten) Zeittakt von 15
Minuten abgerechnet. Das führt infolge der Unwirksamkeit der Zeittaktklausel zu einem
Zeitabzug von 322 Minuten (5,37 Std.). Das entspricht einem abzuziehenden
Honoraranteil von 1.235,53 EUR (5,37 x 230,08 EUR).
bb) An diesem Ergebnis ändert auch nichts der Umstand, dass - anders als in dem vom
Senat entschiedenen Fall (vgl. Urt. v. 29. 06. 2006 - I-24 U 196/04 -, aaO), in dem in 183
Fällen 15-Minuten-Zeittakte abgerechnet worden sind - der Kläger im Streitfall, soweit
feststellbar, eher zurückhaltenden Gebrauch gemacht hat. Diese Feststellung gilt
jedenfalls dann, wenn unterstellt wird, die aufgezeichneten Zeitintervalle von bis zu acht
Stunden gäben eine ununterbrochene Bearbeitung des Mandats wieder. Einer
Aufklärung dieser Frage bedarf es indes nicht, weil die aus § 307 BGB folgende
Unwirksamkeit nicht davon abhängt, in welchem Umfang der Verwender von der
unwirksamen Klausel Gebrauch gemacht hat (vgl. oben sub. B. III, 1 b, bb).
47
IV.
48
Der Kläger hat ferner wiederholt Zeitaufwand abgerechnet, der entweder ersichtlich
nicht angefallen oder objektiv nicht erforderlich gewesen und deshalb auch nicht zu
honorieren ist.
49
1. Am 7. Dezember 1999, an dem Tag der Zustellung der neuen Anklageschrift, will der
Kläger für "Aktenstudium, 4 DIN A 4-Ordner, Besprechung mit Mandant, Studium der
Anklageschrift, Antrag auf Nichteröffnung des Hauptverfahrens" einen Zeitaufwand von
insgesamt 8 Stunden betrieben haben. Zumindest das Studium der "4 DIN A 4-Ordner"
ist nicht abrechnungsfähig. Es kann nämlich nicht festgestellt werden, dass dem Kläger
diese Ordner am 7. Dezember 1999 vorgelegen haben. Der Kläger hat im Zuge der
Bearbeitung des hier umstrittenen Mandats in der Zeit vom 7. Dezember 1999
(Mandatsübernahme) bis zum 17. Dezember 2002 (Urteilsverkündung) Akteneinsicht
erst mit Schriftsatz vom 14. November 2002 beantragt und erhalten. Am 7. Dezember
1999 können ihm demnach nur die (nicht mehr aktuellen) Aktenstücke vorgelegen
haben, die er anlässlich der Verteidigung des Beklagten im abgeschlossen
Erstverfahren gefertigt hatte. Ausweislich der darauf bezogenen Abrechnung vom 16.
November 1999 hatte er aus Anlass der im Erstverfahren genommenen Akteneinsicht
389 Blatt Akten kopiert und abgerechnet. Darunter können sich kaum die Belege aus
vier Leitzordnern befunden haben, wie sich bereits zwanglos aus dem Umfang der
Hauptakten von nur 431 Blatt bei der im Erstverfahren genommenen Akteneinsicht
ergibt. Der dazu im Senatstermin befragte Kläger hat zur weiteren Aufklärung nichts
beitragen können. Der Senat schätzt den erforderlichen Zeitaufwand für die
verbleibenden Leistungen (Besprechung mit Mandant, Studium der Anklageschrift,
Antrag auf Nichteröffnung des Hauptverfahrens) auf 4 Stunden.
50
2. Der Kläger hat ferner für die beiden Hauptverhandlungstage am 10. Dezember 2002
und am 17. Dezember 2002 einen Zeitaufwand von jeweils 7 Stunden abgerechnet. Der
erste Hauptverhandlungstag war auf 9.00 Uhr anberaumt und die Hauptverhandlung
dauerte bis 11.45 Uhr (Dauer: 2,75 Std.). Die Ladung für den zweiten
Hauptverhandlungstag war für 11.00 Uhr erfolgt und die Hauptverhandlung endete um
13.40 Uhr (Dauer: 2,67 Std.). Für die pünktliche Anreise aus Bochum (Kanzleisitz des
51
Klägers) zu dem etwa 36 Kilometer entfernten Gerichtsort (Wuppertal) setzt der Senat
einen Zeitaufwand von 1 Stunde, für die Rückreise einen solchen von 30 Minuten an.
Diesen Reise- und Wartezeitaufwand, den der Beklagte nach Nr. 1 Abs. 1 Satz 3
Honorarvereinbarung vergüten muss, hat der Kläger im Senatstermin selbst als
realistisch bezeichnet. Für den 10. Dezember 2002 bleibt mithin ein ungeklärter
Zeitaufwand von 2,75 Stunden und für den 17. Dezember 2002 ein solcher von 2,83
Stunden. Der dazu im Senatstermin befragte Kläger vermochte zur Klärung nichts
beizutragen. Er hat die Frage des Senats, ob nach Sitzungsende im Gerichtsgebäude
oder z.B. in einem benachbarten Lokal die Hauptverhandlungsergebnisse ausführlich
erörtert worden seien, nicht konkret bejaht, sondern mit Mutmaßungen beantwortet,
während der Beklagte solche Gespräche unumwunden verneint hat. Mit Blick darauf,
dass der Kläger ausweislich der Honorarabrechnung am 6., 8. und 16. Dezember 2002
für die Vorbereitung der Hauptverhandlungstage und die Besprechung mit dem
Beklagten jeweils 4 Stunden (insgesamt 12 Stunden) Zeitaufwand abgerechnet hat,
sind die Angaben des Beklagten auch glaubhaft.
3. Der Kläger hat demnach nicht erbrachten Zeitaufwand in Höhe von (4,00 Std. + 2,75
Std. + 2,83 Std) 9,58 Stunden abgerechnet. Das führt zu einem weiteren Honorarabzug
von 2.204,17 EUR.
52
V.
53
Der Senat hält auch die verbleibende Zeitvergütung, die nach Abzug des durch die
Zeittaktklausel ungerechtfertigten und des im Übrigen nicht erbrachten Zeitaufwands
noch 17.900,22 EUR zzgl. MwSt beträgt (21.339,92 EUR – 1.235,53 EUR - 2.204,17
EUR, künftig: bereinigtes Honorar), immer noch für unangemessen hoch im Sinne des
hier noch anwendbaren § 3 Abs. 3 Satz 1 BRAGO. Sie ist deshalb angemessen
herabzusetzen, und zwar auf 9.336,60 EUR (zuzüglich Nebenkosten und 16 %
Mehrwertsteuer, abzüglich des gezahlten Vorschusses).
54
1. Dabei orientiert sich der Senat entsprechend den Erwägungen des im ersten
Durchgang dieses Verfahrens ergangenen Revisionsurteils vom 19. Mai 2009 (BGH
NJW 2009, 3301) nicht allein an der für den Fall eines vereinbarten gemischten
Pauschal/Zeithonorars entwickelten so genannten Kappungsgrenze. Nach ihr soll eine
tatsächliche Vermutung für die Unangemessenheit des vereinbarten Zeit-
/Pauschalhonorars sprechen, wenn es die gesetzliche Vergütung um mehr als das
Fünffache übersteigt (vgl. BGHZ 162, 98, 107 = NJW 2005, 2142, 2143). Abgesehen
davon, dass noch Klärungsbedarf besteht hinsichtlich der Voraussetzungen, unter
denen der Anwalt die tatsächliche Vermutung der Unangemessenheit der vereinbarten
Vergütung erschüttern kann, ist gänzlich offen, wie es sich bei einem reinen Zeithonorar
verhält, wie es hier vereinbart worden ist. Dies hat der Bundesgerichtshof noch nicht
entschieden, sondern offen gelassen (BGH NJW 2009, 3301).
55
2. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings eine pauschale Kappung des nach
Zeitaufwand abgerechneten Strafverteidigerhonorars für verfassungswidrig erklärt
(Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG), wenn die Vermutung der Unangemessenheit nur bei
"ganz ungewöhnlichen, geradezu extrem einzelfallbezogenen" Umständen (so noch
BGHZ 162, 98; einschränkend BGH NJW 2009, 3301) erschüttert werden kann. Denn
dies bedeutete im Umkehrschluss, dass nach Überschreiten der Vermutungsgrenze in
der weit überwiegenden Anzahl der Fälle den Gemeinwohlbelangen pauschal der
Vorrang vor der Berufausübungsfreiheit des Rechtsanwalts eingeräumt werde (BVerfG
56
AnwBl 2009, 650, 652). Eine solche einseitige Belastung des Rechtsanwalts wäre
allenfalls dann hinzunehmen, wenn sich bei einer Überschreitung der Gebühren um
mehr als das Fünffache eine zur Wahrung der maßgeblichen Gemeinwohlbelange
korrekturbedürftige Äquivalenzstörung derart aufdrängte, dass tatsächlich nur bei "ganz
ungewöhnlichen, extrem einzelfallbezogenen" Umständen die Vergütungsvereinbarung
unangetastet bleiben könnte. Die Überschreitung der gesetzlichen Gebühren um mehr
als das Fünffache lässt diesen Schluss aber nicht zu. Da die gesetzlichen Gebühren
eine adäquate Vergütung des konkreten Mandats nicht anstreben, beinhalten sie auch
keine ökonomische Bewertung der Anwaltsleistung im einzelnen Fall. Daraus, dass die
gesetzliche Vergütung im Rahmen der Mischkalkulation angemessen ist, lässt sich
deswegen nicht herleiten, das den fünffachen Satz übersteigende Zeithonorar sei - nun
bezogen auf ein konkretes Mandat - "mehr als angemessen" und damit unangemessen.
Im Einzelfall, etwa wenn sich die Verteidigung auf umfangreiche Aktivitäten im
Ermittlungsverfahren beschränkt, ist aufgrund der auf die Hauptverhandlung
ausgerichteten Gebührenstruktur noch nicht einmal gesichert, dass der Rechtsanwalt
mit dem Fünffachen des gesetzlichen Vergütungssatzes auch nur kostendeckend
arbeiten kann.
Trotz dieser Erwägungen ist aber ein Vergleich von Zeithonorar und gesetzlichen
Gebühren nicht gänzlich ausgeschlossen. Denn das Vertrauen des Rechtssuchenden in
die Integrität der Anwaltschaft, kann erschüttert werden, wenn ein Rechtsanwalt den
Abschluss einer Vereinbarung über ein Honorar erreicht, dessen Höhe die gesetzlichen
Gebühren um ein Mehrfaches übersteigt. Dies liegt in der faktischen Leitbildfunktion der
gesetzlichen Gebührenordnung begründet. Vor ihrem Hintergrund wird der
Rechtsuchende - ungeachtet der tatsächlich zugrunde liegenden abweichenden
Konzeption - typischerweise davon ausgehen, dass mit den gesetzlichen Gebühren die
anwaltliche Leistung auch im konkreten Fall angemessen abgegolten ist. Die
Befürchtung, bei einer die gesetzlichen Gebühren mehrfach übersteigenden Vergütung
könne ein Rechtsuchender den Eindruck gewinnen, er sei von seinem Rechtsanwalt
übervorteilt worden, ist nicht von der Hand zu weisen (BVerfG aaO.)
57
Deshalb kann es den Fachgerichten aufgrund der faktischen Leitbildfunktion der
gesetzlichen Gebührenordnung von Verfassungs wegen nicht schlechthin verwehrt
sein, zur Bestimmung der Unangemessenheit auf die gesetzlichen
Gebührentatbestände zurückzugreifen. Das schutzwürdige Vertrauen der Bevölkerung
in die Integrität der Anwaltschaft gründet sich mit Blick auf die Vergütungshöhe
typischerweise auf einen Vergleich mit den gesetzlichen Gebühren und Auslagen. Auch
bei einer mehrfachen Überschreitung der gesetzlichen Vergütung kann das Vertrauen
der Rechtsuchenden allerdings dann nicht beeinträchtigt sein, wenn der Nachweis
gelingt, dass die vereinbarte Vergütung im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller
Umstände, insbesondere der Leistungen und des Aufwands des Rechtsanwalts, aber
auch der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers gleichwohl
angemessen ist.
58
Die Überschreitung der gesetzlichen Gebühren um einen bestimmten Faktor ist zur
Bestimmung der Unangemessenheit nach allem nicht schlechthin ungeeignet, darf aber,
um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu wahren, nicht allein
maßgeblich sein. Ob ein qualifiziertes Überschreiten der gesetzlichen Gebühren und
Auslagen gleichsam für die Unangemessenheit des vereinbarten Honorars im Rahmen
einer tatsächlichen Vermutung spricht, die dann jedoch auch tatsächlich einer
Erschütterung zugänglich sein muss, oder bei einer Gesamtabwägung - was dem
59
Wortlaut des § 3 Abs. 3 BRAGO womöglich besser entspräche - zum Tragen kommt, hat
das Bundesverfassungsgericht den Entscheidungen der Fachgerichte überlassen und
weiter ausgeführt, diese seien auch nicht gehindert, bei der Prüfung der
Angemessenheit von Vergütungsvereinbarungen völlig andere Ansätze zu entwickeln
(BVerfG aaO). So kann etwa dann, wenn die Vereinbarung eines Zeithonorars zu
beurteilen ist, dem von den Parteien gewählten Vergütungsmodell am ehesten dadurch
Rechnung getragen werden, dass vornehmlich auf die Angemessenheit dieser
Honorarform im konkreten Fall sowie auf die Angemessenheit des ausgehandelten
Stundensatzes und der Bearbeitungszeit abgestellt wird.
3. In Anwendung dieser Grundsätze gilt das Folgende:
60
a) Das vereinbarte (bereinigte) Honorar von insgesamt netto 18.193,74 EUR (17.900,22
EUR zzgl. Nebenkosten von 293,52 EUR) übersteigt die gesetzliche Nettovergütung
(zzgl. Nebenkosten) um etwa das 16-fache, so dass nach den Regeln der
"Kappungsgrenze" die Unangemessenheitsvermutung, die der Kläger, wie noch
auszuführen sein wird, nicht ausgeräumt hat, eingreifen würde:
61
aa) Gesetzliche Gebühren
62
Zeile Gebührenposition
Betrag/€
01
§§ 84 I, 83 I Nr. 2 BRAGO (Verfahren bis Anklageerhebung)
0,00
02
§ 83 I Nr. 3 BRAGO (1. Hauptverhandlungstag)
660,00
03
§ 83 II Nr. 3 BRAGO (2. Hauptverhandlungstag)
330,00
04
Abwesenheitsgeld, § 28 III BRAGO (2 x 31,00 EUR)
62,00
05
Auslagenpauschale, § 26 S. 2 BRAGO
20,00
06
Dokumentenpauschale, § 27 II BRAGO (50 Seiten x 0,50 EUR/Seite) 25,00
07
dto (restl. 272 Seiten x 0,15 EUR/ Seite)
40,80
08
Gesamtvergütung/netto
1.137,80
63
bb) Ergänzend ist dazu auszuführen:
64
(1) Der Kläger kann für die Verteidigung des Beklagten im hier maßgeblichen zweiten
Strafverfahren keine gesetzliche Vorverfahrensgebühr (Zeile 01) verlangen. Das
scheitert daran, dass im Unterschied zum Erstverfahren nicht festgestellt werden kann,
dass er im Verfahren vor Anklageerhebung für den Beklagten tätig geworden ist. Das
Erstverfahren ist am 10. November 1999 eingestellt worden, womit das Erstmandat
endete. Die Staatsanwaltschaft hat sogleich am 16. November 1999 die Ermittlungen
wieder aufgenommen und an demselben Tag die neue Anklageschrift gefertigt. Diese ist
am 23. November 1999 beim Amtsgericht eingegangen, ist dem Beklagten am 03.
Dezember 1999 und Kläger am 07. Dezember 1999 zugestellt worden, ohne dass der
Beklagte oder der Kläger zuvor noch einmal angehört worden sind.
65
(2) Die Abwesenheit des Kläger an beiden Hauptverhandlungstagen hatte mehr als 4
und weniger als 8 Stunden gedauert, so dass an beiden Tagen das gesetzliche
66
Abwesenheitsgeld angefallen ist (Zeile 04).
b) Der Senat hat unter lit. aa) zu Gunsten des Klägers jeweils die Höchstgebühr des
gesetzlichen Gebührenrahmens zu Grunde gelegt, obwohl er keine feststellbaren
Tatsachen vorgetragen hat, die die Angelegenheit nach Bedeutung, Umfang,
Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der vermögens- und
Einkommensverhältnisse des Beklagten als insgesamt überdurchschnittlich
charakterisieren würden. Im Gegenteil: Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass es
sich insgesamt um eine allenfalls durchschnittliche Angelegenheit gehandelt hat. Dafür
sind die folgenden Kriterien maßgeblich:
67
Keine Haftsache
Keine Sprachprobleme mit den Beteiligten
Keine Abnormitäten in der Person des Beklagten (etwa Drogenabhängigkeit,
Suicidalität)
Es drohte, wenn überhaupt, jedenfalls keine erhebliche Freiheitsstrafe (insgesamt
8-jährige Verfahrensdauer, Schadenswiedergutmachung in Höhe von rund 1,277
Mio DM und rund 105.000 DM auf der Grundlage einer tatsächlichen Einigung mit
den Sozialversicherungsträgern und dem Finanzamt vor Anklageerhebung im
zweiten Strafverfahren
Es handelte sich zwar (entsprechend dem Tatzeitraum von 46 Monaten) um 46
Einzeltaten; diese waren indes völlig gleichförmig
Es lag eine lückenhafte Anklageschrift vor, weshalb mit einer Bestrafung wegen
Steuerhinterziehung nicht ernstlich zu rechnen war (das Verfahren wurde
insgesamt schließlich im Berufungsrechtszug gemäß § 153a StPO wegen
geringer Schuld eingestellt, nachdem der Beklagte eine Geldbuße von 20.000,00
EUR gezahlt hatte)
Ausführliche Vorbefassung des Klägers mit der Angelegenheit im Rahmen des
abgerechneten Erstmandats; die neue Anklageschrift enthielt keine neuen
Tatsachen, so dass der Kläger bis zum 14. November 2002 darauf verzichtet hatte,
überhaupt Einsicht in die aktuellen Akten zu nehmen.
Vorbefassung mit der spezifisch steuerrechtlichen Seite der Angelegenheit
(Körperschaftssteuer/Gewerbesteuermessbeträge jeweils der Jahre 1989 bis 1994
als Verfahrens- bzw. Prozessbevollmächtigter des Beklagten gegenüber dem
Finanzamt Velbert und dem Finanzgericht Düsseldorf
Anklage vor dem (nicht erweiterten) Schöffengericht
Nur zwei Hauptverhandlungstage von kurzer Dauer
Keine rechtlichen Spezialkenntnisse erforderlich
68
69
Von überdurchschnittlicher Schwierigkeit und überdurchschnittlichem Umfang waren
allerdings die Schadensberechnung in der Anklageschrift und die ihr zu Grunde
liegenden Modellrechnungen der AOK Velbert und des dortigen Finanzamts sowie das
Studium des Gutachtens, das das Amtsgericht zur Feststellung der Höhe des von den
Sozialversicherungsträgern erlittenen Schadens eingeholt hatte. Ferner waren die
Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beklagten überdurchschnittlich.
70
c) Lag insgesamt eine allenfalls durchschnittliche Angelegenheit vor, so hält der Senat
die bereinigte Vergütung von 18.193,74 EUR (zzgl. 16% MWSt) für unangemessen
hoch. Sie ist um insgesamt 8.563,62 EUR auf 9.630,12 EUR (zzgl. 16% MWSt) zu
kürzen.
71
aa) Allerdings hält der Senat die Honorarform – Vergütung nach Zeitaufwand – im
konkreten Fall für angemessen (vgl. BVerfG aaO. S. 653). Denn in
Wirtschaftsstrafsachen, zu denen auch Strafverfahren wegen Hinterziehung von Steuern
und unterlassener Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen zählen, lässt sich die
Dauer des Verfahrens ebenso wenig abschätzen wie der konkrete Ablauf. Ein
Pauschalhonorar kann deshalb im Einzelfall, etwa wenn sich der Verteidiger auf
umfangreiche Aktivitäten im Ermittlungsverfahren konzentrieren will, um frühzeitig eine
Einstellung des Strafverfahrens zu erreichen, den Mandanten benachteiligen. Bleibt
nämlich dieser Erfolg aus, so ist nicht ausgeschlossen, dass der Rechtsanwalt im
Hauptverfahren in die Bearbeitung des Mandats weniger Arbeitsstunden investiert als
an sich erforderlich wäre. Denn er muss sonst befürchten, eine Vergütung über die
"verbrauchte" Pauschale hinaus nicht mehr durchsetzen zu können. Umgekehrt ist nicht
auszuschließen, dass Strafverfahren bei Entfaltung hinreichender Verteidigungsaktivität
bereits im Ermittlungsverfahren einzustellen wären, der Verteidiger den Umfang seiner
Bemühungen jedoch deswegen in das Hauptverfahren verlagert, um von der
vereinbarten Pauschale noch etwas zu haben. Entsprechendes gilt, wenn ein im
Rahmen bleibendes Vielfaches der gesetzlichen Gebühren vereinbart würde.
72
bb) Der Senat hält jedoch den ausgehandelten Stundensatz von 450,00 DM [230,08
EUR] für nicht angemessen. Er ist auf 180 EUR herabzusetzen. Dies folgt aus der im
Rahmen von § 3 Abs. 3 BRAGO zu treffenden Gesamtabwägung zur Herbeiführung des
Interessenausgleichs (BVerfG aaO., Senat OLGR Düsseldorf 1996, 211; ferner Kilian
BB 2009, 2098, 2103 f). Unter Berücksichtigung der unter B.V.3.b) genannten Kriterien
ist ein höherer Stundensatz nicht gerechtfertigt, weil die Angelegenheit nicht höher als
durchschnittlich einzustufen ist. Üblicherweise vereinbaren die Rechtsanwälte
Zeithonorare, deren durchschnittlicher Stundensatz bei 180,00 EUR liegt (vgl.
Hommerich/Kilian/Jackmuth/Wolf, aaO S. 256). Dieses Ergebnis beruht auf einer
repräsentativen Stichprobe, die das Soldan-Institut im Frühjahr 2005 bei 1021
Rechtsanwälten erhoben hat, die am häufigsten einen (bereinigten) Preis für die
anwaltliche Arbeitsstunde von 150,00 EUR nannten (aaO). Im Hinblick auf die
allgemeine Preissteigerung in Deutschland geht der Senat davon aus, dass diese Sätze
in den Jahren 1999 bis 2002, in die die Tätigkeiten des Klägers fielen, jedenfalls nicht
höher waren.
73
An dieser Bewertung ist der Senat auch nicht durch das Gutachten des Vorstands der
Rechtsanwaltskammer Hamm vom 5. Oktober 2009 gehindert. Zwar haben von der
Kammer im August 2008 durchgeführte Erhebungen einen üblichen Stundensatz von
mindestens 250 EUR ergeben. Diese Aussage gilt einerseits nicht für den hier
relevanten Zeitraum und lässt auch nicht erkennen, ob sie Gültigkeit hat für den hier zu
beurteilenden Fall unter Berücksichtigung der oben (sub B.V.3.b) dargestellten
Umstände. Diese Umstände würdigt das Gutachten nur gänzlich unzureichend.
Insbesondere die ausführliche Vorbefassung des Klägers mit den gegen den Beklagten
erhobenen Vorwürfen bleibt ohne ausreichende Würdigung, obwohl der Senat die
Kammer bei der Übersendung der Akten auf diese Besonderheit ausdrücklich
hingewiesen hat.
74
Bestätigt wird dies durch das eigene Verhalten des Klägers. Denn er hat im ersten
Durchgang des Strafverfahrens ein Honorar von insgesamt 11.554,07 EUR berechnet
und selbst für angemessen gehalten, obwohl er sich anlässlich des Erstverfahrens in die
dem Beklagten zur Last gelegten Taten erstmals umfassend einarbeiten und die
umfangreichen Akten erstmals gründlich studieren musste, während ihm diese
Tatsachen – mit Ausnahme des Gutachtens der Buchsachverständigen – im hier
abzurechnenden Zweitverfahren weitgehend bekannt gewesen sind.
75
cc) Schließlich hält der Senat auch die in Rechnung gestellte (um die Aufrundungen
infolge der Zeittaktklausel und des nicht erbrachten Zeitaufwands) gekürzte
Bearbeitungszeit (künftig: bereinigte Bearbeitungszeit) von 77,80 Stunden (92,75 Std. -
5,37 Std. - 9,58 Std.) nicht für angemessen (vgl. BVerfG aaO). Diese ist vielmehr um ein
Drittel, also um 25,93 Stunden auf 51,87 Stunden zu kürzen.
76
Anlass für diese Herabsetzung ergeben die obigen Feststellungen (B IV.), nach denen
der Kläger wiederholt nicht angefallenen Zeitaufwand abgerechnet hat. Wie das
Bundesverfassungsgericht (aaO S. 651) ausgeführt hat, ist in einem solchen
Zusammenhang der Mandantenschutz als Ausprägung des allgemeinen
Verbraucherschutzes berührt. Bei dem Vertragsgegenstand – Strafverteidigung – geht
es um eine immaterielle Leistung, deren Gegenwert der Rechtsuchende selten
ermessen kann. Hinzu kommt die asymmetrische Informationsverteilung zwischen
Mandant und Rechtsanwalt hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Rechtssache sowie
des zu ihrer sachgerechten und möglichst erfolgreichen Betreuung erforderlichen
Aufwands. Wird wie hier ein Zeithonorar vereinbart, bleibt der tatsächlich angefallene
Zeitaufwand dem Mandanten verborgen, so dass ein unredlicher Rechtsanwalt also in
weitem Umfang ohne Kontrolle seiner tatsächlichen Leistung vertraglich seinen
Mandanten finanziell beanspruchen kann (BVerfG aaO; vgl. auch Senat, Urt. v. 29. 06.
2006 - I-24 U 196/04 -, AGS 2006, 530 sub B.II.4a,dd(1), insoweit in NJW-RR 2007, 129
nicht abgedruckt).
77
Die unter B.IV. beschriebenen Umstände haben bei dem Senat zu der Überzeugung
geführt, dass die verzeichneten Stunden nicht in dem Umfang erforderlich gewesen
sind, wie sie der Kläger tatsächlich abgerechnet hat. Daran vermag auch die Aussage
der Zeugin Ullmann nichts zu ändern. Zu den unter B.IV.1. genannten Vorgängen
konnte sie keine Angaben machen. Auch zu der von ihr selbst gefertigten Stundenliste
hat sie nur bekundet, sie habe zum größten Teil selbst wahrgenommen, dass die
Tätigkeiten tatsächlich entfaltet wurden. Darauf kommt es in diesem Zusammenhang
aber nicht an. Maßgeblich ist nicht die tatsächlich aufgewendete Zeit, sondern nur die
erforderliche Zeit, also die Zeit, die bei der gebotenen Konzentration und
Beschleunigung der Mandatsbearbeitung objektiv erforderlich ist
(Wirtschaftlichkeitsgebot im Mandanteninteresse, vgl. BGH NJW 2003, 3486 m.w.N.;
BGH NJW 2000, 1107; vgl. auch Senat aaO). Unter Berücksichtigung aller genannten
Kriterien hält der Senat einen Zeitaufwand von 51,87 Stunden für erforderlich. Das
entspricht einem Zeitaufwand von 2/3 der bereinigten Bearbeitungszeit von 77,80 Std.
78
d) Das führt zu der folgenden Abrechnung:
79
Zeile Gebührenposition
Betrag/€
01
Erforderlicher Zeitaufwand (51,87 Std x 180,00 €/Std)
9.336,60
80
02
Aktenversandpauschale StA
8,00
03
Auslagenpauschale, § 26 S. 2 BRAGO
20,00
04
Kopien, § 27 II BRAGO (322 Seiten x 0,51 €/Seite)
164,64
05
Abwesenheitsgeld, § 28 III BRAGO (2 x 31,00 €)
62,00
06
Reisekosten § 28 II BRAGO (144 km x 0,27 €)
38,88
07
Zwischensumme
9.630,12
08
16 % MWSt, § 25 II BRAGO
1.540,82
09
Honorarsumme
11.170,94
10
Vorschuss
- 2.000,00
11
Resthonorar
9.170,94
VI.
81
Zinsen in gesetzlicher Höhe kann der Kläger nicht schon wie beantragt ab Eintritt der
Rechtshängigkeit (23.02.2005) verlangen. Das scheitert daran, dass der
Honoraranspruch bei Klageerhebung noch nicht einforderbar gewesen ist. Es ist in
feststellbarer Weise vielmehr erst am Tag der ersten mündlichen Verhandlung im ersten
Rechtszug (04.05.2005) einforderbar geworden, als nämlich die Parteien (auch) über
den zuvor vom Kläger eingereichten Schriftsatz vom 26. April 2005 verhandelt hatten.
Erst in diesem von ihm unterzeichneten Schriftsatz hat der Kläger den abgerechneten
Zeitaufwand nach Tätigkeitsmerkmalen aufgeschlüsselt dargestellt, so dass erst mit ihm
in Verbindung mit der Honorarrechnung vom 29. November 2004 die formellen
Anforderungen erfüllt gewesen sind, die gemäß § 18 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BRAGO (jetzt §
10 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 RVG) an die Vergütungsberechnung zu stellen sind.
82
1. Im Schrifttum herrscht Einigkeit darüber, dass auch ein vereinbartes, nach § 16
BRAGO (§ 8 RVG) fälliges Honorar erst dann einforderbar ist, wenn dem Mandanten
eine schriftliche Berechnung im Sinne des § 18 BRAGO (§ 10 RVG) mitgeteilt worden
ist (vgl. Gerold/Schmidt/Mayer aaO, § 3a Rn 38 und Gerold/Schmidt/Madert, aaO, § 8 Rn
11; Hartung/Römermann/Schons, aaO, § 10 Rn 37; Hartmann, aaO, § 10 Rn 1 Stichw.
"vereinbartes Honorar"; N.Schneider/Wolf/N.Schneider, aaO, § 10 Rn 6; N. Schneider
MDR 2004, 59, 60; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, RVG, 9. Aufl., § 10 Rn 12). Mit Blick auf
Sinn und Zweck der gesetzlich vorgeschriebenen Abrechnung (Transparenzgebot, vgl.
nur Riedel/Sußbauer/Fraunholz, aaO Rn 11; BGH NJW 2002, 2774, 2775 f; Senat, Urt.
v. 29.06.2006, I-24 U 196/04, aaO; Senat, Beschl. v. 04.06.2009, I-24 U 111/08,
FamRZ 2009, 2029 = OLGR Düsseldorf 2009, 853 sub I.3a), wird nach herrschender
Auffassung im Schrifttum auch die analoge Anwendung des § 18 Abs. 2 S. 1 BRAGO (§
10 Abs. 2 S. 1 RVG) befürwortet, soweit die Eigenart der vereinbarten Vergütung eine
nähere Spezifizierung erfordert und zulässt (Gerold/Schmidt/Mayer aaO;
Gerold/Schmidt/Madert aaO; Hartung/Römermann/Schons, aaO Rn 33; Hartmann,
Kostengesetze, 38. Aufl., § 4 Rn. 26, Stichwort "Zeithonorar"; Schneider/Wolf/Schneider,
aaO). Dieser Rechtsauffassung hat sich der Senat grundsätzlich angeschlossen (vgl.
Senat, Urt. v. 29. 06. 2006, I-24 U 196/04, aaO und Beschl. v. 04.06.2009, I-24 U 111/08,
aaO). Bei entsprechender Anwendung des § 18 Abs. 2 S. 1 BRAGO (§ 10 Abs. 2 S. 1
RVG) sind an die schriftliche Abrechnung eines vereinbarten Zeithonorars deshalb
83
regelmäßig die folgenden formellen Anforderungen zu stellen um die Vergütung
einforderbar zu machen:
Bezeichnung der Angelegenheit; bei mehreren gleichzeitig abgerechneten
Angelegenheiten Auftrennung der Abrechnung nach jeder einzelnen
Angelegenheit (Hartung/Römermann/Schons, aaO, Rn 35 f; Hartmann, aaO, § 10
Rn 17; N. Schneider, AnwBl 2004, 510; Senat, Beschl. v. 04.06.2009, I-24 U
111/08, aaO)
84
85
86
Vorlage eines Leistungsverzeichnisses (time-sheet), das den jeweils
abgerechneten Zeitaufwand einer bestimmten Tätigkeit zuordnet, die
schlagwortartig zu bezeichnen ist (Gerold/Schmidt/Mayer, aaO;
Gerold/Schmidt/Madert, aaO; Hartmann, aaO; Senat, Urt. v. 29. 06. 2006, I-24 U
196/04, aaO)
Berechnung des Zeithonorars (gesamter Zeitaufwand x Stundensatz =
Zeithonorar)
Berechnung der Auslagen (falls gesondert berechenbar unter Nennung der jeweils
maßgeblichen Gebührenvorschrift)
Berechnung der Mehrwertsteuer
Ausweis der abzuziehenden Vorschüsse (falls gezahlt)
Ausweis der Honorar(rest)summe
Unterschrift des Rechtsanwalts
87
88
2. Der Senat folgt insbesondere nicht der Rechtsauffassung von Rick (vgl.
Schneider/Wolf/Rick, aaO, § 3a Rn 63 und 67), nach der der Rechtsanwalt ein
Leistungsverzeichnis erst vorlegen müsse, wenn der Mandant (im Prozess) die
abgerechnete Leistungszeit bestreite. Wäre diese Rechtsauffassung richtig, wäre das
Zeithonorar allerdings ohne ein Leistungsverzeichnis in der Abrechnung einforderbar
und der Mandant geriete in Zahlungsverzug schon dann, wenn der Rechtsanwalt eine
schriftliche Berechnung vorlegt, die die sonstigen vorstehend genannten Elemente
enthält und sich insbesondere zum Leistungsumfang auf die bloße Berechnung des
Zeithonorars (gesamter Zeitaufwand x Stundensatz = Zeithonorar) beschränkt. In
diesem Sinne hat der Bundesgerichtshof allerdings judiziert zur Fälligkeit von nach
Zeitaufwand zu vergütendem Werklohn eines Architekten/Ingenieurs (BGHZ 180, 235 =
NJW 2009, 2199, 2202 f) bzw. eines Bauunternehmers (NJW 2009, 3426, 3427): Der
sich aus § 631 Abs. 1 BGB ergebende Werklohnanspruch werde, wenn vertraglich
(ausdrücklich oder konkludent) nichts Anderes vereinbart sei, bereits mit der bloßen
Darlegung des Produkts aus dem vereinbarten Stundensatz und der Zahl der
geleisteten Stunden schlüssig begründet. Diese Rechtsprechung lässt sich jedoch auf
89
das zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten vereinbarte Zeithonorar schon
deshalb nicht übertragen, weil das gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 BRAGO (jetzt § 3a Abs. 1
RVG) vereinbarte Honorar ebenso unter dem formellen Einforderungsvorbehalt des § 18
BRAGO (jetzt § 10 RVG) steht wie die gesetzliche Vergütung. Andernfalls ist die nach
dem Gesetz geforderte Transparenz der anwaltlichen Abrechnung nicht herstellbar. Der
im Schrifttum allgemein befürworteten analogen Anwendung des § 18 Abs. 2 S. 1
BRAGO (§ 10 Abs. 2 S. 1 RVG) entspricht allein die Vorlage eines
Leistungsverzeichnisses (ausdrücklich ebs. Gerold/Schmidt/Mayer, aaO und
Gerold/Schmidt/Madert, aaO). Der hier für die anwaltliche Abrechnung geforderten
schlagwortartigen Bezeichnung der jeweils nach Zeitaufwand zu honorierenden
Leistung entspricht im Rahmen der gesetzlichen Vergütung die in § 18 Abs. 2 S. 1
BRAGO (§ 10 Abs. 2 S. 1 RVG) geforderte kurze Bezeichnung des jeweiligen
Gebührentatbestands, der entgolten werden soll. Da der Rechtsanwalt im Streitfall nach
einhelliger Auffassung ohnehin die für eine jeweilige Tätigkeit jeweils aufgewendete
Zeit darzulegen und notfalls zu beweisen hat, wird er mit der entsprechenden
Anforderung bereits für die Honorarabrechnung weder überfordert noch überrascht.
VII.
90
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
91
Der Senat lässt die Revision für den Kläger uneingeschränkt zu, § 543 Abs. 2 ZPO.
Anlass ist die von der Rechtsauffassung des Senats abweichende Rechtsprechung der
OLG Schleswig zur Wirksamkeit der Zeittaktklausel und die höchstrichterlich noch
ungeklärte Frage, nach welchen Kriterien die Frage nach der Angemessenheit eines
vereinbarten (reinen) Zeithonorars zu beantworten und nach welchen Kriterien ein
festgestellt unangemessen hohes (reines) Zeithonorar herabzusetzen ist. Schließlich ist
noch die Frage klärungsbedürftig, welche Anforderungen an die Abrechnung von
Zeithonorar analog § 10 RVG zu stellen sind.
92
Berufungsstreitwert:
93
Bis zum 29. 08. 2006: 87.257,79 EUR,
94
danach: 23.094,79 EUR.
95