Urteil des OLG Dresden vom 07.02.2007

OLG Dresden: öffentliche sicherheit, stadt, unbeteiligter dritter, gefahr, polizeigesetz, mensch, wiese, park, gartenanlage, bevölkerung

Leitsatz:
Eine sächsische Polizeiverordnung, die einen Anleinzwang für
Hunde im Gemeindegebiet anordnet, findet ihre Ermächtigungs-
grundlage im Polizeigesetz des Freistaates Sachsen. Sie ver-
stößt jedenfalls dann gegen den Verfassungsgrundsatz der Ver-
hältnismäßigkeit, wenn sie keine Ausnahmen vom allgemeinen An-
leinzwang vorsieht. Die geltende "Polizeiverordnung über öf-
fentliche Sicherheit und Ordnung in der Stadt Leipzig" vom 19.
Mai 2004 entspricht insoweit den Anforderungen, weil im Stadt-
gebiet von Leipzig Freilaufflächen für Hunde (so genannte Hun-
dewiesen) in beträchtlicher Anzahl vorhanden sind.
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Oberlandesgericht
Dresden
Senat für Bußgeldsachen
Aktenzeichen: Ss (OWi) 301/06
221 OWi 806 Js 10170/05 AG Leipzig
13 OWi Ss 301/06 GenStA Dresden
Beschluss
vom 07. Februar 2007
in der Bußgeldsache gegen
S
geboren am
wohnhaft
Verteidiger: Rechtsanwalt M R
Wegen Verstoßes gegen die Polizeiverordnung der Stadt Leip-
zig u. a.
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1. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen
das
Urteil
des
Amtsgerichts
Leipzig
vom
04. April 2005 wird als unbegründet verwor-
fen.
2. Die Betroffene hat die Kosten ihres erfolglo-
sen Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e :
I.
Das Amtsgericht Leipzig hat die Betroffene mit Urteil vom
04. April 2005 wegen eines "vorsätzlichen Verstoßes gegen
die Polizeiverordnung der Stadt Leipzig und eines vorsätz-
lichen Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Angabe der
Personalien" zu einer Geldbuße von 250,00 EUR verurteilt.
Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen führte die Be-
troffene am 08. September 2004 in der Zeit von 09.30 Uhr
bis 10.15 Uhr im Eutritzscher Park in Leipzig auf einer
Wiese neben einer Gartenanlage drei Hunde nicht an der Lei-
ne. Die Grünanlage war nicht als Freilauffläche ausgewie-
sen. Des Weiteren kam die Betroffene der Aufforderung durch
den Zeugen Dobeneck, der als Vollzugsbediensteter beim Ord-
nungsamt der Stadt Leipzig angestellt ist, nicht nach, ihre
Personalien anzugeben.
Gegen dieses Urteil hat die Betroffene durch ihren Vertei-
diger form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und
zugleich beantragt, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung
des materiellen Rechts zuzulassen. In der rechtzeitig abge-
gebenen Rechtsbeschwerdebegründung wendet sich die Betrof-
fene gegen ihre Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen
die Polizeiverordnung der Stadt Leipzig. Diese sei schon
mangels ausreichender Ermächtigungsgrundlage unwirksam. Des
Weiteren verstoße der Anleinzwang für Hunde gegen das Über-
maßverbot sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz.
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Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, den
Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet
zu verwerfen.
II.
Mit Beschluss vom heutigen Tag hat der Senat - Der Einzel-
richter - die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsge-
richts Leipzig vom 04. April 2005 zugelassen und die Sache
dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Die zulässigerweise auf den Vorwurf des Verstoßes gegen die
Polizeiverordnung der Stadt Leipzig beschränkte Rechtsbe-
schwerde bleibt im Ergebnis ohne Erfolg. Die Überprüfung
des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge hat keinen
Rechtsfehler zu Lasten der Betroffenen aufgedeckt.
1. Die Feststellungen tragen eine Verurteilung wegen vor-
sätzlichen Verstoßes gegen die Regelung des § 18 Abs. 1
Nr. 23 i.V.m. § 15 Abs. 3 der Polizeiverordnung über öf-
fentliche Sicherheit und Ordnung in der Stadt Leipzig
(Beschluss der Ratsversammlung vom 19. Mai 2004, veröf-
fentlicht
im
Leipziger Amtsblatt
Nr. 12
vom
12. Juni 2004). Nach den Urteilsfeststellungen führte
die Betroffene am 08. September 2004 in der Zeit von
09.30 Uhr bis 10.15 Uhr in Leipzig im Eutritzscher Park
auf einer Wiese neben einer Gartenanlage drei Hunde
nicht an der Leine, obwohl der öffentliche Platz nicht
als Freilauffläche ausgewiesen ist. Nachdem die Betrof-
fene nach Aufforderung zunächst die Hunde angeleint hat-
te, ließ sie diese nach erneuter Belehrung über die Lei-
nenpflicht wieder von der Leine ab. Damit hat die Be-
troffene vorsätzlich gegen § 15 Abs. 3 der genannten Po-
lizeiverordnung der Stadt Leipzig verstoßen, wonach Hun-
de auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen sowie öf-
fentlichen Grün- und Erholungsanlagen, sofern diese
nicht als Freilaufflächen ausgewiesen sind, zum Schutz
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von Mensch und Tier stets von einer geeigneten Person an
der Leine geführt werden müssen.
2. Die genannte Polizeiverordnung der Stadt Leipzig vom
19. Mai 2004 ist wirksam; sie verstößt insbesondere
nicht gegen höherrangiges Recht.
a) Die Verordnung über öffentliche Sicherheit und Ord-
nung der Stadt Leipzig findet ihre Ermächtigungs-
grundlage in §§ 9 Abs. 1, 1 Abs. 1, 14 Abs. 2 Satz 1,
Abs. 1 Satz 1 des Polizeigesetzes des Freistaates
Sachsen
in
der
Fassung
der
Bekanntmachung
vom
13. August 1999
(SächsGVBl. S. 466).
Danach
können
die örtlichen Polizeibehörden (hier der Gemeinderat
der Stadt Leipzig) zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe nach
dem Sächsischen Polizeigesetz Polizeiverordnungen zur
Abwehr abstrakter Gefahren erlassen.
Soweit die Rechtsbeschwerde vorträgt, hinsichtlich
des in der Polizeiverordnung geregelten Anleinzwanges
fehle es an einer solchen abstrakten Gefahr, vielmehr
liege nur ein Gefahrenverdacht vor, kann dem nicht
gefolgt werden. Die nach §§ 9 Abs. 1, 1 Abs. 1 Säch-
sisches Polizeigesetz erforderliche abstrakte Gefahr
folgt vorliegend vielmehr bereits aus der allgemeinen
Lebenserfahrung. Von Hunden gehen unzweifelhaft Ge-
fahren aus, die aus der allgemeinen Unberechenbarkeit
tierischen Verhaltens resultieren. Zum Verhaltensre-
pertoir von Hunden gehören das Beißen, Hetzen, Rei-
ßen, Anspringen, Schnappen, Nachrennen und Beschnüf-
feln, das sich bei freilaufenden Hunden spontan und
unberechenbar äußert und zu einer Gefährdung unbetei-
ligter Dritter führen kann, welche die Schwelle der
bloßen Lästigkeit überschreitet. So hat auch das Bun-
desverwaltungsgericht in seiner von der Rechtsbe-
schwerde zitierten Entscheidung vom 03. Juli 2002
(BVerwGE 116, 347 - 358), welche sich im Wesentlichen
mit Bestimmungen der Niedersächsischen Gefahrtierver-
ordnung befasste, in der Abgrenzung der Begriffe
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"abstrakte Gefahr" gegen "Gefahrenvorsorge" ausdrück-
lich festgehalten, dass von Hunden unzweifelhaft
(abstrakte) Gefahren ausgehen, die grundsätzlich den
Erlass von Verordnungen nach dem allgemeinen Gefah-
renabwehrrecht rechtfertigen können. Einen bloßen Ge-
fahrenverdacht hat es hinsichtlich der Niedersächsi-
schen Gefahrtierverordnung nur deshalb angenommen,
weil das Regelungskonzept jener Regelung ausschließ-
lich an die Rassezugehörigkeit anknüpfte und gerade
nicht an diejenigen Gefahren, die wegen der Unbere-
chenbarkeit des tierischen Verhaltens mit der Haltung
von Hunden allgemein verbunden sind (BVerwGE a.a.O.).
Die Auffassung, dass von freilaufenden Hunden abs-
trakte Gefahren für die Öffentlichkeit ausgehen, wird
- soweit ersichtlich - auch von der verwaltungsge-
richtlichen Rechtsprechung geteilt (vgl. VGH Baden-
Württemberg, Beschluss vom 06. Mai 2003, VBlBW 2003,
354, 355; VG Hamburg, Urteil vom 01. September 2003,
5 VG 3300/2000; zuletzt: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil
vom 21. September 2006, 7 C 10539/06.OVG). Demgegen-
über ist die von der Rechtsbeschwerde zitierte Ent-
scheidung
des
Niedersächsischen
Oberverwaltungsge-
richts vom 27. Januar 2005 (NdsVBl 2005, 130 - 132),
welches darauf abstellt, es sei wissenschaftlich
nicht belegt, dass von allen Hunderassen generell ei-
ne abstrakte Gefahr für Mensch und andere Hunde aus-
gehe, vereinzelt geblieben. Dieser Entscheidung kann
aus vorgenannten Gründen auch nicht gefolgt werden;
sie beruht offensichtlich auf einem unrichtigen Ver-
ständnis der Entscheidung des Bundesverwaltungsge-
richts.
b) Der in § 15 Abs. 3 der genannten Polizeiverordnung
der Stadt Leipzig angeordnete Leinenzwang auf öffent-
lichen Straßen, Wegen, Plätzen sowie in öffentlichen
Grün- und Erholungsanlagen, sofern diese nicht als
Freilaufflächen ausgewiesen sind, verstößt auch im
Übrigen nicht gegen höherrangiges Recht. Die Regelung
ist geeignet, erforderlich und im Einzelfall auch an-
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gemessen,
um
dem
verfolgten
öffentlichen
Zweck,
Schutz der Bevölkerung vor Gefahren und Belästigun-
gen, die von freilaufenden Hunden ausgehen, zum Er-
folg zu verhelfen.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist allgemein
anerkannt, dass ein ordnungsbehördlich geregelter
allgemeiner Leinenzwang für Hunde grundsätzlich weder
gegen das höherrangige Tierschutzgesetz noch gegen
das Grundrecht des Hundehalters auf freie Entfaltung
seiner Persönlichkeit verstößt (vgl. OLG Hamm NVwZ
2002, 765 bis 766 m.w.N.).
Der generelle Leinenzwang für Hunde auf dem Stadtge-
biet der Stadt Leipzig verstößt auch nicht gegen das
verfassungsrechtliche Übermaßverbot. Anders als in
den von der Rechtsbeschwerde angeführten Entscheidun-
gen des OLG Hamm (NVwZ 2002, 765) und des OLG Düssel-
dorf
(Beschluss
vom
27. Januar 2003,
2b Ss [OWi] 327/01-[OWi] 34/02)
erstreckt
sich
in
Leipzig der Leinenzwang nicht ausnahmslos auf das ge-
samte Gemeindegebiet. Die Stadt hat vielmehr soge-
nannte "Freilaufflächen" ausgewiesen, auf welchen die
Hunde dem Leinenzwang nicht unterliegen. Gegenwärtig
gibt es in der Stadt Leipzig insgesamt 48 solcher
Standorte (vgl. Faltblatt der Stadt Leipzig: Hinweise
zum
Umgang
mit
Hunden
in
der
Stadt
Leipzig;
Stand: Januar 2005). Damit ist dem Interesse des Hun-
dehalters an artgerechter Tierhaltung ausreichend
Rechnung getragen.
Entgegen der Auffassung der Betroffenen liegt ein
Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach
Art. 3 GG nicht deshalb vor, weil die Polizeiverord-
nung nicht nach Art und Größe der Hunde differen-
ziert. Eine solche Differenzierung ist rechtlich
nicht geboten. Der Verordnungsgeber darf ausgehend
von der grundsätzlich bestehenden abstrakten Gefahr
durch freilaufende Hunde Sachverhalte typisieren. Es
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ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn er in einer
abstrakt-generellen Regelung atypische Besonderheiten
des einzelnen Falles vernachlässigt (vgl. hierzu auch
VGH BW, NVwZ-RR 1990, 16 f.; OVG Rheinland-Pfalz,
a.a.O.).
Nachdem auch der von der Rechtsbeschwerde vorgetrage-
ne Eingriff durch den Leinenzwang in die Berufsaus-
übungsfreiheit der Betroffenen schon vom Ansatz her
nicht in Betracht kommt, war die Rechtsbeschwerde
insgesamt als unbegründet zu verwerfen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 473
Abs. 1 Satz 1 StPO.
Lips
Vetter
Gorial