Urteil des OLG Dresden vom 07.10.2008
OLG Dresden: schlüssiges verhalten, pflichtverteidiger, gebühr, aufruf, vergütung, verkündung, haft, unterlassen, prozessvoraussetzung, entstehung
Leitsatz:
Wird zu einem Strafverfahren nach dem Aufruf der der Sache ein weiteres
Verfahren hinzuverbunden, das durch das Gericht zu diesem Zweck erst un-
mittelbar vor der Verbindung in der Hauptverhandlung eröffnet worden
ist, so kann der auch für das hinzuverbundene Verfahren bestellte
Pflichtverteidiger keine Terminsgebühr für dieses Verfahren beanspru-
chen.
OLG Dresden 2 Strafsenat, Beschluss vom 07.10 2008, Az.: 2 Ws 455/08
Oberlandesgericht
Dresden
2. Strafsenat
Aktenzeichen: 2 Ws 455/08
3 KLs 440 Js 57577/07 und
3 KLs 440 Js 64762/07 LG Leipzig
Beschluss
vom 07. Oktober 2008
in der Strafsache gegen
geboren am in
Verteidiger: Rechtsanwalt
wegen Vergewaltigung u. a.
hier: Beschwerde im Verfahren über die Festsetzung der
Pflichtverteidigervergütung
Die Beschwerde des Verteidigers gegen den Be-
schluss
des
Landgerichts
Leipzig
vom
11. August 2008 wird als unbegründet verworfen.
G r ü n d e :
I.
Mit
Verfügungen
vom
13. Februar 2008
(3 KLs 440 Js
64762/07) und vom 22. Februar 2008 (3 KLs 440 Js 57577/07)
wurde Rechtsanwalt dem in Haft befindlichen Angeklagten
als
Pflichtverteidiger
in
den
Verfahren
vor
der
3. Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Leipzig
beigeordnet.
Im Verfahren 3 KLs 440 Js 57577/07 wurde Termin zur Haupt-
verhandlung auf den 28. Februar 2008 bestimmt. Nach Aufruf
der Sache, Feststellung der Erschienenen und der Angaben
des Angeklagten zu seiner Person gab der Vorsitzende aus-
weislich des Protokolls bekannt, dass unter dem Aktenzei-
chen 3 KLs 440 Js 64762/07 ein weiteres Verfahren gegen den
Angeklagten anhängig sei und beabsichtigt werde, das Ver-
fahren hinzuzuverbinden. Die Vertreterin der Staatsanwalt-
schaft stimmte der Verfahrensverbindung zu. Rechtsanwalt
und die Nebenklägervertreterin gaben keine Erklärung ab.
Der Vorsitzende verkündete sodann den Beschluss, dass die
Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen wird, das Verfahren
vor
der
Jugendkammer
eröffnet
und
dem
Verfah-
ren 3 KLs 440 Js 57577/07 hinzuverbunden wird.
Das am selben Tag verkündete Urteil wurde sofort rechts-
kräftig.
Mit Schreiben vom 29. Februar 2008 beantragte Rechtsan-
walt Klein die Festsetzung seiner Pflichtverteidiger- ver-
gütung. Dabei machte er für das hinzuverbundene Verfahren
440 Js 64762/07 eine Terminsgebühr mit Zuschlag gemäß
Nr. 4115 VV RVG in Höhe von 263,00 EUR zuzüglich Umsatz-
steuer geltend. Für das Einziehungsverfahren beantragte er
auch ein Entgelt für Post- und Telekommunikationsdienst-
leistungen gemäß Nr. 7007 VV RVG (pauschal) in Höhe von
20,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer.
Mit Beschluss vom 22. Mai 2008 setzte der Urkundsbeamte der
Geschäftsstelle die zu zahlende Vergütung auf 2.010,33 EUR
fest, setzte allerdings die Gebühr nach Nr. 4115 VV RVG im
Verfahren 440 Js 64762/07 und die im Einziehungsverfahren
geltend gemacht Gebühr nach Nr. 7002 VV RVG ab. Ausweislich
des Hauptverhandlungsprotokolls vom 28. Februar 2008 sei
erst nach Verkündung des Verbindungsbeschlusses hinsicht-
lich des hinzuverbundenen Verfahrens verhandelt worden. Das
Verfahren über die Einziehung stelle keine "verschiedene"
oder "besondere" Angelegenheit im Sinne von §§ 17, 18 RVG
dar.
Gegen den Festsetzungsbeschluss richtete sich die Erinne-
rung des Verteidigers, mit der er die Festsetzung wie im
Vergütungsfestsetzungsantrag vom 29. Februar 2008 beantrag-
te. In der Begründung der Erinnerung richtete er sich aus-
schließlich
gegen
die
Absetzung
der
Gebühr
gemäß
Nr. 4115 VV RVG.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle half der Erinnerung
nicht ab.
Mit Beschluss vom 11. August 2008 hat das Landgericht die
Erinnerung des Verteidigers zurückgewiesen. Ein eigenstän-
diger Termin habe in dem hinzuverbundenen Verfahren nicht
stattgefunden. Ab Verbindung der Verfahren habe es sich um
dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG gehan-
delt.
Der
Verteidiger
könne
die
Terminsgebühr
gemäß
Nr. 4115 VV RVG nur einmal fordern.
Gegen diesen Beschluss, der das Landgericht formlos am
15. August 2008
verlassen
hat,
richtet
sich
die
am
22. August 2008 beim Landgericht eingegangene "sofortige"
Beschwerde des Verteidigers. Das Landgericht hat keine Ent-
scheidung über eine Abhilfe der Beschwerde getroffen und
die Sache dem Oberlandesgericht vorgelegt.
II.
1. Nachdem das Verfahren vor dem Landgericht der Kammer
übertragen war, entscheidet der Senat in der Besetzung
mit drei Richtern (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 1
RVG).
2. Die gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG zulässige
Beschwerde hat keinen Erfolg.
Der Verteidiger kann in dem hinzuverbundenen Verfahren
keine Terminsgebühr nach Nr. 4115 VV RVG beanspruchen.
Nach in Rechtsprechung und Literatur vertetener Meinung
kommt es für die Entstehung einer Terminsgebühr bei Ver-
fahren, die erst in der Hauptverhandlung verbunden wer-
den, darauf an, dass in allen Verfahren eine Hauptver-
handlung stattgefunden hat (Gerold/Schmidt-Burhoff, RVG,
18. Aufl. VV Vorbemerkung 4 Rdnr. 35; Burhoff-Burhoff,
RVG 2. Aufl. Vorbemerkung 4 Rdnr. 76 - jeweils m.w.N.).
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die hinzuverbundene
Sache ist ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls
nicht ausdrücklich durch den Vorsitzenden der Strafkam-
mer gemäß § 243 Abs. 1 Satz 1 StPO aufgerufen worden.
Allerdings ist der Aufruf der Sache keine wesentliche
Förmlichkeit des Verfahrens. Unterbleibt er, so ist der
Beginn der Hauptverhandlung deshalb von dem Zeitpunkt an
anzunehmen, in welchem der Vorsitzende kundgibt, die
Verhandlung durchführen zu wollen (KK-Tolksdorf, StPO
5. Aufl. § 243 Rdnr. 10). Dies ist mit der Mitteilung
des Vorsitzenden, dass das Gericht eine Hinzuverbindung
beabsichtige, noch nicht geschehen.
Zwar haben der Angeklagte und der Verteidiger auf die
dispositiven Förmlichkeiten und Fristen gemäß §§ 216,
217 StPO verzichtet und damit teilweise die Vorausset-
zungen für eine Durchführung der Hauptverhandlung in dem
hinzuverbundenen Verfahren geschaffen (vgl. Burhoff-
Burhoff, Vorbemerkung 4 Rdnr. 76 m.w.N.); denn der Ver-
teidiger hatte zu der beabsichtigten Verbindung der Ver-
fahren keine Erklärung abgegeben und damit sowie durch
sein späteres schlüssiges Verhalten - insbesondere durch
Unterlassen des Antrages auf Aussetzung der Verhandlung
nach § 217 Abs. 2 StPO - erklärt, dass er auf die Ein-
haltung der Ladungsfrist gemäß § 217 Abs. 3 StPO ver-
zichtet (Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 217 Rdnr. 10).
Eine Hauptverhandlung war damit jedoch gleichwohl noch
nicht möglich, weil es noch an der Prozessvoraussetzung
eines Eröffnungsbeschlusses (§§ 203, 207 StPO) fehlte
und der Strafkammer dadurch die Durchführung der Haupt-
verhandlung verboten war (BGH NJW 1980, 1858).
Unmittelbar nach Verkündung des Eröffnungbeschlusse sind
die Verfahren sodann miteinander verbunden worden, ohne
dass zuvor eine Hauptverhandlung in der hinzuverbundenen
Sache stattgefunden hat.
Der vorliegende Fall ist deshalb nicht anders zu bewer-
ten, als wenn das Gericht das Hauptverfahren richtiger-
weise vor Beginn der Hauptverhandlung eröffnet und die
Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung miteinander
verbunden hätte.
III.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei (§ 56
Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56
Abs. 2 Satz 3 RVG).
Drath Gorial Albert
Vorsitzender Richter Richter am Richter am
am Oberlandesgericht Oberlandesgericht Oberlandesgericht