Urteil des OLG Dresden vom 06.06.2002

OLG Dresden: wirtschaftliche leistungsfähigkeit, bekanntmachung, rechtsverletzung, rügeobliegenheit, versicherung, offenkundig, transparenz, gefahr, behandlung, abrede

WVerg 0004/02
Leitsatz zu dem Beschluss vom 06.06.2002
1.
Ein Nachprüfungsantrag genügt nur dann dem Begründungs-
erfordernis des § 108 Abs. 2 GWB, wenn er in zumindest
laienhafter Darstellung die Indizien und tatsächlichen
Anhaltspunkte
aufzeigt,
die
den
Antragsteller
zu
dem
Schluss
bewogen
haben,
die
Vergabestelle
habe
sich
rechtswidrig verhalten.
2.
Im Unterschied zur Rügeobliegenheit unterliegt der Nach-
prüfungsantrag
nicht
den
Ausschlussfristen
des
§
107
Abs. 3 GWB. Er ist in zeitlicher Hinsicht bis zur Grenze
rechtsmissbräuchlichen Verhaltens zulässig.
2
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Oberlandesgericht
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Dresden
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Aktenzeichen: WVerg 0004/02
Verkündet am 06.06.2002
1/SVK/23-02 1. Vergabekammer
Die Urkundsbeamtin
Sachsen
K.
Justizsekretärin
Beschluss
des Vergabesenats
In dem Vergabenachprüfungsverfahren
xxxxxxxxx
xxxxxxxxxxx xx,
xxxxx xxxxxxx
Antragsstellerin und Beschwerdegegnerin
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx,
xxxxxxxxstraße x,
xxxxx xxxxxxx
gegen
Krankenhaus xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
vertr. d.d. Verwaltungsdirektorin,
xxxxxxxxxstraße xx,
xxxxx xxxxxxx
Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte xxxxxxxxxxxxxxx
xxxxxxxx,
xxxxxxxxxxxxxx x,
xxxxx xxxxxxxxxxxx
3
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund
der mündlichen Verhandlung vom 06.06.2002 durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B.,
Richter am Oberlandesgericht P. und
Richter am Landgericht M.
beschlossen:
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 23.04.2002 gegen
den Beschluss der 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen
vom 10.04.2002 - 1/SVK/23-02 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgeg-
nerin.
Gründe:
I.
Die
Vergabestelle,
ein
Eigenbetrieb
der
Landeshauptstadt
Dresden, schrieb - nach einer am 09.03.2001 veröffentlichten
entsprechenden
Vorabinformation
-
unter
dem
06.09.2001
im
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften zum beabsichtigten
Neubau
eines
Klinikgebäudes
("Interdiziplinäres
operatives
Zentrum") im Krankenhaus D.-F. Architektenleistungen, nämlich
(nach Losen getrennt) die Gebäude- und Tragwerksplanung im
Verhandlungsverfahren nach VOF mit vorangehendem Teilnehmer-
wettbewerb
aus.
Ausweislich
der
Bekanntmachung
(Ziffer 6)
sollten sechs Bewerber zur Angebotsabgabe aufgefordert wer-
den. Die Teilnehmer hatten mit den Angaben zu ihrer finan-
ziellen
und
wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit
u.a.
den
"Nachweis einer Berufshaftpflicht mit ausreichender Deckung"
zu
erbringen.
An
anderer
Stelle
des
Bekanntmachungstextes
wird die Mindestdeckungssumme für Personenschäden und sonsti-
ge Schäden mit jeweils 3 Mio DM angegeben. Darüber hinaus
enthielt die Vergabebekanntmachung, auf deren Ziffer 12 wegen
der Einzelheiten insoweit Bezug genommen wird, eine Reihe von
so bezeichneten "Mindestbedingungen" zur fachlichen Eignung
der Bewerber. Zum Schlusstermin für den Eingang der Teilnah-
meanträge
(05.10.2001)
lagen
der
Vergabestelle
45 Bewerbungen, darunter die der Antragstellerin, vor. Diese
4
hatte ihren Unterlagen eine Bescheinigung ihres Berufshaft-
pflichtversicherers beigefügt, aus der für sonstige Schäden
eine Deckungssumme von (nur) 2 Mio DM hervorging, und dazu
mit ihrem Angebotsschreiben darauf hingewiesen, sie werde für
den
Fall
der
Auftragserteilung
eine
Exzedentenversicherung
abschließen, um den geforderten Deckungsumfang zu erreichen.
Auf Nachfrage der Antragstellerin teilte eine Mitarbeiterin
der Vergabestelle ihr etwa 14 Tage nach dem Schlusstermin te-
lefonisch mit, sie sei im engeren Bewerberkreis, ein Einla-
dungsschreiben zu Gesprächen folge gegebenenfalls bis Ende
Oktober 2001; diese Auskunft beruhte auf einer internen Vor-
auswertung
der
Teilnahmeanträge
durch
die
Abteilung
Bau/Invest. der Vergabestelle, als deren Ergebnis eine Aus-
wertungsliste vom 09.10.2001 erstellt worden war, in der die
Antragstellerin neben fünf weiteren Büros ohne weitere Be-
gründung "markiert" war. Tatsächlich kam es nicht zu Verhand-
lungsgesprächen
mit
der
Antragstellerin.
Stattdessen
be-
schloss die Vergabestelle auf Betreiben des Stadtplanungsam-
tes der Landeshauptstadt Anfang Dezember 2001, das geplante
Vorhaben auf der Basis eines beschränkten Wettbewerbs durch-
zuführen; zu diesem Zweck sollten aus den vorliegenden Teil-
nehmeranträgen 10 "Favoriten" ausgewählt werden, unter denen
wiederum "im Auswahlverfahren die besten sechs zu bestimmen"
wären (vgl. Protokoll vom 05.12.2001). Der Antragstellerin
wurde - wiederum telefonisch - mitgeteilt, das Verhandlungs-
verfahren müsse aufgehoben werden.
Mitte Dezember 2001 legte ein von der Vergabestelle hiermit
beauftragtes Ingenieurbüro zur Vorbereitung der Teilnehmer-
auswahl für das Los "Gebäudeplanung" eine Auswertung der ur-
sprünglichen Teilnahmeanträge vor, die beim Angebot der An-
tragstellerin unstreitig vorhandene Nachweisunterlagen, u.a.
zur Berufshaftpflichtversicherung, mit "nicht benannt" kenn-
zeichnete; im Übrigen enthielt die Liste informatorische An-
gaben zu einzelnen Eignungskriterien, eine Spalte "Vorausset-
zung erfüllt (ja/nein)" und eine Spalte "Vorauswahl" des In-
genieurbüros, aber weder eine konkrete wertende Beurteilung
der einzelnen Teilnahmeanträge anhand eines Bewertungs- und
5
Auswahlkonzepts noch ein solches Konzept überhaupt. Auf die-
ser Grundlage kam es am 18.12.2001 unter Beteiligung der Ver-
gabestelle und des vorgenannten Ingenieurbüros sowie von Mit-
arbeitern
der
Landeshauptstadt
zu
einer
Entscheidung
für
sechs in erster Linie für den angestrebten Wettbewerb anzu-
sprechende Bewerber, zu denen die Antragsteller nicht zählte.
Wegen der Einzelheiten des Auswahlvorgangs wird auf die Fest-
stellungen
des
angefochtenen
Beschlusses
verwiesen;
danach
sind in die Auswahlentscheidung u.a. Kriterien wie die "Be-
kanntheit" (des Bewerbers) und "Erfahrung der Stadt mit Be-
werbern" eingeflossen, die unstreitig aus den Vergabeunterla-
gen nicht ersichtlich waren.
Mit Schreiben vom 18.01.2002 teilte die Vergabestelle der An-
tragstellerin auf deren erneute Nachfrage ohne weitere Be-
gründung mit, sie sei betreffend das Los "Gebäudeplanung" für
die Vergabe der weiteren Planungsleistungen nicht berücksich-
tigt worden; eine entsprechende Information hatte die Antrag-
stellerin bereits unmittelbar zuvor telefonisch erhalten. Ge-
gen die ihr am 21.01.2002 zugegangene schriftliche Mitteilung
wandte sich die Antragstellerin mit einem Schreiben vom glei-
chen Tage an die Vergabestelle und beanstandete eine Verlet-
zung des Transparenz- und Gleichbehandlungsgebots, da der In-
halt des Absageschreibens mit den - nochmals im Einzelnen
dargestellten - mündlich vorab erteilten Zwischeninformatio-
nen nicht in Einklang zu bringen sei; daran knüpfte die An-
tragstellerin unter Hinweis auf die Begründungslosigkeit des
Absageschreibens im Übrigen eine Reihe von konkreten Fragen
zum Stand des Vergabeverfahrens, insbesondere zum Zusammen-
hang zwischen dem ausgeschriebenen Verhandlungsverfahren ei-
nerseits und dem in Rede stehenden Architektenwettbewerb an-
dererseits sowie zu den Kriterien, nach denen die Auswahl des
"engeren Bewerberkreises" erfolgt sei.
Die
Vergabestelle
verwies
in
ihrem
Antwortschreiben
vom
23.01.2002 (Bl. 14 Akten der Vergabekammer) darauf, dass das
Verhandlungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei und die
sechs Bewerber "anhand folgender Kriterien zu weiteren Ver-
handlungen ausgewählt" worden seien:
6
"Finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, ins-
besondere Gesamtumsatz der vergangenen drei Jahre, Büroka-
pazitäten, technische Ausstattung des Büros; Erfahrungen
und Referenzen im Krankenhaus; Verfügbarkeit vor Ort."
In einem persönlichen Gespräch zwischen der Antragstellerin
und dem Leiter der Abteilung Bau/Invest der Vergabestelle vom
24.01.2002 wurden diese Kriterien nochmals erörtert, wobei
die Antragstellerin ausdrücklich erklärte, sie sei mit dieser
Vorgehensweise
nicht
einverstanden.
Eine
weitere
Reaktion
seitens der Vergabestelle erfolgte nicht, vielmehr betrieb
sie mit den sechs von ihr ausgewählten Büros den Architektur-
wettbewerb zur Gebäudeplanung zunächst weiter.
Unter dem 06.03.2002 beantragte die Antragstellerin die Nach-
prüfung des Vergabeverfahrens vor der Vergabekammer. Ihrem
Antragsschriftsatz
waren
u.a.
der
Ausschreibungstext,
ein
Auszug ihrer Bewerbung sowie die oben genannten Schreiben vom
18., 21. und 23.01.2002 beigefügt. Die hierauf bezugnehmende
Antragsbegründung schildert die diversen mündlichen Zwischen-
informationen der Vergabestelle und rügt, die davon abwei-
chende Auswahlentscheidung sei von einer objektiven Bewertung
der Teilnahmeanträge weit entfernt. Konkret beanstandet die
Antragsbegründung u.a. den Wechsel der Form des Vergabever-
fahrens (vom Verhandlungsverfahren zum Wettbewerb) und die
Verwendung von anderen Auswahlkriterien (laut Schreiben der
Vergabestelle vom 23.01.2002) als zuvor veröffentlicht.
Die Vergabekammer hat mit dem angefochtenen Beschluss dem
Nachprüfungsbegehren stattgegeben und festgestellt, dass die
Antragstellerin in ihren Rechten verletzt sei. Der Vergabe-
stelle
wird
aufgegeben,
den
ausgelobten
Planungswettbewerb
aufzuheben und die Teilnahmeanträge im Verhandlungsverfahren
zum Los "Gebäudeplanung" unter Beachtung der Rechtsauffassung
der Vergabekammer neu zu bewerten.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Vergabe-
stelle bleibt ohne Erfolg.
7
II.
Die Beschwerde ist unbegründet. Die Vergabekammer hat den
streitgegenständlichen Nachprüfungsantrag mit Recht als zu-
lässig und begründet angesehen.
1. Dabei geht der Senat davon aus, dass der als Feststel-
lungsantrag formulierte Antrag zu 2) der Beschwerdeführe-
rin der Sache nach das Begehren zum Ausdruck bringen soll,
den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
Für
eine
gegebenenfalls
davon
abweichende
Feststellung,
dass die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt
sei,
ist
verfahrensrechtlich
kein
Raum.
Eine
"Fortset-
zungsfeststellungslage", wie sie § 114 Abs. 2 S. 2 GWB für
die
dort
geregelte
Feststellungsmöglichkeit
voraussetzt,
liegt offenkundig nicht vor. Der Wortlaut des Beschwerde-
antrags lässt die Vermutung offen, die Beschwerdeführerin
wolle damit Rechte nach Art einer Widerklägerin verfolgen;
auch mit einer solchen Zielrichtung wäre der Antrag, wört-
lich genommen, indes schon deshalb unzulässig, weil er im
Ergebnis über die Negierung des streitbefangenen Nachprü-
fungsanspruchs nicht hinausgeht. Mit diesem sachlichen In-
halt aber ist der Antrag (jedenfalls) unbegründet, so dass
der Senat weitergehenden Zweifeln, die die Antragsformu-
lierung aufwerfen mag, letztlich nicht nachgehen muss.
2. Denn dass das Nachprüfungsbegehren der Antragstellerin in
der Sache berechtigt ist, stellt die Beschwerde selbst -
mit Recht - nicht in Abrede. Dabei mag es durchaus sein,
dass die sechs von der Vergabestelle ausgewählten Büros
für die weitere Führung von Verhandlungsgesprächen bzw.
die Durchführung des nunmehr beabsichtigten Planungswett-
bewerbs
tatsächlich
die
leistungsstärksten
Bewerber
aus
dem ursprünglichen Teilnehmerfeld darstellten; für einen
außenstehenden Dritten wie für den Senat auch nur im An-
satz nachvollziehbar und damit für die Zwecke dieses Nach-
prüfungsverfahrens feststellbar ist dies indes nicht.
8
Es ist nämlich schon nicht erkennbar, dass die Vergabe-
stelle die in der Bekanntmachung mitgeteilten Auswahlkri-
terien vollständig, aber auch hierauf beschränkt in ein in
sich stimmiges Wertungskonzept einbezogen und dieses dann
auf die eingegangenen Bewerbungen angewandt hätte. Dass
die Vergabestelle vielmehr in ihre Entscheidung auch den
Bietern nicht zuvor bekannt gemachte Kriterien hat ein-
fließen lassen, ergibt sich exemplarisch allein daraus,
dass sie ausweislich der Feststellungen der Vergabekammer
die Bekanntheit der Bewerber und die bei der Landeshaupt-
stadt Dresden mit diesen gemachten Erfahrungen berücksich-
tigt hat. Umgekehrt finden etwa die im Ausschreibungstext
ausdrücklich
geforderten
Erfahrungen
mit
deutschem
bzw.
sächsischem Bau- und Fördermittelrecht als eigenständiges
Auswahlkriterium
nirgends
Erwähnung;
wenn
überhaupt,
so
haben diese Erfahrungen allenfalls mit dem im Schreiben
vom 23.01.2002 benannten - umfassenderen - Kriterium "Er-
fahrungen im Krankenhaus" (?) Beachtung gefunden, welches
wiederum so (ungeachtet der Frage, ob damit, was allein
sachgerecht gewesen wäre, Erfahrungen in Planung und Bau
von Krankenhäusern oder etwas anderes gemeint war) im Text
der Bekanntmachung nicht auftaucht. Bei der Bewertung der
vorgelegten
Referenzen
hat
sich
die
Beschwerdeführerin,
wie die Vergabekammer ebenfalls festgestellt und die Be-
schwerde nicht angegriffen hat, überdies nicht auf Vorha-
ben der letzten drei Jahre beschränkt, sondern entgegen
dem Ausschreibungstext auch länger zurückliegende Objekte
einbezogen.
Ungeachtet derartiger Mängel im Detail krankt die Vergabe-
entscheidung der Beschwerdeführerin aber generell daran,
dass sie überhaupt nicht erkennen lässt, auf welchen sie
tragenden konkreten Erwägungen sie beruht. Sie erschöpft
sich vielmehr, soweit für den Senat ersichtlich, in einer
Summe von Einzelentscheidungen, mit denen bestimmte Teil-
nehmer "gesetzt", "abgesetzt" und "zugesetzt" worden sind,
ohne dass deutlich wird, warum die Beschwerdeführerin zu
der jeweiligen Einschätzung des Bieters gelangt ist. Eine
solche Transparenz ist aber vergaberechtlich auch geboten,
9
wenn man der Vergabestelle einen Bewertungsspielraum hin-
sichtlich der Eignung von Bewerbern zubilligt; denn auch
dann muss klar sein, nach welchen Maßstäben dieser Spiel-
raum ausgefüllt wird und mit welchem Ergebnis diese Maß-
stäbe auf die einzelne Bewerbung angewandt worden sind.
Dazu reichen pauschale Stellungnahmen des Inhalts, man ha-
be bestimmte Büros "als leistungsstark angesehen" und an-
dere eben nicht, so dass die Teilnehmerauswahl insgesamt
"nachvollziehbar" gewesen sei, wie sie die Beschwerdefüh-
rerin bis ins Nachprüfungsverfahren hinein ausschließlich
abgegeben hat, offenkundig nicht aus.
3. Die Beschwerde beschränkt sich demgemäß auch darauf zu be-
anstanden, die Antragstellerin könne sich auf welche Ver-
gabeverstöße in der Sache auch immer nicht zulässigerweise
berufen, weil ihre das Nachprüfungsverfahren einleitende
Antragsschrift nicht den gesetzlichen Anforderungen ent-
spreche und es ihr überdies nach Maßgabe von § 107 Abs. 2
GWB an der Antragsbefugnis fehle. In beiden Punkten teilt
der Senat die Auffassung der Beschwerdeführerin nicht.
a) Der Nachprüfungsantrag ist nicht etwa deshalb unzuläs-
sig gewesen, weil er entgegen § 108 Abs. 2 GWB nicht
ausreichend begründet gewesen wäre. Ein zulässiger An-
trag
erfordert
danach
als
Sachentscheidungsvorausset-
zung
unter
anderem
die
Beschreibung
der
behaupteten
Rechtsverletzung
und
des
dieser
zugrunde
liegenden
Sachverhalts einschließlich der verfügbaren Beweismit-
tel; dem wird die Antragsschrift vom 06.03.2002 ein-
schließlich der dazu als Anlage vorgelegten Unterlagen
im Ergebnis gerecht.
Bei der Auslegung des § 108 Abs. 2 GWB dürfen die An-
forderungen an den Bieter nämlich nicht überspannt wer-
den. Grundsätzlich teilt der Senat die Auffassung des
OLG Koblenz (Beschluss vom 10.08.2000, 1 Verg 2/00,
NZBau 2000, 534, 536), dass ein Antrag den gesetzlichen
Mindestanforderungen nicht entspricht, wenn es an einer
verständlichen Sachverhaltsschilderung völlig fehlt und
10
nur die abstrakte Möglichkeit einer Rechtsverletzung in
den Raum gestellt wird. Wie konkret die Beanstandungen
des Bieters sein müssen, um diese Hürde zu überwinden,
bestimmt sich aber - je nach den Umständen des Einzel-
falls - wesentlich auch danach, welche Kenntnisse der
Bieter bezüglich der gerügten Vergabeverstöße hat oder
auch nur haben kann.
Danach muss der Bieter jedenfalls alle entscheidungser-
heblichen Tatsachen vortragen, die aus seiner eigenen
Sphäre
stammen
(Boesen,
Kommentar
zum
Vergaberecht
2000, § 108 GWB Rn. 21). Deutlich geringer sind demge-
genüber seine Darlegungsobliegenheiten, wenn es um Ver-
gabeverstöße geht, die sich ausschließlich in der Sphä-
re der Vergabestelle abspielen (Byok in: Byok/Jaeger,
Vergaberecht 2000, § 108 GWB Rn. 692); denn von solchen
Umständen, etwa aus dem Bereich der Angebotswertung,
hat der Bieter typischerweise keine Kenntnis und kann
sie bei gewöhnlichem Verfahrensverlauf auch nicht ha-
ben; infolgedessen kann ihm nicht generell abverlangt
werden,
hierzu
konkrete
Behauptungen
aufzustellen.
Gleichwohl steht es dem Bieter, zumal wenn sich seine
Beanstandung
auf
Fehler
der
letztgenannten
Art
be-
schränkt, nicht frei, insoweit auf eine Sachverhalts-
darstellung völlig zu verzichten. Er darf sich vielmehr
auch dann nicht auf bloße Vermutungen oder die pauscha-
le
Einschätzung,
mit
der
Behandlung
seines
Angebots
"sei etwas nicht in Ordnung", beschränken, sondern muss
- gegebenenfalls in laienhafter Darstellung - diejeni-
gen Indizien und tatsächlichen Anhaltspunkte vorbrin-
gen, die ihn zu dem Schluss bewogen haben, die Vergabe-
stelle habe sich rechtswidrig verhalten. Ohne jede Fak-
tenkenntnis
ist
die
Darlegung
eines
Vergabeverstoßes
nicht möglich. Alles andere liefe letztlich auf die Zu-
lassung
eines
im
Ergebnis
begründungslos
"ins
Blaue
hinein" gestellten Antrags hinaus, was mit den Formu-
lierungen des Gesetzes, das in § 108 Abs. 2 GWB von
"Sachverhalt" und "Beweismitteln" spricht und damit e-
ben auf Fakten zielt (vgl. Marx in: Beck'scher VOB-
11
Kommentar Teil A, 2001, §§ 107, 108 GWB Rn. 18), erst
recht nicht vereinbar wäre und auch mit den gesetzgebe-
rischen Zielen der Vergabenachprüfung nicht in Einklang
stände.
Hieran gemessen ist das Nachprüfungsbegehren der An-
tragstellerin vom 06.03.2002 hinreichend begründet und
erfüllt damit die Sachentscheidungsvoraussetzungen. Der
Antragsschriftsatz lässt unter Einbeziehung der beige-
fügten Anlagen deutlich erkennen, dass Gegenstand der
Beanstandung jedenfalls auch eine behauptete Abwendung
der
Vergabestelle
vom
beabsichtigten
Verhandlungsver-
fahren hin zu einem Planungswettbewerb und die Verwen-
dung von Auswahlkriterien im Teilnahmewettbewerb waren,
die nicht den zuvor bekannt gemachten entsprachen. Zu
dieser Rüge bestand aus Sicht der Antragstellerin, wor-
auf ihr Nachprüfungsantrag auch ausdrücklich hinwies,
umso mehr Veranlassung, als der Fortgang des Vergabe-
verfahrens wie auch das Ergebnis der Auswahlentschei-
dung vom 18.12.2001 im Widerspruch zu früheren mündli-
chen
Zwischeninformationen
der
Vergabestelle
standen
und zu keinem Zeitpunkt gegenüber der Antragstellerin
auch nur im Ansatz nachvollziehbar erläutert worden wa-
ren. Aus dem Kontext des Antragsschriftsatzes ergibt
sich mithin unter konkreter Benennung der vorgenannten
Unstimmigkeiten,
dass
die
Antragstellerin
den
danach
unverständlichen
Auswahlprozess
und
ihre
Nichtberück-
sichtigung
bei
der
Teilnehmerauswahl
beanstanden
und
dies
korrigiert
wissen
wollte.
Zu
exakteren
Angaben
hinsichtlich der gerügten Rechtsverletzung war die An-
tragstellerin angesichts der Tatsache, dass die Verga-
bestelle eine plausible, d.h. auch für Dritte verständ-
liche Wertung gar nicht durchgeführt hatte, weder ver-
pflichtet noch überhaupt in der Lage.
b) Der Nachprüfungsantrag ist auch nicht etwa deshalb un-
zulässig gewesen, weil er erst am 06.03.2002, d.h. etwa
6 Wochen, nachdem die Antragstellerin von ihrem Schei-
tern in der Bewerberauswahl erfahren hatte, eingereicht
12
worden ist. Denn der Antrag an die Vergabekammer unter-
liegt im Gegensatz zur Rügeobliegenheit des § 107 Abs.
3 GWB grundsätzlich keinen zeitlichen Ausschlussfris-
ten. Es bedarf ihrer auch nicht, weil die tatsächlichen
Gegebenheiten eines Vergabeverfahrens, insbesondere die
Gefahr des anderweitigen Zuschlags, einen auf Vergabe-
rechtsschutz angewiesenen Bieter ohnehin zur Eile drän-
gen (vgl. Jaeger, NZBau 2001, 296 f. im Anschluss an
KG, NZBau 2000, 531, 532). Das Thema der Rügepräklusion
greift die Beschwerde aber selbst nicht mehr auf, nach-
dem die Vergabekammer die zuvor von der Antragsgegnerin
vorgebrachten
Bedenken
gegen
die
am
21./24.01.2002
wirksam und rechtzeitig erhobenen Rügen der Antragstel-
lerin mit Recht zurückgewiesen hatte. Wenn die Vergabe-
stelle einer solchen Rüge nicht entspricht, sondern das
Vergabeverfahren unverändert fortsetzt, ergibt sich -
bis zur Grenze rechtsmissbräuchlicher Verwirkung, für
deren Überschreitung hier nichts ersichtlich ist - aus
dem Gesetz kein Anhaltspunkt dafür, die verzögerte Ein-
leitung eines Nachprüfungsverfahrens allein wegen des
zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufs für unzuläs-
sig zu halten (so auch Jaeger a.a.O.).
c) Der Antragstellerin fehlte es auch nicht an der An-
tragsbefugnis; es steht nämlich keineswegs fest, dass
die
Antragstellerin
auch
bei
vergaberechtskonformem
Auswahlverhalten
der
Antragsgegnerin
keine
Zuschlags-
chance gehabt hätte (vgl. zu § 107 Abs. 2 GWB etwa den
Senatsbeschluss vom 29.05.2001, WVerg 3/01; OLG Düssel-
dorf, Beschluss vom 08.05.2002, Verg 4/02). Das folgt
weder aus einem etwa fehlenden Nachweis einer ausrei-
chenden Berufshaftpflichtversicherung der Antragstelle-
rin noch daraus, dass sie ausweislich einer nachträgli-
chen, mit der Beschwerdebegründung erstmals vorgelegten
(fiktiven) Auswahlwertung durch die Vergabestelle nur
auf den 8. Platz des Bewerberrankings (bei sechs auszu-
wählenden Bewerbern) gelangt wäre.
13
Zwar trifft es zu, dass die Antragstellerin mit ihrem
Angebot eine Bescheinigung ihres Berufshaftpflichtver-
sicherers vorgelegt hat, aus der sich ergab, dass die
Versicherung
für
sonstige
Schäden
die
mit
der
Aus-
schreibung
geforderte
Deckungssumme
nicht
erreichte.
Die Antragstellerin hat aber zugleich den Abschluss ei-
ner Exzedentenversicherung angeboten, mit der die Un-
terdeckung
behoben
worden
wäre.
Dieses
anfängliche
Nachweisdefizit hätte schon deshalb nicht zwingend zum
Ausschluss
des
Teilnahmeantrags
der
Antragstellerin
führen müssen, weil § 12 Nr. 2 VOF dem Auftraggeber
ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, geforderte, aber
nicht beigebrachte Nachweise zur finanziellen und wirt-
schaftlichen Leistungsfähigkeit der Bewerber (darunter
auch den Nachweis entsprechender Berufshaftpflichtver-
sicherungsdeckung, vgl. § 12 Nr. 1 a VOF) durch Vorlage
anderer geeigneter Belege ersetzen zu lassen. Danach
spricht viel dafür, dass es aus Sicht der Vergabestelle
zumindest zulässig gewesen wäre, der Angabe zu einer
bestehenden Versicherung die Erklärung des Bieters über
eine - offenbar im vorliegenden Fall ohne jede Probleme
-
abzuschließende
Exzedentenversicherung
zur
Erhöhung
der
Deckungssumme
zunächst
gleichzustellen
und
den
Nachweis
der
erfolgten
Ergänzung
des
Versicherungs-
schutzes nachreichen zu lassen. In ihrem tatsächlichen
Vergabeverhalten ist die Beschwerdeführerin sogar noch
darüber hinaus gegangen; sie hat nämlich nicht nur bei
der Antragstellerin, sondern bei allen (sogar im Aus-
wahlprozess erfolgreichen) Bietern auch gänzlich feh-
lende Angaben zu den Versicherungsverhältnissen gerade
nicht
zum
Anlass
von
Wertungsausschlüssen
genommen,
sondern sich ausdrücklich und bis in das Nachprüfungs-
verfahren vor der Vergabekammer hinein (vgl. Schrift-
satz vom 15.03.2002 Seite 12, Bl. 103 Akten der Verga-
bekammer) darauf berufen, dass die fehlenden Unterlagen
hätten nachgereicht werden können. Das diente zwar zu-
nächst
nur
der
Verteidigung
der
eigenen
Auswahlent-
scheidung zu Gunsten anderer Bewerber und der Bemänte-
lung der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin die von
14
der
Antragstellerin
vorgelegten
Nachweise
irrtümlich
überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hatte; es ändert
aber nichts daran, dass die Beschwerdeführerin sich an
dieser
Verfahrensweise
jedenfalls
insoweit
festhalten
lassen muss, als es ihr rechtlich möglich war, sich er-
gänzende Nachweisunterlagen vorlegen zu lassen, so dass
sie sich nicht nachträglich darauf berufen kann, der
Antragstellerin fehle es schon an der Antragsbefugnis,
weil sie wegen eines ursprünglich unzureichenden Versi-
cherungsnachweises aus der Wertung von vornherein hätte
ausgeschlossen werden müssen.
Auch die mit der Beschwerdebegründung vorgenommene Neu-
bewertung der Teilnahmeanträge mit dem Ergebnis, dass
die Antragstellerin nur auf den 8. Bewertungsplatz ge-
langt sei, führt nicht zu einer Verneinung ihrer An-
tragsbefugnis im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB. Denn die-
ses Bewertungsresultat, bei dem die Antragstellerin 70
von 100 möglichen Punkten erhielt, erlaubt nicht den
Schluss, dass sie damit a priori keine Aussicht auf ei-
ne
Beteiligung
am
eigentlichen
Verhandlungsverfahren
gehabt hätte. Dies gilt schon deshalb, weil die beiden
in dieser nachgeholten Auswertung vor ihr auf den Plät-
zen
6
und
7
platzierten
Bieter
mit
jeweils
72 Wertungspunkten
nur
einen
minimalen
Vorsprung
vor
der Antragstellerin hatten, der sich schon durch für
sich gesehen unerhebliche Verschiebungen in einem ein-
zigen Wertungssegment (vgl. Anlage 9 zur Beschwerdebe-
gründung) umkehren ließe. Angesichts dieses geringfügi-
gen Abstands lässt sich nicht mit der erforderlichen
Gewissheit feststellen, dass die Antragstellerin auch
in einem realen Auswahlverfahren auf der Grundlage der
jetzt
angewandten
Auswahlkriterien
chancenlos
hätte
sein
müssen
und
dass
ihr
deshalb
schon
das
Rechts-
schutzbedürfnis für ein zulässiges Nachprüfungsbegehren
fehle.
15
Nach alledem ist die sofortige Beschwerde der Vergabe-
stelle mit der sich aus einer entsprechenden Anwendung
von § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zu ihren
Lasten zurückzuweisen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird gemäß
§ 12 a Abs. 2 GKG auf 101.049,14 Euro festgesetzt.