Urteil des OLG Düsseldorf vom 16.07.2002

OLG Düsseldorf: treu und glauben, grunddienstbarkeit, ausfahrt, mieter, grundstück, vormerkung, notwegrecht, androhung, verwalter, duldungspflicht

Oberlandesgericht Düsseldorf, 4 U 10/02
Datum:
16.07.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 U 10/02
Tenor:
Die Berufung der Kläger gegen das am 13. November 2001 verkündete
Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird
zurückgewie-sen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht die
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
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Die Kläger sind - zusammen mit weiteren 63 Personen, darunter die Beklagte -
Miteigentümer der Teileigentumsanlage "K...", K..., D.... Die Beklagte ist - ferner -
Eigentümerin des angrenzenden Grundstücks B... . Beide Grundstücke sind in Form
einer ineinander übergehenden Passage mit Geschäftslokalen bebaut. Im
Untergeschoss des "K..." befindet sich eine Tiefgarage, die über eine Rampe an der K...
befahrbar ist. Im Kellergeschoss des Gebäudes der Beklagten sind mindestens 11
PKW-Stellplätze eingerichtet worden, die durch ein Rolltor von der Tiefgarage getrennt
und über die Ein- und Ausfahrt des "K..." zu erreichen sind.
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Das K... wurde bis Anfang 1968 durch die K... GmbH &Co. KG (im Folgenden: ... KG)
errichtet, die zunächst Alleineigentümerin war und später erste Verwalterin der
Teileigentümergemeinschaft wurde. Am 22. September 1995 bewilligte sie zugunsten
der Eigentümer der Nachbargrundstücke, darunter die Beklagte, die Eintragung einer -
heute noch im Grundbuch verzeichneten - Vormerkung, durch die der Anspruch auf eine
Grunddienstbarkeit gesichert wurde. Gegen- stand dieser Grunddienstbarkeit, die nicht
zur Eintragung gelangte, sollte das Recht auf Mitbenutzung der Garagenein- und -
ausfahrt sowie der unterirdischen Fahrstraßen des K... sein.
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Parallel zur Errichtung des K... wurde das Grundstück der Beklagten weitgehend neu
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bebaut. Im Zusammenhang damit bestätigte Notar Dr. v... R... dem Bauamt der
Landeshauptstadt D... mit Schreiben vom 9. Juli 1968, dass die ... KG in allen bislang
von ihm beurkundeten Kaufverträgen die Haftung für die Freihaltung des Teileigentums
von Rechten Dritter mit Ausnahme der noch einzutragenden Grunddienstbarkeit mit dem
zuvor mitgeteilten Inhalt übernommen habe. Ferner teilte die ... AG dem Bauamt mit
Schreiben vom 23. September 1968 mit, dass sie mit der beabsichtigten Bebauung des
Grundstücks der Beklagten einverstanden sei.
Nachdem die Beklagte und deren Mieter die Ein- und Ausfahrt sowie die unterirdi-
schen Fahrstraßen auf dem klägerischen Grundstück bis dahin unbeanstandet
mitbenutzt hatten, kam es im Herbst 2000 zu Auseinandersetzungen, weil die Beklagte
sich nicht bereit erklären wollte, die damit verbundenen Betriebs- und Reparaturkosten
anteilig mit zu übernehmen. Daraufhin nahmen die Kläger, die den Verwaltungsbeirat
der Teileigentümergemeinschaft des K... bilden, die Beklagte auf Unterlassung in
Anspruch.
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Sie haben geltend gemacht: Die Beklagte und ihre Stellplatz-Mieter seien nicht
berechtigt, die Tiefgarage zu befahren, da die vorgemerkte Grunddienstbarkeit unstreitig
nicht zur Eintragung gelangt sei. Wenn überhaupt, bestünde ein schuld- rechtlicher
Anspruch auf Bestellung einer Grunddienstbarkeit. Dieser Anspruch sei jedoch
mittlerweile verjährt, worauf auch sie - die Kläger - sich berufen könnten.
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Sie haben beantragt,
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die Beklagte unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000 DM zu verurteilen, es zu unterlassen,
die Garagenein- und -ausfahrt sowie die unterirdischen Fahrstraßen im K..., K..., D..., zu
und von den auf ihrem Grundstück B..., P..., Flur ..., Flurstück ..., befindlichen PKW-
Stellplätzen zu benutzen oder durch Dritte, insbesondere durch Mieter ihrer PKW-
Stellplätze, benutzen zu lassen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat geltend gemacht: Nicht nur die Eigentümer des K... hätten die Verpflichtung zur
Eintragung einer Dienstbarkeit übernommen, vielmehr habe diese Verpflichtung in
unmittelbarem Zusammenhang mit der beabsichtigten Bebauung des K...-Grundstücks
gestanden. Aus dem Grund sei zugunsten sämtlicher unmittelbaren Nachbarn die
Grunddienstbarkeit eingeräumt worden. Ferner müssten sich die Teileigentümer des K...
die Erklärung der ... KG gegenüber dem Bauamt zurechnen lassen. Da die Kläger durch
das Unterlassungsbegehren der Baugenehmigung die Grundlage entzögen, verstoße
ihr Verhalten überdies gegen Treu und Glauben.
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Durch Urteil vom 13. November 2001 hat das Landgericht die Klage mit der Begründung
abgewiesen, die Beklagte sei aufgrund einer schuldrechtlichen Vereinbarung zur
Mitbenutzung der Zu- und Abfahrtswege der Tiefgarage berechtigt. Dieser Vertrag, bei
dem offen bleiben könne, ob es sich um eine Leihe oder eine Nutzungsvereinbarung
eigener Art handele, sei dadurch zustande gekommen, dass die ... KG als WEG-
Verwalterin der Beklagten die Mitbenutzung der Tiefgarage überlassen habe. Dadurch
seien nicht nur die damaligen Miteigentümer mitverpflichtet worden, sondern auch die
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später hinzugekommenen, weil diese mit Abschluss des Kaufvertrages in die
bestehenden Verpflichtungen eingetreten seien. Dadurch hätten die Erwerber nämlich
konkludent zum Ausdruck gebracht, dass sie gewillt seien, die Nutzung durch die
Beklagte zu dulden.
Dagegen wenden sich die Kläger mit der Berufung unter Wiederholung und Vertie- fung
ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Außerdem verweisen sie darauf, dass die Kläger zu
1), 2), 3) und 5) ihr Teileigentum erst nach Beendigung des Verwalterverhältnisses mit
der ... KG erworben hätten und von daher nicht an eine etwaige schuldrechtliche
Vereinbarung mit der ursprünglichen Verwalterin gebunden seien.
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Sie beantragen,
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das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte unter Androhung eines für jeden
Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR zu
verurteilen, es zu unterlassen, die Garagenein- und -ausfahrt sowie die unterirdischen
Fahrstraßen im K..., K..., D... zu und von den auf ihrem Grundstück B..., P..., Flur ...,
Flurstück ..., befindlichen PKW-Stellplätzen zu benutzen oder durch Dritte, insbesondere
durch Mieter ihrer PKW-Stellplätze, benutzen zu lassen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil und macht geltend, dass ihr jedenfalls ein
Notwegerecht zustehe, wenn nicht vom Abschluss einer schuldrechtlichen
Nutzungsvereinbarung auszugehen sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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1.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Berufung bleibt ohne Erfolg.
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Der von den Klägern geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist ausgeschlossen,
weil sie verpflichtet sind, die Mitbenutzung der Garagenein- und -ausfahrt sowie der
unterirdischen Fahrstraße des K... durch die Beklagte und deren Stellplatz-Mieter zu
dulden (§ 1004 Abs. 2 BGB).
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Allerdings ergibt sich die Duldungspflicht nicht aus der Vormerkung, da die Kläger dem
dadurch gesicherten Anspruch auf Zustimmung zur Eintragung einer Grunddienstbarkeit
nach Ablauf von mehr als 30 Jahren seit Bewilligung der Vormerkung (§ 195 BGB) die
Einrede der Verjährung entgegensetzen können (vgl. BGH, NJW 2000, 3496; MK-
Wackee, BGB, 3. Aufl., § 888 Rn 4; Palandt/ Bassenge, BGB, 61. Aufl., § 888 Rn 6). Auf
ein aus einem Leihvertrag abgeleitetes Recht zum Ge- brauch können sie sich auch
nicht berufen, weil die Kläger zu 1) bis 3) und 5) als Einzelrechtsnachfolger der
Ersterwerber dadurch nicht gebunden wäre (vgl. BGH NJW 1976, 416; MK-Medicus,
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a.a.O., § 1004 Rn 54; Staudinger-Gursky, BGB, § 1004 Rn 191). Anders lägen die Dinge
zwar bei einem Mietverhältnis, da dann der Grundsatz: "Kauf bricht nicht Miete"
eingreifen würde (§ 571 BGB a.F.). Dass eine entgeltliche Gebrauchsüberlassung
vereinbart worden ist, hat die Beklagte jedoch nicht hinreichend dargelegt und auch
nicht ordnungsgemäß unter Beweis gestellt. Soweit sie zum Nachweis dafür, dass sie
im Gegenzug zur Gebrauchsüberlassung ihre Zustimmung zur Errichtung des K... erteilt
habe, die Beiziehung der Bauakten beantragt, handelt es sich dabei um einen
unzulässigen Ausforschungsbeweis, da sie die beizuziehenden Urkunden nicht näher
bezeichnet hat. All das kann indes dahingestellt bleiben, weil die Beklagte sich
jedenfalls mit Erfolg auf ein entgeltliches Notwegrecht - gemäß oder analog § 917 Abs.
1 BGB - berufen kann.
Der Annahme eines Notwegrechts steht nicht entgegen, dass das Grundstück der
Beklagten an einen öffentlichen Weg - die B... - grenzt. Die - zumindest entsprechende -
Anwendung des § 917 Abs. 1 BGB kommt nämlich auch in Betracht, wenn der
Notwegberechtigte auf die Mitbenutzung der Garageneinfahrt- und -ausfahrt des
Nachbarn angewiesen ist, um zu den Stellplätzen im Keller seines Gebäudes zu
gelangen (BGH NJW 1985, 1952). So liegen die Dinge hier.
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Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Benutzung des Verbindungsgrundstücks
zur Behebung einer Zugangsnot notwendig ist. Dabei ist grundsätzlich ein strenger
Maßstab anzulegen (Palandt-Bassenge, a.a.O., § 917 Rn 5); entscheidend sind jedoch
stets die Umstände des Einzelfalls (OLG Frankfurt, MDR 1981, 932). Deshalb ist bei
einem Wohngrundstück in der Regel eine Zufahrt für Kraftfahrzeuge nicht notwendig,
solange nahegelegene Parkmöglichkeiten zur Verfügung stehen (Palandt/Bassenge,
a.a.O., § 917 Rn 6). Eine großzügigere Betrachtung ist jedoch möglich und auch
geboten, wenn es dem Notwegberechtigten - wie im Streitfall - allein um die
Mitbenutzung einer bereits für den Kraftfahrzeugverkehr voll ausgebauten Privatstraße
geht (OLG Frankfurt, MDR 1981, 932). Dabei kommt hier noch entscheidend hinzu, dass
die Kläger bzw. ihre Rechtsvorgänger die Tiefgaragendurchfahrt der Beklagten und ihrer
Mieter über 30 Jahre toleriert haben. Wenn sie die Beklagte nunmehr auf die Benutzung
eines Parkhauses verweisen wollen, widerspricht das Treu und Glauben (vgl. OLG
Celle, MDR 2000, 81). Das gilt um so mehr, wenn man berücksichtigt, dass die ... KG als
Erbauerin der Teileigentumsanlage 1968 der von der Beklagten beabsichtigten
Bebauung ihres Grundstücks und damit auch der beabsichtigten Mitbenutzung der
Tiefgarage zugestimmt hat und dass auch die Kläger beim Erwerb ihres Teileigentums
die Vormerkung zugunsten der Beklagten mitübernommen haben. Dabei verkennt der
Senat nicht, dass durch die entsprechenden Klauseln in den Grundstückskaufverträgen
lediglich die Rechtsmängelhaftung des Veräußerers ausgeschlossen und keine
Vereinbarung zugunsten Dritter getroffen worden ist. Immerhin ergibt sich daraus aber
auch, dass die Kläger gegen ein Wegerecht für die Beklagte keine durchgreifenden
Einwände hatten. Daran müssen sie sich festhalten lassen. Eine abweichende
Beurteilung ist auch nicht gerechtfertigt, weil ihnen nicht positiv bekannt war, dass im
Grundbuch keine Grunddienstbarkeit eingetragen war und sie nicht gewusst haben,
dass die Tiefgarage von Außenstehenden mitbenutzt wurde. Beides war jedenfalls mit
Hilfe der Grundstückskaufverträge und der Baupläne feststellbar und zumindest für den
WEG-Verwalter auch ohne weiteres erkennbar.
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Voraussetzung ist weiterhin, dass die Beklagte von den Teileigentümern die
Einräumung eines Notwegs verlangt haben, da dieses Verlangen für die Entstehung der
Duldungspflicht aus § 917 Abs. 1 BGB konstitutiv ist (BGH NJW 1985, 1952). Auch
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davon ist indessen im Streitfall auszugehen. Zwar reicht dafür nicht aus, dass die
Beklagte sich im Berufungsverfahren gegenüber den Klägern auf ein Notwegrecht
berufen hat, weil es sich bei dem Verlangen um eine empfangsbedürftige
Willenserklärung handelt, die bei einer Mehrheit von Duldungspflichtigen gegenüber
allen abzugeben ist (BGH NJW 1984, 2210). Dass die Kläger als Mitglieder des
Verwaltungsbeirats zur Vertretung der übrigen Teileigentümer berechtigt sind, hat die
Beklagte jedoch nicht dargetan. Das bedarf aber auch keiner Vertiefung, weil die
Beklagte ein Notwegerecht schon gegenüber der ... KG als empfangsbevollmächtigtem
(§ 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG) Verwalter der Teileigentümergemeinschaft geltend gemacht
hat. Er hat der Beklagten nämlich unstreitig die Mitbenutzung der Tiefgarage ermöglicht.
Indem die Beklagte davon Gebrauch gemacht hat, hat sie aber auch - zumindest
konkludent bis zur Bestellung der ins Auge gefassten Grunddienstbarkeit - ein
Notwegrecht verlangt. Dass sie zwischenzeitlich eine Beteiligung an den
Unterhaltungskosten für die Garageneinfahrt und -ausfahrt sowie der unterirdischen
Fahrstraßen abgelehnt hat, steht dem nicht entgegen, weil sie dabei fälschlicherweise
von der Existenz einer Grunddienstbarkeit ausgegangen ist.
Ob ein Unterlassungsanspruch darüber hinaus auch unter dem Blickwinkel der
Verwirkung ausgeschlossen ist, bedarf nach alldem keiner weiteren Entscheidung.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713
ZPO.
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Die Entscheidung über die Zulassung der Revision findet ihre Grundlage in § 543 ZPO.
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Berufungsstreitwert und Beschwer der Kläger: 134.981,05 EUR (= 264.000,-- DM).
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