Urteil des OLG Dresden vom 16.09.2004

OLG Dresden: zwangsvollstreckung, pfand, eigentumswohnung, verkehrswert, kaufpreis, besitz, belastung, anmerkung, feststellungsklage, erkenntnis

Aktenzeichen: 11 W 858/04
Leitsatz:
1. Der Streitwert darf auch dann nachträglich auf Beschwerde
geändert werden, wenn dadurch eine rechtskräftige Kosten-
grundentscheidung falsch wird (Abweichung von BGH XII ZR
103/98 vom 31.08.2000).
2. Der Streitwert einer Klage auf Auflassung entspricht dem
Kaufpreisrest, über den die Parteien allein noch strei-
ten.
angewandte Vorschriften:
§ 6 ZPO
§ 3 ZPO
§ 25 GKG
Rechtsgebiete:
Verfahrensrecht - Streitwert
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Oberlandesgericht
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Dresden
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Aktenzeichen: 11 W 0858/04
15 O 7034/03 LG Leipzig
Beschluss
des 11. Zivilsenats
vom 16.09.2004
In dem Rechtsstreit
1. A.S. ,
,
01561 Lampertswalde OT Brockwitz
2. B.S. ,
,
01561 Lampertswalde OT Brockwitz
Kläger und Beschwerdeführer
Prozessbevollmächtigter zu 1) 2): Rechtsanwalt
,
,
04109 Leipzig
gegen
W. GmbH, vertr. durch den
Geschäftsführer ,
,
04277 Leipzig
Beklagte und Beschwerdegegnerin
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte &
Partner GbR,
,
01129 Dresden
wegen Feststellung
hier: Beschwerde gegen Streitwertbeschluss
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hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne
mündliche Verhandlung durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht
als Einzelrichter
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Streitwertbeschluss
vom 06.02.2004 des Landgerichts Leipzig geändert:
Für die erste Instanz beträgt der Streitwert bis 22.09.03
4 065,00 EUR, vom 22.09. bis 14.10.2003 8 130,00 EUR, danach
7 317,00 EUR.
Gebühren werden nicht erhoben, Kosten nicht erstattet.
G r ü n d e :
Die Beklagte hatte sich mit notariellem Vertrag verpflich-
tet, den Klägern eine Eigentumswohnung zu bauen und zu über-
eignen. Der Kaufpreis betrug (umgerechnet) 154 256,76 EUR.
Die Kläger hatten sich wegen des Kaufpreises der sofortigen
Zwangsvollstreckung unterworfen. Die Auflassung war noch
nicht erklärt.
Die Parteien stritten nur noch über die Fälligkeit der rest-
lichen Kaufpreisrate von 4 065,00 EUR.
Die Kläger behaupteten, die letzte Kaufpreisrate sei durch
Aufrechnung mit Gewährleistungsansprüchen erloschen und be-
antragten zunächst,
festzustellen, dass der Beklagten kein Zahlungsanspruch aus
dem Kaufvertrag mehr zustehe
und
die Auflassung zu erklären.
Nachdem die Beklagte eine vollstreckbare Ausfertigung an der
Kaufvertragsurkunde vom Notar erhalten hatte, erweiterten
die Kläger am 22.09.03. ihre Klage und beantragten zusätz-
lich
die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde für unzulässig zu
erklären.
Weil das zunächst angegangene Amtsgericht wegen der Klage
auf Auflassung Bedenken wegen seiner Zuständigkeit hatte,
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nahmen die Kläger mit Schriftsatz vom 14.10.03 die Klage auf
Auflassung zurück und verfolgten nur noch den Feststellungs-
antrag und den Antrag darauf, die Zwangsvollstreckung für
unzulässig zu erklären.
Das Landgericht, an welches das Amtsgericht die Sache
gleichwohl verwiesen hatte, verurteilte die Beklagte an-
tragsgemäß, bewertete nun den zurückgenommenen Auflassungs-
antrag mit dem Verkehrswert der Wohnung von 154 256,76 EUR,
und die Vollstreckungsabwehrklage mit 4 065,00 EUR und den
Feststellungsantrag mit 80 % davon, nämlich 3 552,00 EUR und
legte die Kosten des gesamten Rechtsstreits den Klägern auf,
weil, verglichen mit dem Gesamtstreitwert, ihr Unterliegen
wegen der zurückgenommenen Auflassungsklage das Obsiegen
weit überwogen habe, § 92 Abs. 2 ZPO.
Diese Streitwertfestsetzung griffen die Kläger mit der
Streitwertbeschwerde vom 08.03.2004 an. Weil über die Be-
schwerde zunächst nicht entschieden wurde, blieb die sofor-
tige Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungs-
beschluss ohne Erfolg. Ihre Berufung gegen die Kostengrund-
entscheidung war ebenfalls erfolglos, weil Kostengrundent-
scheidungen nicht isoliert anfechtbar sind.
Das Landgericht hat der Streitwertbeschwerde nicht abgehol-
fen, sondern die Sache dem Oberlandesgericht vorgelegt: wenn
eine Änderung des Streitwertes nachträglich eine rechtskräf-
tige Kostengrundentscheidung falsch mache, sei die Streit-
wertbeschwerde gemäß einem Beschluss des 12. Zivilsenats des
Bundesgerichtshofs
vom
31.08.2000
unzulässig
(Az.:
12 ZR 103/98).
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Das Landgericht beruft sich zunächst mit Recht auf den zi-
tierten Beschluss des 12. Zivilsenats des Bundesgerichts-
hofs. Dessen Rechtsmeinung teile ich nicht.
Der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs beruft sich auf
einen Beschluss des 8. Zivilsenats vom 30.06.1977, MDR 1977,
925. Dort ist der vom 12. Zivilsenat behauptete Rechtssatz
zum ersten Mal aufgestellt. Dort trug aber der Sachverhalt
den Rechtssatz nicht. Im Verfahren vor dem 8. Zivilsenat war
es so gewesen, dass die Beklagte Revision und die Kläger An-
schlussrevision eingelegt hatten, der BGH die Revision der
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Beklagten nicht zur Entscheidung angenommen hat, der Beklag-
ten die Kosten des Revisionsverfahrens auferlegt und den
Streitwert nur nach der Revision, nicht nach der Anschluss-
revision bestimmt hat. Der 8. Senat hatte eine nachträgliche
Änderung des Streitwerts abgelehnt, weil damit seine Kosten-
grundentscheidung falsch werde. Das war aber nicht richtig.
Wenn der 8. Senat den Wert der Anschlussrevision nachträg-
lich berücksichtigt hätte, hätte sich an der Kostengrundent-
scheidung nichts geändert, nach wie vor wäre die Beklagte
verpflichtet gewesen, die Kosten des gesamten Revisionsver-
fahrens zu tragen, nur wäre diese Kostenlast wegen des höhe-
ren Streitwertes größer geworden. Darauf hatte damals schon
Egon Schneider in seiner Anmerkung MDR 1977, 925 hingewie-
sen. Im Fall des 12. Senats hatten Kläger und Beklagte Revi-
sion eingelegt, der Bundesgerichtshof hat beide Revisionen
nicht angenommen, hat beide für gleichwertig gehalten und
deswegen die Kosten des Revisionsverfahrens gegeneinander
aufgehoben. Mit der Gegenvorstellung hatten die Prozessbe-
vollmächtigten der Kläger geltend gemacht, die Revision der
Kläger habe einen viermal höheren Gegenstandswert als die
Revision der Beklagten gehabt. Der 12. Zivilsenat hielt es
für eine grob unbillige Belastung der Beklagten, wenn sie
nun wegen des höheren Gesamtstreitwerts 1/2 der dadurch er-
höhten Gerichtskosten zahlen müsse und ihre außergerichtli-
chen Kosten auch aus einem höheren Streitwert allein tragen
müsse; denn bei rechtzeitiger Erkenntnis über den höheren
Streitwert der Revision hätte es eine Kostenquote zugunsten
der Beklagten und keine Kostenaufhebung als Grundentschei-
dung gegeben.
Es kann dahinstehen, ob diese Nachteile der Beklagten es
rechtfertigen, den Anwälten der Kläger die ihnen zustehenden
Gebühren zu versagen (vgl. dagegen mit überzeugenden Gründen
Egon Schneider MDR 1977, 925 und MDR 1977, 917). Denn im
vorliegenden Fall wird die beklagte Partei durch die nach-
trägliche Änderung des Streitwertes auch dann nicht unbillig
belastet, wenn es bei der rechtskräftig gewordenen Kosten-
grundentscheidung bleiben sollte. Die Situation der Beklag-
ten selbst würde sich nicht verschlechtern, wenn die Kläger
die Kosten der Beklagten nur aus demjenigen Streitwert tra-
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gen, der nachträglich festgesetzt wird. Die nachträgliche
Reduzierung des Streitwerts beeinträchtigt lediglich die In-
teressen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten. Der Be-
klagten kann es gleich sein, ob die Kläger die Kosten der
Beklagtenvertreter aus einem Gegenstandwert von 8 000,00 o-
der aus einem Gegenstandswert von 161 000,00 EUR begleichen,
in keinem Fall muss die Beklagte selbst mehr bezahlen, als
wenn es beim alten Streitwert bliebe. Deswegen scheidet die
vom Bundesgerichtshof allein herangezogene unbillige Beein-
trächtigung der Interessen des Prozessgegners als Rechtfer-
tigung dafür aus, einen falschen Streitwert aufrechtzuerhal-
ten.
Umgekehrt belastet es die Kläger unbillig, wenn man sie zu-
sätzlich zu einer möglicherweise falschen Kostengrundent-
scheidung dazu zwingt, diese falsche Kostengrundentscheidung
aus einem auch noch 20-fach überhöhten Streitwert bedienen
zu müssen.
Der Streitwert erster Instanz bemisst sich nicht nach dem
Verkehrswert der Eigentumswohnung, sondern nach dem Wert der
letzten Kaufpreisrate, um welche die Parteien allein ge-
stritten haben.
Allerdings ist richtig, dass die noch h. M. den Gegenstands-
wert einer Klage auf Auflassung immer am Verkehrswert des
Grundstücks oder der Eigentumswohnung ausrichtet, auch wenn
nur noch ein geringer Teil des Kaufpreises in Streit steht
(Nachweise bei Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 11.
Aufl., Rn. 315 f, 341 f mit umfassenden Nachweisen).
Allerdings haben die Oberlandesgerichte München (KostRsp ZPO
§ 6 Nr. 96) und Celle (aaO. Nr. 97) darauf hingewiesen, dass
§ 6 den Gegenstandswert nur dann nach dem Wert der Sache be-
stimmt, wenn es auf deren Besitz ankommt. Hat der Kläger die
Sache schon im Besitz und streitet nur noch um die Auflas-
sung, ist § 6 unmittelbar nicht anwendbar. Damit ist der Weg
frei für die Bestimmung des Streitwerts der Auflassungsklage
nach den allgemeinen Regeln, hier § 3, wonach der Streitwert
sich am Interesse des Klägers orientiert.
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Mit demselben Ergebnis hat das Oberlandesgericht Frankfurt
(JurBüro 1975, 1885) die Klage auf Auflassung eines Grund-
stücks, das 215 000,00 DM wert war, mit 1 500,00 DM bewer-
tet, was allein die noch offene Forderung des Verkäufers
war. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte einen anderen
Rechtsgedanken des § 6 ZPO angewandt, nämlich die wirt-
schaftliche Betrachtungsweise: Streiten die Parteien um ein
Pfand, ist zunächst der Wert der mit dem Pfand gesicherten
Forderung maßgebend, ist aber das Pfand weniger wert als die
Forderung, ist der geringere Wert des Pfandgegenstandes maß-
geblich.
Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise, welche auch Herget
aaO. Rn. 351-355 für richtig hält, teile ich. Man würde es
gerade dem Verkäufer unmöglich machen, sich betreffend der
Auflassung auf ein Zurückbehaltungsrecht beim Streit um die
letzte Kaufpreisrate zu berufen, wenn er als Prozessrisiko
die Gebührenforderungen aus dem vollen Kaufpreis gewärtigen
muss.
Auf den vorliegenden Fall angewandt bedeutet das, dass der
Streitwert solange 4 065,00 EUR war, wie die Kläger Auflas-
sung und Feststellung nebeneinander begehrt haben. Denn in-
soweit war die Feststellung als Zwischenfeststellungsklage
zu betrachten und hatte keinen eigenen Gegenstandswert. Vom
22.09.2003 an war der Streitwert doppelt so hoch, weil die
Kläger zugleich Vollstreckungsabwehrklage wegen des Kauf-
preisrestes erhoben haben. Vom 14.10.03 an (Rücknahme der
Auflassungsklage)
war
der
Streitwert
dann
nur
noch
7 319,00 EUR und setzt sich zusammen aus 4 065,00 EUR für
die Vollstreckungsabwehrklage und 3 252,00 EUR (80 % von
4 065,00 EUR, für die nunmehr zum Hauptantrag gewordene
Feststellungsklage.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 25 Abs. 6 GKG.
Eine Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof ist vom Ge-
richtskostengesetz nicht vorgesehen. Deswegen kann sie trotz
Abweichung von den genannten Beschlüssen des 12. und 8. Se-
nats auch nicht zugelassen werden.