Urteil des OLG Dresden vom 29.10.2002
OLG Dresden: krankenkasse, krankenversicherung, bereicherungsanspruch, meinung, rückzahlung, geschäftsführer, rüge, rechtskraft, kompetenzkonflikt, vorschuss
Aktenzeichen: 11 W 1337/02
Leitsatz
Auch im isolierten Prozesskostenhilfe-Verfahren ist über den
Rechtsweg vorab nach § 17a GVG zu entscheiden und
gegebenenfalls zu verweisen.
Vorschriften: § 17a GVG, § 114 ff ZPO
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Oberlandesgericht
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Dresden
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Aktenzeichen: 11 W 1337/02
2 O 3154/02 LG Leipzig
Beschluss
des 11. Zivilsenats
vom 29.10.2002
In dem Rechtsstreit
Dr. F.S. , Insolvenzverwalter über das Vermögen
der I. GmbH,
,
04229 Leipzig
Antragsteller und Beschwerdeführer
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ,
,
04229 Leipzig
gegen
T. Krankenkasse, vertr. d. d. Vorstand Prof. Dr.
u.a.,
,
04105 Leipzig
Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
,
,
22765 Hamburg
wegen Forderung
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hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne
mündliche Verhandlung durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ,
Richter am Oberlandesgericht und
Richter am Amtsgericht
beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der
Beschluss
des
Landgerichts
Leipzig
vom
16.08.2002
geändert:
Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist zwar
unzulässig, das Verfahren wird aber zugleich an das
zuständige Sozialgericht Leipzig verwiesen.
2. Im
Übrigen
wird
die
sofortige
Beschwerde
des
Antragstellers zurückgewiesen.
3. Gebühren werden nicht erhoben, Kosten nicht erstattet.
G r ü n d e :
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der
I. GmbH und begehrt Prozesskostenhilfe für eine
Klage gegen die T. Krankenkasse mit Sitz in Leipzig.
Der
Antragsteller
will
knapp
6 000,00 EUR
Beiträge
zurückverlangen,
welche
die
Fa.
I.
für
ihren
Geschäftsführer
als
Arbeitgeberanteil
der
angeblich
geschuldeten
Sozialversicherungsbeiträge
für
die
Krankenkasse gezahlt hatte.
Die Antragsgegnerin bestreitet zwar nicht, dass der
Geschäftsführer kein Arbeitnehmer gewesen sei, also Beiträge
zur
gesetzlichen
Krankenversicherung
nicht
geschuldet
gewesen seien, verweigert aber die Rückzahlung, weil
erstattungsberechtigt
nur
der
Versicherte,
nicht
der
Arbeitgeber
sei
und
weil
die
Antragsgegnerin
den
Versicherten als freiwillig Versicherten betrachte und
sämtliche Versicherungsbeiträge, sowohl die vom Arbeitnehmer
einbehaltenen wie auch die vom Arbeitgeber bezahlten nun als
Beitrag für die freiwillige Krankenversicherung gebucht
habe. Im Übrigen rügt sie die Zulässigkeit des Rechtswegs zu
den ordentlichen Gerichten.
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Das
Landgericht
Leipzig
hat
den
Antrag
auf
Prozesskostenhilfe
zurückgewiesen:
Die
Klage
vor
dem
Landgericht Leipzig verspreche schon deswegen keinen Erfolg,
weil der Rechtsweg nicht gegeben sei. Der Anspruch der
gesetzlichen Krankenkasse auf Beiträge richte sich nach
Sozialversicherungsrecht,
deswegen
sei
auch
der
Erstattungsanspruch auf Rückzahlung zu Unrecht bezahlter
Beiträge ein sozialversicherungsrechtlicher Anspruch, der
gem. § 51 SGB vor die Sozialgerichte gehöre.
Das Landgericht sah sich gehindert, gem. § 17 a GVG einen
Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig zu
erklären und die Sache an das Sozialgericht Leipzig zu
verweisen, weil die genannte Vorschrift noch nicht gelte,
wenn erst Prozesskostenhilfe beantragt und noch keine Klage
erhoben sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die form- und
fristgerechte sofortige Beschwerde des Antragstellers, der
nach wie vor den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für
gegeben hält, weil er einen Bereicherungsanspruch gem. § 812
Abs. 1 S. 1 BGB verfolge, der vor den ordentlichen Gerichten
eingeklagt werden könne; hilfsweise beantragt der Kläger
Verweisung an das Sozialgericht Leipzig.
Die sofortige Beschwerde ist unbegründet, soweit sie sich
wendet gegen die Verneinung des Rechtswegs zu den
ordentlichen Gerichten, sie hat aber einen Teilerfolg,
insoweit sie zur Verweisung der Sache an das zuständige
Sozialgericht Leipzig führt.
Der Antragsteller hat Recht, wenn er die Zahlungen der
I. auf eine nicht gegebene Beitragspflicht zur
gesetzlichen Krankenkasse als eine Leistung ansieht, die
ohne Rechtsgrund erfolgt sei und die deswegen gem. § 812
Abs. 1 S. 1 BGB vom Empfänger zurückzuerstatten sei. Dieser
Anspruch ist aber zugleich der allgemeine öffentlich-
rechtliche Erstattungsanspruch, der den Verwaltungsgerichten
- hier:
den
Sozialgerichten -
zugewiesen
ist.
Dieser
öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch steht nicht nur
dem Sozialversicherungsträger zur Rückforderung zu Unrecht
gewährter Leistungen zu (dieser Fall ist in § 50 SGB X
geregelt), sondern auch dem Bürger, wenn auf seine Kosten
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Sozialversicherungsträger etwas erhalten haben, was ihnen
nicht
zusteht.
Das
hat
der
Große
Senat
des
Bundessozialgerichts in BSGE 75, 167, so entschieden (mit
zahlreichen Nachweisen). Das ist auch sachgerecht. Denn die
Sozialgerichte können aufgrund ihrer besonderen Vertrautheit
mit Beiträgen, Beitragspflichten, Wechsel von gesetzlicher
zu freiwilliger Krankenversicherung am besten beurteilen, ob
die Beklagte zu Recht die Rückerstattung der unstreitig ohne
Rechtsgrund vereinnahmten Beiträge verweigert.
Damit
versteht
es
sich
von
selbst,
dass
es
kein
Nebeneinander von Bereicherungsanspruch und öffentlich-
rechtlichem Erstattungsanspruch geben kann, weil sonst ein-
und dieselbe Zahlungspflicht von Gerichten verschiedener
Gerichtsbarkeiten unterschiedlich beurteilt werden könnte.
Auf die Rüge der Antragsgegnerin, der Rechtsweg zu den
ordentlichen Gerichten sei nicht gegeben, war aber gem. § 17
a GVG die Sache an das zuständige Gericht zu verweisen.
Das Landgericht hat nicht verwiesen, weil es dem Wortlaut
des § 17 b GVG mehr vertraut hat als dem Sinn und Zweck der
Regelung. § 17 b GVG erklärt, dass nach Eintritt der
Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses der Rechtsstreit mit
Eingang der Akten bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht
"anhängig" werde, die Wirkungen der "Rechtshängigkeit"
würden bestehen bleiben. Prozesskostenhilfeanträge machen
die
Sache
noch
nicht
rechtshängig,
also
seien
Prozesskostenhilfeanträge von § 17 a und b GVG nicht
geregelt.
Diese Meinung wurde und wird überwiegend vertreten, u.a. vom
Oberverwaltungsgericht Bautzen, NJW 1994, 1020, auf welche
Entscheidung das Landgericht sich beruft.
Sinn und Zweck der Vorabentscheidungen über den Rechtsweg
nach § 17 a und b GVG ist es, zu verhindern, dass der
Rechtsuchende bei einem negativen Kompetenzkonflikt der
möglicherweise zuständigen Gerichte auf der Strecke bleibt.
Dieser Zweck soll im Prozesskostenhilfeverfahren angeblich
nicht gelten: Komme eine Zuständigkeit des angerufenen
Gerichts auch nur entfernt in Frage, dürfe es nicht wegen
fehlender Erfolgsaussicht Prozesskostenhilfe versagen, müsse
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die dann erhobene Klage sorgfältig prüfen und dann erst ggf.
nach § 17 a GVG verweisen.
Es mag sein, dass sich auf diese Weise theoretisch negative
Kompetenzkonflikte vermeiden lassen, praktisch ist es aber
durchaus möglich, dass sowohl das zunächst angerufene
Gericht als auch das nach dessen Meinung eigentlich
zuständige Gericht im Prozesskostenhilfeverfahren ihren
Rechtsweg für nicht gegeben halten und deswegen den
Prozesskostenhilfeantrag
abweisen.
Wenn
im
Prozesskostenhilfeverfahren § 17 a GVG nicht anwendbar ist,
wird damit der unbemittelte Kläger rechtlos gestellt. Er
kann durch Klageerhebung eine bindende Verweisung nach § 17
a GVG nicht erreichen, weil er den dafür erforderlichen
Vorschuss nicht aufbringen kann. Das kann nicht richtig
sein.
Inzwischen sieht das Oberverwaltungsgericht Bautzen die
Sache ebenso, hat seine alte Rechtsmeinung ausdrücklich
aufgegeben
und
wendet
§ 17
a
GVG
auch
im
Prozesskostenhilfeverfahren an (vgl. OVG Bautzen, VIZ 98,
702, mit ausführlichen Nachweisen der ganzen Kontroverse).
Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil der Senat von
einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs abweicht (BGH
FamRZ 1991, 1172).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.