Urteil des OLG Dresden vom 21.01.2002

OLG Dresden: amt für jugend, prozesskosten, zwangsvollstreckung, freibetrag, urkunde, rate, prozessstandschaft, versprechen, sozialhilfe, haushalt

Oberlandesgericht Dresden
Dresden, 21. Januar 2002
22. Zivilsenat - Familiensenat -
Der Vorsitzende
22 WF 443/01
L e i t s ä t z e
zum Beschluss des 22. Zivilsenats - Familiensenat -
vom 14. Januar 2002
Bei der Prozesskostenhilfe-Berechnung sind die in § 76
Abs. 2 Nr. 5 BSHG festgelegten Beträge - nach § 115 Abs. 1
Satz 3 Nr. 1 ZPO - vom Einkommen der Partei abzusetzen. Die
sozialpolitische Zielsetzung der Einfügung des § 76 Abs. 2
Nr. 5 BSHG steht dem nicht entgegen.
Kindergeld gehört zum Einkommen i.S. des § 115 Abs. 1 Satz 2
ZPO.
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Oberlandesgericht
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Dresden
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Aktenzeichen: 22 WF 0443/01
4 F 498/01 AG Chemnitz
Beschluss
des 22. Zivilsenats - Familiensenat -
vom 14. Januar 2002
In der Familiensache
P
xxxxxxxxxx xx,
xxxxx xxxxxxxx
Antragstellerin und Beschwerdeführerin
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin xxxxxxxx xxxxxx,
xxxxxxxxxxxxx xx,
xxxxx xxxxxxxx
gegen
U
xxxxxxxxxxxxx xxx,
xxxxx xxxxxxxx
Antragsgegner
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt xxxx xxxxxxx,
xxxxxxxxxxxxxxx x,
xxxxx xxxxxxxx
wegen Ehescheidung
hier: Prozesskostenhilfe
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hat der 22. Zivilsenat - Familiensenat - des
Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx,
Richterin am Oberlandesgericht xxxxxxxxxxx und
Richter am Landgericht xxxxxxxxx
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss
des Amtsgerichtes - Familiengericht - Chemnitz vom 28. Mai
2001 in der Fassung des Beschlusses des Amtsgerichtes
- Familiengericht - Chemnitz vom 2. Juli 2001 abgeändert.
Es wird angeordnet, dass die Antragstellerin auf die
Prozesskosten monatliche Raten von 97,14 EURO, fällig
jeweils am 5. eines Monats, erstmals am 05.03.2002, an die
Landesjustizkasse Chemnitz zu zahlen hat.
Im Übrigen verbleibt es bei dem Beschluss des Amtsgerichtes
- Familiengericht - Chemnitz vom 28. Mai 2001.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die amtsgerichtliche
Entscheidung, mit welcher ihr im Rahmen der gewährten
Prozesskostenhilfe Ratenzahlungen auferlegt wurden.
Mit dem am 26.04.2001 bei dem Amtsgericht - Familien-
gericht - Chemnitz eingegangenen Antrag hat die
Antragstellerin die Scheidung der am 25.07.1987
geschlossenen Ehe der Parteien begehrt. Gleichzeitig hat sie
die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne
Ratenzahlungsverpflichtung beantragt.
Mit Beschluss vom 28.05.2001 hat das Amtsgericht - Familien-
gericht - Chemnitz der Antragstellerin Prozesskostenhilfe
bewilligt und zugleich angeordnet, dass auf die
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Prozesskosten monatliche Raten in Höhe von 755,00 DM zu
zahlen sind.
Hiergegen hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom
02.07.2001 Beschwerde eingelegt. Sie meint, dass keine
höhere Rate als 150,00 DM gerechtfertigt sei. Allenfalls
wäre unter Berücksichtigung des hälftigen Kindergeldes eine
Rate in Höhe von 190,00 DM festsetzbar.
Das Amtsgericht - Familiengericht - Chemnitz hat die
angefochtene Entscheidung mit Beschluss vom 02.07.2001
dahingehend abgeändert, dass die Antragstellerin ab 1.
September 2001 monatliche Raten von 270,00 DM auf die
Prozesskosten zu zahlen hat. Im Übrigen hat es die Sache dem
Oberlandesgericht Dresden zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der Einzelheiten wird auf das schriftsätzliche
Vorbringen und auf die zu den Gerichtsakten gereichten
Anlagen Bezug genommen.
II.
Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde ist
teilweise begründet.
1.
Gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die Partei ihr Einkommen
einzusetzen, zu welchem alle Einkünfte in Geld oder
Geldeswert gehören (§ 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Hiernach
ergibt sich Folgendes:
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1.1.
Die Antragstellerin erhält ein Unterhaltsgeld in Höhe von
(58,31 DM x 365 : 12 =) 1.773,59 DM monatlich. Das von ihr
bezogene Kindergeld, welches ab dem 01.01.2002 auf
154,00 EURO (= 301,20 DM) erhöht worden ist, ist ihr daneben
in voller Höhe als Einkommen zuzurechnen. Denn durch das am
01.01.1995 in Kraft getretene PKH-Änderungsgesetz wurde die
Prozesskostenhilfe an die sozialhilferechtlichen
Vorschriften angepasst. Die Vorschriften der §§ 115 Abs. 1
Satz 2 ZPO und 76 Abs. 1 BSHG definieren das Einkommen
dementsprechend in gleicher Weise. Unter den
Einkommensbegriff des § 76 Abs. 1 BSHG fällt aber, wie
unumstritten ist, das Kindergeld. Daher muss auch im Rahmen
des § 115 ZPO das Kindergeld demjenigen als Einkommen
zugerechnet werden, an den es gezahlt wird (vgl. OLG
Nürnberg, FamRZ 2000, 102; Zöller/Philippi, ZPO, 22. Aufl.,
§ 115, Rdnr. 19 m.w.N.).
Zum Einkommen der Antragstellerin gehört ferner das von ihr
bezogene Wohngeld in Höhe von 27,38 DM (vgl. OLG Bamberg,
FamRZ 1984, 606, 607).
1.2.
Von den Einkünften der Antragstellerin in Höhe von insgesamt
(1.773,59 DM + 301,20 DM + 27,38 DM =) 2.102,17 DM sind
folgende Positionen abzuziehen:
- Freibetrag gemäß § 115 Abs. 1
Satz 3 Nr. 2 ZPO in Höhe von 353,00 EURO =
690,41 DM
- Betrag für das minderjährige Kind
Fxxxxxxxx gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3
Nr. 1 ZPO i.V.m. § 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG
20,00 DM
- Kosten für Unterkunft und Heizung
gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO
731,26 DM
- Versicherungsbeiträge gemäß § 115
Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO
65,14 DM
insgesamt
1.506,81 DM
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1.2.1.
Der Abzug eines Freibetrages für das Kind Fxxxxxxxx hat zu
unterbleiben, da der Vater und Antragsgegner ausweislich der
vor dem Amt für Jugend und Familie der Stadt Chemnitz
errichteten Urkunde über die Verpflichtung zur
Unterhaltsleistung vom 08.02.2001 (Urkunden-Reg.-Nr.
2001/375) an seine Tochter Unterhalt in Höhe von 117,4 % des
jeweiligen Regelbetrages zu zahlen hat und dieser Betrag
über den Freibetrag von nunmehr 248,00 EURO hinausgeht. Dem
steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner seinen
Zahlungsverpflichtungen tatsächlich nicht in voller Höhe
nachkommt. Das Familiengericht hat in seinem
Abhilfebeschluss vom 02.07.2001 zu Recht darauf hingewiesen,
dass es der Antragstellerin zumutbar ist, aus der vorstehend
genannten Urkunde wegen der offenen Unterhaltsbeträge in
Prozessstandschaft (§ 1629 Abs. 3 BGB) die
Zwangsvollstreckung zu betreiben. Dass eine
Zwangsvollstreckung keinen Erfolg versprechen würde, ist
weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Es kann daher
nicht zu Lasten der Staatskasse gehen, wenn die
Antragstellerin von der Möglichkeit einer
Zwangsvollstreckung bislang keinen Gebrauch gemacht hat.
1.2.2.
Dagegen war der Kinderfreibetrag des § 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG
von monatlich 20,00 DM für das minderjährige Kind der
Antragstellerin zu berücksichtigen. Dem steht nicht
entgegen, dass diese Norm durch das Gesetz zur
Familienförderung vom 22.12.1999 (BGBl. I, S. 2552) allein
deswegen neu geschaffen wurde, damit die zum 01.01.2000
wirksam gewordene Familienförderung durch die
Kindergelderhöhung für das erste und das zweite Kind auch
Familien mit minderjährigen Kindern erreichen kann, die
Sozialhilfe erhalten (vgl. hierzu
Oestreicher/Schelter/Kunz/Decker, Bundessozialhilfegesetz,
§ 76,Rdnr. 39; Schwab, Zeitschrift für das Fürsorgewesen -
ZfF 2000, 59). Denn - unabhängig von dieser
sozialpolitischen Zielsetzung - bestimmt § 115 Abs. 1 Satz 2
Nr. 1 ZPO ohne jede Einschränkung, dass die in § 76 Abs. 2,
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2 a BSHG bezeichneten Beträge vom Einkommen der Partei
abzusetzen sind. Der Gesetzgeber hat weder nach Erlass der
Vorschrift des § 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG noch im Zusammenhang
mit der Zivilprozessreform Anlass gesehen, den
Kinderfreibetrag von den abzugsfähigen Beiträgen auszunehmen
oder die Abzugsfähigkeit nur für Sozialhilfeempfänger mit
Kindern anzuordnen. Nach dem sich aus dem Wortlaut des § 115
Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO ergebenden objektivierten Willen des
Gesetzgebers ist daher der Abzug des
(sozialhilferechtlichen) Kinderfreibetrages des § 76 Abs. 2
Nr. 5 BSHG im Prozesskostenhilfeverfahren nicht auf
Sozialhilfeempfänger zu begrenzen, sondern in allen Fällen
vorzunehmen, in denen minderjährige Kinder im Haushalt
vorhanden sind (so im Ergebnis auch Musielak/Fischer, ZPO,
2. Aufl., § 115, Rdnr. 18 a.E.).
1.3.
Nach Abzug des Betrages von 1.506,81 DM von den
Gesamteinkünften in Höhe von 2.102,17 DM verbleibt ein für
Prozesskosten einzusetzendes Einkommen von (gerundet)
595,00 DM. Damit ist die Antragstellerin nach der zum
Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung (s. § 26 Nr. 4
EGZPO) geltenden Tabelle zu § 115 Abs. 1 ZPO in der Lage, in
monatlichen Raten von 190,00 DM zu den Prozesskosten
beizutragen. Umgerechnet in die EURO-Einheit (s. § 26 Nr. 11
EGZPO) entspricht dies einem Betrag von 97,14 EURO
monatlich.
2.
Eine Gebühr für die Beschwerde, soweit sie ohne Erfolg
geblieben ist, wird nicht erhoben (KV Nr. 1952, Anlage 1 zu
§ 11 Abs. 2 GKG). Gemäß § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten
des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.
xxxxxx
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