Urteil des OLG Düsseldorf vom 03.07.2008

OLG Düsseldorf: wirtschaftliche identität, öffentliche urkunde, einzelrichter, gegenleistung, zwangsvollstreckung, handbuch, feststellungsklage, prozess, bruchteil, rückgabe

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-24 W 46/08
Datum:
03.07.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-24 W 46/08
Vorinstanz:
Landgericht Duisburg, 10 O 238/06
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers wird der im Urteil der 10. Zivilkammer
des Landgerichts Duisburg -Einzelrichter- vom 04. April 2008 bestimmte
Streitwert anderweitig auf insgesamt 27.959,07 EUR festgesetzt.
G r ü n d e
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I. Das Landgericht hat den (abgewiesenen) Antrag, mit welchem der Kläger
(Leasingnehmer) aus abgetretenem Recht des Leasinggebers nach erklärter Wandlung
des Kaufvertrags neben dem Begehren auf Rückzahlung des Kaufpreises (27.959,07 €
Zug-um-Zug gegen Rückgabe der Kaufsache) den Verzug der Beklagten
(Verkäuferin/Lieferantin) mit der Annahme des Kraftfahrzeugs festgestellt haben wollte,
mit 2.500 EUR besonders bewertet. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers,
mit welcher er erreichen will, dass die Feststellung des Annahmeverzugs ohne
Wertansatz bleibt. Die Beklagte hält die Streitwertfestsetzung nach Grund und Höhe für
richtig.
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II. Die Beschwerde ist gemäß §§ 63 Abs. 2, 68 Abs. 1 GKG, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
statthaft und wegen der Überschreitung der notwendigen Beschwer von mehr als 200
EUR (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG) auch im Übrigen zulässig. Über sie entscheidet der
Senat gemäß § 122 Abs. 1 GVG nach Übertragung durch den Einzelrichter (§ 568 Abs.
1 Satz 2 Nr. 2 ZPO) in seiner vollen Besetzung.
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III. Die Beschwerde ist auch begründet. Der angegriffene Streitgegenstandsteil ist
gebührenrechtlich nicht gesondert zu bewerten, so dass der Streitwert in Höhe des
zurückgeforderten Kaufpreises mit 27.959,07 EUR anderweitig festzusetzen ist.
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1. Allerdings geht das Landgericht im rechtlichen Ansatz zunächst zutreffend davon aus,
dass grundsätzlich der Wert mehrerer in einer Klage verbundener Ansprüche (vgl. § 260
ZPO) auch gebührenrechtlich zusammengerechnet werden. Das folgt aus § 48 Abs. 1
Satz 1, Halbs. 1 GKG, der mangels einer abweichenden, spezifisch kostenrechtlichen
Bestimmung für die gebührenrechtliche Wertbestimmung auf § 5 Halbs. 1 ZPO verweist.
Das Landgericht hat aber übersehen, dass § 5 Halbs. 1 ZPO seinem Sinn und Zweck
entsprechend einschränkend auszulegen ist. Mit dieser Regelung soll erreicht werden,
dass das bei einer Anspruchshäufung regelmäßig vorliegende höhere wirtschaftliche
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Interesse nicht nur prozessrechtlich (vgl. RGZ 126, 18, 21; Schumann NJW 1982, 2800f
sub Nr. IV, Frank, Anspruchsmehrheiten im Streitwertrecht 1985, S. 164ff;
Wieczorek/Gamp, ZPO, 3. Aufl., § 5 Rn 3; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 5 Rn 1 und
5; Musielak/Heinrich, ZPO, 6. Aufl., § 5 Rn 7), sondern über § 48 Abs. 1 S. 1 GKG eben
auch gebührenrechtlich erfasst wird (vgl. Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 12.
Aufl. Rn 3433ff). Es genügt für eine Wertaddition also nicht, dass prozessrechtlich
mehrere selbständige Streitgegenstände vorliegen. Hinzu kommen muss vielmehr, dass
die gehäuften Ansprüche auch wirtschaftlich selbständig sind (vgl. die
Schriftumsnachweise aaO). Fehlt ihnen ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert, findet
keine Wertaddition statt.
2. In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und im Schriftum ist umstritten, ob dem
auf Feststellung des Annahmeverzugs gerichteten Antrag neben dem Zug-um-Zug-
Leistungsantrag ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt. Es stehen sich im
Prinzip zwei Auffassungen gegenüber.
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a) Nach der einen Meinung hat ein solcher Feststellungsantrag einen eigenständigen
wirtschaftlichen Wert, der deshalb gemäß § 5 Halbs. 1 ZPO zum Leistungsinteresse zu
addierenden sei. Dabei ist allerdings wiederum umstritten, wie dieser Wert zu bemessen
ist. Die einen vertreten die Auffassung, der Wert sei nur geringfügig, nämlich nur mit
einem Bruchteil von maximal 1% des Leistungsinteresses (OLG Bremen OLGR 2007,
625; OLG Düsseldorf JurBüro 1994, 496; OLG Celle, Urt. v.13. 10. 1988, Az: 7 U 3/88,
zit. nach BGH NJW-RR 1989, 826 = MDR 1989, 732; Schneider MDR 1990, 197, 198;
Anders/Gehle/Kunze, Streitwertlexikon, 4. Aufl., Feststellungsausspruch
Feststellungsklage" Rn 13) oder sogar stets nur mit einem geringen Festbetrag von
höchstens 100 DM (heute ca. 50 €) zu bewerten (OLG Frankfurt JurBüro 1991, 410). Die
in diesem Lager vertretene Gegenmeinung, der auch das Landgericht folgt, vertritt die
Auffassung, maßgeblich für den zu addierenden Wert seien die Kosten, die der
Gläubiger in der Zwangsvollstreckung des Zug-um-Zug-Urteils gemäß §§ 756, 765 ZPO
erspare, indem er wegen des im Feststellungsausspruch beurkundeten
Annahmeverzugs die Gegenleistung nicht nochmals tatsächlich anbieten müsse (OLG
Naumburg OLGR 2000, 368; LG Essen MDR 1999, 1226; Baumbach/Lauterbach/Albers
/Hartmann, ZPO, 66. Aufl., Anh. § 3 Rn 7; Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl., § 3 Rz. 16,
Stichw. Annahmeverzug").
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b) Die inzwischen wohl überwiegend vertretene Gegenmeinung sieht eine
(wirtschaftliche) Identität zwischen der Hauptforderung und dem Feststellungsbegehren,
so dass der Feststellungsantrag keinen eigenständigen Gegenstandswert habe und ein
Additionsverbot bestehe (OLG Karlsruhe JurBüro 2007, 648 und OLGR 2004, 388; OLG
Jena RVGreport 2006, 360; Kammergericht Berlin KGR 2005, 526 = MDR 2005, 898;
OLG Hamburg OLGR 2000, 455; LG Mönchengladbach KostRsp § 5 ZPO Nr. 57 m.
zust. Anm. E. Schneider; offen gelassen BGH NJW-RR 1989, 826; Schneider/Herget,
Streitwertkommentar, 12. Aufl. Rn 3439, 2. Spiegelstrich [unter Aufgabe der abw.
Position in der Vorauflage]; Stein/Jonas/Roth, aaO, § 5 Rn 12, Stichw.
"Annahmeverzug"; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, Anh § 3 Rn 7 [unter
Aufgabe der abw. Position in der Vorauflage] und § 5 Rn 4, jew. Stichw.
"Annahmeverzug"; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., GKG Anh I § 48 (§ 3 ZPO) Rn
14 und Anh I § 48 (§ 3 ZPO), jew. Stichw. "Annahmeverzug"; Musielak/Heinrich, aaO, §
5 Rn 8, Stichw. "Feststellungsanträge"; MünchKomm/Wöstmann, ZPO, 3. Aufl., § 5 Rn.
4; Meyer, GKG, 9. Aufl., Anh § 48 zu § 3 ZPO Rn 34, Stichw. "Zug-um-Zug-Leistung";
Hillach/Rohs, Handbuch des Streitwerts in Zivilsachen, 9. Aufl., § 27 Bem V.b [S. 144]).
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2. Der Senat schließt sich der letztgenannten Rechtsauffassung an. Maßgeblich dafür
ist, dass die Frage des Annahmeverzugs, die ohnehin ein rechtlich unselbständiges
Element der umstrittenen Leistungsverpflichtung darstellt (vgl. RGZ 126, 18, 21; BGH
WM 1987, 1496, 1498 sub III; vgl. auch BGH NJW 2000, 2663, 2664 sub 5;
Zöller/Greger, aaO, § 256 Rn 3 und 5; Staudinger/Löwisch, BGB [2004], § 293 Rn 37),
auch in wirtschaftlicher Hinsicht neben dem Zug-um-Zug-Leistungsantrag keinen
eigenständigen wirtschaftlichen Wert repräsentiert. Die Gegenmeinung, die auf
Kostenersparnisse des Gläubigers im Falle notwendig werdender Zwangsvollstreckung
verweist, übersieht, dass allfällig werdende Zwangsvollstreckungskosten nicht den Wert
des Streitgegenstands im Erkenntnisverfahren beeinflussen können und dass dem
Gläubiger im Übrigen in den hier erörterten Zug-um-Zug-Leistungsfällen keine nicht
gemäß § 788 ZPO festsetzbaren Kosten entstehen können.
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Wird der Schuldner antragsgemäß zur Leistung Zug-um-Zug gegen Leistung des
Gläubigers verurteilt, ergibt sich aus dem Tenor in Verbindung mit den in den
Entscheidungsgründen widergegebenen Anträgen, dass sich der Schuldner materiell im
Annahmeverzug im Sinne der §§ 293 ff. BGB befindet. Denn mit seinem
Klageabweisungsantrag hat er inzident die ihm angebotene Gegenleistung abgelehnt
(OLG Hamm AnwBl. 1992, 549 m. zust. Anm. Mümmler JurBüro 1992, 707; OLG Köln
NJW-RR 1991, 383, 384; Kammergericht Berlin NJW 1972, 2052 sub 3; Zöller/Stöber,
aaO, § 756 Rn 9 m. w.N.). Streit besteht nur darüber, ob der in der Vollstreckung durch
öffentliche Urkunde zu führende Beweis des Annahmeverzugs (§§ 756, 765 ZPO)
"liquide" nur durch eine entsprechende Feststellung im Tenor (so z. B. Kammergericht
Berlin aaO) oder eben auch durch die Entscheidungsgründe geführt ist (so OLG Hamm
aaO und OLG Köln aaO). Dieser Streit ist indes für die hier zu untersuchende Frage
nach der Bewertung des Feststellungsantrags irrelevant. Maßgeblich ist nur, dass die
materiell rechtliche Frage des Annahmeverzugs in diesen Fällen stets vom
Leistungsinteresse der klagenden Partei umfasst und stets Gegenstand der
Urteilsgründe zur Frage der Begründetheit des Leistungsbegehrens ist, woraus
wirtschaftliche Identität der Ansprüche und prozess- und gebührenrechtlich ein
Wertadditionsverbot folgt.
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IV. Für eine Kostenentscheidung besteht kein Anlass. Das Verfahren ist gebührenfrei,
außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet, § 68 Abs. 3 GKG. Es besteht auch
kein Anlass, über die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 2 ZPO) zu
entscheiden. Gemäß §§ 68 Abs. 2 Satz 6, 66 Abs. 3 Satz 1 GKG findet in
Streitwertsachen eine Beschwerde zum Bundesgerichtshof nicht statt (vgl. BGH MDR
2004, 355; BGHReport 2002, 750 jeweils zu §§ 5 Abs. 2 Satz 3, 25 Abs. 3 Satz 1, 2.
Halbs. GKG a.F. und BGH BRAGOReport 2003, 163 zu § 14 Abs. 3 Satz 4 KostO in der
bis 30.6.2004 geltenden Fassung = § 14 Abss. 4 Satz 3 KostO n.F.).
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