Urteil des OLG Dresden vom 22.04.2010

OLG Dresden: unterbringung, freiwillige gerichtsbarkeit, jugendamt, genehmigung, anfechtbarkeit, therapie, ausschluss, anhörung, zustand, abhängigkeit

Leitsatz:
Einstweilige Anordnungen zur Genehmigung einer freiheits-
entziehenden Unterbringung eines Minderjährigen gemäß §
1631b BGB sind nach §§ 58 ff. FamFG mit der Beschwerde an-
fechtbar. Sie unterliegen nicht der Einschränkung der Vor-
schrift des § 57 FamFG, die den Ausschluss der Anfechtbar-
keit einstweiliger Anordnungen in Familiensachen regelt.
Oberlandesgericht Dresden, 20. Zivilsenat – Familiensenat -
Beschluss vom 22.04.2010,Az.: 20 UF 244/10
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Oberlandesgericht
Dresden
20. Zivilsenat
Familiensenat
Aktenzeichen: 20 UF 0244/10
333 F 1023/10 AG Leipzig
Beschluss
des 20. Zivilsenats - Familiensenat -
vom 22.04.2010
In der Familiensache
Betroffener und Beschwerdeführer
Verfahrensbeistand:
Rechtsanwalt
Weitere Beteiligte:
1.
2.
wegen Unterbringung
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hat der 20. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesge-
richts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Piel,
Richterin am Oberlandesgericht Maciejewski und
Richterin am Oberlandesgericht Jokisch
beschlossen:
1.
Die Beschwerde des betroffenen Jugendlichen gegen den
Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht - Leipzig
vom 07.04.2010 wird
z u r ü c k g e w i e s e n.
2.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht
erhoben, außergerichtliche Kosten werden nicht erstat-
tet.
3.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,00 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Das Familiengericht hat mit dem angefochtenen Beschluss auf
Antrag der allein sorgeberechtigten Mutter die vorläufige
Unterbringung des Jugendlichen I
, geboren am 1993, in
einer geschlossenen Einrichtung bis längstens 18.05.2010 ge-
nehmigt. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass I
an einer emotionalen-instabilen Persönlichkeitsentwicklungs-
störung - impulsiver Typus - mit polytoxikomanem Drogenmiss-
brauch leide und aufgrund seiner von ihm nicht mehr steuer-
baren Gewalt- und Aggressionsbereitschaft eine erhebliche
Gefahr bestehe, dass der Jugendliche sich und anderen ge-
sundheitlichen Schaden zufüge. Es sei notwendig, eine siche-
re Diagnose zu stellen und mit dem Jugendlichen eine frei-
willige Therapiemotivation zu erarbeiten. Da I derzeit eine
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Behandlung ablehne, sei eine vorläufige geschlossene Unter-
bringung notwendig.
I befindet sich seit dem 05.04.2010 im
. Er
wendet sich mit seiner durch den Verfahrensbeistand mit
Schriftsatz vom 08.04.2010 eingelegten Beschwerde gegen sei-
ne Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung. Zur Be-
gründung führt der Verfahrensbeistand aus, das zuständige
Jugendamt habe nicht ansatzweise versucht, eine Problemlö-
sung auf andere, weniger schwerwiegende Weise zu erreichen.
Der betroffene Jugendliche habe sich bereits seit dem
01.02.2010 im Kinder- und Jugendnotdienst der
auf-
gehalten, da eine Rückkehr in den mütterlichen Haushalt
nicht möglich gewesen sei. Obwohl die sorgeberechtigte Mut-
ter das Jugendamt seither nachhaltig um Unterstützung gebe-
ten habe, sei sie vom Jugendamt lediglich darauf verwiesen
worden, beim Familiengericht einen Antrag nach § 1631 b BGB
zu stellen. Zu einer Perspektive nach einer qualifizierten
Entgiftung, der sich I freiwillig zu unterziehen bereit
sei, habe sich das Jugendamt auch bisher nicht geäußert.
Das Jugendamt hat zum Beschwerdevorbringen Stellung genom-
men. Auf das Schreiben vom 21.04.2010 wird verwiesen.
II.
1.
Die Beschwerde ist statthaft.
Das Verfahren über die Genehmigung einer freiheitsent-
ziehenden
Unterbringung
eines
Minderjährigen
nach
§ 1631 b BGB ist gemäß § 151 Nr. 6 FamFG eine Kind-
schaftssache und als solche eine Familiensache. Für
dieses Verfahren sind jedoch - anders als für die ande-
ren Familiensachen (§ 111 FamFG) - gemäß § 167 Abs. 1
FamFG die für Unterbringungssachen nach § 312 Nr. 1
FamFG geltenden Vorschriften anzuwenden. Gemäß § 331
FamFG können zur Anordnung oder Genehmigung einer vor-
läufigen Unterbringungsmaßnahme auch einstweilige An-
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ordnungen erlassen werden. Das Verfahren der einstwei-
ligen Anordnung richtet sich gemäß § 51 Abs. 2 Satz 2
FamFG nach den Vorschriften, die für eine entsprechende
Hauptsache gelten, soweit sich nicht aus den Besonder-
heiten des einstweiligen Rechtsschutzes etwas anderes
ergibt. Die Vorschriften über Unterbringungssachen
(§§ 312 ff. FamFG) enthalten keine besonderen Regelun-
gen über die Anfechtung von Unterbringungsentscheidun-
gen, so dass der Erlass oder die Ablehnung von Unter-
bringungsmaßnahmen nach den allgemeinen Vorschriften
(§ 58 ff. FamFG) anfechtbar sind (vgl. Bumiller/Harder,
FamFG, 9. Aufl., § 331 Rdn. 24; Keidel/Budde, FamFG,
16. Aufl., § 331 Rdn. 10; Jurgeleit/Dieckmann, Freiwil-
lige
Gerichtsbarkeit,
§
17
Rdn.
165;
Prüt-
ting/Helms/Roth, FamFG, § 131 Rdn. 18; Schulte-
Bunert/Weinreich, FamFG, § 131 Rdn. 24). Dies gilt auch
für einstweilige Anordnungen.
Aufgrund der nach § 167 Abs. 1 FamFG umfassenden Gel-
tung der für Unterbringungssachen maßgeblichen Vor-
schriften unterliegt die einstweilige Anordnung zur Ge-
nehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung ei-
nes Minderjährigen nach § 1631 b BGB auch nicht der
Einschränkung der Vorschrift des § 57 FamFG, die den
Ausschluss der Anfechtbarkeit einstweiliger Anordnungen
in Familiensachen regelt (Prütting/Helms/Stößer, FamFG,
§ 57 Rdn. 14; Kretz, Einstweilige Anordnungen in
Betreuungs- und zivilrechtlichen Unterbringungssachen
nach dem FamFG, BtPrax 2009, 160, 165, 166; andere An-
sicht: OLG Koblenz, NJW 2010, 880). Die Anfechtbarkeit
einer durch einstweilige Anordnung genehmigten, auch
nur vorläufigen Unterbringung ist insbesondere wegen
des besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffs, den
eine freiheitsentziehende Maßnahme darstellt, notwendig
und gerechtfertigt.
Die Beschwerde ist auch zulässig, insbesondere form-
und fristgemäß eingelegt.
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2.
In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg.
Die Ermittungen des Familiengerichts haben ergeben,
dass bei I von einer emotional-instabilen Persönlich-
keitsentwicklungsstörung (impulsiver Typus) auszugehen
ist und des Weiteren ein polytoxikomaner Drogenmiss-
brauch mit fließendem Übergang zur Abhängigkeit be-
steht. Der Jugendliche ist nicht mehr in der Lage, Ag-
gressionen und Spannungszustände selbstständig zu kon-
trollieren und zu steuern. Er äußerte Selbst- und
Fremdtötungsabsichten und ist außer zu einer Entgiftung
zu keiner weiteren Therapie bereit. Nach Einschätzung
der behandelnden Ärzte des
be-
steht die Notwendigkeit einer weiterführenden und aus-
führlichen Diagnostik und der Erarbeitung einer frei-
willigen Therapiemotivation.
Bei der gegebenen Sachlage ist die Entscheidung des Fa-
miliengerichts nicht zu beanstanden. Insbesondere ist
es nicht naheliegend, dass intensivere Bemühungen des
Jugendamtes um eine Problemlösung an dem inzwischen
eingetretenen Zustand des Jugendlichen etwas geändert
hätten; jedenfalls ist jetzt nicht erkennbar, dass we-
niger einschneidende Maßnahmen als eine vorläufige ge-
schlossene Unterbringung ausreichend gewesen wären. Das
Jugendamt hat in seiner Stellungnahme vom 21.04.2010
nachvollziehbar dargelegt, dass eine wirkungsvolle Hil-
fe des Jugendamtes über die bisherigen Hilfeangebote
hinaus wegen der durchgängigen Verweigerungshaltung und
der extremen Gefährdungslage des Jugendlichen nicht
mehr an diesen herangetragen werden konnte. Zunächst
müsse durch eine Therapie bei I die Grundlage für die
Annahme anderer Hilfeangebote geschaffen werden. Diese
Einschätzung steht im Einklang mit der ärztlich-
therapeutischen Stellungnahme des
vom 07.04.2010 und dem Ergebnis der Anhörung des Ju-
gendlichen durch das Familiengericht.
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Der Senat hat von einer erneuten mündlichen Anhörung
der Beteiligten abgesehen, weil diese keine über den
Akteninhalt hinausgehenden zusätzlichen Erkenntnisse
erwarten ließ.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß §§ 84, 81 Abs. 1
und 3 FamFG, Vorbem. 1.3.1. Abs. 1 Nr. 2 vor Nr. 1310
der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 FamGKG.
Die Wertfestsetzung erfolgt gemäß § 42 Abs. 3 FamGKG.
Piel
Maciejewski
Jokisch