Urteil des OLG Dresden vom 18.06.2009
OLG Dresden: rechtliches gehör, bindungswirkung, rückverweisung, geschäftsführer, sitzverlegung, bauvertrag, handelsregister, original, anzeige, anfang
Leitsatz
§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO
Ist dem verweisenden Gericht kein relevanter Fehler unter-
laufen, bleibt die Verweisung auch dann bindend, wenn sich
im weiteren Verlaufe des Rechtsstreits herausstellt, dass
der Beklagte sie durch falsche Tatsachenangaben mitverur-
sacht oder gar erschlichen hat; eine Rückverweisung kommt
nicht in Betracht.
Oberlandesgericht Dresden,3. Zivilsenat, Beschluss vom
18.06.2009, Az.:3 AR 47/09
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Oberlandesgericht
Dresden
3. Zivilsenat
Aktenzeichen: 3 AR 0047/09
10 O 2003/08 LG Dresden
Beschluss
vom 18.06.2009
In dem Rechtsstreit
H
O
,
Bauunternehmer,
G
Straße 66 a,
M
Kläger
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte R
& Partner,
T
3,
M
gegen
S
B
GmbH & Co. KG
,
vertr. durch die S
B
GmbH,
diese vertr. durch den Geschäftsführer S
S
,
H
59,
B
Beklagte
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt H
H
,
C
95,
B
wegen Gerichtsstandsbestimmung
3
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne
mündliche Verhandlung durch
Richterin am Oberlandesgericht Dr. N,
Richterin am Oberlandesgericht E und
Richter am Oberlandesgericht B
beschlossen:
Örtlich zuständig ist das Landgericht Berlin.
Gründe:
I.
Das Oberlandesgericht Dresden ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6,
Abs. 2 ZPO zur Sachentscheidung des negativen Kompetenzkon-
fliktes berufen, weil sich die beiden beteiligten, in ver-
schiedenen Bundesländern ansässigen Landgerichte, von denen
eines in jedem Falle für die rechtshängige Werklohnklage zu-
ständig ist, unanfechtbar für unzuständig erklärt haben und
das zuerst mit der Sache befasste Landgericht Dresden die
Akten mit Beschluss vom 08.06.2009 "seinem" Oberlandesge-
richt vorgelegt hat.
II.
Als örtlich zuständig ist das Landgericht Berlin zu bestim-
men, weil dem Verweisungsbeschluss des Landgerichts Dresden
vom 12.12.2008 Bindungswirkung zukommt, § 281 Abs. 2 S. 4
ZPO. Diese auch in Gerichtsstandsbestimmungsverfahren zu be-
achtende Bindungswirkung kraft gesetzlicher Anordnung ent-
fällt nach allgemeiner Ansicht nur in Ausnahmefällen, na-
mentlich dann, wenn die Verweisung unter Verletzung des An-
spruchs auf rechtliches Gehör oder den gesetzlichen Richter
ergangen ist oder auf einer objektiv willkürlichen unzutref-
fenden Rechtsanwendung beruht (Zöller/Vollkommer, ZPO, 27.
Aufl., § 36 Rn. 28 m.w.N.). Davon kann hier nicht ausgegan-
gen werden.
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1. Das Landgericht Dresden hat die Verweisung nach mündli-
cher Verhandlung vom 28.11.2008, in der die Zuständig-
keitsfrage kontrovers erörtert wurde, auf den anschlie-
ßenden, der zuverlässigen Vermeidung eines etwaigen Pro-
zessurteils dienenden Hilfsantrag des Klägers im Schrift-
satz vom 08.12.2008 hin ausgesprochen. Seine Begründung,
die gemäß § 38 Abs. 1 ZPO prorogationsfähigen Parteien
hätten im Bauvertrag als ausschließlichen Gerichtsstand -
für eine hier vorliegende Klage des Auftragnehmers -
wirksam den Sitz der Beklagten (bzw. ihres Prozessbevoll-
mächtigten) vereinbart, der in Berlin liege, lässt bei
Zugrundelegung des damaligen Erkenntnisstandes des Ge-
richtes weder Willkür noch auch nur einen Fehler erken-
nen. Dies räumt das Landgericht Berlin in seinem nach
mündlicher Verhandlung vom 29.04.2009 am 06.05.2009 ver-
kündeten Beschluss ausdrücklich ein, wenn es davon
spricht, das Landgericht Dresden habe aus seiner Sicht zu
Recht verwiesen.
2. Das Landgericht Berlin meint vielmehr, die Beklagte habe
sich die Verweisung durch bewusst unwahre Angaben ihres
Geschäftsführers gegenüber dem Landgericht Dresden zu ih-
rem Sitz, der sich tatsächlich nicht wie angegeben in
Berlin, sondern ausweislich des vom Kläger mit Schrift-
satz vom 02.04.2009 vorgelegten Handelregisterauszuges in
Dresden befinde, erschlichen. Dies lasse die Bindungswir-
kung des Verweisungsbeschlusses entfallen und führe ent-
sprechend dem Antrag des Klägers zur Rückverweisung der
Sache an das allein zuständige Landgericht Dresden.
Dem kann nicht beigetreten werden. Richtig ist zwar, dass
eine beklagte Partei, die sich durch bewusst unwahre An-
gaben im Prozess eine Verweisung durch das vom Kläger an-
gerufene Hauptsachegericht an ein unzuständiges, ihr ge-
nehmes Gericht erschleichen will und tatsächlich er-
reicht, keinen Schutz verdient. Das allein rechtfertigt
es jedoch nicht, nach späterer Aufdeckung der Täuschung
und damit offenbar gewordener "eigentlicher" Unzuständig-
keit des Gerichtes, an welches verwiesen wurde, die Bin-
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dungswirkung zu verneinen. Unterläuft dem Ausgangsgericht
bei der Verweisung kein - im Rahmen von § 281 ZPO rele-
vanter - Fehler, hat die Verweisung ausnahmslos Bestand
und ist das Gericht, an das bindend verwiesen wurde, end-
gültig für die Verhandlung und Entscheidung des Rechts-
streits zuständig. Übergeordnete Gerechtigkeitserwägungen
gebieten auch in Fällen wie dem vorliegenden nicht die
Zulassung einer Rückverweisungsmöglichkeit.
a) Aus den vom Landgericht für seine gegenteilige Auffas-
sung angeführten obergerichtlichen Entscheidungen (wie
folgt veröffentlicht: BayObLG NZI 2004, 147; OLG Celle
NZI 2004, 260; OLG Oldenburg NZI 2008, 435) ergibt
sich nichts anderes.
Sie betreffen, ebenso wie in jenem Kontext ergangene
weitere Rechtsprechung (OLG Celle NZI 2004, 258; OLG
Schleswig NZI 2004, 264; OLG Stuttgart OLGR 2004, 184;
vgl. auch BGH NZI 2006, 164 sowie Cranshaw juris-InsR
13/2008 Anm. 6), durchweg die Verweisung von Insol-
venzverfahren und behandeln die Frage einer insoweit
bestehenden Bindungswirkung gemäß § 4 InsO i.V.m. §
281 Abs. 2 S. 4 ZPO. Dabei wird vor allem die Pflicht
des erstbefassten Insolvenzgerichtes hervorgehoben,
die differenzierten Zuständigkeitsregeln des § 3 Abs.
1 InsO sowie die insoweit bestehende Amtsermitt-
lungspflicht (§ 5 Abs. 1 S. 1 InsO) zu beachten; in
diesem Kontext hätten sich die Insolvenzgerichte gege-
benenfalls auch mit der Frage eines rechtsmissbräuch-
lichen Erschleichens der Zuständigkeit auseinanderzu-
setzen, wenn es um "Firmenbestattungen" gehe und im
Zuge der Insolvenzantragstellung etwa der eingetragene
Sitz des Unternehmens verlagert worden sei oder der
Geschäftsführer unter Aufgabe der bisherigen Ge-
schäftsräume sämtliche Firmenunterlagen mit an seine
Privatanschrift genommen habe. Wenngleich die zitier-
ten Beschlüsse im Ergebnis die Bindungswirkung der je-
weiligen insolvenzgerichtlichen Verweisung verneint
haben, ist dies nicht etwa deshalb geschehen, weil das
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verweisende Gericht vom Insolvenzantragsteller ge-
täuscht worden war und auf dieser objektiv unzutref-
fenden Sachverhaltsgrundlage verwiesen hatte, sondern
weil es seiner grundlegenden Pflicht, die Frage seiner
(Un-)Zuständigkeit zu prüfen, nicht im Ansatz ausrei-
chend nachgekommen war. Die jeweilige Verweisungsent-
scheidung selbst war also aus vom verweisenden Gericht
zu verantwortenden Gründen "makelbehaftet" bzw. will-
kürlich.
Unabhängig davon lassen sich die im Zusammenhang mit
insolvenzverfahrensrechtlichen
Besonderheiten
anzu-
stellenden Überlegungen auf kontradiktorische Zivil-
rechtsstreitigkeiten ohnehin nicht übertragen. Der
Wunsch eines Klägers, vor den Erschwernissen und
Nachteilen einer Verweisung, die auf missbräuchlich
täuschendem Verhalten des Beklagten beruht, durch eine
Rückverweisung bewahrt zu werden, mag verständlich
sein, zwingt aber nicht dazu, der im Zeitpunkt ihres
Erlasses nicht zu beanstandenden Verweisungsentschei-
dung die in § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO ausdrücklich be-
stimmte Bindungswirkung zu nehmen. Ein Kläger hat es
regelmäßig selbst in der Hand, die im Kontext einer
Zuständigkeitsrüge vorgebrachten Behauptungen des Be-
klagten zu überprüfen und einen Verweisungsantrag, oh-
ne den das angerufene Gericht nicht verweisen darf,
nicht zu stellen. Überprüft und bestreitet er das ent-
sprechende Vorbringen des Beklagten nicht (oder wie
hier erst nach der Verweisung), trägt er mit dazu bei,
dem Gericht die nicht von Amts wegen zu ermittelnde
Tatsachengrundlage für die rechtliche Beurteilung der
Zuständigkeitsfrage zu liefern. Erweist sich auf die-
ser Grundlage die dann antragsgemäß ausgesprochene
Verweisung als richtig oder jedenfalls vertretbar,
bindet sie neben dem verweisenden und dem Gericht, an
das verwiesen worden ist, auch die Parteien.
b) Die Zulassung einer außerordentlichen Rückverweisungs-
möglichkeit würde darüber hinaus vielfach zu Folge-
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problemen und weiterem Streit um die Gerichtszustän-
digkeit führen. Das aber liefe dem auf der Hand lie-
genden Zweck des § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO zuwider, die
Zuständigkeitsfrage im Interesse aller Beteiligten
möglichst endgültig zu klären und eine baldige ge-
richtliche Sachbearbeitung sicherzustellen.
So wäre nicht selten zu beantworten, bis zu welchem
gegebenenfalls fortgeschrittenen Stadium des Prozesses
vor dem Gericht, an das verwiesen wurde, eine Rückver-
weisung noch möglich wäre. Auch bedürfte unter Umstän-
den weiterer Aufklärung bzw. wäre nicht immer leicht
zu entscheiden, ob der Beklagte tatsächlich eine zu-
ständigkeitsrechtlich bedeutsame Falschangabe gemacht
hat und ob dies absichtlich geschehen ist, um die Ver-
weisung an ein objektiv unzuständiges Gericht zu er-
reichen. Das zeigt exemplarisch der vorliegende Fall,
in dem die Beklagte dem Vorwurf arglistigen Verhaltens
Beachtliches entgegengehalten hat. Danach habe ihre
Komplementär-GmbH, nachdem der jetzige Geschäftsführer
diese und die KG übernommen hätte, den Sitz tatsäch-
lich von Dresden nach Berlin verlegt; der neue Sitz
sei ausweislich des beigebrachten Handelsregisteraus-
zuges am 26.07.2007 und damit bereits vor Abschluss
des Bauvertrages im August 2007 in das Handelsregister
eingetragen worden. Der Geschäftsführer sei irrtümlich
davon ausgegangen, die Anzeige der Sitzverlegung der
Komplementärin beim Handelsregister genüge, um die
Sitzverlegung des ganzen Unternehmensverbundes zu be-
wirken. Überdies habe die Beklagte ihren faktischen
Sitz seit Anfang 2007 wie die Komplementärin durchgän-
gig in Berlin gehabt. In Dresden unterhalte sie seit-
her keinerlei Büro oder sonstige Kontaktmöglichkeiten.
Dies sei dem Kläger auch bekannt gewesen, zumal er
kein einziges Schreiben an die frühere Dresdner Adres-
se des Unternehmens gerichtet habe und im Bauvertrag
allein die Berliner Anschrift der Beklagten angegeben
gewesen sei. Legt man dieses Vorbringen der Beklagten
in dem beim Landgericht Berlin im Original am
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23.04.2009 eingegangenen Schriftsatz vom 21.04.2009
zugrunde, dessen abschriftliche Weiterleitung an den
Kläger den Akten nicht zweifelsfrei zu entnehmen ist,
kann man darüber, ob der Beklagten ein absichtsvoll-
täuschendes Verhalten vor dem Landgericht Dresden an-
zulasten ist, durchaus geteilter Auffassung sein. Die
Ansicht des Landgerichts Berlin, das die Frage mit dem
knappen Hinweis auf § 347 Abs. 1 HGB bejaht hat, er-
scheint keineswegs zwingend. Derlei neue Schwierigkei-
ten aber, die zu bewältigen die grundsätzliche Gestat-
tung einer Rückverweisung in Fällen der vorliegenden
Art regelmäßig mit sich bringen würde, bestärken den
Senat gerade in seiner Sichtweise, dass es im Falle
einer nicht willkürlichen Verweisung durch das Aus-
gangsgericht bei deren Bindungswirkung bleibt. Dadurch
wird die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen
worden ist, entsprechend dem Zweck des § 281 Abs. 2 S.
4 ZPO endgültig begründet und kann später nicht wieder
in Frage gestellt werden.