Urteil des OLG Düsseldorf vom 08.02.2006

OLG Düsseldorf: untersuchungshaft, unterbringung, strafvollzug, verfügung, freiheitsentziehung, druck, verfassung, reststrafe, antritt, rehabilitation

Oberlandesgericht Düsseldorf, III-4 Ws 50/06
Datum:
08.02.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
III-4 Ws 50/06
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Der Beschwerdeführer ist am 24. Februar 2006 – Tagesende - aus der
Strafhaft zu entlassen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem
Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt
die Staatskasse
Gründe
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Durch Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 09. August 2002 wurde der
Beschwerdeführer wegen schweren Raubes u.a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei
Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
gemäß § 64 StGB angeordnet.
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Er befand sich vom
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23. Januar 2002 bis 27. August 2002 (Rechtskraft des Urteils) in
Untersuchungshaft (217 Tage), sodann ab
28. August 2002 bis 12. September 2002 in sogenannter Organisationshaft (16
Tage), sodann zur Vollstreckung einer 70tägigen Ersatzfreiheitsstrafe vom
13. September 2002 bis 21. November 2002 im Strafvollzug, erneut vom
22. November 2002 bis 02. Dezember 2002 in Organisationshaft (11 Tage) und
sodann vom
03. Dezember 2002 bis 29. September 2005 in der Unterbringung nach § 64 StGB
(1028 Tage).
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Die Unterbringung wurde gemäß § 67d Abs. 5 StGB durch seit dem 26. August 2005
rechtskräftigen Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 16. August 2005 mangels
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rechtskräftigen Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 16. August 2005 mangels
Erfolgsaussicht beendet, Aussetzung der Vollstreckung des Restes der
Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt und der Beschwerdeführer am 29.
September 2005 wieder in den Strafvollzug zurückgeführt. Seitdem befindet er sich in
Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Willich I.
Die Staatsanwaltschaft hat das Ende der Strafzeit auf den 29. September 2006
berechnet, weil sie
vor
StGB gemäß § 51 Abs. 1 StGB die erlittene Untersuchungshaft von 217 Tagen
angerechnet hat und deshalb davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer noch ein
Drittel (= 393 Tage) der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe abzüglich der erlittenen 27
Tage Organisationshaft, also noch 366 Tage zu verbüßen habe. Seine Einwendungen
hiergegen hat die Strafvollstreckungskammer durch den angefochtenen Beschluss
verworfen.
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Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit der - erfolgreichen - sofortigen
Beschwerde, mit der er im wesentlichen geltend macht, die erlittene Untersuchungshaft
sei nicht vorab, sondern auf das letzte Drittel der Strafzeit anzurechnen.
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Die Vollstreckung der durch Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 09. August
2002 erkannten Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten (= 1179 Tage)
ist bereits weitgehend durch die Verbüßung von Untersuchungs- und Organisationshaft
sowie durch
vorrangige
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Nach § 67 Abs. 4 S. 1 StGB wird die Zeit des Vollzugs der Unterbringung auf die Strafe
angerechnet bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind. Die Beschränkung der Anrechnung
auf zwei Drittel der Strafe kann zwar zur Folge haben, dass die Gesamtdauer von
Maßregelvollzug und Strafvollstreckung durchaus die Dauer der erkannten
Freiheitsstrafe übersteigt. Insbesondere bei kurzen Freiheitsstrafen kann die begrenzte
Anrechnung einer »Regelunterbringung« von zwei Jahren gem. § 67 d Abs. 1 StGB
dazu führen, dass auch nach dem Vollzug einer derartigen Maßregel noch ein Drittel der
Strafe zu verbüßen ist, obwohl die Dauer der Maßregel die Dauer der erkannten Strafe
bereits erreicht oder übersteigt.
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Die Entscheidung des Gesetzgebers, einen Teil der Strafe von der Anrechnung des
Maßregelvollzugs auszunehmen, bezweckt, die Bereitschaft des Verurteilten, an der
eigenen Rehabilitation mitzuwirken, durch den Druck des noch offenen Strafrestes zu
fördern (vgl. BR-Drucks. 370/84, S. 13). Zweck und Mittel dieser Regelung sind auch
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG gebietet eine volle
zeitliche Anrechnung des Maßregelvollzugs nicht (vgl. BVerfG NStZ 1994, S. 578, 579 f.
[= StV 1994, 594]; BVerfG NStZ 1998, 77). Allerdings ist darauf Bedacht zu
dass bei der jeweils vorgesehenen Art der Kumulierung die Freiheitsentziehung
insgesamt nicht übermäßig wird und Anrechnungsausschlüsse nicht ohne Beziehung
zu Grund und Ziel der Unterbringungsmaßregel erfolgen (BVerfG, a.a.O.). Deshalb ist
auch von Verfassung wegen nicht beanstandet worden, dass Vollstreckungsbehörde
und Gericht Untersuchungshaft vorrangig vor der Unterbringung anrechnen (BVerfG in
NStZ 1998, 77), wenngleich "gute Gründe dafür sprechen mögen, eine andere als die im
hiesigen Fall vertretene Lösung zu wählen" (BVerfG a.a.O. unter Hinweis auf u.a. den
Senatsbeschluss vom 10. Juli 1995 – 4 Ws 97-98/95 in StV 1996, 47 = Rpfleger 96, 82 ).
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Die verfassungsrechtlich gebotene Beachtung des Übermaßverbotes ist gerade dann
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von entscheidender Bedeutung, wenn vor Beginn des Maßregelvollzugs ein Teil der
Strafe durch Anrechnung von Untersuchungshaft und/oder Verbüßung von
Organisationshaft bzw. Strafhaft – bereits vollstreckt ist. Eine uneingeschränkte
Anrechnung zunächst dieser Vollstreckungszeiten auf die Strafe vor Anwendung von §
67 Abs. 4 S. 1 StGB (und mithin auf die zur Anrechnung der Maßregel zur Verfügung
stehenden zwei Drittel der Strafe) hätte zur Folge, dass das Maß der Anrechnung nach
dieser Vorschrift von den vom Verurteilten in der Regel nicht verschuldeten und nur
begrenzt beeinflussbaren Unwägbarkeiten
gegebenenfalls der Untersuchungshaft - und des Vollstreckungsverfahrens (z.B. insbes.
von der Dauer der Suche nach einem Therapieplatz und der sich daraus ergebenden
Dauer der Organisationshaft) abhängig wäre. Für die Anrechnung des
Maßregelvollzugs stünden bei dieser Verfahrensweise nicht zwei Drittel der Strafe zur
Verfügung, sondern nur ein um frühere Haftzeiten gekürzter Zweidrittel-Zeitraum. Auch
unter Berücksichtigung des Unterbringungsziels ist eine solche Handhabung insoweit
mit dem Verbot des Übermaßes nicht vereinbar, als die Maßregel, wie im Regelfall des
§ 67 Abs. 1 StGB,
vor
vor Antritt des Maßregelvollzugs verbüßten Haftzeiten nicht Folge einer Entscheidung
des die Maßregel anordnenden erkennenden Gerichts. Etwas anderes hat nur dort zu
gelten, wo im Urteil ein (teilweiser oder ganzer) Vorwegvollzug der Strafe gemäß § 67
Abs. 2 StGB angeordnet ist und mithin gerade dem Rehabilitationsinteresse des
Verurteilten dienen soll. Auf den in diesem Fall nach § 67 Abs. 2 StGB vorweg zu
vollstreckenden Strafteil ist die Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 S. 1 StGB
anzurechnen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 51 Rz. 5 m.w.N.). So liegt der Fall
hier aber nicht, denn das Landgericht Mönchengladbach hat es bei der
Regelreihenfolge Unterbringung mit nachfolgendem Strafvollzug belassen. Dann bleibt
es aber auch bei der zuvor dargestellten Anrechnungsreihenfolge zugunsten des
Verurteilten (Senatsbeschluss vom 10. Juli 1995 – 4 Ws 97-98/95 in StV 1996, 47;
PfzOLG Zweibrücken, NStZ 2001, 54; LG Wuppertal StV 96, 329). Der Senat hält
insoweit (entgegen z.B. OLG Düsseldorf - 2. Strafsenat - NStZ-RR 97, 25; und 3.
Strafsenat – 3 Ws 31/00 - vom 03. Februar 2000 ) auch nach Überprüfung an seiner
Rechtsprechung fest.
Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich hier: Gegen den Verurteilten ist
Freiheitsstrafe von insgesamt 3 Jahren und 3 Monaten (= 1179 Tage) zu vollstrecken.
Hierauf ist der erlittene Maßregelvollzug anzurechnen, aber nicht über zwei Drittel der
verhängten Strafe hinaus (= 786 Tage nach der insoweit zutreffenden und
zugrundegelegten Strafzeitberechnung der Staatsanwaltschaft) . Auf das verbleibende
letzte Drittel der Freiheitsstrafe (393 Tage) ist die Untersuchungs- und Organisationshaft
(insgesamt 244 Tage) anzurechnen. Das bedeutet, dass von der zu vollstreckenden
Reststrafe ab 29. September 2005 noch 149 Tage zu vollstrecken sind, so dass nach
der Berechnung des Senats das Strafende am 24. Februar 2006 erreicht sein wird.
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Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1
StPO.
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