Urteil des OLG Dresden vom 12.05.2005

OLG Dresden: entziehung, verwahrung, reparatur, nebenstrafe, entzug, fahrverbot, auflage, vergleich, einwirkung, sicherstellung

Leitsatz:
In Fällen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142
StGB) ist ein /"bedeutender Schaden/" im Sinne des § 69 Abs. 2
Nr. 2 StGB angesichts der allgemeinen Preis- und Kostenent-
wicklung auch in den neuen Bundesländern erst ab 1300,00 Euro
anzunehmen.
OLG Dresden, 2. Strafsenat, Beschluss vom 12.05.2005,
Az. 2 Ss 278/05
Oberlandesgericht
Dresden
2. Strafsenat
Aktenzeichen: 2 Ss 278/05
220 Cs 706 Js 61621/04 AG Dresden
Beschluss
vom 12. Mai 2005
in der Strafsache gegen
L
geboren am
wohnhaft
wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort
Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden hat auf
Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Dresden und nach Anhö-
rung des Angeklagten am 12. Mai 2005 gemäß §§ 349 Abs. 4,
354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die zu Gunsten des Angeklagten eingelegte
Revision der Staatsanwaltschaft wird das Ur-
teil
des
Amtsgerichts
Dresden
vom
19. Januar 2005 im Maßregelausspruch aufgeho-
ben.
Dem
Angeklagten
wird
für
die
Dauer
ei-
nes Monats verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art
im Straßenverkehr zu führen.
2. Dem Angeklagten ist für die Entziehung seiner
Fahrerlaubnis
für
den
Zeitraum
vom
21. Januar 2005 bis zum 01. Mai 2005 eine
Entschädigung aus der Staatskasse zu gewäh-
ren.
3. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem An-
geklagten hierdurch entstandenen notwendigen
Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
G r ü n d e :
I.
Das
Amtsgericht
Dresden
hat
den
Angeklagten
wegen
unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe
von
20 Tagessätzen
zu
jeweils
20,00 EUR
verurteilt.
Zugleich hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen
Führerschein
eingezogen
und
der
Verwaltungsbehörde
verboten, dem Angeklagten vor Ablauf von fünf Monaten eine
neue
Fahrerlaubnis
zu
erteilen.
Gegen
diese
Maßregelentscheidung
richtet
sich
die
zu
Gunsten
des
Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft.
Schon zuvor, am 12. Dezember 2004, hatte das Amtsgericht,
allerdings ohne dass die Staatsanwaltschaft hiergegen Be-
schwerde erhoben hat, gemäß § 111 a StPO den vorläufigen
Entzug der Fahrerlaubnis des Angeklagten angeordnet. Der
Führerschein befand sich vom 21. Dezember 2004 bis zum
02. Mai 2005 in amtlicher Verwahrung bei den Akten.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist, wie sich aus der
Begründung des Rechtsmittels ergibt, auf den Maßregelaus-
spruch beschränkt und strebt ausschließlich eine dem Verur-
teilten günstige Rechtsfolge an. Deshalb und weil das
Rechtsmittel begründet ist, ist dem Senat eine Beschluss-
entscheidung nach § 349 Abs. 4 StPO eröffnet (BGH bei Kusch
NStZ 1997, 379 Nr. 20 m.w.N.; BGH NStZ-RR 2004, 137).
Im Übrigen führt die Staatsanwaltschaft zutreffend aus:
"Zwar ist angesichts des inneren Zusammenhangs eine Ent-
scheidung über die Maßregel grundsätzlich unabhängig von
den Erwägungen zur Strafzumessung nicht möglich. Ande-
rerseits ist hier davon auszugehen, dass die Feststel-
lungen des Amtsgerichts nicht geeignet sind, die von
§ 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vorgegebene Regelanordnung zu
stützen. Deshalb konnte das Rechtsmittel auf den Maßre-
gelausspruch beschränkt bleiben und kann das Rechtsmit-
telgericht in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1
StPO in der Sache selbst entscheiden. Denn es ist zudem
auszuschließen, dass hinsichtlich der noch offenen Fra-
gen zum Entzug der Fahrerlaubnis noch weitere - für den
Angeklagten günstige - Feststellungen getroffen werden
können (vgl. OLG Stuttgart NZV 1997, 316, 317)."
III.
Das Rechtsmittel ist begründet.
Das Amtsgericht hat keine Feststellung zur Ungeeignetheit
des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen getroffen,
sondern sich auf die Regelvorschrift des § 69 Abs. 2 Nr. 3
StGB berufen. Dabei hat es allerdings die Grenze für den
Rechtsbegriff eines "bedeutenden Schadens" im Sinne dieser
Vorschrift in Anbetracht der in den letzten Jahren deutlich
zu beobachtenden gestiegenen Preis- und Kostenentwicklung
zu niedrig angesetzt, weil es bei seinen Erwägungen einen
falschen Ausgangspunkt gewählt hat. Denn nach Auffassung
des Amtsrichters müsse "jedenfalls dann von einem bedeuten-
den Schaden für den Geschädigten ausgegangen werden, wenn
der verursachte Schaden höher ist als das durchschnittliche
Nettoeinkommen eines Durchschnittsverdieners" (UA S. 11).
Unbeschadet des Umstands, dass es auf die Vermögensverhält-
nisse
des
Geschädigten
nicht
ankommt,
(vgl.
Trönd-
le/Fischer, StGB 52. Aufl. Rdnr. 11 zu § 142) führt die
Staatsanwaltschaft insoweit zutreffend aus:
"Ob ein bedeutender Schaden in diesem Sinne vorliegt,
bemisst sich nach wirtschaftlichen Kriterien und beur-
teilt sich nach der Höhe des Betrages, um den das Vermö-
gen des Geschädigten als direkte Folge des Unfalls ge-
mindert wird. Bei Beschädigung eines Kraftfahrzeuges
sind daher nicht nur die Reparatur-, Abschlepp- und Ber-
gungskosten einschließlich Mehrwertsteuer zu berücksich-
tigen (OLG Naumburg a.a.O.), sondern auch ein trotz Re-
paratur verbleibender unfallbedingter merkantiler Min-
derwert. Der Schadensbegriff deckt sich daher insoweit
nicht stets mit dem des 'bedeutenden Werts' i.S.v. § 315
StGB, wenngleich an den Wertbegriff im § 315 c StGB an-
zulehnen ist (Tröndle/Fischer StGB 51. Auflage § 69
Rdz. 13, 13 a m.w.N.).
Die Mindestgrenze für den bedeutenden Sachwert i.S. der
§§ 315, 315 a, 315 b 315 c StGB wird inzwischen nicht
mehr unter 1.000,00 EUR angesetzt (Tröndle/Fischer StGB,
52 A., § 315 c StGB Rz. 15 i.V.m. § 315 StGB).
Da zwar von demselben Wertbegriff auszugehen ist, aber
in diesem Reparatur-, Abschlepp- und Bergungskosten
nicht einbezogen sind, bleibt er hinter dem 'bedeutenden
Schaden' i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB zurück (Trönd-
le/Fischer § 315 a.a.O.)."
Die Grenze zur Annahme eines bedeutenden Schadens im Sinne
dieser Vorschrift ist nach Ansicht des Senats - nach Anfra-
ge und in Übereinstimmung mit den beiden anderen Strafsena-
ten des Oberlandesgerichts Dresden - angesichts der allge-
meinen Preis- und Einkommensentwicklung, auch in den neuen
Bundesländern, zukünftig auf 1.300,00 EUR anzuheben (zum
Vergleich
siehe
LG Braunschweig,
Beschluss
vom
22. November 2004
- 8 Qs 392/04 -
[1.300,00 EUR];
AG Saalfeld,
Urteil
vom
14. September 2004
-
2 Ds 360 Js 2981/04 -
[1.500,00 EUR];
AG Frankfurt,
Be-
schluss vom 02. Oktober 2002 - 919 BGS 16 Js 27384/02 -
[1.200,00 EUR];
vgl.
schließlich
Tröndle/Fischer,
StGB
52. Aufl. § 69 Rdnr. 29 und den Überblick bei Himmel-
reich/Hahn NStZ 2004, 319).
Soweit der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden in
seinem Urteil vom 10. April 1995 - 1 Ss 91/95 -, das er-
sichtlich nur als Entscheidung für die Übergangszeit nach
Beitritt der neuen Bundesländern ergangen war, die Grenze
eines "bedeutenden Schadens" für die neuen Bundesländer im
Hinblick auf die damals noch bestehenden wirtschaftlichen
Verhältnisse mit 1.200,00 DM bemessen hat, ist dies ange-
sichts der zwischenzeitlich erfolgten Preis- und Kostenent-
wicklung und der weitgehend erfolgten Angleichung der wirt-
schaftlichen
Verhältnisse
nicht
mehr
haltbar.
Der
1. Strafsenat hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er an seiner
Auffassung nicht mehr festhält.
IV.
Der Senat hat den Beschluss des Amtsgerichts vom 12. De-
zember 2004 über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaub-
nis in einem gesonderten Beschluss aufgehoben, nachdem er
die im angefochtenen Urteil angeordnete Entziehung durch
diese Entscheidung entgültig beseitigt hat (vgl. Nack in KK
StPO 5. Aufl. § 111 a Rdnr. 12).
Aus den Urteilsfeststellungen des Amtsgerichts ergibt sich
allerdings - insoweit zureichend -, dass es als Besinnungs-
strafe zur Einwirkung auf den Angeklagten eines Fahrverbots
(§ 44 StGB) bedarf. Der Senat hat diese Nebenstrafe in Ü-
bereinstimmung mit der Generalstaatsanwaltschaft auf das
gesetzliche Mindestmaß von einem Monat festgesetzt (§ 354
Abs. 1 StPO).
Durch die amtliche Verwahrung des Führerscheins seit dem
21. Dezember 2004 ist diese Nebenstrafe bereits vollständig
vollstreckt. Der Senat hat daher den bei den Akten befind-
lichen Führerschein am 02. Mai 2005 an den Angeklagten he-
rausgegeben.
V.
"Dringende Gründe" im Sinne des § 111 a StPO für die Annah-
me eines endgültigen Entzugs der Fahrerlaubnis waren bei
dieser Sachlage nicht gegeben. Gemäß § 2 Abs. 1, Abs. 2
Nr. 5 StrEG ist der Angeklagte daher für die zu Unrecht an-
geordnete und vollzogene vorläufige Entziehung seiner Fahr-
erlaubnis aus der Staatskasse zu entschädigen, soweit die
Zeit der Sicherstellung des Führerscheins das angeordnete
Fahrverbot von einem Monat übersteigt.
Das Fahrverbot war am 20. Januar 2005 vollstreckt; der Füh-
rerschein hätte zu diesem Zeitpunkt dem Angeklagten wieder
ausgehändigt
werden
müssen.
Für
die
Zeit
vom
21. Januar 2005 bis einschließlich 01. Mai 2005 befand sich
der Führerschein demnach zu Unrecht in amtlicher Verwah-
rung, weshalb dem Angeklagten für diesen Zeitraum dem Grun-
de nach ein Entschädigungsanspruch zusteht.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und Abs. 2
Satz 2 StPO (vgl. auch BGHSt 19, 226).
Drath Schüddekopf Kuschel
Vorsitzender Richter Richter am Richterin am
am Oberlandesgericht Oberlandesgericht Landgericht