Urteil des OLG Düsseldorf vom 22.04.2002

OLG Düsseldorf (aufschiebende wirkung, beschwerde, unternehmen, umfang, antrag, ergebnis, härte, offenlegung, elektrizität, stromversorgung)

Oberlandesgericht Düsseldorf, VI-Kart 2/02 (V)
Datum:
22.04.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Kartellsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VI-Kart 2/02 (V)
Tenor:
Der Antrag der Beschwerdeführerin, die aufschiebende Wirkung ihrer
Beschwerde gegen den Auskunftsbeschluss des Bundeskartellamtes
vom 15. Januar 2002 (B 11 - 41/01) anzuordnen, wird zurückgewiesen,
soweit sich die Beschwerde gegen den Ausspruch in Ziffer 11 Absatz 1
(Vorlage der Netznutzungsentgelt-Kalkulation und Erläuterung der
Kalkulationsgrundlagen und -methoden, so dass die einzelnen Kosten
den jeweiligen Kostenstellen und Kostenträgern im Netzbetrieb
zugeordnet werden können, gegebenenfalls unter Angabe der
Verteilungsschlüssel und Herleitung der Entgelte aus den
Kostenblöcken ) wendet.
Im übrigen, d.h. hinsichtlich des Ausspruchs zu Ziffer 11 Absatz 2 des
Auskunftsbeschlusses, soll eine Entscheidung erst ergehen, nachdem
die Parteien zur Erforderlichkeit und sachlichen Rechtfertigung der dort
verlangten Angaben Stellung genommen haben.
G r ü n d e
1
I.
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Die Beschwerdeführerin unterhält in ihrem Versorgungsgebiet ein Stromleitungsnetz,
das sie anderen Energieversorgungsunternehmen gegen Entgelt zur Verfügung stellt.
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Das Bundeskartellamt überprüft zur Zeit die Netznutzungsentgelte auf dem
Elektrizitätssektor. In diesem Zuge hat es mit Schreiben vom 26. September 2001
(Anlage 1) auch die Beschwerdeführerin wegen des Verdachts missbräuchlich
überhöhter Nutzungsentgelte zur Erteilung von Auskünften aufgefordert. Den
Anfangsverdacht hat das Bundeskartellamt aus der Tatsache hergeleitet, dass die "E. R.
AG" und die "R. N. AG" die Stromdurchleitung zu erheblich niedrigeren Entgelten als die
Beschwerdeführerin anbieten. Die durchschnittliche Preisdifferenz belief sich nach den
unangegriffenen Feststellungen des Bundeskartellamtes für leistungsgemessene
Kunden per 29. Juni 2001 im Niederspannbereich auf 55 bis 57 % und im
Mittelspannbereich auf 48 % bis 55 % sowie für nichtleistungsbemessene Kunden je
nach Abnahmemenge zwischen 17 % und 27 %. Unter Hinweis auf diese erheblichen
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Preisunterschiede hat das Bundeskartellamt die Beschwerdeführerin zu - näher
bezeichneten - Auskünften aufgefordert, um auf der Grundlage des (räumlichen und
zeitlichen) Vergleichsmarktkonzepts die Angemessenheit der Durchleitungsentgelte der
Beschwerdeführerin überprüfen zu können. Die Beschwerdeführerin hat die
diesbezüglich erbetenen Auskünfte erteilt. Darüber hinaus hat das Bundeskartellamt die
Absicht bekundet, die Netznutzungsentgelte auch einer Kostenkontrolle zu unterziehen;
es hat die Beschwerdeführerin insoweit aufgefordert, ihre Preiskalkulation offenzulegen.
Dem hat die Beschwerdeführerin unter dem 20. November 2001 (Anlage 3)
widersprochen. Sie hat geltend gemacht, zum 1. Juli 2001 die Durchleitungsentgelte
gesenkt zu haben, so dass sich die vom Bundeskartellamt angenommene Preisdifferenz
um mehr als die Hälfte reduziere. Sie hat außerdem die Ansicht vertreten, dass die
Methode der Kostenkontrolle gegenüber dem Vergleichsmarktkonzept subsidiär sei und
allenfalls dann in Betracht komme, wenn jenes nicht zu einem eindeutigen Ergebnis
führe.
Mit Rücksicht auf die Weigerungshaltung der Beschwerdeführerin hat das
Bundeskartellamt mit Beschluss vom 15. Januar 2002 (Anlage 5) ergänzende Auskünfte
angefordert. Es hat - soweit vorliegend von Interesse - der Beschwerdeführerin in Ziffer
11 Absatz 1 aufgegeben, ihre Kalkulation der Netznutzungsentgelte vorzulegen und die
Kalkulationsgrundlagen und -methoden zu erläutern, und zwar dergestalt, dass die
einzelnen Kosten den jeweiligen Kostenstellen und Kostenträgern im Netzbetrieb
zugeordnet werden können. Es hat die Beschwerdeführerin in Ziffer 11 Absatz 2 darüber
hinaus aufgefordert, bei einer Abweichung der Entgeltkalkulation von den Grundsätzen
des § 12 Bundestarifordnung Elektrizität die bestehenden Unterschiede zu benennen
und zu erläutern sowie die Auswirkungen dieser Abweichungen auf die Höhe des
Netznutzungsentgelts zu quantifizieren, und ferner für den Fall, dass der Kalkulation der
Tarifstrompreise nicht die Grundsätze der "Arbeitsanleitung zur Darstellung der Kosten-
und Erlösentwicklung in der Stromversorgung vom 10./11. Juni 1997" zugrunde liegen,
auch diese Unterschiede zu benennen und ihre Auswirkungen auf die
Netznutzungsentgelte zu quantifizieren. Zur Rechtfertigung des Auskunftsbegehrens hat
das Bundeskartellamt ausgeführt, die Angemessenheit der Durchleitungsentgelte könne
nicht nur nach Vergleichsmarktgesichtspunkten, sondern gleichrangig auch nach
betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten auf der Grundlage einer Kostenbetrachtung
beurteilt werden. Zwar biete sich bei stark voneinander abweichenden Entgelten
zunächst ein Vergleich der Netznutzungsentgelte mit inländischen
Vergleichsunternehmen an. Die Vergleichsbetrachtung müsse jedoch um die
Kostenbetrachtung erweitert werden, zumal nicht ausgeschlossen werden könne, dass
das Entgeltniveau im Inland generell überhöht sei.
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Dagegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde. Zur Begründung
trägt sie vor: Wie sich § 19 Abs. 4 Nr. 2 und 3 GWB entnehmen lasse, sei das
Vergleichsmarktkonzept die vorrangige Methode zur Feststellung eines
Preismissbrauchs. Auf das Instrument der Kostenkontrolle dürfe erst dann
zurückgegriffen werden, wenn das Vergleichsmarktkonzept zu keinem eindeutigen
Ergebnis führe. Diese Voraussetzung sei bislang nicht erfüllt. Überdies sei die vom
Bundeskartellamt beabsichtigte umfassende Kostenkontrolle unzulässig. Die
Offenlegung der Kostenkalkulation dürfe nur in demjenigen Umfang gefordert werden,
wie dies erforderlich sei, um die nach Anwendung des Vergleichsmarktkonzepts offen
gebliebenen Fragen zu klären.
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Die Beschwerdeführerin beantragt,
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die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde anzuordnen.
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Zur Begründung verweist sie auf ihre Rechtsausführungen zur Rechtfertigung der
Beschwerde. Außerdem - so meint sie - habe die sofortige Vollziehung des
angefochtenen Auskunftsbeschlusses für sie eine unbillige, nicht durch überwiegende
öffentliche Belange gebotene Härte zur Folge. Denn bei der Offenlegung ihrer
Kalkulationsgrundlagen müsse sie sensible Unternehmensdaten preisgeben.
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Das Bundeskartellamt beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
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Es verteidigt mit Rechtsausführungen den angefochtenen Beschluss. Insbesondere
macht es geltend: Die Kostenkontrolle sei in Fällen der vorliegenden Art - in denen die
Anbieter der zur Beurteilung stehenden Leistung über natürliche Monopole (hier:
Stromleitungsnetze) verfügen, so dass ein echter Wettbewerbspreis nicht entstehen
könne - eine unverzichtbare Methode zur Preiskontrolle.
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II.
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Der Antrag der Beschwerdeführerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde
anzuordnen, ist entscheidungsreif, soweit sich der Rechtsbehelf gegen den Ausspruch
in Ziffer 11 Absatz 1 des Auskunftsbeschlusses wendet. In diesem Umfang bleibt der
Antrag allerdings erfolglos. Soweit die Beschwerde den Ausspruch in Ziffer 11 Absatz 2
des angefochtenen Beschlusses bekämpft, bedarf es vor einer Senatsentscheidung des
ergänzenden Sachvortrags der Parteien.
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A. Der Antrag der Beschwerdeführerein hat, soweit er das Auskunftsverlangen gemäß
Ziffer 11 Absatz 1 des angefochtenen Beschlusses betrifft, keinen Erfolg.
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Gemäß § 65 Abs. 3 GWB kann das Beschwerdegericht die aufschiebende Wirkung
einer sofort vollziehbaren Entscheidung der Kartellbehörde (u.a.) dann anordnen, wenn
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen (Nr. 2)
oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende
öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (Nr. 3). Im Entscheidungsfall ist
keine dieser Alternativen erfüllt.
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1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der in Ziffer 11 Absatz 1
getroffenen Anordnung. Das diesbezügliche Auskunftsbegehren des
Bundeskartellamtes findet seine Grundlage in § 59 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 i.V.m. §§ 19 Abs.
1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 2 und 4 GWB.
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a) Soweit dies zur Erfüllung der ihr im GWB übertragenen Aufgaben erforderlich ist,
kann die Kartellbehörde von Unternehmen Auskunft über ihre wirtschaftlichen
Verhältnisse und die Herausgabe der Unterlagen verlangen (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 GWB).
Die Befugnis ist nur durch das Ermittlungsziel und durch die Erforderlichkeit der -
sowohl insgesamt als auch im Einzelnen - verlangten Auskünfte beschränkt. Dabei ist
ein großzügiger Maßstab anzulegen. Während eines bei ihr anhängigen
Kartellverwaltungsverfahrens entscheidet alleine die Kartellbehörde darüber, ob und
welche Ermittlungen zur Wahrnehmung der ihr im Kartellgesetz übertragenen Aufgaben
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anzustellen sind. Das Auskunftsersuchen ist ein wesentliches Gestaltungselement
dieser Ermittlungstätigkeit. In welchem Umfang von ihm Gebrauch gemacht wird, steht
im Ermessen der Kartellbehörde. Der Ermessensspielraum ist dabei notwendigerweise
weit gespannt. Denn die Kartellbehörde kann zu Beginn oder während der Ermittlungen
in aller Regel nicht wissen, welchen Verlauf die Ermittlungen nehmen und welches
Ergebnis sie haben werden. Das Gericht kann einen Auskunftsbeschluss nur daraufhin
überprüfen, ob das - von der Kartellbehörde darzulegende - Ermittlungskonzept
vertretbar ist und ob die Kartellbehörde die Erforderlichkeit der erbetenen Auskünfte mit
vertretbaren Erwägungen bejaht hat (Senat, WuW DE-R 677, 678, 680 m.w.N.).
b) An diesem Prüfungsmaßstab gemessen begegnet Ziffer 11 Absatz 1 des
angefochtenen Auskunftsbeschlusses keinen rechtlichen Bedenken.
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aa) Das Bundeskartellamt hat gegen die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 26.
September 2001 ein Vorermittlungsverfahren wegen des Verdachts eingeleitet, ihre
marktbeherrschende Stellung als Inhaberin des regionalen Stromleitungsnetzes
dadurch zu missbrauchen, dass sie von anderen Stromanbietern überhöhte
Durchleitungsentgelte fordert. Den Anfangsverdacht hat das Bundeskartellamt mit Recht
aus dem Umstand hergeleitet, dass die Netznutzungsentgelte der Beschwerdeführerin
erheblich über denjenigen Durchleitungsentgelten liegen, die beispielsweise die
Unternehmen "E. R. AG" und "R. N. AG" für vergleichbare Stromdurchleitungen
erheben. Die durchschnittliche Preisdifferenz belief sich für leistungsgemessene
Kunden zum 29. Juni 2001 im Niederspannbereich auf 55 bis 57 % sowie im
Mittelspannbereich auf 48 % bis 55 % und sie beträgt - wenn man den Angaben der
Beschwerdeführerin zu einer zwischenzeitlich durchgeführten Preissenkung folgt - seit
dem 1. Juli 2001 immer noch zwischen 20 % und 25 %. Für nichtleistungsbemessene
Kunden hat das Bundeskartellamt unangegriffen einen Preisunterschied festgestellt, der
je nach Abnahmemenge zwischen 17 % und 27 % liegt. Diese Preisdifferenzen hat das
Bundeskartellamt zutreffend als gewichtiges Indiz für die Berechnung überhöhter
Netznutzungsentgelte durch die Beschwerdeführerin gewertet und sie zum Anlass für
die Einleitung eines Missbrauchsverfahrens nach § 54 Abs. 1 GWB genommen.
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Dagegen erhebt die Beschwerde keine tauglichen Einwände. Ihr Hinweis, das
Bundeskartellamt habe mit dem Auskunftsbeschluss das förmliche Verfahren erst
eingeleitet, nachdem die Bitte um Offenlegung der Kalkulation zurückgewiesen worden
sei, und sie (die Beschwerdeführerin) bezweifele, dass die Weigerung zur
Auskunftserteilung ein hinreichender Grund für die Einleitung eines
Missbrauchsverfahrens darstelle, ist nicht stichhaltig. Die Beschwerdeführerin verkennt,
dass der Anfangsverdacht nicht aus ihrer Weigerungshaltung hergeleitet wird, sondern
dass er auf den festgestellten erheblichen Preisunterschieden beruht, die zwischen
ihren eigenen Durchleitungsentgelten und den Preisen der Anbieter "E. R. AG" und "R.
N. AG" bestehen. Da - wie das Bundeskartellamt unwidersprochen geltend macht - die
von der Beschwerdeführerin bislang erteilten Auskünfte den Verdacht des
Preismissbrauchs nicht ausgeräumt haben, besteht nach wie vor ein hinreichender
Anfangsverdacht. Er rechtfertigt zwanglos die Einleitung eines Missbrauchsverfahrens
gegen die Beschwerdeführerin und berechtigt das Bundeskartellamt, von der
Beschwerdeführerin die zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts notwendigen
Auskünfte anzufordern.
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bb) Ohne Erfolg wendet sich die Beschwerdeführerin dagegen, dem Bundeskartellamt
in diesem Rahmen auch die Kalkulation ihrer Netznutzungsentgelte unter Angabe der
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Kalkulationsgrundlagen und -methoden und unter Aufschlüsselung der jeweiligen
Kostenstellen und Kostenträger im Netzbetrieb sowie gegebenenfalls unter Angabe und
Quantifizierung der Verteilungsschlüssel sowie Herleitung der Nutzungsentgelte aus
den Kostenblöcken offenlegen zu müssen.
Im Streitfall besteht der Anfangsverdacht eines Preismissbrauchs im Sinne von § 19
Abs. 4 Nr. 2 und 4 GWB. Nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB liegt ein Missbrauch der
marktbeherrschenden Stellung (u.a.) dann vor, wenn das marktbeherrschende
Unternehmen Entgelte fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem
Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden, wobei für die Beurteilung
insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit
wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen sind. Gemäß § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB handelt
ein marktbeherrschendes Unternehmen (u.a.) missbräuchlich, wenn es sich weigert,
einem anderen Unternehmen gegen angemessenes Entgelt Zugang zu den eigenen
Netzen zu gewähren, sofern es jenem Unternehmen aus rechtlichen oder tatsächlichen
Gründen ohne die Mitbenutzung nicht möglich ist, auf dem vor- oder nachgelagerten
Markt als Wettbewerber des Marktbeherrschers tätig zu werden. Weder dem Wortlaut
noch dem Sinn dieser Vorschriften ist zu entnehmen, dass der Preismissbrauch
ausschließlich oder in erster Linie anhand des Vergleichsmarktkonzepts festgestellt
werden muss und dass eine Kostenkontrolle allenfalls nachrangig dann in Betracht
kommen kann, wenn das Vergleichsmarktkonzept nicht zu einem eindeutigen Ergebnis
führt. Zwar stellt - wie der Gesetzgeber in § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB ("hierbei sind
insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit
wirksamem Wetbewerb zu berücksichtigen") betont hat - die
Vergleichsmarktbetrachtung einen besonders wichtigen Maßstab für die Ermittlung des
wettbewerbsanalogen Preises dar. Es handelt sich aber nicht um die einzige und auch
nicht um die primär statthafte Richtschnur. Vielmehr ist es stets eine Frage des
jeweiligen Einzelfalles, inwieweit eine Überprüfung der Preiskalkulation und das
dahinter stehende Konzept der Gewinnbegrenzung Aufschluss darüber geben können,
ob eine marktbeherrschende Stellung durch eine bestimmte Preisgestaltung
missbraucht wird oder nicht (KG, WuW/E OLG 2892, 2895 - Euglucon; Möschel in
Immenga/Mestmäcker, Kommentar zum GWB, 3. Aufl., § 19 Rdz. 204 m.w.N.; derselbe
in WuW 1999, 832, 840/841; Schultz in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und
europäischen Kartellrecht, 9. Aufl., § 19 Rdz. 95; Baur/Weyer in Frankfurter Kommentar,
§ 19 n.F. Rdz. 18; Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 23 Rdz. 65; wohl auch:
BGH, WuW/E BGH 1678, 1684 - Valium II). Liegen vertretbare Gründe vor, darf die
Kartellbehörde deshalb (neben oder in Einzelfällen sogar an Stelle des
Vergleichsmarktkonzepts) eine Kostenkontrolle vornehmen, um den Sachverhalt
aufzuklären und den bestehenden Verdacht eines Preismissbrauchs erhärten oder
entkräften zu können.
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Solche vertretbaren Gründe stehen dem Bundeskartellamt im Entscheidungsfall zur
Seite.
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(1) Der Markt der Zurverfügungstellung von Stromleitungsnetzen ist dadurch
gekennzeichnet, dass sich die regionalen Leitungsnetze in der Hand eines
Stromanbieters - nämlich regelmäßig desjenigen Anbieters, der vor der Liberalisierung
des Strommarktes in der betreffenden Region der alleinige Stromlieferant war -
befinden. Die natürliche Monopolstellung der Stromnetzbetreiber hat zur Folge, dass auf
dem Angebotsmarkt der Stromdurchleitung - nach wie vor - ein Wettbewerb nicht
stattfindet und dass sich demzufolge bei den Durchleitungsentgelten bislang auch kein
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Wettbewerbspreis bilden konnte. Die Vergleichsmarktbetrachtung, die - was nach Lage
der Dinge alleine in Betracht kommt - den wettbewerbsanalogen Preis für die
Stromdurchleitung anhand der Preise anderer Stromnetzbetreiber bestimmt, ist vor
diesem Hintergrund von einem nur eingeschränkten Erkenntniswert. Denn sie ist mit
dem ernsthaften Risiko behaftet, dass für die Feststellung eines Preismissbrauchs
Netznutzungsentgelte herangezogen werden, die ihrerseits kartellrechtswidrig überhöht
sein können. Bei dieser Sachlage ist es ohne weiteres nachvollziehbar und vertretbar,
wenn das Bundeskartellamt den Verdacht des Preismissbrauchs nicht alleine an Hand
des Vergleichsmarktkonzepts abklären, sondern zur Absicherung ergänzend auch eine
Kostenkontrolle vornehmen will (ebenso: Möschel, a.a.O.). Gerade die Überprüfung der
konkreten Preiskalkulation kann in Zweifelsfällen Aufschluss darüber geben, ob das zu
überprüfende Durchleitungsentgelt missbräuchlich überhöht ist oder nicht. So betrachtet
liegt die Absicht des Bundeskartellamtes, die nach dem Vergleichsmarktkonzept zu
gewinnenden Erkenntnisse im Wege der Kostenkontrolle zu überprüfen, auch im
wohlverstandenen Interesse der Beschwerdeführerin. Die Kostenkontrolle kann die
Beschwerdeführerin nämlich davor bewahren, alleine auf der Grundlage der nur bedingt
aussagekräftigen Vergleichsmarktbetrachtung - und damit im Ergebnis möglicherweise
zu Unrecht - mit einer Missbrauchsverfügung der Kartellbehörde überzogen zu werden.
Das Bundeskartellamt ist dabei nicht - wie die Beschwerdeführerin meint - gehalten,
zunächst die Erkenntnismöglichkeiten des Vergleichsmarktkonzepts auszuschöpfen, um
erst dann auf die Kostenkontrolle zurückgreifen zu dürfen, wenn die
Vergleichsmarktbetrachtung zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt hat. Dem
Bundeskartellamt ist nach dem Kartellgesetz die Aufgabe zugewiesen, wirksam, effektiv
und möglichst zeitnah Maßnahmen zum Schutz der Wettbewerbsfreiheit zu treffen.
Dieser Aufgabenstellung widerspricht es, die Befugnisse der Kartellbehörde zur
Sachverhaltsaufklärung unnötig einzuschränken und sie ungeachtet der vertretbaren
Gründe, die im konkreten Fall eine Kostenkontrolle rechtfertigen, zunächst auf das
Vergleichsmarktkonzept festzulegen. Auch das Gesetz gibt für die von der
Beschwerdeführerin befürwortete (grundsätzliche) Nachrangigkeit der Kostenkontrolle
keinen Anhalt.
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(2) Für die Vertretbarkeit einer Kostenkontrolle spricht überdies die nicht von der Hand
zu weisende Gefahr einer Quersubventionierung. Die Beschwerdeführerin ist - wie
praktisch alle Stromnetzbetreiber - nicht nur als Anbieterin von Stromdurchleitungen,
sondern auch als Stromlieferantin tätig. Auf dem letztgenannten Markt steht sie seit der
Öffnung des Strommarktes dabei in Konkurrenz zu anderen Anbietern. Daraus resultiert
für die Beschwerdeführerin die Möglichkeit, mit Hilfe überhöhter Durchleitungsentgelte
ihre Stromlieferungssparte zu fördern und dadurch auf diesem Sektor ihre
Wettbewerbsfähigkeit zu Lasten der Mitbewerber zu verbessern. Ob die
Beschwerdeführerin eine solche (unzulässige) Quersubventionierung tatsächlich
praktiziert, lässt sich zuverlässig nur durch eine Überprüfung ihrer Preiskalkulation
feststellen. Diese Erwägung rechtfertigt es für das Bundeskartellamt zusätzlich, von der
Beschwerdeführerin die Offenlegung ihrer Preiskalkulation zu fordern.
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cc) Gegen den Umfang der in Ziffer 11 Absatz 1 begehrten Auskünfte bestehen keine
Bedenken. Auch die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, dass die zur
Kostenkontrolle erbetenen Angaben das vertretbare Maß überschreiten.
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2. Die Vollziehung der in Ziffer 11 Absatz 1 getroffenen Anordnung hat für die
Beschwerdeführerin keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen
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gebotene Härte zur Folge (§ 65 Abs. 3 Nr. 3 GWB).
Die Beschwerdeführerin sieht die unbillige Härte darin begründet, dass es sich bei den
zu erteilenden Auskünften um äußerst wichtige Unternehmensinformationen handele,
die nur dann herausverlangt werden dürften, wenn die Ermittlungen nicht auf anderem
Weg zum Erfolg geführt werden könnten. Dieser Argumentation ist schon im Ansatz
nicht zu folgen. Sie beruht nicht nur auf der - unzutreffenden - Annahme, dass die
Kostenkontrolle gegenüber der Vergleichsmarktbetrachtung subsidiär ist. Sie verkennt
überdies, dass alleine die Befolgung des angegriffenen Auskunftsverlangens
gegenüber dem zur Verschwiegenheit verpflichteten Bundeskartellamt noch nicht zu
einer unbilligen Härte im Sinne von § 65 Abs. 3 Nr. 3 GWB führt (vgl. nur: Karsten
Schmidt in Immenga/Mestmäcker, § 65 Rdz. 14 a.E.).
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B. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Auskunftsverpflichtung gemäß Ziffer
11 Absatz 2 des Auskunftsbeschlusses wendet, ist ihr (Eil-)Antrag noch nicht zur
Entscheidung reif.
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1. Das Bundeskartellamt hat die Beschwerdeführerin in Ziffer 11 Absatz 2 aufgefordert,
bei einer Abweichung ihrer Entgeltkalkulation von den Grundsätzen des § 12
Bundestarifordnung Elektrizität die bestehenden Unterschiede zu benennen und zu
erläutern sowie die Auswirkungen dieser Abweichungen auf die Höhe des
Netznutzungsentgelts zu quantifizieren, und ferner für den Fall, dass der Kalkulation der
Tarifstrompreise nicht die Grundsätze der "Arbeitsanleitung zur Darstellung der Kosten-
und Erlösentwicklung in der Stromversorgung vom 10./11. Juni 1997" zugrunde liegen,
auch diese Unterschiede zu bezeichnen und ihre Auswirkungen auf die
Netznutzungsentgelte zu quantifizieren.
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2. Es begegnet durchgreifenden Bedenken, ob diese Angaben von der Verpflichtung der
Beschwerdeführerin nach § 59 Abs 1 Nr. 1 GWB gedeckt sind, "Auskunft über ihre
wirtschaftlichen Verhältnisse" zu geben. Die in Ziffer 11 Ab-satz 2 geforderten Angaben
gehen über die - bereits in Ziffer 11 Absatz 1 des Auskunftsbeschlusses angeordnete -
Offenlegung und Erläuterung der zu überprüfenden (eigenen) Kostenkalkulation der
Beschwerdeführerin hinaus. Sie bürden der Beschwerdeführerin darüber hinausgehend
eine Bearbeitung und Auswertung des von ihr offenzulegenden Zahlenwerks auf.
Augenfällig ist dies bei der Verpflichtung, die Auswirkungen auf die Höhe des
Netznutzungsentgelts zu quantifizieren, die sich bei einer etwaigen Abweichung der
eigenen Kostenkalkulation von den Grundsätzen des § 12 Bundestarifordnung
Elektrizität und der "Arbeitsanleitung zur Darstellung der Kosten- und Erlösentwicklung
in der Stromversorgung vom 10./11. Juni 1997" ergeben. Gleiches dürfte für die
Anordnung gelten, die Unterschiede zwischen der eigenen Kostenkalkulation einerseits
und den Kalkulationsgrundsätzen des § 12 Bundestarifordnung Elektrizität und der
"Arbeitsanleitung zur Darstellung der Kosten- und Erlösentwicklung in der
Stromversorgung vom 10./11. Juni 1997" andererseits herauszuarbeiten, zu benennen
und zu erläutern. Derartige Bearbeitungs- und Auswertungsarbeiten, die zum
Verständnis der offenzulegenden Kostenkalkulation nicht erforderlich sind, werden von
der Auskunftsverpflichtung aus § 59 Abs. 1 Nr. 1 GWB nicht umfasst.
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3. Die Parteien haben den Umfang der Auskunftsverpflichtung der Beschwerdeführerin
in Bezug auf die Anordnungen in Ziffer 11 Absatz 2 bislang nicht problematisiert. Die
Sache ist in diesem Umfang deshalb noch nicht entscheidungsreif. Beide Parteien
erhalten Gelegenheit, binnen zwei Wochen nach Zugang dieses Beschlusses zu den
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vorstehend unter Abschnitt II. B. 2. dargestellten Überlegungen des Senats Stellung zu
nehmen und gegebenenfalls zur Erforderlichkeit und sachlichen Rechtfertigung der in
Ziffer 11 Absatz 2 verlangten Auskünfte vorzutragen.
a. W.
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