Urteil des OLG Düsseldorf vom 19.08.2008

OLG Düsseldorf: ordre public, anerkennung, neues vorbringen, kindeswohl, subsidiarität, familie, tante, zgb, tod, einverständnis

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-25 Wx 114/07
Datum:
19.08.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
25. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-25 Wx 114/07
Tenor:
Die sofortige weitere Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den
Be-schluss des Landgerichts Düsseldorf vom 30.10.2007 wird
zurückgewiesen.
Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Beschwerdewert: 3.000 €.
I.
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Die Antragstellerin begehrt die Anerkennung einer ausländischen
Adoptionsentscheidung nach dem AdWirkG.
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Sie hat die türkische Staatsangehörigkeit und eine Aufenthaltsberechtigung für die
Bundesrepublik Deutschland, wo sie seit vielen Jahren in W. lebt.
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Nach dem von ihr erwirkten rechtskräftigen Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts
Trabzon/Türkei vom 03.11.2003 wird zwischen der Antragstellerin und E., dem Sohn
ihrer Schwester, ein Adoptionsverhältnis hergestellt. Das Protokoll bezeichnet die
Antragstellerin wie folgt: F., T..
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Nach den Urteilsgründen ging das Gericht davon aus, dass E.auf Wunsch und im
Einverständnis mit der Kindesmutter bereits seit etwa fünf Jahren bei der Antragstellerin
leben würde. Diese würde sich um alle Bedürfnisse des Kindes kümmern.
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Die Kindesmutter habe in die Adoption eingewilligt und die Freigabe des Kindes zur
Adoption beantragt, weil sie selbst keine sozialen Sicherheiten habe und das Kind
durch die Antragstellerin besser erzogen werde. Die Freigabe des Kindes zur Adoption
entspreche dessen Wohl und auch die Übrigen Voraussetzungen, insbesondere das
erforderliche Alter und der Altersunterschied zwischen der Beschwerdeführerin und dem
zu adoptierenden Kind lägen vor. Deshalb sein ein Adoptionsverhältnis herzustellen.
Das Gericht hat sein Urteil u.a. auf die Aussage in der Sitzung vernommener Zeugen
gestützt, die bekundet haben, dass sich die Antragstellerin nach dem Tod des
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Kindesvaters um das Kind gekümmert habe, dieses etwa seit fünf Jahren bei ihr leben
würde und dies dem Interesse des Kindes entspräche. Ein Interessenkonflikt zwischen
dem Kind und der Antragstellerin liege nicht vor.
Eine Adoptionsvermittlungsstelle war an dem Verfahren nicht beteiligt. Ein
Elterneignungsbericht über die Annehmende wurde nicht gefertigt.
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Das Amtsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 06.07.2006 den Antrag mit der
Begründung zurückgewiesen, die Anerkennungsvoraussetzungen seien nicht gegeben.
Insbesondere sei die Anerkennung der Adoption nach § 16 a Nr. 4 FGG
ausgeschlossen, weil es an einer wesentlichen Grundsätzen deutschen Rechts
genügenden Kindeswohlprüfung fehle.
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Mit ihrer dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat die Antragstellerin
vorgetragen, ihre Schwester habe nach dem Tod des Kindesvaters erneut geheiratet.
Der neue Ehemann habe das Kind nicht geduldet. Deshalb lebe das Kind bei ihrem
Bruder V. in der Türkei. Sie habe jedoch jeden Urlaub genutzt, um in die Türkei zu E. zu
fahren und Kontakt aufzubauen. Dieser habe sie in den Ferien auch regelmäßig in
Deutschland besucht. Während der sonstigen Zeit werde er von ihrem Bruder versorgt.
Täglich habe man aber Kontakt per Telefon oder Internet. Die Adoption entspreche dem
Kindeswohl, weil sie seit vielen Jahren engen Bezug zu dem Kind habe.
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Die Adoption habe auch dem Willen des Kindes und der Kindermutter entsprochen.
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Artikel 305 Abs. 1 des Türkischen Zivilgesetzbuches (ZGB), der ein Pflegejahr vorsehe,
sei Genüge getan. Es sei nicht erforderlich, dass eine einjährige ununterbrochene
Versorgung und Erziehung erfolge, wenn bereits zuvor ein enges
Verwandtschaftsverhältnis und ein persönlicher Bezug bestanden habe.
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Mit ihrer sofortigen weiteren Beschwerde wendet sich die Antragstellerin dagegen, dass
das Landgericht ihre Erstbeschwerde zurückgewiesen hat. Sie wiederholt und vertieft ihr
Vorbringen und trägt insbesondere vor, das zur Entscheidung berufene Gericht in
Trabzon sei von richtigen Tatsachen ausgegangen. Ein Verstoß gegen den materiell-
rechtliche ordre public liege nicht vor. Es sei auch nicht zutreffend, dass das erkennende
Gericht die Subsidiarität der Auslandsadoption nicht geprüft habe. Zwar möge
Betreuung und Zusammenleben eines Kindes mit dem lebenden Elternteil Vorrang
haben. Hier habe aber die Kindesmutter selber eine Adoption ihres Kindes durch die
Tante zugestimmt, weil ihr zweiter Ehemann das Kind nicht gewollt habe. Durch eine
alternative Unterbringung des Kindes in einer völlig fremden Familie wäre dem Kind das
gewohnte Umfeld nicht erhalten geblieben. Nach einer Adoption durch die
Antragstellerin lebe das Kind im Kreise seiner Familienangehörigen in Deutschland.
Zahlreiche nahe Verwandte des zu adoptierenden Kindes lebten in räumlicher Nähe zur
Antragstellerin.
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In der Sitzung vom 03.11.2003 sei das Kind auch durch Gericht persönlich angehört
worden und habe erklärt, dass es außerhalb der Schulzeiten ausschließlich mit seiner
Tante zusammenlebe und mit ihr auch im Ausland zusammengelebt habe. Es könne
deshalb keine Rede davon sein, dass die Kindeswohlprüfung nicht durchgeführt worden
sei. Insgesamt handele es sich um den typischen Fall einer Auslandsadoption. In der
Türkei habe das Kind außer seinem Onkel niemanden mehr. Selbst die Großeltern
lebten in Deutschland.
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II.
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Die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin ist statthaft, §§ 5 Abs. 4 Satz 2
AdWirkG, 29 Abs. 2 FGG. In der Sache hat das Rechtsmittel aber keinen Erfolg, weil die
Entscheidung des Landgerichts rechtlich nicht zu beanstanden ist (§ 27 Abs. 1 FGG).
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Nach § 2 Abs. 2 AdWirkG ist auf Antrag durch das Vormundschaftsgericht festzustellen,
ob eine ausländische Adoptionsentscheidung anzuerkennen ist. Zu Recht hat das
Landgericht darauf abgestellt, dass die Anerkennung nach § 16 a FGG zu erfolgen hat,
sofern kein Versagungsgrund besteht, da die Anerkennungsregel des Art. 23 des
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Haager Adoptionsübereinkommens vom 29.05.1993 über den Schutz von Kindern und
die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption (HAÜ) auf den
vorliegenden Fall keine Anwendung findet. Denn die Türkei hat das HÄÜ erst am
27.05.2004 ratifiziert. Im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland ist es erst seit dem
01.09.2004 in Kraft. Das türkische Adoptionsurteil erging hingegen bereits am
03.11.2003.
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Zutreffend geht das Landgericht danach davon aus, dass die Anerkennung des
türkischen Adoptionsurteils nach § 16 a Nr. 4 FGG ausscheidet, weil die Anerkennung
der Entscheidung zu einem Ergebnis führt, dass mit wesentlichen Grundsätzen des
deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Dies ist der Fall, wenn eine Verletzung
des Kindeswohls von einigem Gewicht vorliegt (vgl. KG FamRZ 2006, 1405),
insbesondere wenn im ausländischen Adoptionsverfahren die vorgeschriebene
Kindeswohlprüfung von den Beteiligten umgangen wurde (vgl. KG a.a.O.). Dann
verstößt die Entscheidung gegen den materiell-rechtlichen ordre-public.
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So liegt der Fall hier.
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Zwar wurde ausweislich der vorliegenden Protokolls und des Urteils vom 03.11.2003
eine Kindeswohlprüfung vorgenommen. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass
das erkennende Gericht das Kindeswohl berücksichtigt hat (vgl. BayObLGZ 2000, 180).
Etwas anderes gilt aber dann, wenn sich aus der Entscheidung gegenteilige
Anhaltspunkte ergeben (vgl. BayObLGZ 2000, 180).
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Zu Recht kommt das Landgericht zu dem Ergebnis, dass das türkische Gericht das
Kindeswohl unzulänglich geprüft hat, weil wesentliche Gesichtspunkte nicht in die
Entscheidung miteinbezogen wurden. Artikel 316 ZGB TUR verlangt die Prüfung, ob die
Adoptiveltern geeignet sind und die Adoption dem Kindeswohl entspricht. Nicht
berücksichtigt wurde dabei insbesondere die Subsidiarität der Auslandsadoption und
die Verhältnisse der Antragstellerin in Deutschland. Der diesbezüglich festzustellende
Vortrag der Verfahrensbeteiligten war objektiv unwahr. So lebte der zu Adoptierende
nicht bei der Antragstellerin, die ausweislich des Protokolls – insoweit ebenfalls falsch –
ihren Wohnsitz mit T. angegeben hat. Auch ergibt sich weder aus dem Protokoll noch
aus dem Urteil, dass das Kind in ein anderes Umfeld nach Deutschland verbracht
werden sollte.
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Danach wurde in eklatanter Weise die Kindeswohlprüfung verkürzt, so dass ein Verstoß
gegen den ordre-public durch das Landgericht ohne Rechtsfehler festgestellt wurde.
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Dies gilt unabhängig davon, ob die falschen Sachverhaltsangaben von der
Antragstellerin stammen oder aber das Gericht selbst für die falsche
Sachverhaltsdarstellung verantwortlich ist. Denn auch dann wurde die Entscheidung
nicht am Kindeswohl orientiert (vgl. insoweit das Urteil des VG Berlin vom 17.05.2006 –
4 V 53.04, bei juris RZ 27).
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Es führt auch nicht zur Begründetheit der weiteren Beschwerde, dass für die Beurteilung
des ordre-public Verstoßes auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Anerkennung
abzustellen ist (BGH FamRZ 1989, 378; BayObLGZ 1987, 439; BayObLGZ 2000, 180),
also zugunsten der Antragstellerin auch solche das Kindeswohl betreffende Tatsachen
zu berücksichtigen sind, die sich zeitlich nach der ausländischen Entscheidung ergeben
haben. Dies bedeutet nämlich nicht, dass eine nicht erfolgte oder aber völlig
unzureichende Abwägung der Belange des Kindes durch eine neue von dem mit der
Anerkennung betrauten Gericht vorzunehmende Abwägung ersetzt werden könnte. Zum
einen werden dadurch nicht nachträglich entstandene Abwägungsbelange
berücksichtigt. Zum anderen entspricht die erstmalige Durchführung einer vollständigen
Kindeswohlprüfung nicht Sinn und Zweck des Anerkennungsverfahrens, dass eine
vereinfachte Anerkennung ausländischer Entscheidungen ermöglichen soll (vgl. BT-
Drucks. 14/6011, S. 32). Maßgebend ist allein, ob diese Entscheidung zur Zeit der
Anerkennung mit den unverzichtbaren verfahrensrechtlichen und materiellen
Bestimmungen deutschen Rechts vereinbar ist (vgl. LG Dresden JAmt 2006, 360).
Insbesondere gibt deshalb das Anerkennungsverfahren keine Veranlassung, dass das
zur Entscheidung über die Anerkennung berufene Gericht eine am ordre-public
orientierte eigene Adoptionsprüfung an die Stelle der ordre-public widrigen
ausländischen Entscheidung setzt (vgl. auch Weitzel JAmt 2006, 333, 334 VG Berlin,
a.a.O., Rz 27, AG Hamm JAmt 2006, 361 f.).
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Soweit in der weiteren Beschwerde neues Vorbringen zur Frage der Auslandsadoption
enthalten ist, insbesondere, dass nahezu die gesamte Familie des Kindes in
Deutschland lebt, kann dies vom Senat nicht berücksichtigt werden, weil dem
Landgericht die entsprechenden Tatsachen nicht bekannt waren. Der Senat ist auf die
reine Rechtsüberprüfung beschränkt, § 27 FGG.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 13 a Abs. 2 FGG.
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