Urteil des OLG Dresden vom 28.04.2005

OLG Dresden: wiedereinsetzung in den vorigen stand, zustellung, nummer, trunkenheit, verkehr, strafverfahren, verschulden, formmangel, fürsorgepflicht, verwaltungsbehörde

Leitsatz:
1. Bei Aufnahme einer Revisions- (oder Rechtsbeschwerde-) Be-
gründung/"zu Protokoll der Geschäftsstelle/" hat der zustän-
dige Rechtspfleger die Niederschrift inhaltlich zu gestalten,
ihren Sachinhalt prüfen und hierfür die Verantwortung zu über-
nehmen. Er darf sich nicht auf die bloße Niederschrift eines
Begründungsvortrags oder auf die bloße Entgegennahme einer
vorbereiteten Rechtsmittelbegründung beschränken. Erst recht
ist eine Bezugnahme auf anliegende Schriftstücke unzulässig.
Der Rechtspfleger hat sich vielmehr an der für ihn verbindli-
chen Richtlinie Nr. 150 RistBV zu orientieren, die ihm
zugleich entsprechende Belehrungspflichten auferlegt.
2. Zur Sachkompetenz einer Strafkammer bei § 346 Abs. 1 StPO.
OLG Dresden, 2. Strafsenat, Beschluss vom 28.04.2005,
Az. 2 Ss 303/04
2
Oberlandesgericht
Dresden
2. Strafsenat
Aktenzeichen: 2 Ss 303/04
14 Ns 702 Js 28511/02 LG Dresden
Beschluss
vom 28. April 2005
in der Strafsache gegen
H
geboren am
wohnhaft
wegen Trunkenheit im Verkehr
1. Auf den Antrag des Angeklagten auf Entschei-
dung des Revisionsgerichts wird der Beschluss
des Landgerichts Dresden vom 05. April 2004
aufgehoben.
2. Dem Angeklagten wird Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist
zur Begründung der Revision gegen das Urteil
des
Landgerichts
Dresden
vom
13. November 2003 gewährt.
3. Nach Zustellung dieses Beschlusses kann die
Begründung des Rechtsmittels innerhalb einer
Woche nachgeholt werden.
4. Kosten der Wiedereinsetzung werden nicht er-
hoben.
3
G r ü n d e :
I.
Das
Amtsgericht
Dresden
hatte
den
Angeklagten
am
26. November 2002 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Ver-
kehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrer-
laubnis zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verur-
teilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
Darüber hinaus hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis
entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwal-
tungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von 24 Monaten kei-
ne neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wurde durch Ur-
teil des Landgerichts Dresden vom 13. November 2003 als un-
begründet verworfen.
Dagegen hat der Beschwerdeführer am 18. November 2003 Revi-
sion eingelegt. Die Urteilsausfertigung, die dem Beschwer-
deführer am 05. Januar 2004 zunächst formlos zugesandt wur-
de, wurde ihm am 02. März 2004 noch einmal, diesmal förm-
lich zugestellt. Bereits zuvor, am 26. Februar 2004, hatte
er seine Revision zu Protokoll der Geschäftsstelle des
Landgerichts Dresden mit Sachausführungen und einem Aufhe-
bungsantrag begründet.
Am 05. April 2004 verwarf die Strafkammer die Revision des
Angeklagten als unzulässig. Zur Begründung hat das Gericht
ausgeführt, dass dem Angeklagten das Urteil zwar bereits am
05. Januar 2004 zugesandt worden sei. Da sich aber keine
Zustellungsurkunde bei den Akten befunden habe, sei ihm das
Urteil am 02. März 2004 förmlich zugestellt worden. In der
erst damit ausgelösten Revisionsbegründungsfrist sei aller-
dings eine Revisionsbegründungsschrift nicht eingegangen,
weshalb die Revision gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig
zu verwerfen gewesen sei.
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Gegen diesen ihm am 14. April 2004 zugestellten Beschluss
hat der Angeklagte am 21. April 2004 zu Protokoll der Ge-
schäftsstelle sofortige Beschwerde eingelegt.
In einer Verfügung vom 19. April 2004 anlässlich der Akten-
übersendung an den Senat führt die Vorsitzende der Beru-
fungskammer aus, dass gegen die vor Zustellung der Urteils-
urkunde erfolgte Revisionsbegründung "Bedenken zur Zuläs-
sigkeit" bestanden hätten, weshalb mit der förmlichen Zu-
stellung der Urteilsausfertigung zugleich der Hinweis er-
folgt
sei,
"dass
die
Revisionsbegründungsfrist
von
vier Wochen erneut beginnt und die Revisionsbegründung von
einem Rechtsanwalt vorgenommen werden muss".
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, den
Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsge-
richts gegen den Beschluss des Landgerichts Dresden vom
05. April 2004 als unbegründet zu verwerfen.
II.
1. Der gemäß § 346 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte und frist-
gerecht gestellte Antrag auf Entscheidung des Revisions-
gerichts hat Erfolg. Das Landgericht hat die Revision
des Angeklagten in mehrfacher Hinsicht zu Unrecht nach
§ 346 Abs. 1 StPO verworfen.
Zum einen war die Berufungskammer für diese Entscheidung
gar nicht zuständig. Ihre Befugnis zur Verwerfung der
Revision ist nämlich auf diejenigen Fälle beschränkt, in
denen der Beschwerdeführer die für die Einlegung und Be-
gründung des Rechtsmittels vorgeschriebene Form oder
Frist nicht gewahrt hat (§ 346 Abs. 1 StPO). Ein solcher
Fall liegt ersichtlich nicht vor.
Die Revisionsbegründung vom 26. Februar 2004 war bereits
zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Dres-
den abgegeben worden, und darüber hinaus auch vor Ablauf
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der Frist des § 345 Abs. 1 StPO. Denn die Sachausführun-
gen des Revisionsführers und sein Aufhebungsantrag vom
26. Februar 2004 sind eine Revisionsbegründung, die zu
Protokoll der Geschäftsstelle - und damit zunächst der
äußeren Form entsprechend - erklärt worden war. Über ih-
re inhaltliche Zulässigkeit hat gemäß § 349 Abs. 1 StPO
der Senat als Revisionsgericht zu entscheiden.
Zum anderen war die Zustellung der Urteilsgründe am
02. März 2004 wirksam erfolgt, weshalb die Revisions-
begründungsfrist erst mit Ablauf des 01. April 2003 ge-
endet hat. Zu diesem Zeitpunkt war die Revisionsbegrün-
dung aber schon (nämlich am 26. Februar 2004) zu den Ak-
ten gelangt. Dass die Revisionsbegründung schon vor der
förmlichen Zustellung der Urteilsausfertigung erfolgte,
ist ohne Belang, da die angefochtene Entscheidung zu
diesem Zeitpunkt bereits existent und anfechtbar war.
Die Zustellung der Urteilsurkunde bewirkt nur die Been-
digung der Revisionsbegründungsfrist nach einem Monat
(nicht, wie das Landgericht meint: nach vier Wochen),
sofern sie wirksam erfolgte, § 345 Abs. 1 StPO.
2. Gleichwohl kann der Senat noch nicht entscheiden, obwohl
die Revisionsbegründung in ihrer jetzigen Form unzuläs-
sig ist. Die fristgerecht angebrachte Begründung ent-
spricht nicht der gebotenen Form, ohne dass dies aller-
dings vom Beschwerdeführer zu vertreten gewesen wäre.
Weil zwischenzeitlich die Frist abgelaufen ist, kann der
Beschwerdeführer sie auch nicht mehr nachholen.
Dem Betroffenen ist daher gemäß §§ 44 ff. StPO von Amts
wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die
Versäumung der Frist zur Begründung seiner Revision zu
gewähren.
Nach § 345 Abs. 2 StPO müssen Revisionsanträge und -
begründung in einer von dem Verteidiger oder einem
Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll
der
Geschäftsstelle
(zuständig: Rechtspfleger)
ange-
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bracht werden. Der Gesetzgeber wollte damit erreichen,
dass Anträge und Begründung von sachkundiger Seite stam-
men. Daher kann sich die Mitwirkung des Urkundsbeamten
nicht in einer bloßen Entgegennahme selbst gefertigter
Begründungsschriften eines Angeklagten oder in bloßer
Niederschrift erschöpfen. Er hat sich vielmehr an der
Begründung , den Inhalt der ab-
gegebenen Erklärung zu prüfen
(vgl. Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl.
§ 345 Rdnr. 21). Dies folgt schon aus Nummer 150 der
Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldver-
fahren (RiStBV), an welche die Justizverwaltung gebunden
ist. Danach der Rechtspfleger den Angeklagten
über die richtige Art der Revisionsrechtfertigung und
Er ist an den Wortlaut und die Form
des zur Begründung der Revision Vorgebrachten nicht ge-
bunden, wohl aber an dessen sachlichen Kern. Dabei nimmt
er in das Protokoll auch das Vorbringen auf, für das er
die Verantwortung ablehnt. Er belehrt den Angeklagten
über die sich daraus ergebenden Folgen und
. Ferner folgt aus Nummer 150
Abs. 3 RiStBV, dass eine Bezugnahme auf andere Schrift-
stücke unwirksam ist, was vor allem für handschriftliche
Erklärungen eines Beschwerdeführers gilt.
Diesen Anforderungen genügt das Aufnahmeprotokoll vom
26. Februar 2004 nicht.
Ausweislich der Niederschrift hat sich die Tätigkeit des
Urkundsbeamten ersichtlich in der bloßen Aufnahme der
Erklärung erschöpft, ohne für den Revisionsvortrag Ver-
antwortung zu übernehmen. Dies folgt vor allem aus dem
distanzierenden Vermerk, der Angeklagte habe "in der
Form auf der Aufnahme der Erklärung bestanden".
Dass der Urkundsbeamte den Angeklagten jedoch zuvor ent-
sprechend Nummer 150 RiStBV über die Unzulässigkeit die-
ser Form der Revisionsbegründung belehrt und auf die
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Stellung eines ordnungsgemäßen Antrages hingewirkt hat,
lässt sich dem Protokoll jedoch nicht, jedenfalls nicht
in ausreichendem Umfang entnehmen.
Da der Rechtspfleger bei der Aufnahme des Protokolls
seiner prozessualen Fürsorgepflicht nicht nachgekommen
ist, der Formmangel folglich auf ein amtliches Verschul-
den zurückzuführen ist, muss dem Angeklagten die Mög-
lichkeit zur Korrektur seines Vortrags durch Gewährung
von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ermöglicht
werden (vgl. BVerfG RPfl 2002, 279; OLG Koblenz VRS 75,
57; Meyer-Goßner a.a.O § 345 Rdnr. 22). Der Senat weist
auf die nachfolgende Belehrung hin.
3. Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens werden wegen des
aufgezeigten Justizverschuldens nicht erhoben, § 21 GKG.
Drath Schüddekopf Kuschel
Vorsitzender Richter Richter am Richterin am
am Oberlandesgericht Oberlandesgericht Landgericht
RinLG Kuschel ist urlaubs-
bedingt ortsabwesend und da-
her gehindert, ihre Unter-
schrift beizufügen