Urteil des OLG Düsseldorf vom 14.06.2005

OLG Düsseldorf: sparkasse, treu und glauben, versicherungsnehmer, verzicht, rückforderung, auszahlung, verwertung, kündigung, kredit, versicherer

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-4 U 109/04
Datum:
14.06.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-4 U 109/04
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 4. Mai 2004 verkündete Urteil
der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kleve – Einzelrichter – abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 18.783,79 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 20. Juli 2002
zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Streithilfe
werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
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I.
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Die Klägerin verlangt eine an die Beklagte gezahlte Lebensversicherungs-Leistung
(Rückkaufwert, Gewinnanteile) zurück.
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Bei dem klagenden Versicherungsunternehmen unterhielt der Versicherungsnehmer
D... eine Lebensversicherung (Police GA 8). Im Jahre 1989 trat der
Versicherungsnehmer seine Rechte aus dem Lebensversicherungsvertrag an die
Sparkasse A... sicherungshalber ab (vgl. GA 10), was der Klägerin ordnungsgemäß
angezeigt wurde (GA 12, GA 11). Im Jahre 1994 erklärte die Sparkasse A... - um dem
Versicherungsnehmer steuerliche Vorteile zu erhalten - formularmäßig unter bestimmten
Voraussetzungen den Verzicht auf die für den Erlebensfall begründeten vertraglichen
Rechte (vgl. GA 14). Für den Todesfall blieb es bei dem bisherigen Vertragszustand (GA
14). Im Jahre 1996 trat der Versicherungsnehmer D... seine Rechte aus dem
Lebensversicherungsvertrag nochmals an die Beklagte ab, was der Klägerin ebenfalls
ordnungsgemäß angezeigt wurde (GA 15, GA 16). Die Klägerin bestätigte die Anzeige
und teilte mit Schreiben vom 15. Juli 1996 (GA 17) mit, Rechte Dritter seien ihr nicht
bekannt. Die Beklagte schloss den Darlehensvertrag mit den Eheleuten D... am 29. Juli
1996 (GA 159/160). Mit Schreiben vom 27. April 2000 (GA 18) kündigte die Beklagte die
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Lebensversicherung und bat um Auszahlung des Guthabens. Den Versicherungsschein
legte sie vor (vgl. GA 19). Am 28. Juni 2000 überwies die Klägerin der Beklagten
36.737,90 DM = 18.783,79 €. Mit Schreiben vom 10. Juli 2002 (GA 19) forderte die
Klägerin die Beklagte erfolglos zur Erstattung des ausgezahlten Betrags auf. Sie
erläuterte, erst aufgrund einer Anfrage der Sparkasse A... festgestellt zu haben,
seinerzeit die vorrangig zugunsten der Sparkasse A... erfolgte Abtretung übersehen zu
haben. Später zahlte die Klägerin Rückkaufwert und Gewinnanteile (nochmals) an die
Sparkasse A... aus. Die Klägerin hat gemeint, an die Beklagte rechtsgrundlos geleistet
zu haben. Von den Legitimationswirkungen des Versicherungsscheins (vgl. § 11 Abs. 1
ALB - GA 24 - § 808 BGB) wolle sie keinen Gebrauch machen.
Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 18.783,79 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20. Juli 2002 zu
zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat gemeint, die Klägerin habe an sie, da sie den Versicherungsschein vorgelegt
habe, als Berechtigte gezahlt. Jedenfalls brauche sie nichts zurückzuzahlen, ohne dass
die Klägerin ihr den Versicherungsschein zurückgebe, was diese jedoch nicht mehr
könne. Eine etwaige Bereicherung sei entfallen, weil sie die erhaltene Zahlung der
Kreditschuld des Herrn D... gutgebracht habe. Sie erhebe die Einrede der Verjährung.
Auch sei ein etwaiger Anspruch der Klägerin verwirkt. Schließlich rechne sie hilfsweise
mit Schadenersatzansprüchen auf. Ohne die unrichtige Bestätigung der Klägerin hätte
sie D... keinen Kredit gewährt.
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Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin sei durch
Auszahlung an die Beklagte von ihren Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag
frei geworden (§ 11 ALB, § 808 BGB). Ein nachträglicher Verzicht auf die
Erfüllungswirkung sei nicht möglich.
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Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
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Mit ihrer Berufung greift die Klägerin die Auffassung des Landgerichts an, der Verzicht
auf die Erfüllungswirkung sei aus Rechtsgründen irrelevant. Dies gelte umso mehr, als
es ihr nicht auf den ihr eingereichten Versicherungsschein angekommen sei, sondern
sie an die Beklagte geleistet hatte, weil ihre EDV-Dokumentation aus nicht mehr
nachvollziehbaren Gründen die frühere Abtretung an die Sparkasse A... nicht
ausgewiesen habe. Das Landgericht habe im übrigen ihr erstinstanzliches Vorbringen
unberücksichtigt gelassen, dass der Beklagten die vorrangige Abtretung an die
Sparkasse A... bekannt gewesen sei.
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Die Klägerin und ihre Streithelferin beantragen,
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das Urteil des Landgerichts Kleve, 3 O 324/03, vom 4. Mai 2004 abzuändern und
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 18.783,79 € nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 20. Juli 2002 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie meint, das Landgericht habe im Ergebnis zutreffend entschieden, weil die Klägerin
an sie, die Beklagte, als die tatsächlich Berechtigte ausgezahlt habe. Infolge des von
der Sparkasse A... erklärten Verzichts auf die für den Erlebensfall ausbedungenen
Rechte (GA 14) habe D... u.a. das Recht, den Versicherungsvertrag zu kündigen, in der
Folge wirksam an sie abtreten können und abgetreten. Die Aufrechnung hat die Beklage
letztlich nicht mehr weiterverfolgt.
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Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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II.
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Die Berufung ist begründet.
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Die Klageforderung rechtfertigt sich aus § 812 BGB. Die Klägerin hat die
Versicherungsleistung in der irrigen Annahme an die Beklagte ausgezahlt, diese sei im
Abtretungswege Inhaberin der Forderung geworden. Das aber war nicht der Fall:
Darüber, dass der Versicherungsnehmer D... seine Ansprüche bereits wirksam an die
Sparkasse A... abgetreten hatte, bevor es zu der weiteren Abtretung an die Beklagte
kam, streiten die Parteien nicht (vgl. GA 148). Der "Verzicht" der Sparkasse A... vom 27.
April 1993 (GA 14) hat an deren Rechtsposition nichts geändert. Denn der Verzicht ist
nur – soweit hier relevant – erklärt für nach dem 13. Februar 1992 abgetreten erhaltene
Lebensversicherungsforderungen. Die Abtretung des Versicherungsnehmers D...
zugunsten der Sparkasse A... datierte jedoch bereits aus 1989 (vgl. GA 174 und auch
schon GA 3). Darüber hinaus sollten die im Todesfall zu erbringenden Leistungen nach
ausdrücklichem Wortlaut der Erklärung unangetastet bleiben. Damit konnte das Recht
der Kündigung nicht an den Versicherungsnehmer zurückfallen, da durch eine
Kündigung der Vertrag beendet worden wäre und damit auch die für den Todesfall
vereinbarten Ansprüche hinfällig geworden wären.
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Die Klägerin war allerdings, wie das Landgericht richtig gesehen hat, durch Zahlung an
die Beklagte zunächst von ihrer Leistungsverpflichtung frei geworden, weil die Beklagte
durch den Versicherungsschein zum Empfang legitimiert war (§ 11 ALB, § 808 BGB).
Von ihrer Befugnis Gebrauch zu machen, die Legitimation durch den
Versicherungsschein in Anspruch zu nehmen ("den Inhaber des Versicherungsscheins
können wir als berechtigt ansehen..."), war die Klägerin jedoch nicht gezwungen. Die
Klägerin war auch nicht gehindert, nach Erkennen des Umstandes, dass sie zwar an
einen formal legitimierten Empfänger gezahlt hatte, dieser aber nicht der wahre
Gläubiger war, von der Vergünstigung des § 11 ALB Abstand zu nehmen und ihre
Leistung unter dem Blickwinkel der ungerechtfertigten Bereicherung zurückzufordern.
Die Situation ist keine andere als die Fallgestaltung des § 407 BGB. Nach dieser
Bestimmung muss der Neugläubiger, wenn der Schuldner in Unkenntnis der Abtretung
an den Altgläubiger leistet, diese Leistung, obwohl an einen Nichtmehrberechtigten
erbracht, als Erfüllung gegen sich gelten lassen. Anerkanntermaßen muss sich der
Schuldner jedoch nicht auf die Befreiungswirkung des § 407 BGB berufen, er kann sich
auch dafür entscheiden, die an den Altgläubiger geleistete Zahlung gemäß § 812 BGB
zurückzufordern (BGHZ 52, 150, 154; BGH NJW 1988, 700/702; BGH NJW 2001,
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231/232). Es besteht kein Grund, dies in der hier gegebenen Situation anders zu sehen.
Davon geht auch das von den Parteien erörterte Urteil des Oberlandesgerichts Hamm
(VersR 1996, 615) aus. Es ist zwar auch richtig, dass es dem Versicherer nicht
freistehen kann, seine Entscheidung, ob er die Befugnisse des § 11 ALB in Anspruch
nehmen will oder nicht, beliebig umzustoßen (vgl. OLG Hamm a.a.O.). Von einer
Entscheidung in diesem Punkt kann jedoch erst die Rede sein, wenn der Versicherer
von der fehlenden materiellen Berechtigung des Inhabers der Police erfährt oder
jedenfalls Zweifel daran hat. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung
von der des OLG Hamm. Denn die Klägerin hatte bei Erteilung ihrer
Abtretungsbestätigung vom 15. Juli 1996 (GA 17) – wie sich aus deren Inhalt ergibt -
und auch bei späterer Zahlung an die Beklagte kein aktuelles Wissen davon, dass die
Lebensversicherungsansprüche bereits an die Sparkasse A... vorabgetreten waren. Die
Klägerin hatte unwiderlegt auch keinen ersichtlichen Zweifel an der materiellen
Berechtigung der Beklagten. Als ihr die tatsächlichen Verhältnisse wieder ins
Bewusstsein gerufen worden waren, hat sich die Klägerin mit Schreiben vom 10. Juli
2002 (GA 19) zur Rückforderung entschieden. Dabei ist sie auch später unverändert
geblieben. Gründe, die die Rückforderung treuwidrig erscheinen ließen, liegen nicht vor.
Allein deshalb, weil nach Auszahlung an die Beklagte (28. Juni 2000) bis zur
Rückforderung (10. Juli 2002) ca. 2 Jahre verstrichen waren, verstößt das Verlangen
nicht gegen Treu und Glauben. Bereicherungsansprüche stellen sich geradezu
typischerweise erst nach geraumer Zeit heraus.
Der Anspruch ist auch nicht verwirkt. Die Beklagte legt nicht dar, sich auf ein Behalten-
Können der Zahlung in besonderer Weise eingerichtet zu haben.
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Zu Unrecht macht die Beklagte geltend, ihre Bereicherung sei weggefallen (§ 818 Abs.
3 BGB), weil durch die Zahlung der Klägerin ihre Kreditforderung gegen den Kredit- und
Versicherungsnehmer D... in entsprechender Höhe getilgt worden sei. Eine Verwertung
von Sicherheiten kann nämlich nur dann die gesicherte Schuld reduzieren, wenn diese
Verwertung nicht rückabgewickelt werden muss und der Verwertungserlös dem
Kreditgläubiger verbleibt. Dies ist stillschweigender Bestandteil der Sicherungsabrede.
Demzufolge besteht die Kreditschuld in Wahrheit in unveränderter Höhe fort. Ein
Wegfall der Bereicherung kann auch nicht deshalb angenommen werden, weil die
Kreditforderung der Beklagten wirtschaftlich wertlos geworden wäre. Das war schon der
Fall, bevor die Klägerin ihre Zahlung leistete, sonst hätte die Beklagte nicht auf die
Sicherungsabtretung zurückgreifen dürfen.
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Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 814 BGB sind ersichtlich nicht erfüllt. Es
besteht kein Grund für die Annahme, der Klägerin sei ihre fehlende
Zahlungsverpflichtung der Beklagten gegenüber bewusst gewesen.
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Die Einrede der Verjährung greift nicht durch. Der Bereicherungsanspruch verjährte
nach hier zunächst anwendbarem alten Recht erst nach 30 Jahren (vgl.
Palandt/Heinrichs, 60. Aufl., § 195 BGB Rn 7). Diese noch längst nicht abgelaufene
Verjährung wurde mit Wirkung ab 1. Januar 2002 in die nach neuem Recht geltende
kürzere Verjährungsfrist von 3 Jahren überführt (vgl. Art. 229 EGBGB § 6 Abs. 1 und
Abs. 4, § 195 BGB n. F.). Diese Dreijahresfrist war bis zur Hemmung durch
Klageerhebung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB n. F.), die Ende 2003 erfolgte, noch nicht
verstrichen.
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Ein schützenswertes Interesse der Beklagten, die Rückzahlung von der Rückgabe des
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Versicherungsscheins abhängig zu machen (vgl. GA 37), besteht nicht. Eigentümer des
Versicherungsscheins ist die Klägerin geworden, nachdem sie an die tatsächlich
berechtigte Sparkasse A... gezahlt hat (§ 952 BGB). Einem auf § 812 BGB gestützten
Verlangen der Beklagten steht der dolo-petit-Einwand entgegen.
Die Aufrechnung hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
fallengelassen nach Hinweis darauf, dass sie ihren Schaden noch nicht ausreichend
substanziiert vorgetragen habe.
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Die Zinsen rechtfertigen sich unter dem Blickwinkel des Verzugs (vgl.
Ablehnungsschreiben GA 48).
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 101, 708 Nr. 10, 713
ZPO.
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Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.
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Berufungsstreitwert: 18.783,79 €.
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K... Dr. W... H...
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