Urteil des OLG Dresden vom 12.01.2007

OLG Dresden: wirtschaftliche leistungsfähigkeit, arbeitslosenhilfe, rückgriff, verfügung, einzelrichter, ehepartner, bedürftigkeit, gegenleistung, scheidung, sozialhilfe

Leitsätze:
1. Für die Bestimmung des Streitwerts nach § 48 Abs. 2 und 3
GKG bleibt Arbeitslosengeld II im Rahmen der Einkommens-
verhältnisse der Prozessparteien unberücksichtigt; dies
gilt unabhängig davon, ob ein Anspruchsübergang gemäß §
33 SGB II für den öffentlichen Leistunsträger Rückgriffs-
möglichkeiten gegen einen anderen Prozessbeteiligten er-
öffnet.
Oberlandesgericht Dresden, 20. Zivilsenat - Familiensenat -
Beschluss vom 12.01.2007, 20 WF 1026/06
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Oberlandesgericht
Dresden
Aktenzeichen: 20 WF 1026/06
6 F 0050/06 AG Dippoldiswalde
Beschluss
des 20. Zivilsenats - Familiensenat -
vom 12.01.2007
In der Familiensache
Antragstellerin
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt
Beschwerdeführer
gegen
Antragsgegner
wegen Scheidung;
hier: Streitwertfestsetzung
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hat der 20. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesge-
richts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch
Richter am Oberlandesgericht Piel
als Einzelrichter
beschlossen:
Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Antragstelle-
rin vom 08.11.2006 gegen den Streitwertbeschluss des Amtsge-
richts - Familiengericht - Dippoldiswalde vom gleichen Tage
- 6 F 50/06 - wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Familiengericht den
Streitwert für die Ehesache der Parteien auf 2 063,10 EUR
festgesetzt. Dabei hat es von der Antragstellerin bezogenes
Arbeitslosengeld II i.H.v. 753,66 EUR monatlich unberück-
sichtigt gelassen. Die hiergegen erhobene Beschwerde des
Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin ist zulässig
(wobei der Senat unterstellt, dass der Beschwerdeführer sie
im eigenen Namen eingelegt hat), bleibt in der Sache jedoch
ohne Erfolg.
§ 48 Abs. 2 und 3 GKG beziehen in die Streitwertbemessung
die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Parteien ein,
um die Höhe der Verfahrenskosten auch an der wirtschaftli-
chen Leistungsfähigkeit der Parteien zu orientieren. Ob es
angesichts dieses Ziels angemessen ist, als Einkommen auch
soziale Transferzahlungen anzusehen, welche die Parteien oh-
ne Gegenleistung erhalten, wurde schon für die früher ge-
währte Arbeitslosenhilfe kontrovers beurteilt (vgl. etwa OLG
Dresden - 10. Zivilsenat - FamRZ 2004, 1225 einerseits und
OLG Dresden - 22. Zivilsenat - FamRZ 2002, 1640 anderer-
seits. Für das hier in Rede stehende ALG II ist diese Frage
in Übereinstimmung mit dem Familiengericht zu verneinen.
Hinsichtlich der Arbeitslosenhilfe nach früherem Recht ließ
sich immerhin noch darauf verweisen, dass ihr (auch) Lohner-
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satzfunktion zukam, weil sie sich in ihrem Umfang an der Hö-
he des zuvor erzielten Arbeitsentgelts ausrichtete und, be-
zogen auf die Verhältnisse des Hilfeempfängers, weder be-
darfsdeckend sein musste noch in der Bedarfsdeckung ihre
Grenze fand. All dies trifft auf das ALG II nicht zu; es ist
seiner Struktur nach Sozialhilfe für bedürftige, aber ar-
beitsfähige Personen (OLG Düsseldorf, FamRZ 2006, 807). Da-
her besteht kein Anlass, es bei der Auslegung des § 48 GKG
im Ergebnis anders zu behandeln als eben Sozialhilfeleistun-
gen, die nach ganz überwiegender und vom Bundesverfassungs-
gericht (NJW 2006, 1581) ausdrücklich nicht beanstandeter
Auffassung nicht als streitwerterhöhend berücksichtigt wer-
den, weil sie Ausdruck der Bedürftigkeit und nicht der Leis-
tungsfähigkeit der Parteien sind (vgl. auch Zöller/Herget,
26. Aufl.
2007,
§ 3
ZPO
Rn. 16
Stichwort
"Ehesachen"
m.w.N.).
Das gilt um so mehr, als ALG II, zumal nach der Neufassung
von § 33 SGB II, generell als subsidiäre öffentliche Leis-
tung gewährt wird; der Anspruchsübergang kraft Gesetzes be-
wirkt mithin, dass die öffentliche Kasse die Leistungen,
ähnlich wie beim Unterhaltsvorschuss, grundsätzlich nur zu-
gunsten des Hilfeempfängers vorfinanziert, aber über Rück-
griffsmöglichkeiten verfügt, die sich in Ehesachen in erster
Linie auf den beteiligten anderen Ehepartner konzentrieren
werden. Gelingt dieser (künftige) Rückgriff, so hat sich die
Einkommenssituation
beider
Parteien
zusammen
durch
das
ALG II nicht geändert; nur im gegenteiligen Fall erhielten
die Beteiligten in der Summe mehr, als sie ohne ALG II zur
Verfügung gehabt hätten. Da für die Streitwertbestimmung a-
ber der Zeitpunkt der Antragstellung maßgebend ist (§ 80
GKG), spricht schon wenig dafür, dabei ein Bemessungskrite-
rium einzubeziehen, das nur nach Maßgabe einer ungewissen
künftigen Entwicklung abschließend beurteilt werden könnte.
Überdies hält es der Senat nach Sinn und Zweck von § 48 GKG
(s.o.) für fernliegend, das Eheverfahren gerade für den Be-
teiligtenkreis zu verteuern, dessen wirtschaftliche Leis-
tungsfähigkeit so niedrig liegt, dass der Träger des Ar-
beitslosengeldes II nicht einmal seine Erstattungsansprüche
aus übergegangenem Recht wirtschaftlich realisieren kann.
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Vor diesem Hintergrund ist die Beschwerde als unbegründet
zurückzuweisen. Eine Kostenentscheidung ist nicht veran-
lasst, weil das Verfahren nach § 68 Abs. 3 GKG gerichtsge-
bührenfrei ist und außergerichtliche Kosten nicht erstattet
werden.
Piel