Urteil des OLG Düsseldorf vom 12.11.2009

OLG Düsseldorf (führung der vormundschaft, elterliche sorge, antragsteller, vormundschaft, verhältnis zu, eltern, kind, pflegeeltern, jugendamt, kindeswohl)

Oberlandesgericht Düsseldorf, II-4 UF 110/06
Datum:
12.11.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
II-4 UF 110/06
Vorinstanz:
Amtsgericht Nettetal, 7 F 388/05
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsteller werden die Beschlüsse des
Amtsge-richts – Familiengericht – Nettetal vom 7. April 2006 (7 F 388/05)
und vom 7. November 2004 (7 F 264/04) teilweise abgeändert.
Im Wege der einstweiligen Anordnung wird die elterliche Sorge über den
am 30. August 2004 geborenen D. mit der Maßgabe, dass das
Aufenthaltsbe-stimmungsrecht dem Jugendamt des Kreises Viersen als
vorläufigem Vor-mund übertragen bleibt, den Antragstellern als
vorläufigen Vormündern übertragen.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander
aufgehoben.
Den Antragstellern wird aufgegeben, aktuelle Erklärungen über ihre
persönli-chen und wirtschaftlichen Verhältnisse bis zum 3. Dezember
2009 zu den Akten zu reichen.
Wert: 1.500,00 €.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde ist in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang
begründet.
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I.
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Die miteinander verheirateten Antragsteller sind die Großeltern des am 30. August 2004
geborenen D..
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Durch Beschluss vom 7. September 2004 entzog das Amtsgericht – Familiengericht –
Nettetal der Beteiligten zu 4., der Kindesmutter, vorläufig die elterliche Sorge für Dennis
und übertrug sie dem Jugendamt des Kreises Viersen als "Pfleger". Dieser entschied,
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dass der Junge in einer Pflegefamilie leben soll. Seit dem 14. September 2004 lebt er
bei der Familie B, den Beteiligten zu 6. und 7., die derzeit neben D noch ihre
fünfzehnjährige Tochter betreuen.
Ds’ Eltern sind ausweislich des in dem Verfahren 7 F 264/04 (AG Krefeld) eingeholten
Sachverständigens L nicht erziehungsfähig. Als seine nächsten Verwandten erstreben
die Antragsgegner die Übertragung der vorläufigen Vormundschaft für D auf sich, wobei
sie inzwischen damit einverstanden sind, dass das Aufenthaltbestimmungsrecht
weiterhin vom Jugendamt des Kreises Viersen ausgeübt wird und D in seiner
Pflegefamilie verbleibt.
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II.
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Gemäß § 1697 BGB kann das Familiengericht in dem Fall, dass aufgrund einer von ihm
veranlassten Maßnahme eine Vormundschaft oder Pflegschaft anzuordnen ist, diese
Anordnung treffen und den Vormund oder Pfleger auswählen. Soweit nichts anderes
bestimmt ist, steht die Entscheidung unter dem Vorbehalt des Kindeswohls sowie den
berechtigten Interessen der Beteiligten, § 1697a BGB. Dabei hat das Familiengericht bei
der Auswahl mehrerer geeigneter Personen u.a. den mutmaßlichen Willen der Eltern,
die persönlichen Bindungen des Mündels und die Verwandtschaft oder Schwägerschaft
mit dem Mündel zu beachten, § 1779 BGB. Nach § 1779 Abs. 2 BGB soll das
Vormundschaftsgericht eine Person auswählen, die nach ihren persönlichen
Verhältnissen und ihrer Vermögenslage sowie den sonstigen Umständen zur Führung
der Vormundschaft geeignet ist. Dabei sind bei der Auswahl unter mehreren geeigneten
Personen der mutmaßliche Wille der Eltern, die Verwandtschaft oder Schwägerschaft
mit dem Kind sowie dessen religiöses Bekenntnis zu berücksichtigen. Sind Verwandte
zur Führung der Vormundschaft vorhanden, dürfen andere Personen grundsätzlich nur
dann zum Vormund bestellt werden, wenn die Verwandten nicht dafür geeignet sind
(BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 1. Senats vom 18. Dezember 2008 (1 BVR
2604/06), betreffend dieses Verfahren).
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Dies führt dazu, dass die vorläufige Vormundschaft mit Ausnahme des
Aufenthaltsbestimmungsrechts den Antragstellern zu übertragen ist, die die
aufgezeigten Kriterien erfüllen.
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass
die Antragsteller zur Übernahme der Vormundschaft für D geeignet sind. Dies ergibt sich
aus dem mündlich erläuterten Gutachten der Sachverständigen Dr. M, Fachärztin für
Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse, dem der Senat folgt. Die
Sachverständige hat auf Grundlage der von ihr angestellten umfassenden Explorationen
den Schluss gezogen, dass die Antragsteller erziehungsfähig seien. Dies hat sie
überzeugend damit begründet, Ds‘ Großeltern seien nach ihren Beobachtungen dazu in
der Lage, ihren Enkel angemessen zu versorgen, zu fördern und eine liebevolle, stabile
Beziehung zu dem Kind aufzubauen. Dies zeige der von ihr beobachte Kontakt, der
dadurch gekennzeichnet sei, dass D die volle Zuwendung und Aufmerksamkeit seiner
Großeltern erhalte. Aus ihrer Sicht sei daher davon auszugehen, dass es den
Antragstellern allein um das Kindeswohl gehe. Neurotische Motive für den "Kampf" um
die Vormundschaft seien ebenso auszuschließen wie querulatorische Charakterzüge.
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Dies deckt sich auch mit den Erkenntnissen, die der Senat in dem Termin vom
5. November 2009 gewonnen hat. Dort haben sich die Antragsteller, die inzwischen ein
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gutes Verhältnis zu Ds‘ Pflegeeltern entwickelt haben, kooperativ gezeigt und nochmals
glaubhaft bekräftigt, dass es ihnen in Ds‘ Interesse um eine engagierte Wahrnehmung
der Vormundschaft gehe. Es sei ihr Wunsch, ihren Enkel gemeinsam mit seinen
Pflegeeltern zu fördern und zu betreuen und die Dinge für das Kind zu tun, für die einem
Amtsvormund nicht ausreichend Zeit bleibe. Keinesfalls solle D aus der Pflegefamilie
weggenommen werden, was wegen der von der Sachverständigen befürchteten
Nachteile auch aus ihrer Sicht nicht in Betracht käme.
Allerdings erfordert es das Kindeswohl, dass Ds‘ Aufenthalt in seiner Pflegefamilie - was
auch die Antragsteller akzeptieren - rechtlich durch Beibehaltung des vorläufigen
Aufenthaltsbestimmungsrechts des Kreisjugendamtes abgesichert wird.
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Dass es aus Gründen des Kindeswohls erforderlich ist, D in seiner derzeitigen
Pflegefamilie zu belassen, folgt ebenfalls aus dem Gutachten der Sachverständigen
Dr. M. Die Sachverständige hat ausgeführt, aus ihrer Sicht sei es trotz der
uneingeschränkten Erziehungsfähigkeit der Antragsteller aus Gründen des Kindeswohls
erforderlich, dass Dennis in seiner bisherigen Pflegefamilie bleibe. Zur Begründung hat
sie überzeugend dargelegt, nach ihren Beobachtungen gehe es D in seiner
Pflegefamilie gut. Er lebe dort in einer stabilen Beziehung und werde von der
Pflegefamilie, in die er fest eingebunden sei, gut betreut und gefördert. Der Wechsel in
eine andere Familie bedeute für das Kind, das schon zu Beginn seines Lebens eine
traumatische Erfahrung gemacht habe - die Trennung von seinen leiblichen Eltern kurz
nach seiner Geburt - eine äußerst schwere Belastung. Gerade bei einem Kind mit
erheblichen kognitiven, emotionalen und seelischen Defiziten sei zu befürchten, dass
eine Trennung von den Pflegeeltern, selbst wenn sie nicht abrupt erfolgte, stark
traumatisch wirken werde. D, der im psychischen Sinne noch als kleines Kind
anzusehen sei, benötige Sicherheit. Er könne nach seiner Persönlichkeit den Wechsel
von Bezugspersonen nur schwer verkraften. Solle es dazu kommen, sei zu befürchten,
dass ihm dadurch der Eindruck vermittelt werde, nirgendwo zu Hause zu sein.
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Wegen der drohenden psychischen Folgen eines Aufenthaltswechsels sei es geboten,
dass D weiterhin bei seiner Pflegefamilie bleibe. Davon abgesehen sei es für D
förderlich, wenn die Antragsteller die "Großelternrolle" akzeptierten und im Übrigen zum
Wohle des Kindes eng mit seinen Pflegeeltern zusammenarbeiten würden. Auch sei
eine Ausweitung der bisherigen Umgangskontakte sinnvoll und für das Kindeswohl
förderlich.
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Um den Verbleib Ds‘ bei seinen Pflegeeltern auch rechtlich sicherzustellen, der nach
den vorstehenden Ausführungen aus Gründen des Kindeswohls zwingend geboten ist,
hält es der Senat für erforderlich, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für D weiterhin dem
Jugendamt des Kreises Viersen zu belassen. Soweit das Jugendamt darüber hinaus
angeregt hat, auch das Recht zur Regelung der Gesundheitsvorsorge und zur
Beantragung von Hilfen zur Erziehung bei ihm zu belassen, besteht dafür keine
Rechtfertigung. Dafür, dass die Antragsteller die ihnen vorläufig übertragene
Vormundschaft in diesen Bereichen nicht sachgerecht ausüben werden, bestehen
keinerlei Anhaltspunkte.
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III.
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Über das Prozesskostenhilfegesuch soll erst nach Ablauf der den Antragstellern
gesetzten Frist entscheiden werden. Mangels aktueller Erklärungen über die
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persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller, ist ihr
Prozesskostenhilfegesuch noch nicht entscheidungsreif.