Urteil des OLG Düsseldorf vom 19.07.2010

OLG Düsseldorf (vertrag mit schutzwirkung zugunsten dritter, kläger, treu und glauben, haftung, testat, dritter, vertrag, prospekthaftung, zweck, anleger)

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-17 W 14/10
Datum:
19.07.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
17. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-17 W 14/10
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss der 13.
Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 18.02.2010 abgeändert.
Dem Kläger wird Prozess-kostenhilfe unter Beiordnung von
Rechtsanwalt K. aus Köln zu den Bedingungen eines in Duisburg
ansässigen Rechtsanwaltes insoweit bewilligt, als er Zahlung von
36.000,-- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen Aushändigung
von 10.000 auf den Namen lautende Stückaktien der T. Beteiligungen
AG beantragen wird. Der Kläger hat einmalig aus seinem Vermögen 400
€ und ab 01.06.2010 monatlich 30 € Raten zu zahlen.
I.
1
Der Kläger begehrt von der beklagten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die in einem
Wertpapierprospekt ein fehlerhaftes Testat abgab, Rückzahlung seiner verlorenen
Zeichnungssumme.
2
Die T. Beteiligungen AG beabsichtigte, Anleger zur Zeichnung von Aktien zu gewinnen.
Sie legte daher den Wertpapierprospekt für die Ausgabe von 3.750.000 Namensaktien
der Aktiengruppe 2 (ISIN DE 000 A0L D5K 5) auf. Der Prospekt enthält auf Seite 53 eine
Planrechnung als Gewinnprognose, die auf der Basis einer vereinfachten
Handelsbilanz erstellt ist. In der Handelsbilanz werden als Aktiva Vertriebskosten
eingesetzt und für das Jahr 2007 und die Folgejahre danach berechnete
Dividendenausschüttungen angegeben. Diese Angaben sind falsch, weil nach § 269
Satz 2 HGB jedenfalls 2007 eine Ausschüttungssperre bestand.
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Die Beklagte prüfte und bestätigte nach dem Wertpapierprospektgesetz, dass die
Gewinnprognosen auf der angegebenen Grundlage ordnungsgemäß erstellt wurden.
Diese Erklärung wurde auf Seite 60 bis 62 Bestandteil des Wertpapierprospektes.
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Der Kläger zeichnete, nach seinem Vortrag in Kenntnis des Wertpapierprospektes, am
26.6.2007 für 36.000 € Aktien. Zur Eintragung der Kapitalerhöhung ins Handelsregister
kam es nicht. Die T. Beteiligungen AG wurde zahlungsunfähig.
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Der Kläger begehrt aufgrund des fehlerhaften Testates Prozesskostenhilfe für seinen
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Antrag, die Beklagte zur Rückzahlung von 36.000 € nebst Zinsen zu verurteilen.
Die Beklagte wird Klageabweisung beantragen.
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Das Landgericht hat Prozesskostenhilfe verweigert. Die Beklagte habe die Prüfung nicht
im Interesse von Dritten, sondern nur für die Vorlage bei der BaFin erstellt. Es fehle auch
die haftungsbegründende Kausalität. Gegen den am 23.2.2010 zugestellten Beschluss
wendet sich der Kläger mit seiner am 9.3.2010 eingegangenen Beschwerde.
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II.
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Auf die Beschwerde ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
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1. Die beabsichtigte Klage hat Aussicht auf Erfolg, soweit der Kläger seinen Antrag
anpasst und Zug um Zug die erworbenen Anteile herauszugeben bereit ist.
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a)
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Der Kläger legt schlüssig einen Anspruch aus einem Vertrag mit Schutzwirkung
zugunsten Dritter dar. Testate von Wirtschaftsprüfern können grundsätzlich eine Haftung
auch gegenüber Dritten begründen (BGH NJW 2004, 3420-3423). Ausgangspunkt der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten
Dritter waren Fallgestaltungen, in denen einem Vertragspartner gegenüber Dritten eine
gesteigerte Fürsorgepflicht obliegt, ihm gleichsam deren "Wohl und Wehe" anvertraut
ist. Der Kreis der in den Schutzbereich des Vertrags einbezogenen Dritten wurde nach
dieser Rechtsprechung danach bestimmt, ob sich vertragliche Schutzpflichten des
Schuldners nach Inhalt und Zweck des Vertrags nicht nur auf den Vertragspartner
beschränken, sondern, für den Schuldner erkennbar, solche dritte einschließen, denen
der Gläubiger seinerseits Schutz und Fürsorge schuldet. Dies ist insbesondere dann der
Fall, wenn zwischen Gläubiger und Drittem eine Rechtsbeziehung mit
personenrechtlichem Einschlag – ein familienrechtliches, arbeitsrechtliches oder
mietvertragliches Verhältnis – besteht (z. B.: BGHZ 159, 1, 8; BGH NJW 2001, 3115,
3116). In Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung sind in die Schutzwirkungen eines
Vertrages im Wege ergänzender Vertragsauslegung Dritte auch einbezogen, wenn der
Gläubiger an deren Schutz ein besonderes Interesse hat, Inhalt und Zweck des Vertrags
erkennen lassen, dass diesen Interessen Rechnung getragen werden solle, und die
Parteien den Willen haben, zugunsten dieser Dritten eine Schutzpflicht des Schuldners
zu begründen (z. B.: BGHZ 133, 168, 173; 159, 1, 8 f; BGH, WM 1987, 257, 259). So
können Personen, die über eine besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde
verfügen, und in dieser Eigenschaft gutachterliche Stellungnahmen abgeben, wie etwa
Wirtschaftsprüfer, Steuerberater oder öffentlich bestellte und vereidigte
Sachverständige, aus Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte gegenüber Personen haften,
denen gegenüber der Auftraggeber von dem Gutachten bestimmungsgemäß Gebrauch
macht (Senat BGHZ 138, 257, 260 f; 167, 155, 161, Rn. 12; siehe auch BGHZ 145, 187,
197). Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, wie die Beklagte, gehören prinzipiell zu einem
Personenkreis, dessen Stellungnahmen aufgrund seiner Sachkunde und der von ihm
erwarteten Unabhängigkeit, Gewissenhaftigkeit und Unparteilichkeit – insbesondere bei
Prüfungsaufträgen – von besonderer Bedeutung sind und Grundlage für
Entscheidungen Dritter im wirtschaftlichen und finanziellen Bereich sein können. Für die
Annahme einer Schutzwirkung kommt es wesentlich darauf an, dass eine von
Sachkunde geprägte Stellungnahme oder Begutachtung den Zweck hat, Vertrauen
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eines Dritten zu erwecken und – für den Sachkundigen hinreichend deutlich erkennbar
– Grundlage einer Entscheidung mit wirtschaftlichen Folgen zu werden. Allerdings
beschränkt sich der Kreis der Einbezogenen auch in diesem Fall auf solche Dritte, in
deren Interesse die Leistung des Schuldners nach der ausdrücklichen oder
stillschweigenden Vereinbarung der Parteien zumindest auch erbracht werden soll
(BGHZ 138, 257, 262; BGHZ 159, 1, 9). Tragender Gesichtspunkt für die Beschränkung
des Kreises der einbezogenen Dritten ist das Anliegen, das Haftungsrisiko für den
Schuldner kalkulierbar zu halten. Er soll die Möglichkeit haben, sein Risiko bei
Vertragsschluss zu kalkulieren und gegebenenfalls zu versichern. Er soll für Schäden
Dritter nicht einstehen müssen, wenn ihm nach Treu und Glauben und unter
Berücksichtigung des Vertragszwecks nicht zugemutet werden kann, sich ohne
zusätzliche Vergütung auf das Risiko einer erweiterten Haftung einzulassen.
Das Testat der Beklagten begründet eine derartige Haftung. Die Beklagte war nicht von
der BaFin beauftragt (vgl. zu einer dann eingeschränkten Haftung gegenüber Dritten
BGHZ 181, 12-29). Vielmehr war es Aufgabe der Beklagten, erkennbar nach dem
Wertpapierprospektgesetz zum Zwecke der Veröffentlichung allen Anlegern gegenüber
die Richtigkeit der Prognoserechnung zu bestätigen. Auf § 7 der Allgemeinen
Auftragsbedingungen kann sich die Beklagte nicht berufen. Die
Tatbestandsvoraussetzungen des Haftungsausschlusses in § 7 I 2 für die Haftung
gegenüber Dritten liegen nicht vor, da das Testat der Beklagten nach § 7 I 1
auftragsgemäß für Dritte – nämlich zur Veröffentlichung im Prospekt – bestimmt war.
Denn nach Anhang I Nr. 13 der EU-VO 809/2004 hat die Veröffentlichung von
Gewinnprognosen mit dem hier erstellten Testat einherzugehen. Das ergibt sich auch
aus dem Testat selbst, welches auf diese Verordnung und auf die Haftungsbegrenzung
für die Haftung gegenüber Dritten hinweist. Durch diese Haftung wird die Beklagte auch
nicht unbillig benachteiligt, da das Gesamtrisiko durch die zu zeichnende Kapitalsumme
begrenzt, versicherbar und in die Vergütung einkalkulierbar ist.
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b) Einen Aspekt der Haftung wird das Landgericht durch Nachfrage und ggf.
Beweisaufnahme aufzuklären haben. Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe reicht
im jetzigen Stadium aber der Vortrag des Klägers gerade noch aus.
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Ein aus der Verletzung eines Vertrages mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter
folgender Anspruch setzt voraus, dass Anleger das Gutachten zur Kenntnis nehmen und
zur Grundlage ihrer Anlageentscheidung machen. Vertragsfremden Dritten haftet ein
Experte nach den Grundsätzen über einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter
nur bei der Inanspruchnahme eines konkreten Vertrauens; die Anknüpfung an
typisiertes Vertrauen, das im Bereich der Prospekthaftung im engeren Sinn
haftungsbegründend wirkt, genügt insoweit nicht. Für die Erstreckung der
Schutzwirkung und die Haftung nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung
zugunsten Dritter kommt es im Bereich der Expertenhaftung daher entscheidend darauf
an, dass der Anleger von dem Gutachten Gebrauch macht und hierdurch ein Vertrauen
des Anlegers erzeugt und auf seinen Willensentschluss Einfluss genommen wird (vgl.
BGHZ 145, 187, 197 f; BGH, ZIP 2007, 1993, 1997 m.w.N.). Insoweit hat der Kläger
bislang weder substantiiert vorgetragen noch einen zulässigen Beweis angetreten. Der
Beweisantritt, sich selbst als Partei vernehmen zu lassen, ist nicht ausreichend (§ 447
ZPO). Der Kläger wird Gelegenheit haben darzustellen, von wem genau er den
Prospekt erhielt, diese Person als Zeugen zu benennen und ein etwaiges
Übersendungsschreiben und seinen Prospekt im Original vorzulegen.
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c) Das Testat der Beklagten war grob fahrlässig falsch. Jedenfalls durfte – auch nach
Auffassung der Beklagten (Bl. 79) – im ersten Jahr 2007 entgegen dem Testat keine
Dividende ausgeschüttet werden. Die Einzelheiten und weitere etwaige Fehler des
Testates (Berücksichtigung des Wertverlustes durch Abschreibungen auf die
Ingangsetzungskosten bei der Ermittlung der Jahresergebnisse in den Gewinn- und
Verlustrechnungen entgegen § 275 II Nr. 7 a HGB) können im Rechtsstreit vertieft
werden.
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d) Die Pflichtverletzung der Beklagten war für den eingetretenen Schaden auch kausal.
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Es ist nicht erforderlich, dass der Kläger den Kapitalbetrag gerade aufgrund des
unrichtigen Testates verloren hat, er also nur die Dividende im ersten Jahr verlor. Bei
einem Testatmangel kann der Anleger auch dann Schadensersatz in Höhe der
Beteiligung verlangen, wenn die Investitionsentscheidung später aus anderen Gründen
als nachteilig erwiesen hat, da zu vermuten ist, dass der Kläger die Anlage gar nicht
getätigt hätte.
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Wie bei fehlerhaften Angaben von Anlageberatern (vgl. BGHZ 61, 118, 121; BGHZ 123,
106, 114; BGHZ 151, 5, 12) ist die Kausalität zu Gunsten des Anlegers, hier des
Klägers, zu vermuten, wenn das Testat in einem wesentlichen Punkt falsch oder
unvollständig ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn wie hier eine Dividendenausschüttung
testiert ist, die entgegen dem Testat jedoch schon im Ansatz nicht erfolgen kann. Zweck
des Testates ist es gerade, den Anleger von der Prüfung zu befreien, so dass er sich –
unabhängig von der Höhe der Dividende – auf die testierte Tatsache
"Dividendenzahlung im ersten Jahr" verlässt. Auch hier gilt aufgrund der
Lebenserfahrung, dass ein wesentlicher Fehler für die Anlageentscheidung des
Schuldners ursächlich geworden ist (BGH Urteil vom 08.06.2004, X ZR 284/02 für die
Haftung aus dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte bei Wirtschaftsprüfern), so dass
die Beklagte verpflichtet ist, den geschädigten Dritten, also den Kläger, so zu stellen, als
hätte er die Anlage nie getätigt.
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e) Unerheblich ist der Einwand der Beklagten, der Kläger habe die inzwischen
vermögenslose T. Beteiligungen AG aus dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung in
Anspruch zu nehmen versucht.
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Die von der Rechtsprechung geforderte Schutzbedürftigkeit des Dritten ist gegeben. Sie
kann fehlen, wenn der geschädigte Dritte eigene vertragliche Ansprüche, auch gegen
andere Schuldner hat, die denselben oder einen gleichwertigen Inhalt haben wie
diejenigen, die er auf dem Weg über seine Einbeziehung in den Schutzbereich eines
zwischen anderen geschlossenen Vertrages durchsetzen will (BGHZ 70, 327, 330; 129,
136, 169; 133, 168, 173, 176). Hier kommt ein eigener Anspruch des Klägers in
Betracht, nämlich ein Schadensersatzanspruch aus Prospekthaftung. Die fehlende
Gleichwertigkeit ergibt sich aber schon aus der unterschiedlichen Zielrichtung der
beiden Rechtsinstitute. Die Prospekthaftung geht davon aus, dass im Interesse des
Kapitalanlegerschutzes auf eine wahrheitsgemäße und vollständige Aufklärung über
das Risiko möglicher Anlagen hingewirkt werden muss und dass zu diesem Zweck, weil
der Emissionsprospekt in der Regel die einzige Informationsquelle für den Anlagein-
teressenten darstellt (BGHZ 77, 172, 176; 111, 314, 317), die Prospektverantwortlichen
haftbar gemacht werden müssen (BGHZ 79, 337, 341). Die Prospekthaftung ist somit
eine Haftung für die Vollständigkeit und Richtigkeit von Werbeaussagen.
Demgegenüber ist die Haftung wegen eines fehlerhaften Gutachtens oder Prüfberichts
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aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter eine Berufshaftung, die auf dem
besonderen Vertrauen beruht, das Experten aufgrund der von ihnen erwarteten
beruflichen Sachkunde und persönlichen Zuverlässigkeit in Anspruch nehmen.
Der Anspruch aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter tritt auch nicht hinter der
Prospekthaftung zurück.
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2. Die Entscheidung zur finanziellen Beteiligung des Klägers beruht auf seinen
Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen.
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