Urteil des OLG Dresden vom 11.07.2003

OLG Dresden: urteilsfähigkeit, rechtsschutz, zivilprozessrecht, kontrolle, erlass, zugang, ermessen, gesetzgebungsverfahren, absicht, gesetzesentwurf

§ 522 Abs. 2, § 301 ZPO
Im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO kann die Berufung im
Rahmen der zu § 301 ZPO entwickelten Grundsätze auch
teilweise zurückgewiesen werden.
OLG Dresden, Beschluss vom 11.07.2003 - 2 U 382/03 -
Gründe:
...
C.
Der Senat ist berechtigt, über die Berufung des Klägers durch
Beschluss
zu
befinden,
da
Teilentscheidungen
im
Anwendungsbereich von § 522 Abs. 2 ZPO innerhalb der durch §
301 ZPO gezogenen Grenzen zugelassen sind (unten I), die
Voraussetzungen für eine Teil-Entscheidungsfähigkeit vorliegen
(unten II) und § 522 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 ZPO einer
Beschlussfassung nicht entgegensteht (unten III). ...
Im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO ist eine Teilentscheidung
eröffnet, soweit die Voraussetzungen von § 301 ZPO gewahrt
sind (ebenso: OLG Rostock OLGR 2003, 252 [253] mwN; OLG
Karlsruhe OLGR 2003, 144 mwN für subjektive Klagehäufung).
1. Die sprachliche Fassung von § 522 Abs. 2 ZPO verhält sich
zu Teilentscheidungen zwar nicht gesondert, untersagt
solche aber zumindest nicht. Demgemäß hat es auch der
Bundesgerichtshof
in
ständiger
Rechtsprechung
als
selbstverständlich erachtet, dass die in § 544 b ZPO a.F.
gewählte
- in
der
entscheidenden
Passage
identisch
gefasste - Formulierung Teilentscheidungen nicht hindert
(vgl. BGHZ 69, 93 [94]; BGH NJW-RR 1991, 576; BGH NJW
1979, 550; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 554 b
Rn. 8/9; Münchener Kommentar/Wenzel, ZPO, 2. Aufl., § 554
b Rn. 13).
2. Auch
die
Gesetzesbegründung
besagt
insoweit
nichts
Entscheidendes.
a) Zwar führt die Bundesregierung im Gesetzesentwurf zum
Zivilprozessreformgesetz (BT-Drs. Nr. 14/4722, S. 97)
zu § 522 Abs. 2 ZPO aus, dass "der Entwurf bewusst
davon absehe, eine Teilzurückweisung zuzulassen".
Dieser Absicht kann aber bei der Norminterpretation
kein ausschlaggebendes Gewicht zukommen, da sich der
Regierungsentwurf
nicht
näher
mit
der
subtilen
Thematik,
insbesondere
mit
der
gegenläufigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 544 b ZPO
a.F., mit den Wechselwirkungen zwischen den einfach-
rechtlichen Regelungen über Teilentscheidungen und dem
verfassungsrechtlichen
Justizgewährleistungsanspruch
sowie mit den kostenrechtlichen Konsequenzen, befasst.
Dahinstehen kann dabei, welche Bedeutung den - nicht
aus der Feder des Gesetzgebers stammenden - Erwägungen
in einem Regierungsentwurf in Bezug auf das, was ein
Parlament als objektiv rechtens beschließt, überhaupt
beigemessen kann (vgl. allg.: BVerfGE 79, 106 [121];
BVerwG NJW-RR 2001, 351 [352]). Zumindest sind die
Ausstrahlungen eines Regierungsentwurfes auf den
objektiven
Normgehalt
dann
als
eher
moderat
einzustufen, wenn das von der Exekutive Gewollte im
Gesetzestext keinen deutlichen Niederschlag findet und
zentrale Aspekte nicht berücksichtigt.
3. Ist der Wortlaut ambivalent und das Gesetzgebungsverfahren
eher unergiebig, kommt bei der Auslegung von § 522 Abs. 2
ZPO dem Normzweck entscheidendes Gewicht zu. Dieser
gebietet
aber
nachgerade,
eine
Teilentscheidung
im
Beschlussverfahren im jenem Umfang zuzulassen, in dem sie
auch im Urteilsverfahren gemäß § 301 ZPO in Betracht käme.
a) Nach
der
Intention
des
Gesetzgebers
soll
das
Berufungsgericht durch § 522 Abs. 2 ZPO gehalten sein,
nur über jenen Prozessstoff zu verhandeln, der sich
als verhandlungsbedürftig erweist (vgl. BT-Drs.,
a.a.O.). Untermauert hat der Gesetzgeber diese klare
Zielrichtung
dadurch,
dass
er
unter
den
Voraussetzungen von § 522 Abs. 2 ZPO eine Entscheidung
im Beschlusswege nicht in das gerichtliche Ermessen
stellt, sondern zwingend vorgibt.
b) Diese verfahrensrechtliche Ausgestaltung von § 522
Abs.
2
ZPO
dient
der
Stärkung
des
Justizgewährleistungsanspruchs, indem einerseits - mit
grundrechtlichem Individualbezug - dem von einem
erfolglosen
Rechtsmittel
betroffenen
Berufungsbeklagten
ein
möglichst
zügiger
und
effektiver Rechtsschutz gewährt wird und andererseits
- mit
institutionellem
Charakter -
den
Berufungsgerichten jene Ressourcen verschafft werden,
die sie benötigen, um ihren verfassungsrechtlichen
Auftrag wirkungsvoll erfüllen zu können. Demgemäß hat
auch der Bundesgerichtshof im Hinblick auf die vom
Gesetzgeber
mit
§ 554
b
ZPO
a.F.
erstrebte
Entlastungswirkung Teilentscheidungen durch Beschluss
im Revisionsrechtszug für zulässig erachtet (vgl.
Nachweise unter C.I.1. a.E.).
c) Allein dies ist auch sachgerecht und folgerichtig.
aa) Es ist bereits nicht einzusehen, weshalb den
Verfahrensbeteiligten die mit § 522 Abs. 2 ZPO
verbundene
Möglichkeit,
vergleichsweise
kostengünstigen
Rechtschutz
zu
erlangen,
weitergehend beschnitten werden sollte, als durch
die
prozessualen
Vorgaben
von
§
301
ZPO
unvermeidbar. Besonders plastisch zeigen sich die
wirtschaftlichen Folgen der gegenteiligen Sicht
im vorliegenden Verfahren:
Obwohl feststeht, dass die gegen die Beklagte zu
2) gerichtete Klage auch im Berufungsrechtzug in
vollem Umfange erfolglos bleiben wird, müsste auf
der
Grundlage
dessen,
was
nach
dem
Regierungsentwurf erstrebt gewesen sein soll, im
Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und
der Beklagten zu 2) eine mündliche Verhandlung
anberaumt
werden.
Die
hierfür
anfallenden
anwaltlichen Verhandlungsgebühren wären - ohne
Auslagen -
bei
einem
Streitwert
von
EUR 296.273,19 um rund EUR 1.100,00 höher als der
Erfolgsaussicht versprechende Teil der Berufung
des Beklagten zu 1).
Eine solche Konsequenz mag schon innerhalb
desselben Prozessrechtsverhältnisses verwundern
und - sollten Teilentscheidungen nicht zugelassen
werden - mittelbar bewirken, dass sich ein
geringer Teilerfolg für den Berufungsführer oft
als Pyrrhus-Sieg erwiese. Vollends unverständlich
wären diese Folgen aber bei einer - vorliegend
gegebenen -
subjektiven
Klagehäufung.
Ohne
Zulassung einer Teilentscheidung fielen etwa im
vorliegenden Rechtsstreit allein auf Seiten der
Beklagten zu 2) Anwaltsmehrkosten von etwa
EUR 3.100,00 nur dadurch an, dass in einem
anderen Prozessrechtsverhältnis und aus einem die
Beklagte zu 2) nicht ansatzweise berührenden
Grunde die Berufung eines anderen Streitgenossen
in Höhe von EUR 5.112,92 Erfolgsaussicht besitzt.
Der Senat verkennt dabei nicht, dass sein
Verständnis vom Regelungsgehalt von § 522 Abs. 2
ZPO solche - in der gesetzgeberischen Konzeption
angelegten -
kostenrechtlichen
Ungereimtheiten
nicht generell vermeiden kann, da die im Rahmen
von § 301 ZPO zur Teil-Urteilsfähigkeit
entwickelten Prinzipien auch im Verfahren nach
§ 522 Abs. 2 ZPO Geltung beanspruchen. Dies kann
aber
nicht
hindern,
Teilentscheidungen
im
Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO wenigstens dann
zuzulassen, wenn sie auch nach einer mündlichen
Verhandlung ergehen könnten.
bb) Auch kann es keinen vernünftigen Anlass dafür
geben,
den
das
Zivilprozessrecht
ansonsten
prägenden Grundsatz des § 301 ZPO, der - wie
dargelegt - Ausfluss des verfassungsrechtlich
gesicherten Justizgewährleistungsanspruchs ist,
im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO nicht
anzuwenden.
Der
Senat
verkennt
dabei
nicht,
dass
Teilentscheidungen im Verfahren nach § 522 Abs. 2
ZPO
bei
gewissen
Konstellationen
zu
einem
gespaltenen Instanzenzug führen können. So kann
einem durch das nachfolgende Urteil beschwerten
Verfahrensbeteiligten
über
eine
Nichtzulassungsbeschwerde
oder
eine
Revisionszulassung der Weg zum Bundesgerichtshof
eröffnet sein, während der durch den Beschluss
nach
§
522
Abs.
2
ZPO
beschwerte
Verfahrensbeteiligte
eine
weitere
fachgerichtliche
Kontrolle
generell
nicht
herbeizuführen
vermag.
Solche
mittelbaren
Wirkungen von Teilentscheidungen treten aber auch
ansonsten
auf,
ohne
dass
sie
- von
Missbrauchsfällen abgesehen - zum Anlass genommen
werden, ein Vorgehen nach § 301 ZPO nicht
zuzulassen
oder
den
verfassungsrechtlichen
Anspruch auf gleichen Zugang zu den Gerichten als
verletzt zu erachten (vgl. BVerfG ZIP 1996, 1527
[1528]; BGH NJW 2000, 217 [218]; BGH NJW 1996,
3216
f.;
BGH
NJW
1995,
3120
f.
für
Trennungsbeschluss). Im Übrigen hat dieser Aspekt
bei einer Gesamtbetrachtung hinter den anderen -
auch aus verfassungsrechtlichen Gründen - für
Teilentscheidungen
sprechenden
Gesichtspunkten
zurückzutreten.
II.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer Teilentscheidung nach
§ 301 ZPO liegen bei der Berufung des Klägers - nicht aber bei
jener des Beklagten zu 1) - vor. ...
III
Einer
Zurückweisung
der
Berufung
durch
- einstimmig
gefassten - Beschluss steht § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und
3 ZPO nicht entgegen. ...