Urteil des OLG Düsseldorf vom 02.06.2010

OLG Düsseldorf (juristische person, rüge, beschwerde, eugh, prüfung, lieferung, bekanntmachung, richtlinie, los, verhalten)

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 7/10
Datum:
02.06.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 7/10
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der
Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster vom 14. Januar 2010
(VK 24/09) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten des
Verfahrens gemäß § 118 Abs. 1 S. 3 GWB trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 75.000 €
festgesetzt.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
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I.
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Die Antragsgegnerin schrieb mit EU-Bekanntmachung vom 04. September 2009 die
Lieferung von Ohrmarken für Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen für den Zeitraum
vom 01. Januar 2010 bis zum 31. Oktober 2010, aufgeteilt in 3 Lose, im Offenen
Verfahren aus. Das streitgegenständliche Los 2 betraf die Lieferung von
Schweineohrmarken. Die Bekanntmachung sah unter "III.2.3) Technische
Leistungsfähigkeit" u.a. Folgendes vor:
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1. Der Bieter hat für jedes Los, auf das ein Angebot abgegeben wird, zwei
Referenzaufträge aus dem Zeitraum 2005-2009 hinsichtlich vergleichbarer Leistungen
zu benennen. Die Referenzaufträge müssen vergleichbare Tierhaltungsbedingungen
wie in Deutschland und eine mit dem betreffenden Los vergleichbare Größenordnung
aufweisen. Bei der Benennung der Referenzaufträge sind der Name des jeweiligen
Auftraggebers und der jeweilige Leistungszeitraum anzugeben.
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Die Antragsgegnerin wies in der Bekanntmachung darauf hin, dass "die Anzahl der
jährlich zu liefernden Ohrmarken … Schwankungen [unterliege] und … sich nach dem
Bedarf der Tierhalter [richte]. Es [werde] keine Mindestabnahmemenge garantiert."
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In den Verdingungsunterlagen wurde nachrichtlich die Auslieferung von
Schweineohrmarken für die Jahre 2006 bis 2008 auf zwischen rund 10 Mio. und rund
11,3 Mio. Stück beziffert.
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Die Antragstellerin und die Beigeladene (die zur S... Gruppe mit Sitz in … gehört)
reichten Angebote ein. Nach Prüfung der Unterlagen entschied die Antragsgegnerin, der
Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen. Dabei hat sie die von der Beigeladenen
eingereichten Referenzen als ausreichend angesehen.
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Dagegen hat die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag eingereicht. Sie hat sich auf
unlauteres Verhalten der Beigeladenen und der S... Gruppe berufen, die zunächst ihr –
der Antragstellerin – Vertriebspartner bis 2008 gewesen sei und sodann in unlauterer
Weise know-how-relevantes Personal abgeworben habe. Die sich daraus ergebenden
Streitigkeiten und Unklarheiten beeinträchtigten auch die Eignung der Beigeladenen zur
Lieferung. Des Weiteren habe die Beigeladene nicht die notwendigen Referenzen
vorweisen können. Dabei seien die Fähigkeiten aus der Zeit als Vertriebspartner der
Antragstellerin nicht zu berücksichtigen. Die Antragstellerin hat beantragt,
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festzustellen, dass sie in ihren Rechten auf Einhaltung der Bestimmungen über das
Vergabeverfahren verletzt worden ist,
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die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die entsprechende Rechtsverletzung zu
beseitigen.
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Die Antragsgegnerin hat beantragt,
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den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
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Sie hat die Auffassung vertreten, der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig,
nachdem eine entsprechende Rüge erst fünf Tage nach Erhalt der Bieterinformation
erfolgt sei. Zudem sei er unbegründet; ein unlauteres Verhalten oder eine schwere
Verfehlung der Beigeladenen liege nicht vor, sie sei auch lieferfähig. Die geforderten
Referenzen hätten nicht die Herstellung als solche, sondern die Lieferung betroffen.
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Die Beigeladene hat beantragt,
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den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
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Auch sie hat die Rüge der Antragstellerin für präkludiert gehalten. Was die gegen sie
gerichteten Vorwürfe betrifft, hat sie auf ein klageabweisendes Urteil der Rechtbank in
Middelburg/Zeeland verwiesen, wonach keine Ansprüche wegen unlauteren Verhaltens
oder Urheberrechtsverletzung bestünden.
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Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Sie hat keine
hinreichenden Anhaltspunkte für ein unlauteres Verhalten der Beigeladenen erkannt
und auch die Eignungsbewertung der Antragsgegnerin gebilligt.
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Dagegen wendet sich die Antragstellerin (in der Beschwerdeschrift mit "M... B.V."
bezeichnet) mit ihrer Beschwerde. Sie meint weiterhin, die Beigeladene habe keine
hinreichenden Referenzen in der geforderten Größenordnung eingereicht. Sollten
demgegenüber die gestellten Anforderungen überhöht und damit unzulässig gewesen
seien, sei ihr eine zweite Chance zur Einreichung eines neuen Angebotes
einzuräumen. Sie beantragt daher,
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den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster vom 14. Januar
2010 (VK 24/09) aufzuheben;
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die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Wertung der Angebote unter Berücksichtigung
der Rechtsauffassung des Senats und unter Ausschluss des Angebots der
Beigeladenen zu wiederholen.
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Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Der Senat hat mit Beschluss vom 16. Februar 2010 den Antrag der Antragstellerin
gemäß § 118 Abs. 1 S. 3 GWB zurückgewiesen. Eine Auftragserteilung ist bisher nicht
erfolgt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Vergabeakte und die Verfahrensakte der
Vergabekammer sowie auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten Bezug genommen.
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II.
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Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.
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1.
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Vergabe- und Vergabenachprüfungsverfahren unterliegen infolge des Beginn des
Vergabeverfahrens im September 2009 der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur
Modernisierung des Vergaberechts geltenden Fassung des GWB, § 131 Abs. 8 GWB.
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2.
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Die sofortige Beschwerde ist ungeachtet dessen, dass sie als Beschwerdeführerin nicht
die Bieterin und Antragstellerin – M... N.V. -, sondern die M... BV nennt, als solche der
Antragstellerin anzusehen; wegen der Begründung wird auf den Senatsbeschluss vom
16. Februar 2010 verwiesen.
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3.
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Allerdings ist der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zulässig. Näherer Erörterung
bedürfen nur folgende Punkte:
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a) Die Antragsgegnerin ist öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 GWB. Sie
vollzieht – auch, und zwar gerade bei dem vorliegenden Auftrag, der mit der
Tierseuchenbekämpfung zusammen hängt (vgl. §§ 39, 43 Viehverkehrsordnung) – im
Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art.
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aa) Stellt man auf die juristische Person – die Landwirtschaftskammer Nordrhein-
Westfalen – ab, so wird diese einerseits durch Landeszuschüsse und andererseits
durch Umlagen gemäß Landesgesetz vom 17.07.1951 finanziert. Nach § 2 Abs. 1 des
Umlagegesetzes wird der Satz durch Rechtsverordnung des Ministeriums, wenn auch
im Allgemeinen auf Grund einer Beschlussfassung der Landwirtschaftskammer,
festgesetzt; damit ist auch diese Finanzquelle nach der Rechtsprechung des EuGH
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(NJW 2009, 2427 – Oymanns) dem Staat im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB zuzurechnen.
bb) Stellt man auf die Tierseuchenkasse (nach § 5 AGTierSG TierNebG NRW ein nicht
rechtsfähiges Sondervermögen der Landwirtschaftskammer mit gesondertem Haushalt)
ab, so finanziert diese sich zum einen durch Beiträge der Tierhalter und zum anderen
durch Haushaltszuschüsse des Landes (vgl. 12 des vorgenannten Gesetzes). Ob die
Beiträge, die nach § 6 Abs. 1, § 13 des vorgenannten Gesetzes durch VO des
Ministeriums festgelegt werden (gegenwärtig §§ 1 ff. VO vom 03.07.1986) dem Staat
zuzurechnen oder als Gegenleistung für eine Art Versicherungsleistung (vgl. §§ 66 ff.
TierseuchenG) und damit möglicherweise als "spezifische Gegenleistung" (vgl. EuGH,
a.a.O., Rdnr. 53; EuGH NZBau 2001, 218 Rdnrn. 23 – 25 – University of Cambridge)
anzusehen sind, kann offen bleiben. Jedenfalls ist der Eigenanteil des Landes (§ 71
Abs. 1 S. 2 TierseuchenG, § 6 Abs. 2 S. 3, § 12 Abs. 1 Nr. 3 des vorgenannten
Landesgesetzes) in Verbindung mit den übrigen Staatszuschüssen (vgl. § 2a VO vom
03.07.1986) derart hoch, dass von einer überwiegenden Finanzierung durch das Land
auszugehen ist.
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b) Die Rügeobliegenheit des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB n.F. ist nicht dadurch verletzt
worden ist, dass die Antragstellerin erst fünf Tage nach Erhalt der Information über die
geplante Zuschlagserteilung an die Beigeladene eine Rüge ausgesprochen hat. Die
Rüge der Antragstellerin über die beabsichtigte Bezuschlagung an die Beigeladene
betraf einen komplexen Sachverhalt. Sachverhalt und Unterlagen mussten gesammelt,
aufbereitet und geordnet vorgetragen werden.
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Aus diesem Grunde bedarf die kontrovers diskutierte Frage, ob das in 107 Abs. 3 Nr. 1
GWB enthaltene Gebot einer "unverzüglichen" Rüge dem europarechtlichen Erfordernis
einer hinreichend klaren und eindeutigen gesetzlichen Regelung im Sinne der neueren
Rechtsprechung des EuGH (NZBau 2010, 256) standhält, keiner Entscheidung
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4.
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In der Sache ist der Nachprüfungsantrag jedoch unbegründet. Auf den Senatsbeschluss
vom 16. Februar 2010 wird verwiesen. Im Hinblick auf die Einwände der Antragstellerin
sei auf Folgendes hingewiesen:
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Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 26.10.2008 – VII-Verg 54/08; s.
auch OLG Jena VergabeR 2010, 509) ist bei der Eignungsprüfung anhand von
Referenzen in zwei Stufen vorzugehen:
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Formale Prüfung: genügen die vorgelegten Referenzen formell den Anforderungen
?
Materielle Prüfung: Lassen die vorgelegten Referenzen eine einwandfreie
Ausführung des Auftrages erwarten ?
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Dabei gehört die Frage, ob die in den Referenzen aufgeführten Arbeiten "gleichwertig"
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sind (sofern in den Anforderungen an die Referenzen auch "gleichwertige" Arbeiten
zugelassen sind) zur materiellen Prüfung. Das gilt auch in diesem Fall, in dem die
Referenzen eine "gleichwertige Größenordnung" erreichen sollten. Entgegen der
Auffassung der Antragstellerin ist diese Rechtsprechung im vorliegenden Fall nicht
deswegen außer Betracht zu lassen, weil das Mengengerüst, welches die Referenzen
aufzuweisen hatten, in dem Sinne konkretisiert war, dass eine bestimmte Mindestmenge
nicht aufweisende Referenzen bereits aus formellen Gründen auszuscheiden hatten.
Die Antragsgegnerin hatte keine genauen Mindestmengen beziffert. Entgegen der
Auffassung der Antragstellerin kann auch nicht davon ausgegangen werden, das
Mindestmaß bestehe in der mitgeteilten Liefermenge unter Berücksichtigung einer wie
auch immer zu bestimmenden Marge. Die Antragsgegnerin hat keine derartige Marge
genannt. Diese kann auch der Vergabebekanntmachung oder den
Verdingungsunterlagen nicht entnommen werden. Selbst wenn die Nennung einer
Mindestmenge erst in den Verdingungsunterlagen als Konkretisierung des Hinweises in
der Vergabebekanntmachung zulässig sein sollte (nach Art. 44 Abs. 2 UA 3 Richtlinie
2004/18/EG sind die Mindestanforderungen bereits in der Vergabebekanntmachung
anzugeben), lässt sich ihr keine derartige Mindestmenge entnehmen. Eine bestimmte
Mindestmenge hätte hinreichend klar und eindeutig in den Verdingungsunterlagen
genannt werden müssen. Das Wort "gleichwertig" ist vor dem Hintergrund auszulegen,
den Wettbewerb zwischen mehreren Unternehmen zu eröffnen und zu fördern (Senat,
a.a.O.). Die Antragsgegnerin hat ersichtlich von der Nennung einer bestimmten
Mindestmenge deswegen abgesehen, weil die bisherigen Liefermengen die
Lieferfähigkeit des betreffenden Unternehmens in der Zukunft nur bedingt
wiederspiegeln, weil vorhandene Produktionsanlagen ohne Probleme "hochgefahren"
werden können und es sich um einen Sukzessivlieferungsvertrag handelt.
Auch in materieller Hinsicht ist die Entscheidung der Antragsgegnerin nicht zu
beanstanden. Dass die Beigeladene bis 2008 von der Antragstellerin hergestellte
Ohrmarken vertrieb, mag die Aussagekraft der von ihr insoweit eingereichten
Referenzen mindern; sie hatte zwar keine Erfahrungen in der Herstellung, aber doch in
dem Vertrieb und der Logistik (einschließlich Abrechnung) von Ohrmarken. Was den
Bezug von Ohrmarken betrifft, so kann sich die Beigeladene zwar nicht mehr auf die
Antragstellerin beziehen, weil diese Bezugsquelle durch die Beendigung der
Zusammenarbeit fortgefallen ist; die Beigeladene hat aber anderweitig (in ihrem
Konzern) Bezugsquellen aufgetan, die vertretbar die Prognose rechtfertigen, dass sie
Ohrmarken in der nachgefragten Größenordnung problemlos wird liefern können.
Insofern lässt sich den Referenzen entnehmen, dass die Beigeladene in der Lage ist,
namhafte Stückzahlen auch nach der Beendigung der Zusammenarbeit mit der
Antragstellerin zu beziehen.
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Vor diesem Hintergrund stellt sich nicht die von der Antragstellerin im Termin vom 12.
Mai 2010 angeschnittene Frage, ob das in ihrem - die Anzahl der möglichen
Wettbewerber vermindernden - Sinne ausgelegte Eignungskriterium im Sinne des Art.
44 Abs. 2 UA 2 der Richtlinie 2004/18/EG noch "mit dem Auftragsgegenstand
zusammenhäng[t] und ihm angemessen" ist sowie durch die "Art, Menge oder Umfang
und Verwendungszweck der zu liefernden Erzeugnisse" (Art. 48 Abs. 2 Richtlinie, § 7a
Nr. 3 Abs. 2 VOL/A) gerechtfertigt ist (vgl. zu § 5 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A-SKR
Senatsbeschluss vom 24.03.2010 – VII-Verg 58/09). Des Weiteren bedarf keiner
Entscheidung, ob bei einer übermäßigen und unzulässigen Eignungsanforderung die
Antragstellerin – so ihre Darstellung im Termin vom 12. Mai 2010 – dadurch in ihren
Rechten verletzt und in ihren Zuschlagschancen beeinträchtigt ist, dass sie infolge der
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hohen Anforderungen davon ausging, keine ernsthaften Wettbewerber zu haben und
ihre angebotenen Preise dementsprechend hoch angesetzt habe.
5.
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Es besteht kein Anlass, in der Beschwerdeinstanz von Amts wegen auf die von der
Antragstellerin vor der Vergabekammer erhobenen übrigen Rügen (zum unlauteren
Wettbewerb durch die Beigeladene sowie zu ihrer Lieferfähigkeit wegen
Rechtsstreitigkeiten) einzugehen. Die Vergabekammer hat dazu – insbesondere vor
dem Hintergrund der Entscheidung der Rechtbank in Middelburg/Niederlande -
zutreffende Ausführungen gemacht.
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6.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 120 Abs. 2 i.V.m. § 78 GWB.
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Die Festsetzung des Gebührenstreitwerts richtet sich nach § 50 Abs. 2 GWB.
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Dicks Schüttpelz Frister
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