Urteil des OLG Dresden vom 15.03.2017
OLG Dresden: weisung, ermessensausübung, vorschlag, freiheitsentziehung, ermessensspielraum, tatsachenfeststellung, rechtsstaatsprinzip, berufsausübung, ermessensfehler, bestimmtheitsgebot
Leitsatz/Leitsätze:
Zur Führungsaufsicht:
1) Der rechtsstaatliche Bestimmtheitsgrundsatz verlangt eine genaue
Abstimmung der zu erteilenden Weisungen auf den konkreten Täter,
seine Taten und - damit zusammenhängend - auf die von ihm ausge-
hende Gefährlichkeit hinsichtlich der Begehung weiterer Strafta-
ten. Nur so ist die mit dem Institut der Führungsaufsicht beab-
sichtigte Sozialisierungshilfe zu gewährleisten. Die bloße Wie-
dergabe des Gesetzeswortlaut bei einer Anordnung ohne individuel-
le Konkretisierung genügt diesen Anforderungen nicht.
2) Die Strafvollstreckungskammer hat eine ordnungsgemäße Ermes-
sensausübung bei der Auswahl ihrer Weisungen vorzunehmen und dar-
zulegen; fehlt sie, kann das Beschwerdegericht die Rechtmäßigkeit
der Anordnung nicht prüfen.
3) Tätigkeits- und Aufenthaltsverbote im Rahmen des § 68 b StGB dür-
fen nicht einem generellen Berufsverbot gleichkommen, sofern das
erkennende Gericht von der rechtsstaatlichen Möglichkeit des
§ 70 StGB gerade keinen Gebrauch gemacht hat (Anschluss an Thü-
ringer OLG, Beschluss vom 02.03.2006 - 1 Ws 66/06 -).
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Oberlandesgericht
Dresden
2. Strafsenat
Aktenzeichen: 2 Ws 147/08
II StVK 17/08 LG Leipzig - StVK Döbeln
440 VRs 32474/04 StA Chemnitz
24 G Ws 172/08 GenStA Dresden
Beschluss
vom 27. März 2008
in der Führungsaufsichtssache gegen
,
geboren am ,
wohnhaft ,
Verteidiger: Rechtsanwalt ,
wegen: sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
hier:
Dauer und Ausgestaltung der Führungsaufsicht
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1. Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der
Beschluss
der
Auswärtigen
Strafvollstre-
ckungskammer des Landgerichts Leipzig mit dem
Sitz in Döbeln vom 30. Januar 2008 in Nr. 4
der
Beschlussformel,
ausgenommen
die
Nrn. 4 a) und 4 b), aufgehoben.
Allerdings wird die Weisung Nr. 4 a) neu ge-
fasst:
"Der Verurteilte wird angewiesen, sich in den
ersten vier Monaten nach seiner Haftentlas-
sung zweimal monatlich, im weiteren einmal
monatlich, bei dem für seinen Wohnsitz zu-
ständigen
Sozialen Dienst des Landgerichts
Telefon: (0 )
zu melden und die Einbestellungen durch sei-
nen Bewährungshelfer termingerecht wahrzuneh-
men."
2. Die weitergehende Beschwerde wird als unbe-
gründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur
erneuten Durchführung des Verfahrens und Ent-
scheidung, auch über die Kosten des Rechts-
mittels, an die Strafvollstreckungskammer zu-
rückverwiesen.
G r ü n d e :
Die ausschließlich gegen die Dauer und inhaltliche Ausges-
taltung der Führungsaufsicht gerichtete (einfache) Be-
schwerde des Verurteilten hat in dem aus der Beschlussfor-
mel ersichtlichen Umfang vorläufig Erfolg.
Soweit die Strafvollstreckungskammer vorliegend eine Abhil-
feentscheidung unterlassen hat, steht dies der Entscheidung
des Senats nicht entgegen, da die Abhilfeentscheidung keine
Verfahrensvoraussetzung
darstellt
(Meyer-Goßner,
StPO
50. Aufl. § 306 Rdnr. 10).
Nach § 463 Abs. 2, § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO kann das
Rechtsmittel allerdings nur darauf gestützt werden, dass
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eine Führungsaufsichtsanordnung gesetzeswidrig ist. Dies
ist dann der Fall, wenn die getroffene Anordnung im Gesetz
nicht vorgesehen, wenn sie unverhältnismäßig oder unzumut-
bar ist, oder sonst die Grenzen des dem erstinstanzlichen
Gericht eingeräumten Ermessens überschreitet (vgl. Fischer
in KK-StPO, 5. Aufl. § 453 Rdnr. 13; Meyer-Goßner, StPO
50. Aufl. § 453 Rdnr. 12; Pfeiffer, StPO 4. Aufl. § 453
Rdnr. 5, jeweils m.w.N.). Ansonsten verbleibt es bei der
Regel, die mit Führungsaufsichtsanordnungen verbundenen Er-
messensentscheidungen der ersten Instanz zu überlassen
(vgl. OLG Stuttgart NStZ 2000, 500 m.w.N., dort zu Bewäh-
rungsanordnungen).
Die genannte Einschränkung betrifft allerdings nur den Um-
fang des Prüfungsrechts des Beschwerdesenats, ohne bereits
grundsätzlich die Zulässigkeit des Rechtsmittels in Frage
zu stellen. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass Be-
schwerden gegen Gerichtsbeschlüsse für ihre Zulässigkeit
grundsätzlich keiner Begründung bedürfen.
1. Gemessen hieran ist im vorliegenden Fall die Bestimmung
der Dauer der Führungsaufsicht auf fünf Jahre nicht zu
beanstanden. Wenngleich der Beschwerdeführer auf eine
"insgesamt durchaus günstige Sozialprognose" verweist,
ist es von der Strafvollstreckungskammer nicht rechts-
fehlerhaft, von der Ausnahmevorschrift des § 68 c Abs. 1
Satz 2 StGB vorerst keinen Gebrauch zu machen, sondern
dies einer späteren Entscheidung nach § 68 d StGB vorzu-
behalten. Anhaltspunkte dafür, dass die in § 68 c Abs. 1
Satz 1 StGB vorgegebene Höchstdauer von vornherein ver-
fehlt sei, liegen nicht vor.
2. Hingegen haben die unter Nr. 4 der Beschlussformel ange-
ordneten Weisungen, ausgenommen die Weisungen Nrn. 4 a)
und 4 b), keinen Bestand. Allerdings ist der Senat an
einer eigenen Neufassung (§ 309 Abs. 2 StPO) der Anord-
nungen aus tatsächlichen Gründen gehindert, weshalb es
insoweit der Zurückverweisung der Sache an die Straf-
vollstreckungskammer bedarf. Der angefochtene Beschluss
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lässt bereits dem Grunde nach eine Abwägung maßgeblicher
Umstände und damit eine Ermessensausübung vermissen;
vielmehr erschöpft sich die Begründung der Strafvoll-
streckungskammer in der Mitteilung, dass sie
(- nicht mitgeteilten -)
den Beschwerdeführer
Dies genügt den Anforderungen an eine zielgerichtete und
ermessensfehlerfreie Ausgestaltung der Führungsaufsicht
nicht. Vielmehr hat die Strafvollstreckungskammer - wie
der Senat bereits mehrfach entschieden hat - im Rahmen
ihrer Amtsaufklärungspflicht die für ihre Entscheidungs-
findung maßgeblichen Tatsachen festzustellen und in eine
ordnungsgemäßen Ermessensabwägung einzubeziehen. Das In-
stitut der Führungsaufsicht nach § 68 f StGB hat nämlich
die Aufgabe, gefährliche oder (rückfall)gefährdete Täter
in ihrer Lebensführung in Freiheit über gewisse kriti-
sche Zeiträume hinweg zu unterstützen und zu überwachen,
um
sie
von
weiteren
Straftaten
abzuhalten
(BVerf-
GE 55, 28, 29). Führungsaufsicht soll damit nicht nur
Lebenshilfe für den Übergang von der Freiheitsentziehung
in die Freiheit geben, sondern auch den Verurteilten
führen und überwachen. Wenn diese umfassende Sozialisie-
rungshilfe wirksam sein soll, setzt dies Weisungen vor-
aus, die auf den Täter, die Tat(en), deretwegen er ver-
urteilt wurde, und - damit zusammenhängend - auf die von
ihm ausgehende Gefährlichkeit hinsichtlich der Begehung
weiterer Straftaten möglichst genau abzustimmen sind. Um
dieser kriminalpolitischen Zielsetzung gerecht zu wer-
den, ist eine Schematisierung der zu erteilenden Weisun-
gen nicht möglich (so zutreffend Thüringer OLG, Be-
schluss vom 02. März 2006 - 1 Ws 66/06 - juris; Senats-
beschluss vom 12. Februar 2008 - 2 Ws 12/08 -).
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Die Strafvollstreckungskammer, die einen Verurteilten
grundsätzlich mündlich zu hören hat und sich so einen
eigenen Eindruck von der Täterpersönlichkeit verschaffen
soll, hat deshalb bei der Auswahl der erforderlichen
Weisungen einen Ermessensspielraum (OLG Nürnberg NStZ-RR
1999, 175). Die Ausübung dieses pflichtgemäßen Ermessens
auf Grundlage festgestellter Tatsachen muss der Anord-
nungsbegründung allerdings zu entnehmen sein. Fehlt sie
- wie hier -, kann das Beschwerdegericht die Rechtsfeh-
lerfreiheit der Weisungen nicht prüfen, weshalb bereits
aus diesem Grund die Beschwerde begründet ist. Dem Be-
schwerdegericht ist es als Folge des § 453 Abs. 2 Satz 2
StPO aus Rechtsgründen verwehrt, sein Ermessen an die
Stelle desjenigen der Strafvollstreckungskammer zu set-
zen (Senat a.a.O.).
3. Bestehen bleiben können hingegen die Weisungen Nr. 4 a)
- Vorstellungsverpflichtung beim Sozialen Dienst der
Justiz - und Nr. 4 b) - Mitteilung des Wohnsitz- und Ar-
beitsplatzwechsels -, weil es hierzu keiner besonderen
Tatsachenfeststellung als Ermessensgrundlage bedarf und
eine Rechtswidrigkeit dieser Anordnungen nicht ersicht-
lich ist. Allerdings war die Weisung Nr. 4 a) dem aus
dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Bestimmtheitsgebot
entsprechend (vgl. § 68 b Abs. 1 S. 2 StGB) genauer zu
fassen.
4. Für die erneute Durchführung des Verfahrens weist der
Senat vorsorglich auf folgendes hin:
Zu den bisherigen Nummern 4 c) - (Verbot des Aufenthalts
in Badeanstalten, Kinderspielplätzen etc.) und 4 e) -
(Verbot einer Tätigkeit, bei denen er Umgang mit Kindern
haben "könnte"):
Abgesehen von der Unbestimmtheit der Weisung Nr. 4 e)
legen die einem Vorschlag der Führungsaufsichtsstelle
ungeprüft übernommenen generellen Verbote nahe, dass Er-
messensfehler vorliegen. Der Vorschlag hat nämlich nicht
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bedacht, dass Tätigkeits- und Aufenthaltsverbote nicht
einem Berufverbot gleichkommen dürfen, weil damit nicht
nur dessen eigenständigen Voraussetzungen (§ 70 StGB)
unterlaufen und die rechtsstaatlich gebotene Verfahrens-
weise - die Anordnung erfolgt durch das erkennende Ge-
richt, das von dieser Möglichkeit gerade keinen Gebrauch
gemacht hat - umgangen, sondern dem Verurteilten auch
die Verschonungsmöglichkeit des § 70 a StGB abgeschnit-
ten würde (so zutreffend Thüringer OLG, Beschluss vom
02. März 2006 - 1 Ws 66/06 - juris). Für entsprechende
Weisungen, die zu fassen sind, verbleiben daher
nur außerberufliche Tätigkeiten sowie spezifische Tätig-
keiten innerhalb der Berufsausübung, die diese nicht
grundsätzlich ausschließen (Thüringer OLG a.a.O. mit
weiteren Nachweisen auf die Kommentarliteratur).
Dies wird die Strafvollstreckungskammer bei dem hauptbe-
ruflich als Schwimmmeister tätigen Verurteilten zu be-
rücksichtigen haben.
Drath
Schüddekopf
Gorial