Urteil des OLG Dresden vom 17.08.1995

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2 Ss (OWi) 425/95
Leitsatz:
Verjährungsunterbrechende Anordnung i.S.v. OWiG § 33 Abs. 1 Nr. 1 durch Absendung eines in behördlichem
Auftrag von einer Privatfirma hergestellten Anhörungsbogens
Vorschrift:
OWiG § 33
Schlagwörter:
Verjährung
Anhörung
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Oberlandesgericht
Dresden
Senat für Bußgeldsachen
Aktenzeichen: 2 Ss (OWi) 425/95
22 OWi 623 Js 30039/94 AG Zwickau
Beschluß
vom 25. Januar 1996
in der Bußgeldsache gegen
K
B
geboren am
wohnhaft
wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung
Verteidiger: Rechtsanwalt
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des
Amtsgerichts Zwickau vom 17.08.1995 wird als unbegründet ver-
worfen.
Der Betroffene trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
G r ü n d e :
I.
Das Amtsgericht Zwickau verurteilte den Betroffenen am
17.08.1995 wegen einer am 08.07.1994 mit seinem Pkw außerhalb
geschlossener Ortschaften begangenen fahrlässigen Ge-
schwindigkeitsüberschreitung um - nach Abzug der Toleranz -
42 km/h zu einer Geldbuße von 200,00 DM und ordnete gegen ihn
ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats an.
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Durch seinen Verteidiger legte der Betroffene hiergegen am
24.08.1995 Rechtsbeschwerde ein und begründete sie nach der am
30.08.1995 erfolgten Zustellung des Urteils am 25.09.1995. Er
macht das Verfahrenshindernis der Verjährung geltend, weil die
hier getroffene Anordnung der Übersendung des Anhörungsbogens
keine Verjährungsunterbrechung bewirkt habe und deshalb bei
Vornahme der ersten verjährungsunterbrechenden Handlung (durch
Erlaß des Bußgeldbescheids vom 17.10.1994) die Dreimonatsfrist
des § 26 Abs. 3 StVG bereits verstrichen gewesen sei.
II.
Die vom Betroffenen begangene - und eingeräumte - Ordnungs-
widrigkeit ist, wie vom Verteidiger zutreffend ausgeführt, nur
dann noch verfolgbar, wenn das hier gewählte Verfahren der
Verwaltungsbehörde eine wirksame Anordnung der an den Betrof-
fenen gerichteten Bekanntgabe der Einleitung eines Ermitt-
lungsverfahrens gegen ihn darstellt; anderenfalls ist die Ver-
folgung verjährt (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG, § 26 Abs. 3 StVG).
Die Frage ist vom Senat von Amts wegen im Wege des Freibewei-
ses auf der Grundlage des Urteils, des sonstigen Akteninhalts
und anderer vorhandener Indizien zu prüfen (BGHSt 16, 164,
166; BGHR StPO vor § 1 Verfahrenshindernis, Verjährung 1;
Pfeiffer in KK - StPO 3. Aufl. Einl. Rdnr. 133; Klein-
knecht/Meyer-Goßner StPO 42. Aufl. § 337 Rdnr. 6).
1. Hierzu läßt sich dem Akteninhalt folgendes entnehmen: Die am
08.07.1994 begangene Geschwindigkeitsüberschreitung wurde
durch ein Lichtschrankenmeßgerät zuverlässig festgestellt. Der
weitere Gang des Verfahrens entsprach der ständigen, in den
Urteilsgründen sowie von der zuständigen Sachbearbeiterin des
Regierungspräsidiums in der Hauptverhandlung allgemein darge-
stellten Praxis: Aufgrund der im Lichtschrankenmeßgerät fest-
gehaltenen Daten fertigt die Polizei eine Anzeige. Daß deren
Adressat das Regierungspräsidium als Verfolgungsbehörde ist
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(und nicht die im weiteren Verlauf eingeschaltete Privatfirma
C.), ergibt sich schon aus dem verwendeten Begriff "Anzeige",
weiter aus den - allerdings wenig klar formulierten - Ausfüh-
rungen des Gerichts zur Willensbildung dieser Behörde und da-
zu, daß in einem bestimmten späteren Verfahrensabschnitt das
Regierungspräsidium "nicht weiter" eingeschaltet ist. Insbe-
sondere aber ist dies den im Hauptverhandlungsprotokoll fest-
gehaltenen Aussagen der Sachbearbeiterin zu entnehmen, wonach
sie "die bei uns (dem Regierungspräsidium) eingegangenen
schriftlichen Anzeigen der Polizei per Bildschirmgerät elek-
trisch erfaßt" (SA Bl. 51). Anschließend druckt die vom Regie-
rungspräsidium beauftragte Privatfirma C. die Anhörungsbogen
(mit den bis dahin ermittelten Daten) aus und sendet das Da-
tensatzband mit diesem Inhalt an das Kraftfahrt-Bundesamt in
Flensburg zur Halterermittlung. Das Kraftfahrt-Bundesamt fügt
die Halterangaben bei und sendet das vervollständigte Daten-
satzband unmittelbar an die Firma C. zurück. Diese druckt den
nunmehr vollständiger, auch mit dem Namen der Sachbearbeiterin
und dem Datum der Fertigstellung versehenen Anhörungsbogen aus
und sendet ihn
"schon fertig einkuvertiert", an das Regie-
rungspräsidium zurück. Anschließend wird er von dort an den
Betroffenen versandt. Hierzu hat die Sachbearbeiterin ausge-
führt:
"Die Versendung der Anhörungsbögen erfolgt manuell aus
unserer Abteilung heraus im Regierungspräsidium. Die ei-
gentliche manuelle Versendung der Anhörungsbögen wird
dann weder zunächst handschriftlich in der Akte vermerkt
noch zu dem Zeitpunkt im Bildschirmterminal abgespei-
chert. Bei der Versendung der Anhörungsbögen vergleiche
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ich nicht mehr, ob die Daten auf den Anzeigen mit den Da-
ten auf den Anhörungsbögen übereinstimmen."
Das im Anhörungsbogen ausgedruckte und den Tag seiner Fer-
tigstellung bezeichnende Datum - im vorliegenden Fall
17.08.1994 - wird von der Verfolgungsbehörde zugleich als
Datum der Anordnung der Bekanntgabe gewertet. Wenn der Anhö-
rungsbogen nach vier Wochen nicht zurückgekommen ist, bringt
die Sachbearbeiterin auf dem in der Behörde verbliebenen Ex-
emplar des Anhörungsbogens dieses Datum - im vorliegenden
Fall 19.09.1994 - und ihre Unterschrift an.
2. Bei dieser Sachlage ist entgegen der Auffassung des Vertei-
digers die Verfolgung noch nicht verjährt.
Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG wird die Verfolgungsverjährung
unterbrochen (unter anderem) durch Bekanntgabe an den Betrof-
fenen, daß gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet
ist, oder durch die Anordnung der Bekanntgabe. Der Inhalt der
Bekanntgabe ist nicht näher geregelt, jedoch kann damit nur
die Mitteilung gemeint sein, welche Handlung des Betroffenen
die Verfolgungsbehörde zum Gegenstand ihres Ordnungswidrig-
keitsverfahrens machen will (Göhler OWiG 11. Aufl. § 33 Rdnr.
16). Es versteht sich von selbst, daß auch die Anordnung der
Bekanntgabe dieses Ziel haben muß. Es werden dafür aber keine
weitergehenden Voraussetzungen verlangt. Insbesondere ist
nicht erforderlich, daß die gegen den Betroffenen erhobene
Beschuldigung dem tatsächlichen Geschehen entspricht und in-
soweit eine eingehende und genaue Darstellung enthält. oder
daß der die Bekanntgabe Anordnende prüft, inwieweit der
erhobene Vorwurf tatsächlichem Geschehen entspricht; es
genügt die vertretbare Annahme eines Anfangsverdachts (Wache
in KK - OWiG vor § 53 Rdnr. 36, 64). Eine Prüfung wäre ihm -
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abgesehen von Fällen, in denen ein Polizeibeamter unmittelbar
den Verkehrsverstoß feststellt und die Maßnahme trifft - auch
nicht möglich. Das Wissen des die Bekanntgabe Anordnenden vom
Tatgeschehen beruht nicht auf eigener Wahrnehmung. Als
Grundlage für seine Anordnung steht ihm nur zur Verfügung,
was vom Meßgerät registriert und durch die Polizei in Form
einer Anzeige übermittelt wurde sowie was nach Weitergabe
dieser Information das Kraftfahrt-Bundesamt an Halterdaten
mitgeteilt hat. Das gilt auch dann, wenn die
Verfolgungsbehörde die Auskunft vom Kraftfahrt-Bundesamt
selbst anfordert und diese Daten in der eigenen EDV-Anlage
den aus dem Meßgerät erhaltenen hinzufügt. In diesem Fall ist
nicht vorausgesetzt, daß der die Bekanntgabe Anordnende die
EDV-Bearbeitung selbst vorgenommen hat oder das von dem
hierfür zuständigen Bediensteten erarbeitete Ergebnis
überprüft. Im Rahmen eines nach behördeninterner Organisation
arbeitsteilig betriebenen Verfahrens und bei Berücksichtigung
des Standes der Computer-Technik kann er das so gewonnene
Ergebnis übernehmen und dessen Mitteilung an den Betroffenen
anordnen. Das gilt selbst für den Erlaß des Bußgeldbescheids
(vgl. hierzu OLG Dresden NZV 1996, 42 und die dort angeführte
Rechtsprechung). Weitergehende Voraussetzungen für eine
wirksame Verjährungsunterbrechung können der Vorschrift des §
33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG nicht entnommen werden. Unter diesen
Umständen wäre es aber nicht zu begründen, daß an der
Übertragung bestimmter Arbeitsgänge - hier: Veranlassung des
Kraftfahrt-Bundesamts zur Vervollständigung des Daten-
satzbandes und Ausdruck der darauf festgehaltenen Daten - auf
eine zuverlässige Privatfirma die verjährungsunterbrechende
Wirkung der Anordnung scheitern soll.
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An dem Ergebnis ändert es nichts, daß das Datum der Versendung
des Anhörungsbogens durch das Regierungspräsidium nicht akten-
kundig gemacht wird. Nach dem Willen der Behörde soll der Aus-
druck des vollständigen Anhörungsbogens zugleich die Anordnung
der Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens dar-
stellen. Damit bezeichnet das im Anhörungsbogen ausgedruckte
Datum seiner Fertigstellung auch das der verjährungsunterbre-
chenden Anordnung. Eine solche Handhabung, bei der die Behörde
die von ihr veranlaßte Tätigkeit des Computers in ihren Willen
aufnimmt, ist zulässig und wirksam im Sinne des § 33 Abs. 1
Nr. 1 StPO (vgl. OLG Frankfurt VRS 50, 220; OLG Düsseldorf VRS
64, 455; Weller in KK - OWiG § 33 Rdnr. 31; Göhler a.a.O. § 33
Rdnr. 12, 46). Nach der Auffassung des Senats gilt dies auch
dann, wenn die EDV-Bearbeitung in dem hier bezeichneten Umfang
einschließlich Ausdruck des Fertigstellungs-/Anordnungsdatums
durch eine Privatfirma nach einem von der Verwaltungsbehörde
vorgegebenen Programm ausgeführt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 473
Abs. 1 Satz 1 StPO.
Freuer
Maier
Schwäble
Vors. Richter am
Richter am
Richterin
Oberlandesgericht
Oberlandesgericht