Urteil des OLG Dresden vom 14.03.2017

OLG Dresden: umkehr der beweislast, operation, einwilligung des patienten, anhörung, behandlungsfehler, versorgung, fraktur, eingriff, empfehlung, klinikum

Leitsatz:
1.
Ein Anscheinsbeweis zugunsten des Patienten, eine nach der
Operation aufgetretene Nervenläsion sei auf einen Behand-
lungsfehler bei einer operativen Vorsorgung der distalen
Spiralfraktur zurückzuführen, kommt nicht in Betracht, da es
bei einer Nervverletzung von vornherein an der erforderli-
chen Typizität eines nach der Lebenserfahrung auf einen Feh-
ler hinweisenden Geschehens fehlt.
2.
Auch eine Umkehr der Beweislast für den Kausalverlauf kommt
vorliegend nicht in Betracht.
3.
Die operative Versorgung der distalen Spiralfraktur ist ins-
besondere dann indiziert, wenn der Patient nach dem Aufstüt-
zen auf die Trage im Rahmen des Umbettens über eine Parese
des Nervus radialis klagt. Bei der operativen Versorgung
dieser Fraktur kommen als gleichwertige Operationsmethoden
sowohl die geschlossene Reposition mittels Verriegelungsna-
gel aus auch die Plattenostesynthese in Betracht.
4.
In diesem Fall ist der Patient über die bestehenden Behand-
lungsalternativen aufzuklären.
OLG Dresden,4. Zivilsenat, Az.: 4 U 307/10, Urteil vom
02.07.2010
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Oberlandesgericht
Dresden
4. Zivilsenat
Aktenzeichen: 4 U 307/10
4 O 2366/07 LG Chemnitz
Verkündet am 02.07.2010
Die Urkundsbeamtin:
Sembdner
Justizsekretärin
IM
NAMEN
URTEIL
In dem Rechtsstreit
1.
xxx
Kläger und Berufungsklägerin
2.
xxx
Klägerin
Prozessbevollmächtigte: xxxxx
xxxxx
xxxxx
gegen
xxx
Beklagte und Berufungsbeklagte
Prozessbevollmächtigte: xxxxx
XXXXX
XXXXX
wegen Schadenersatz kraft übergegangenen Rechts
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hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund
der mündlichen Verhandlung vom 03.06.2010 durch
Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Möhring
Richterin am Oberlandesgericht Podhraski und
Richter am Oberlandesgericht Schlüter
für Recht erkannt:
1.
Die Berufung der Klägerin zu 1. gegen das Urteil des Landge-
richts Chemnitz vom 01.02.2010 – 4 O 2366/07 – wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen:
2.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
3.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 6.637,57 EUR.
G r ü n d e:
I.
Von der Wiedergabe des Tatbestandes wird gem. §§ 540 Abs. 2,
313a ZPO abgesehen.
II.
Die auf die Verurteilung zur Zahlung von Schadenersatz be-
schränkte Berufung der Klägerin zu 1) ist zulässig, bleibt in
der Sache jedoch ohne Erfolg. Der Klägerin steht der geltend
gemachte Anspruch aus § 280 BGB, § 116 SGB X oder aus §§ 823,
831 BGB, § 116 SGB X nicht zu. Die Klägerin hat auch im An-
schluss an die ergänzende Beweisaufnahme durch den Senat weder
einen Behandlungsfehler noch einen Aufklärungsfehler der bei
der Beklagten beschäftigten Ärzte bewiesen.
1. Den im Klinikum der Beklagten beschäftigten Ärzten kann we-
der anlässlich der Operation noch postoperativ ein Behand-
lungsfehler vorgeworfen werden. Zwar ist sowohl nach Einschät-
zung des Sachverständigen Prof. xxxx, der sich das Landgericht
angeschlossen hat, als auch nach dem MDK-Gutachter Dr. xxxx,
auf den sich die Klägerin stützt (K 2, K 6, K 7, K 47), davon
auszugehen, dass die Nervenläsion, an deren Folgen der Patient
noch heute leidet, noch nicht bei dessen Einlieferung bestand,
sondern erst im Verlauf der Behandlung im Klinikum der Beklag-
ten, entweder durch das Abstützen auf der Liege oder im Rahmen
der Operation vom 26.11.2002 eintrat. Allein daraus kann je-
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doch noch nicht der Schluss gezogen werden, dass diese Nerven-
verletzung, die bei der Revisionsoperation am 21.3.2003 im
XXXX Klinikum xxxx festgestellt wurde, auf einen Behand-
lungsfehler zurückzuführen ist.
Ein Anscheinsbeweis kommt der Klägerin hierfür nicht zu Gute,
da es bei Nervverletzungen von vornherein an der erforderli-
chen Typizität eines nach der Lebenserfahrung auf einen Fehler
hinweisenden Geschehens fehlt (vgl. OLG Stuttgart MedR 1999,
320).
Auch eine Umkehr der Beweislast für den Kausalverlauf kommt im
Anschluss an die Gutachten des Sachverständigen Prof. xxx und
dessen ergänzende Anhörung durch das Landgericht und den Senat
nicht in Betracht. Unstreitig war die operative Versorgung der
distalen Spiralfraktur, die sich der Patient xx xxx am
26.11.2002 zuzog, indiziert. Eine derartige Operationsindika-
tion bestand vor allem im Hinblick darauf, dass der Patient
nach dem Aufstützen auf die Trage im Rahmen des Umbettens über
eine "Fallhand", d.h. eine Parese des Nervus radialis, klagte.
Bei der operativen Versorgung dieser Fraktur kamen nach Ein-
schätzung des Sachverständigen Prof. xxx sowohl die hier ge-
wählte geschlossene Reposition mittels Verriegelungsnagel als
auch die Plattenosteosynthese als gleichwertige Behandlungsme-
thoden in Betracht.
Der Sachverständige hat sowohl in seinem Ergänzungsgutachten
vom 6.8.2009 als auch in der mündlichen Anhörung vor dem Land-
gericht am 9.12.2009 ausgeführt, die geschlossene Verriege-
lungsnagelosteosynthese einer Oberarmschaftfraktur stehe neben
der Plattenosteosynthese und der konservativen Therapie - die
hier nicht in Betracht zu ziehen war - als gleichwertiges
Standardverfahren zur Verfügung. In der mündlichen Anhörung
vor dem Landgericht vom 9.12.2009 hat er die geschlossene Re-
position ausdrücklich sogar als bessere Methode bezeichnet,
auch wenn er nach wie vor auch die Plattenosteosynthese als
Standardverfahren ansieht. Entsprechend hat er sich auch in
der Anhörung vor dem Senat geäußert.
Den bei der Beklagten beschäftigten Ärzten kann auch nicht
vorgeworfen werden, den Patienten, bei dem ausweislich der zu
den Behandlungsunterlagen gelangten Aktennotiz vom 18.12.2002
eine Alkoholfahne bemerkt worden war, ungenügend gesichert und
vor einem Abstützen auf den verletzten Arm bewahrt zu haben.
Ein Krankenhaus übernimmt zwar mit der stationären Aufnahme
eines Patienten nicht nur die Aufgabe der einwandfreien Diag-
nose und Therapie, sondern auch Obhuts- und Schutzpflichten,
um ihn im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren vor Schäden und
Gefahren zu schützen, wenn sein körperlicher oder geistiger
Zustand dies gebietet (OLG Düsseldorf OLGR 2004, 362). Maßge-
bend ist aber, ob wegen der Verfassung des Patienten aus der
Sicht ex ante ernsthaft damit gerechnet werden muss, dass er
sich ohne Sicherungsmaßnahmen selbst schädigen könnte. Dies
war hier schon deswegen nicht der Fall, weil der Patient nach
Einschätzung der Ärzte nicht betrunken war. Gegen eine bloße
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Abstützbewegung hätten ihn die Ärzte ohnehin nicht mit ver-
tretbaren Sicherungsmaßnahmen schützen können. Dies hat auch
die Klägerin nicht behauptet.
Entgegen ihrer Auffassung war es auch nicht behandlungsfehler-
haft, dass sich die bei der Beklagten beschäftigten Ärzte für
eine geschlossene Reposition durch Wahl der Verriegelungsna-
gelmethode entschieden, obwohl der Patient nach dem Aufstützen
auf die Trage über eine sog. Fallhand mit Schonhaltung und Pa-
rese klagte. Der Sachverständige Prof. xxxx hat in den einge-
holten Gutachten und in seiner mündlichen Anhörung vor dem
Landgericht und dem Senat nachvollziehbar dargelegt, diese aus
den Behandlungsunterlagen erkennbare Symptomatik habe aus ex
ante Sicht für die Ärzte nicht auf ein Aufspießen oder Ein-
klemmen des Nervs, sondern vorrangig auf eine Traktion, d.h.
eine Zerrung hingedeutet. Zum einen sei dies die häufigste
Verletzung des Nervus radialis (GA vom 6.8.2009, S. 5 Fn 2,
Bl. 129). Zum anderen könne es im Rahmen einer Fraktur auch
nicht zu einem Einklemmen, d.h. einer Inkarzeration des Nervs,
kommen, weil die Fraktur per se instabil sei. Es sei daher
"mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" davon auszu-
gehen, dass sich der Patient durch das Aufstützen oder als
primäre Traumafolge eine Traktion zugezogen habe. Dies hätten
auch die Ärzte der Beklagten aus ex ante Sicht annehmen dür-
fen. Legt man diese nachvollziehbare Einschätzung zu Grunde,
war es in medizinischer Sicht vertretbar und nicht behand-
lungsfehlerhaft, von einer derartigen Traktion auszugehen und
nicht "offen" zu operieren, sondern eine geschlossene Reposi-
tion vorzunehmen. Traktionsschäden des Nervus radialis zeich-
nen sich nämlich nach Auffassung des Sachverständigen durch
eine gute Heilungsprognose und eine meist spontane Remission
aus. So besserten sich etwa 70 % der durch Traktionsschäden
ausgelösten Paresen innerhalb des ersten Jahres, so dass eine
sekundäre operative Revision nur in 30% indiziert sei (GA vom
6.8.2008, S. 11, Bl. 76). Auch für diese Restfälle bestehe re-
gelmäßig eine gute Prognose (GA vom 6.8.2009, S. 2, Bl. 126).
Bei einer Traktion des Nervus radialis im Zusammenhang mit ei-
ner Oberarmfraktur wird daher durch eine offene Operationsme-
thode nach Einschätzung des Sachverständigen nichts erreicht,
weil sich durch eine Darstellung des Nervs dieser nicht
schneller erholt, sondern im Gegenteil die Gefahr einer weite-
ren Schädigung besteht (GA vom 6.9.2009, S. 3, Bl. 127). Mit
dieser Einschätzung befindet sich der Sachverständige im Ein-
klang mit dem Großteil des von den Parteien vorgelegten medi-
zinischen Schrifttums. So wird etwa in dem von der Beklagten
als Anlage B1 vorgelegten Aufsatz von Wawro/Brehme/Otto (Trau-
ma und Berufskrankheiten 2002, S. 551) ausgeführt: "Wegen der
nachweislich hohen Rate der Spontanremission und gleichzeiti-
ger Gefahr der Schädigung des Nervs durch seine Freilegung ra-
ten wir von einer sofortigen Probefreilegung ab". Hier nach
war es aus ex ante Sicht auch nicht fehlerhaft, den intraope-
rativ gleichwohl angebrachten Schnitt - nachdem sich die Mark-
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nägel nicht geschlossen einbringen ließen, wie der Operations-
bericht vom 26.11.2002 ausführt - nicht zu vergrößern, um die
Frakturstelle einzusehen, wodurch dann zugleich der Nerv dar-
gestellt worden wäre. Nach Auffassung des Gutachters wäre dies
lediglich "a posteriori" sinnvoll gewesen wäre. Auch der MDK-
Gutachter hat im Übrigen die Marknagelversorgung zunächst für
sachgerecht gehalten. (GA vom 22.3.2004, K 2, S. 5). Erstmal
im Gutachten vom 21.5.2010 hat er die Plattenosteosynthese für
vorzugswürdig erachtet, ohne dies indes näher zu begründen
oder deutlich zu machen, ob es sich hierbei um eine Einschät-
zung ex ante oder ex post handelt. Noch im Gutachten vom
29.9.2004 (K 6) hatte er demgegenüber eingeschätzt, es sei
nicht zu bemängeln, dass eine primäre Revision des Nervs, d.h.
eine Operation des Nervs mit Freilegung der Nervenscheide,
nicht erfolgt sei. Zu beanstanden sei lediglich, dass nicht
während der Operation nach den Ursachen der Fallhand und der
Sensibilitätsstörungen gefahndet worden sei. Dies hält der Se-
nat indes für unplausibel, weil damit im Ergebnis gefordert
wird, eine geschlossene Operation offen durchzuführen. Der
Sachverständige Prof. xxxx hat nämlich im Gutachten vom
6.8.2008 (S. 8, Bl. 73) ausgeführt, die Kontrolle, ob sich der
Nerv im Bruchspalt eingeklemmt habe, sei bei einer geschlosse-
nen Reposition gar nicht möglich. Unabhängig hiervon beruhte
die unterbliebene Ursachenforschung während der Operation auf
der vorausgegangenen Einschätzung, Ursache der "Fallhand" sei
eine Traktion, die mit großer Wahrscheinlichkeit spontan re-
mittieren werde; ob diese Annahme zutraf, ist im Nachhinein
nicht mehr feststellbar. Eine unterbliebene Befunderhebung,
die sich folgerichtig aus einem nicht vorwerfbaren Diagnose-
irrtum ergibt, kann indes nicht Anknüpfungspunkt für eine Be-
weislastumkehr in Bezug auf die haftungsbegründende Kausalität
sein (vgl. OLG Köln VersR 2005, 1740). Die ärztliche Einschät-
zung, dass vorrangig eine Traktion als Ursache der Fallhand in
Betracht kam und die daraus abgeleitete Entscheidung für eine
geschlossene Reposition ist bei dieser Sachlage nicht behand-
lungsfehlerhaft.
Auch ein konkreter Behandlungsfehler während der Operation
liegt nicht vor. Das Auftreten einer Einklemmung des Nervs er-
laubt nicht den Rückschluss auf einen Behandlungsfehler wäh-
rend der Operation. Der Sachverständige hat insofern ausge-
führt, es komme intraoperativ immer zu Manipulationen des N.
radialis, völlig unabhängig vom Operationsverfahren. Es sei
vorliegend aber unwahrscheinlich, dass das Einklemmen des
Nervs durch die intraoperative digitale Manipulation durch
Einbringen eines Nagels in das köperferne Frakturfragment her-
vorgerufen worden sein solle. Sollte dies gleichwohl geschehen
sein, sei dies als "ungewollte fatale Konsequenz eines an sich
richtigen chirurgischen Vorgehens" anzusehen. Dass der Schnitt
für die Inzision anders als ursprünglich geplant größer ge-
wählt werden musste, sei ebenfalls nicht behandlungsfehler-
haft. Es komme vor, dass es nur mit einem solchen Schnitt ge-
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linge, den Nagel unter taktiler Fingerkontrolle in den dista-
len Markraum einzubringen (GA vom 6.8.2008, S. 10, Bl. 75).
So sei auch hier verfahren worden. Ein Behandlungsfehler liege
auch nicht in der unterbliebenen Kontrolle am Ende der Opera-
tion, ob der Nerv versehentlich eingeklemmt worden sei, schon
weil CT und Röntgen generell ungeeignet seien und auch ein MRT
aufgrund der Streustrahlung nicht in Betracht komme (Bl. 157).
Eine Sonographie werde standardmäßig zur Überprüfung nicht ge-
fordert. Dies erscheint dem Senat auf der Grundlage der ex an-
te vertretbaren Diagnose einer Traktion folgerichtig, weil
dann die nach einem Zeitraum von einigen Wochen eintretende
Remission abgewartet werden konnte.
2. Im Anschluss an die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme
ist auch nicht von einer unzureichenden Aufklärung über Vor-
und Nachteile der möglichen Behandlungsalternativen auszuge-
hen. Nach allgemeiner Auffassung ist die Wahl der Behandlungs-
methode zwar primär Sache des Arztes. Gibt es indessen mehrere
medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungs-
methoden, die wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgs-
chancen aufweisen, besteht mithin eine echte Wahlmöglichkeit
für den Patienten, dann muss diesem nach entsprechend voll-
ständiger ärztlicher Aufklärung die Entscheidung überlassen
bleiben, auf welchem Wege die Behandlung erfolgen soll und auf
welches Risiko er sich einlassen will (vgl. nur BGH VersR
2005, 836; VersR 1988, 190). Diese Pflicht zur Selbstbestim-
mungsaufklärung ist in gleicher Weise Nebenpflicht des Behand-
lungsvertrags wie Ausfluss der Garantenstellung des Arztes
(BGH aaO; VersR 1990, 1010). Diesen Anforderungen trägt die
Aufklärung des Patienten, wie sie sich als Ergebnis der Be-
weisaufnahme darstellt, - noch - Rechnung. Zwar konnte dieser
sich nicht mehr daran erinnern, über Alternativen zu der bei
ihm zum Einsatz gekommenen Verriegelungsnagelosteosynthese
aufgeklärt worden zu sein. Der Senat geht jedoch aufgrund der
Aussage des Zeugen Dr. xxxx und der Eintragungen und Markie-
rungen im Aufklärungsbogen, die indiziell für ein umfassendes
Aufklärungsgespräch sprechen, davon aus, dass der Patient auch
über diese Alternativen hinreichend aufgeklärt wurde: Vorlie-
gend ist der Patient ausweislich des Aufklärungsbogens über
die
Alternativen
"Nagelung",
"Verschraubung/Verplattung",
"Drähte" und "Fixateur" auf geklärt worden. In den hand-
schriftlich eingetragenen ärztlichen Anmerkungen zu diesem Bo-
gen heißt es weiterhin" ausführliche Erläuterung Art und Weise
operativer Eingriff". Anhaltspunkte für eine nachträgliche Ma-
nipulation des Aufklärungsbogens sind nicht ersichtlich; die
Annahme der Klägerin, die im Aufklärungsbogen enthaltenen Mar-
kierungen mit Textmarker müssten nachträglich aufgebracht wor-
den sein, weil diese nach Ablauf von sechs Jahren sonst ver-
blasst wären, ist fernliegend und widerspricht jeglicher Al-
tagserfahrung. Der die Aufklärung vornehmende Zeuge Dr. xxxx
hatte an das konkrete Aufklärungsgespräch zwar keine konkrete
Erinnerung mehr, hat jedoch seine übliche Aufklärungspraxis
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dahingehend geschildert, dass er sich bereits im Jahre 2002
wie auch heute noch eng an den Aufklärungsbogen halte, dem Pa-
tienten alle Alternativen vorstelle und abschließend eine Emp-
fehlung ausspreche. Dies hält der Senat für ausreichend.
Spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein gewissenhaftes
Aufklärungsgespräch soll dem Arzt nämlich im Zweifel geglaubt
werden, dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebote-
nen Weise geschehen ist; dies auch mit Rücksicht darauf, dass
aus vielerlei verständlichen Gründen Patienten sich im Nachhi-
nein an den genauen Inhalt solcher Gespräche, die für sie vor
allem von therapeutischer Bedeutung sind, nicht mehr erinnern
(BGH NJW 1985, 1399; Senat, Urteil vom 11.7.2002 - 4 U 574/02
– n.v; Beschluss vom 24.11.2006, 4 U 1299/06 - n.v.). Aller-
dings hat der Zeuge Dr. xxxx angegeben, er habe zwar auf das
Risiko einer Nervverletzung im Zusammenhang mit der Verriege-
lungsnagelung, nicht jedoch darauf hingewiesen, dass dieses
Risiko, insbesondere bezogen auf eine Inkarzeration des Nervs
in den Frakturspalt bei dieser Methode gegenüber einer Platt-
nostheosynthese höher liege. Der Sachverständige Prof. xxxx
hat dieses Risiko bei der Nagelungstechnik auf 8 bis 17 % im
Verhältnis zu lediglich 7 % bei der Plattenostheosynthese be-
ziffert. Er hat jedoch zugleich auf die bei einer Läsion des
Nervus radiali hohe Remissionsrate von 70 % hingewiesen
(s.o.). Eine Aufklärung über das erhöhte Risiko lediglich tem-
porärer Läsionen, die zwangsläufig mit der operationsbedingten
Traumatisierung eines Nervs einhergehen und sich spontan in-
nerhalb kurzer Zeit von selbst zurückbilden, war aber nicht
geboten, weil es sich hierbei um ein allgemeines Operationsri-
siko handelt, das jedem Patienten bekannt ist (Geiß/Greiner,
Arzthaftpflichtrecht, 6. Aufl. C Rn 47 m.w.N.). Bei einer Re-
missionsrate von 70 % ist jedoch absolut gesehen das Risiko
einer dauerhaften Nervläsion bei der Nagelungstechnik nur ge-
ringfügig höher als bei der Plattenosteosynthese, weil letzt-
lich nur weniger als 4 % der Patienten gegenüber ca. 2 % bei
der Plattenosteosynthese eine solche dauerhafte Läsion zurück-
behalten. Diesen Unterschied hält der Senat nicht für so er-
heblich, dass sich hierdurch ein verändertes Risikospektrum
ergäbe, das eine Unterrichtung des Patienten auch über eine
erhöhte Gefahr von Nervverletzungen im Vergleich zur Platte-
nostheosynthese geböte. Die Angabe von Prozentsätzen ist ohne-
hin im Rahmen der Aufklärung regelmäßig nicht erforderlich,
weil sie den Patienten eher verwirren als zu seiner Entschei-
dungsfindung beizutragen (Senat OLGR 1996, 19; Beschluss vom
11.3.2010, 4 U 1827/10 n.v.). Der Sachverständige Prof. xxxx
hat über dies eingeräumt, die Studienlage sei insgesamt un-
übersichtlich, es gebe auch Studien, die überhaupt kein höhe-
res Risiko von Nervläsionen bei der Verriegelungsnagelung an-
gäben. Dies war offensichtlich auch der Kenntnisstand des Zeu-
gen, der ausgesagt hat, er selbst schätze dieses Risiko bis
zum heutigen Tage nicht deutlich höher ein. Der Senat geht
nach alledem davon aus, dass die Aufklärung mit dem aus dem
Aufklärungsbogen ersichtlichen Hinweis auf "Nervenschäden bis
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hin zu Teillähmungen" bei der ins Auge gefassten Operationsme-
thode und die Darstellung der Alternativmethoden genügte, um
dem Patienten ein im Großen und Ganzen zutreffendes Bild von
den Alternativen und deren Risiken zu vermitteln. Dass der
Zeuge Dr. xxxx hierbei die Verriegelungsnagelosteosynthese fa-
vorisierte und möglicherweise auch eine entsprechende Empfeh-
lung aussprach, ist nicht zu beanstanden. Besteht eine Behand-
lungsalternative, ist der Arzt nach Darstellung des Für und
Wider nicht gehalten, von einer konkreten Empfehlung abzusehen
(OLG Koblenz, VersR 2009, 1077). Unabhängig hiervon greift
auch der von der Beklagten erhobene Einwand durch, der Patient
hätte sich bei Aufklärung über dieses erhöhte Risiko in glei-
cher Weise operieren lassen. Einen Entscheidungskonflikt hat
die Klägerin auch nach Anhörung des Patienten nicht plausibel
gemacht. Dieser hat seine vor dem Senat erklärte Präferenz für
die Plattenostheosynthese maßgeblich mit dem Wunsch nach einer
"voll funktionsfähigen Hand" begründet. Die Funktionsfähigkeit
der Hand wird jedoch bei einer operativen Versorgung nicht al-
lein durch das Risiko einer Inkarzeration des Nervs, das im
Übrigen auch bei der Plattenostheosynthese besteht, sondern in
weit stärkerem Maße durch ein operationsbedingtes Infektge-
schehen und das postoperative Risiko von Pseudarthrosen deter-
miniert, wie der Sachverständige Prof. xxxx in seiner Anhörung
vor dem Senat ausgesagt hat. Angesichts der Tatsache, dass der
Patient zugleich ausgesagt hat, er habe vor der Operation oh-
nehin nicht damit gerechnet, einen Nervenschaden zu erleiden
und sei eigentlich von einer Gipsversorgung ausgegangen, hält
es der Senat nicht für plausibel, dass er das nur geringfügig
erhöhte Risiko einer Inkarzeration des Nervs, das der Sachver-
ständige Prof. xxxx als "einzigen Vorteil der Platte" bezeich-
net hat, zum Anlass genommen hätte, auf der Anwendung dieser
Operationsmethode zu bestehen. Dass es bei der Bewertung eines
Entscheidungskonflikts nicht darauf ankommt, wie sich ein ver-
nünftiger Patient entschieden hätte (BGH NJW 1994, 799; NJW
1993, 2378), hat der Senat hierbei berücksichtigt. Entgegen
der Auffassung der Klägerin war es auch nicht geboten, im Hin-
blick auf die Fallhand gesondert über die Möglichkeit einer
"geschlossenen" und einer "offenen" Reposition aufzuklären. Es
handelt sich hierbei nicht um unterschiedliche Behandlungsme-
thoden, sondern um die Technik der Ausführung einzelner Metho-
den. Wie der Sachverständige Prof. xxxx im Gutachten vom
6.8.2008 (S. 10, Bl. 75) ausgeführt hat, kommt die Technik der
Freilegung der Frakturenden mit dem Ziel, diese unter Sicht zu
reponieren, im Wesentlichen bei der Plattenosteosynthese,
nicht aber bei der Stabilisierung mit Verriegelungsnägeln in
Betracht. Diese und nicht Fragen der Schnittführung und -größe
stellen die unterschiedlichen Behandlungsmethoden, über die
eine Aufklärung zu erfolgen hat, dar. Letztere betreffen hin-
gegen die Zugangswege, auf die die Aufklärung regelmäßig nicht
zu erstrecken ist (vgl. OLG Oldenburg VersR 1997, 978;
Geiß/Greiner aaO. C Rn 24 m.w.N.). Eine Aufklärung über Fragen
der Schnittführung, der Zugangswege und der Operationstechnik
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würde hingegen den Patienten eher verwirren als ihn in seinem
Selbstbestimmungsrecht zu stärken und ist daher nach Auffas-
sung des Senats nicht geboten. Mit ihrem Einwand, der Patient
sei nicht in ausreichendem zeitlichem Abstand zu der Operation
angehört worden, dringt die Berufung ebenfalls nicht durch.
Ein Patient muss nach allgemeiner Auffassung vor dem beabsich-
tigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden, dass er
durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff
sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein
Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahren kann (BGH
NJW 2003, 2012 ff m.w.N.). Eine Aufklärung erst am Vorabend
der Operation ist in der Regel nicht ausreichend (Geiß/Greiner
aaO. C Rn 98); hier erfolgte die Aufklärung sogar erst wenige
Stunden vor der Operation am 26.11.2002, 10:20 Uhr (Aufnahme
des Patienten am 26.11.2002, 2:59 Uhr). Dies macht die Einwil-
ligung des Patienten in die Operation jedoch nicht unwirksam.
Bei einfachen Eingriffen reicht nämlich eine Aufklärung am
selben Tag aus (Geiß/Greiner aaO.); hierzu zählt auch die ope-
rative Versorgung einer Oberarmfraktur, die in der unfallchi-
rurgischen Abteilung eines Krankenhauses zu den Routineein-
griffen zählt. Zudem ist auch bei größeren Eingriffen eine
kurz vor der Operation erfolgte Aufklärung nicht in jedem
Fall als verspätet anzusehen. Vielmehr hängt die Wirksamkeit
einer hierauf erfolgten Einwilligung davon ab, ob unter den
jeweils gegebenen Umständen der Patient noch ausreichend Ge-
legenheit hat, sich innerlich frei zu entscheiden. Der nicht
rechtzeitig auf geklärte Patient muss daher substantiiert dar-
legen, dass ihn die späte Aufklärung in seiner Entscheidungs-
freiheit beeinträchtigt hat, und plausibel machen, dass er,
wenn ihm rechtzeitig die Risiken der Operation verdeutlicht
worden wären, vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden
hätte, die Operation überhaupt durchführen zu lassen (BGH aaO;
VersR
1998,
766;
VersR
1994,
1235
VersR
1992,
960;
Geiß/Greiner aaO. B Rn 101). Hiervon kann weder auf der Grund-
lage des Klägervorbringens noch der Aussage des vom Senat an-
gehörten Patienten ausgegangen werden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in
§§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Re-
vision sind nicht gegeben.
Schlüter Möhring Podhraski