Urteil des OLG Dresden vom 10.05.2005

OLG Dresden: zustellung, empfang, ermächtigung, vollmacht, erlass, gebühr, verfolgungsverjährung, höchstgeschwindigkeit, einzelrichter, entzug

Leitsatz:
§ 51 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 OWiG (§ 145 a StPO) begründet
eine gesetzliche Zustellungsvollmacht des Wahlverteidigers,
die durch den Betroffenen (Beschuldigten) nicht von vornherein
eingeschränkt oder vollständig entzogen werden kann.
OLG Dresden, Bußgeldsenat, Beschluss vom 10.05.2005,
Az. Ss (Owi) 309/05
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Oberlandesgericht
Dresden
Senat für Bußgeldsachen
- Der Einzelrichter -
Aktenzeichen: Ss (OWi) 309/05
221 OWi 505 Js 68645/02 AG Leipzig
23 OWi Ss 309/05 GenStA Dresden
Beschluss
vom 10. Mai 2005
in der Bußgeldsache gegen
L
geboren am
wohnhaft
Verteidiger: Rechtsanwalt T B
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
Der Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts gegen den Beschluss des
Amtsgerichts Leipzig vom 22. März 2005 wird als
unbegründet verworfen.
G r ü n d e :
I.
Das
Amtsgericht
Leipzig
hatte
den
Betroffenen
am
03. November 2003 wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen
die Vorschrift der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit
zu einer Geldbuße von 60,00 EUR verurteilt.
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Gegen das Urteil beantragte der Betroffene über seinen
Verteidiger
am
07. November 2003
die
Zulassung
der
Rechtsbeschwerde; eine Begründung enthielt das Schreiben
nicht.
Das
Urteil
wurde
dem
Verteidiger
am
02. Februar 2005
zugestellt, obwohl die bei den Akten befindliche Vollmacht
des
Verteidigers
keine
Ermächtigung
zum
Empfang
von
Zustellungen gemäß § 51 Abs. 3 OWiG enthielt. Wörtlich
heißt es in der Vollmachtsurkunde:
"Eine
Ermächtigung
zum
Empfang
von
Zustellungen,
sonstigen
Mitteilungen
sowie
Ladungen
für
den
Auftraggeber gemäß § 145 a StPO und § 51 III OWiG
besteht
nicht,
die
insoweit
gesetzlich
vermutete
Ermächtigung wird entzogen."
Mit Beschluss vom 22. März 2005 hat das Amtsgericht den
Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unzulässig
verworfen,
weil
keine
Begründung
des
Rechtsmittels
eingegangen war. Der Beschluss wurde dem Verteidiger am
30. März 2005 zugestellt.
Gegen den Beschluss richtet sich die "Beschwerde" des
Betroffenen vom 31. März 2005. Der Betroffene meint, es sei
Verjährung eingetreten, weil aufgrund der eingeschränkten
Vollmacht bereits der Bußgeldbescheid nicht wirksam an den
Verteidiger hätte zugestellt werden können.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, den
Antrag
des
Betroffenen
auf
Entscheidung
des
Rechtsbeschwerdegerichts als unbegründet zu verwerfen.
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II.
Die gemäß § 300 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG als zulässiger
Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 346
Abs. 2 Satz 1 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) auszulegende
"Beschwerde" hat keinen Erfolg.
Das
Amtsgericht
hat
den
Antrag
des
Betroffenen
auf
Zulassung der Rechtsbeschwerde zu Recht als unzulässig
verworfen, weil das Rechtsmittel nicht fristgerecht gemäß
§ 345 Abs. 1 StPO, §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 80 Abs. 3 OWiG
begründet worden ist.
Die Frist des § 345 Abs. 1 StPO ist im vorliegenden Fall
durch
die
wirksame
Zustellung
des
Urteils
an
den
Verteidiger in Gang gesetzt worden, denn der Entzug der
Zustellungsvollmacht
in
der
Vollmachtsurkunde
ist
unwirksam.
Gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 OWiG gilt der gewählte
Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet,
als ermächtigt, Zustellungen für den Betroffenen in Empfang
zu nehmen. Diese mit § 145 a Abs. 1 StPO wortgleiche
Regelung begründet eine gesetzliche Zustellungsvollmacht,
die
vom
Willen
des
Betroffenen
unabhängig
ist
(LR-
Lüderssen, StPO, 25. Aufl., § 145 a Rdnr. 2 m.w.N.) und
nicht
von
vornherein
durch
die
Verteidigervollmacht
eingeschränkt
(Meyer-Goßner,
StPO,
47. Aufl.,
§ 145 a
Rdnr. 2) oder - wie hier - vollständig entzogen werden
kann. Denn die Zustellungsvollmacht ergibt sich allein aus
der
Stellung
des
Wahlverteidigers
und
wird
nicht
konstitutiv durch die Vollmachtsurkunde bewirkt (OLG Köln
NJW 2004, 3196; Thüringisches Oberlandesgericht NJW 2001,
3204).
Dem
steht
auch
nicht
die
Entscheidung
des
Oberlandesgerichts Hamm vom 23. Januar 1991 (NJW 1991,
3204) entgegen, weil sich der dort entschiedene Fall mit
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der Frage zu befassen hatte, ob die Verteidigervollmacht
nachträglich nach Erlass des Berufungsurteils eingeschränkt
werden kann. Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß
§ 121 Abs. 2 GVG, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG ist deshalb nicht
veranlasst.
Auf die Frage des Eintritts der Verfolgungsverjährung durch
unwirksame
Zustellung
des
Bußgeldbescheides
kommt
es
deshalb aus mehreren Gründen nicht mehr an. Zum einen war
auch
die
Zustellung
des
Bußgeldbescheides
an
den
Verteidiger wirksam. Zum anderen wird ein vor Urteilserlass
eingetretenes Verfahrenshindernis bei Unzulässigkeit der
Rechtsbeschwerde ohnehin nicht berücksichtigt (vgl. für den
Fall der Revision: Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 346
Rdnr. 11 m.w.N.) und wäre im vorliegenden Fall auch
deswegen
schon
unbeachtlich
gewesen,
weil
im
Zulassungsverfahren das Beschwerdegericht das Verfahren nur
dann einstellt, wenn das Verfahrenshindernis nach Erlass
des Urteils eingetreten ist (§ 80 Abs. 5 OWiG).
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil für den
auf § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO, §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG
beruhenden Verwerfungsbeschluss keine Gebühr vorgesehen ist
und Auslagen nicht entstehen (vgl. Meyer-Goßner, StPO,
47. Aufl., § 346 Rdnr. 12; KK-Kukein, StPO, 5. Aufl., § 346
Rdnr. 23 jeweils m.w.N.).
Gorial
Richter
am Oberlandesgericht