Urteil des OLG Dresden vom 01.09.2009

OLG Dresden: wiederaufnahme, scheidungsverfahren, entstehung, eigenschaft, aussetzung, hauptsache, einverständnis, trennung

Leitsatz:
Versorgungsausgleichsverfahren, die nach § 2 VAÜG ausgesetzt
waren und ab dem 01.09.2009 gemäß § 48 Abs. 2 VersAusglG
wiederaufgenommen werden, sind neue selbständige Familien-
verfahren, die kraft gesetzlicher Trennung nach Maßgabe von
Art. 111 Abs. 4 FGG-RG aus dem früheren Scheidungsverbund
ausgeschieden sind. Das hat zur Folge, dass ohne Rücksicht
auf in dem Altverfahren bewilligte Prozesskostenhilfe nun-
mehr erneut Verfahrenskostenhilfe beantragt und beschieden
werden muss.
Oberlandesgericht Dresden, 20. Zivilsenat – Familiensenat -
Beschluss vom 15.09.2010, Az.: 20 WF 785/10
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Oberlandesgericht
Dresden
20. Zivilsenat - Familiensenat
Aktenzeichen: 20 WF 0785/10
2 F 0639/09 AG Hainichen
Beschluss
des 20. Zivilsenats - Familiensenat -
vom 15.09.2010
In der Familiensache
Antragstellerin und Beschwerdeführerin
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt
gegen
Antragsgegner
wegen Versorgungsausgleichs
hier: Verfahrenskostenhilfe
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hat der 20. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesge-
richts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Piel,
Richterin am Oberlandesgericht Maciejewski und
Richterin am Oberlandesgericht Jokisch
beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin werden die
Beschlüsse des Amtsgerichts – Familiengericht - Hainichen
vom 10.06. und 30.07.2010 – 2 F 639/09 - aufgehoben. Die Sa-
che wird zur erneuten Prüfung und Bescheidung des Verfah-
renskostenhilfegesuchs der Antragstellerin vom 10.05.2010 an
das Familiengericht zurückverwiesen.
G r ü n d e :
I.
Das Familiengericht hatte den zuvor ausgesetzt gewesenen
Versorgungsausgleich zwischen den seit 1997 rechtskräftig
geschiedenen Beteiligten nach neuem Recht wieder aufgenom-
men; zur Vorbereitung der Entscheidung hatte es dem damali-
gen Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin und dem
Antragsgegner persönlich (der weder im Scheidungsverfahren
noch aktuell anwaltlich vertreten war) einen Berechnungsvor-
schlag übersandt. Daraufhin bestellte sich der eingeschalte-
te Rechtsanwalt für die Antragstellerin, beantragte Verfah-
renskostenhilfe für seine Mandantin und signalisierte Ein-
verständnis mit dem in Aussicht gestellten Versorgungsaus-
gleich. Das Familiengericht hat daraufhin in der Hauptsache
wie angekündigt entschieden, die begehrte Verfahrenskosten-
hilfe indes mit der Begründung verweigert, die im Schei-
dungsverfahren der Antragstellerin – unstreitig - gewährte
Prozesskostenhilfe erfasse auch das wieder aufgenommene Ver-
sorgungsausgleichsverfahren (Beschlüsse vom 10.06. und –
nochmals - 30.07.2010). Dagegen richtet sich die in zulässi-
ger Weise erhobene sofortige Beschwerde der Antragstellerin,
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mit der sie die Ansicht vertritt, über den nach neuem Recht
durchgeführten Versorgungsausgleich werde nach Wiederaufnah-
me in einem selbstständigen Verfahren außerhalb des vormali-
gen Scheidungsverbunds entschieden.
II.
Die Beschwerde ist – vorläufig - begründet und führt zu der
aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Entscheidung. Der Senat
teilt
die
bereits
vom
OLG
Naumburg
(Beschluss
vom
04.03.2010, 8 WF 33/10) ausführlich begründete Auffassung,
dass nach Maßgabe von § 48 Abs. 2 VersAusglG ab dem
01.09.2009 wiederaufgenommene Versorgungsausgleichsverfahren
gemäß Art. 111 Abs. 4 Satz 2 FGG-RG vom früheren Scheidungs-
verbund getrennt worden sind und in diesem Sinne als selbst-
ständige Familiensachen fortzuführen sind. Das hat - u. a. -
zur Folge, dass in dem neu entstandenen Verfahren auch über
beantragte Verfahrenskostenhilfe ohne Bindung an einen im
vormaligen Verbundverfahren ergangenen Beschluss neu befun-
den werden muss. Da die Bewilligungsvoraussetzungen im vor-
liegenden Verfahren, vom Standpunkt des Familiengerichts aus
konsequent, im Einzelnen bisher nicht geprüft worden sind,
bietet die Aufhebung und Zurückverweisung Gelegenheit, dies
nachzuholen.
Die - hier nach § 2 VAÜG erfolgte - Aussetzung des Versor-
gungsausgleichs führte nach § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG i.V.m.
§ 628 ZPO a. F. zu einer Abtrennung, die den Scheidungsver-
bund dennoch aufrechterhielt und in ihren Rechtsfolgen dar-
auf beschränkt blieb, innerhalb des Verbundes zeitlich ver-
setzte Teilentscheidungen möglich zu machen. Es entstand da-
durch mithin kein neues selbstständiges Versorgungsaus-
gleichsverfahren; vielmehr erfolgte die Wiederaufnahme eines
in dieser Weise ausgesetzten Versorgungsausgleichs nach al-
tem Recht durch Fortsetzung des (vorhandenen) Verfahrens in-
nerhalb des bestehengebliebenen Verbunds. Diese Rechtslage
ist mit Art. 111 Abs. 4 Satz 2 FGG-RG geändert worden. Die
Vorschrift ordnet ausdrücklich an, alle "vom Verbund abge-
trennten Folgesachen ... des Satzes 1" - dazu zählt auch die
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hier zu beurteilende Konstellation - als "selbstständige Fa-
miliensachen" fortzuführen. Damit ergibt sich aus Art. 111
Abs. 4 Satz 2 FGG-RG eine echte Verfahrenstrennung kraft Ge-
setzes, die in ihren Rechtsfolgen § 623 Abs. 2 Satz 4 ZPO a.
F. entspricht: Die Entstehung einer selbstständigen Famili-
ensache führt dazu, dass diese ihre Eigenschaft als Folgesa-
che verliert und aus dem Verbund ausscheidet (vgl. etwa Zöl-
ler/Philippi, 27. Aufl. 2009, § 623 ZPO Rdn. 32 k m.w.N.).
Das hat zur Konsequenz, dass in dem neuen selbstständigen
Verfahren auch erneut um Verfahrenskostenhilfe nachgesucht
werden muss, schon weil in diesem Verfahren die Anwaltsge-
bühren unabhängig von den im früheren Verbund verwirklichten
Gebührentatbeständen entstehen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf
hin, dass die Beiordnung eines Rechtsanwalts jedenfalls un-
ter den gegebenen Umständen nicht unter Berufung auf
§ 78 Abs. 2 FamFG wird abgelehnt werden können, nachdem das
Familiengericht den im früheren Verbundverfahren tätigen an-
waltlichen Bevollmächtigten der Antragstellerin von sich aus
(wohl in der nach neuem Recht im Ergebnis unzutreffenden An-
nahme, für das wiederaufgenommene Verfahren gelte auch der
damalige Anwaltszwang fort) mit dem nunmehr durchzuführenden
Versorgungsausgleich befasst hat.
Piel
Maciejewski
Jokisch