Urteil des OLG Düsseldorf vom 17.10.2002

OLG Düsseldorf: materielle rechtskraft, gesetzesänderung, antragsrecht, verzinsung, nachforderung, fälligkeit, rechtskraftwirkung, wiederaufleben, prozessrecht, zukunft

Oberlandesgericht Düsseldorf, 10 W 101/02
Datum:
17.10.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
10. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 W 101/02
Vorinstanz:
Landgericht Kleve, 1 O 527/99
Schlagworte:
Kostenfestsetzungsverfahren
Sachgebiet:
Kostenfestsetzungsverfahren
Leitsätze:
1. Die nach rechtskräftigem Abschluss des
Kostenfestsetzungsverfahrens eingetretene Änderung des § 104 Abs. 1
S. 2 ZPO eröffnet nicht die Möglichkeit einer nachträglichen Festsetzung
der den Zinssatz von 4 % übersteigenden Zinsen. Die geänderte
Fassung des § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO ist auf die vor der Rechtsänderung
bereits abgeschlossenen Verfahren nicht anzuwenden. 2. Das sich aus
§ 104 Abs. 1 S. 2 ZPO a.F. ergebende Antragsrecht ist mit der
Entscheidung über diesen Antrag verbraucht; auch die nachträgliche
Rechtsänderung lässt dieses nicht wieder aufleben.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des
Landgerichts Kleve – Rechtspflegerin – vom 17.07.2002 wird
kostenfällig zurückgewiesen.
G r ü n d e:
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I. Das Landgericht Kleve verpflichtete den Beklagten mit Urteil vom 09.03.2001 (Bl. 74 ff
GA) zur Tragung der Kosten des Rechtsstreits. Auf Antrag des Klägers erfolgte mit
Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18.04.2001 (Bl. 99 GA) die Festsetzung der Kosten
sowie der Ausspruch, dass diese seit dem 19.03.2001 mit 4 % Zinsen zu verzinsen
seien. Der Kostenfestsetzungsbeschluss wurde dem Kläger am 27.04.2001 zugestellt.
Mit am 28.05.2002 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger beantragt, den
Kostenfestsetzungsbeschluss dahingehend zu ändern bzw. zu ergänzen, den
festgesetzten Betrag ab dem 01.10.2001 mit 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1 Abs.
1 DÜG und ab dem 01.01.2002 mit 5 % über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB n.F. zu
verzinsen. Mit Beschluss vom 17.07.2001 (Bl. 115 GA) hat das Landgericht Kleve ?
Rechtspflegerin ? diesen Antrag als unzulässig zurückgewiesen. Gegen diesen ihm am
23.07.2002 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 06.08.2002 Beschwerde
eingelegt, der gemäß Beschluss der Rechtspflegerin vom 14.08.2002 nicht abgeholfen
worden ist.
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II. Das als "Beschwerde" bezeichnete Rechtsmittel des Klägers ist als sofortige
Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrages gemäß § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO
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zulässig, § 104 Abs. 3 ZPO in Verbindung mit § 11 Abs. 1 RPflG. Es hat jedoch in der
Sache keinen Erfolg. Entgegen der Ansicht des Klägers eröffnet die nach
rechtskräftigem Abschluss des Kostenfestsetzungsverfahrens eingetretene Änderung
des § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO nicht die Möglichkeit einer nachträglichen Festsetzung der
den Zinssatz von 4 % übersteigenden Zinsen. Die geänderte Fassung des § 104 Abs. 1
S. 2 ZPO ist auf die vor der Rechtsänderung bereits abgeschlossenen Verfahren nicht
anzuwenden.
1. Eine Nachforderung der aufgrund der Gesetzesänderung höheren Zinsen wird
allerdings nicht durch die Rechtskraftwirkung der nach der alten Gesetzeslage
ergangenen Kostenfestsetzungsbeschlüsse ausgeschlossen. Grundsätzlich orientieren
sich die Grenzen der Rechtskraft an den Verhältnissen, die in dem für die Entscheidung
maßgeblichen Zeitpunkt bestehen. Insoweit nimmt bei einer Verurteilung zu künftig fällig
werdenden wiederkehrenden Leistungen auch die Prognose über den Fortbestand der
tatsächlichen Verhältnisse an der Rechtskraft teil (vgl. MünchKomm-Lüke, ZPO, 2. Aufl.,
§ 258 Rn. 2). Zu den auf künftig fällig werdende wiederkehrende Leistungen gerichteten
Verurteilungen gehört auch die Verurteilung zur Zahlung von Verzugszinsen (vgl. Zöller-
Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 323 Rn. 25). Entsprechend steht die Rechtskraft einer
solchen Verurteilung der Nachforderung von weitergehenden Zinsen entgegen, wenn
diese Nachforderung auf einer nach dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt
(Schluss der mündlichen Verhandlung) eingetretenen Änderung des tatsächlichen
Zinsniveaus beruht (vgl. BGH Z 100, 211, 213). Anders ist es hingegen, wenn sich die
Rechtslage vor Eintritt der Fälligkeit der künftigen Leistung ändert. Der Titel auf
wiederkehrende Leistungen wirkt in die Zukunft, so dass sich die materielle Rechtskraft
auf den in der Entscheidung für das Ende der Leistungspflicht genannten Zeitpunkt
bezieht (vgl. BGHZ 133, 316, 323; MünchKomm-Lüke, § 258 Rn. 2). Die
Rechtskraftwirkung greift folglich dann nicht, wenn sich die Rechtslage vor Eintritt der
Fälligkeit ändert. Die Entscheidung beinhaltet keine rechtliche Zukunftsprognose, weil
sie stets nur auf der Grundlage des geltenden Rechts ergehen kann und darf (vgl.
MünchKomm-Gottwald, § 322 Rn. 148).
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2. Dem nachträglichen Verlangen, aufgrund der Gesetzesänderung höhere Zinsen zu
beanspruchen, steht jedoch entgegen, dass das sich aus § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO a.F.
ergebende Antragsrecht mit der Entscheidung über diesen Antrag ver-braucht ist und
auch die nachträgliche Rechtsänderung dieses nicht wieder aufleben lässt. § 104 Abs. 1
S. 2 ZPO sieht vor, dass "auf Antrag? eine Verzinsung vom Eingang des
Feststellungsantrages an auszusprechen ist. Die Stellung des Antrages ist als
Prozesserklärung Voraussetzung für den Ausspruch der Verzinsung. Mit Gewährung der
nach dem Gesetz in diesem Zeitpunkt vorgesehenen und beantragten Zinsen im
Kostenfestsetzungsbeschluss ist das prozessuale Antragsrecht verbraucht (vgl. OLG
Hamm RPfl 2002, 539, 540). Es ist insoweit nach der damaligen Gesetzeslage
vollständig ausgeschöpft worden. Unter diesen Umständen vermag auch der Hinweis
darauf, dass ein Antrag auf Verzinsung bereits festgesetzter Kosten grundsätzlich noch
nach rechtskräftigem Abschluss des Kostenfestsetzungsverfahrens gestellt werden darf,
die Zulässigkeit einer nachträglichen Festsetzung von weitergehenden Zinsen nicht zu
begründen (aA OLG Koblenz MDR 2002, 1218). Eine erneute Antragstellung auf die
nach der Gesetzesänderung weitergehende Zinsforderung ist nicht zulässig (vgl. OLG
Hamm RPfl 2002, 539 f; aA: Enders JurBüro 2002, 453, 455 mwN; Hansens
BRAGOReport 2001, 131, 133). Mangels Übergangsregelung ist die Änderung des
prozessualen Kostenerstattungsanspruchs nach § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO
uneingeschränkt am 01.10.2001 in Kraft getreten und gilt damit für alle nach dem
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Inkrafttreten anhängigen oder danach beantragten Kostenfestsetzungsverfahren (vgl.
Senatsbeschluss vom 10.07.2002 10 W 65/02; OLG München RPfl 2002, 280 f). Auch
insoweit ist der im Prozessrecht allgemeingültige Grundsatz zu beachten, dass - sofern
keine Übergangsregelungen bestehen - Änderungen auch für schwebende Verfahren
gelten, die noch nicht abgeschlossen sind (vgl. BGH Z 114, 1, 3; OLG Düsseldorf NJW-
RR 2001, 882; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl.,
Einl. III Rn. 78; Zöller-Vollkommer, Einleitung Rn. 104). Dagegen ergreifen Änderungen
prozessrechtlicher Vorschriften nicht die unter der Geltung des alten Rechts
abgeschlossenen Prozesshandlungen und abschließend entstandenen Prozesslagen
(vgl. Zöller-Vollkommer, Einleitung Rn. 104), wozu auch ein rechtskräftig beschiedener
Antrag nach § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO gehört. Ein Wiederaufleben des Antragsrechts für
den Fall, dass nachträglich aufgrund einer Gesetzesänderung höhere Zinsen verlangt
werden können, hat der Gesetzgeber gerade nicht vorgesehen (vgl. auch OLG Hamm
RPfl 2002, 539, 540).
3. Dagegen kommt eine analoge Anwendung von Art. 229 § 1 Abs. 1 S. 3 EGBGB in der
Fassung des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30.03.2000 (BGBl I
330/331) auf Kostenerstattungsansprüche nicht in Betracht. Das
Zivilprozessreformgesetz vom 27.07.2001 (BGBl. I S. 1887) enthält im Hinblick auf die
Änderung des § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO keine Übergangsregelung; vielmehr ist diese
uneingeschränkt am 01.10.2001 in Kraft getreten. Einer analogen Anwendung der zu §
288 Abs. 2 BGB getroffenen Übergangsregelung steht zum einen entgegen, dass es
sich dabei um eine ausschließlich materiell-rechtliche Regelung handelt, der für die
Änderung prozessrechtlicher Vorschriften keine Bedeutung zukommt. Zum anderen fehlt
es an einer analogiefähigen Regelungslücke (a.A. KG RPfl 2002, 538 f). Der
Gesetzgeber hat bei der Änderung des § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO ? anders als bei der
Änderung des § 288 Abs. 2 BGB - auf eine entsprechende Übergangsregelung
verzichtet; dass er offensichtlich mit beiden Änderungen das gleiche Ziel verfolgen
wollte, vermag die Annahme einer planwidrigen und damit analogiefähigen
Regelungslücke nicht zu begründen (vgl. Senatsbeschluss vom 10.07.2002 10 W 65/02;
OLG München RPfl 2002, 280 f).
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Rechtsbeschwerde wird
zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung
einer einheitlichen Rechtssprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts
erfordert, § 574 Abs. 3 S. 1 ZPO.
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Wert des Beschwerdegegenstandes: bis 300 EUR
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