Urteil des OLG Dresden vom 18.12.2006

OLG Dresden: rechtliches gehör, wiedereinsetzung in den vorigen stand, nichtigkeitsklage, gesellschaft mit beschränkter haftung, wiederaufnahme des verfahrens, einspruch, aushändigung, geschäftsführer

Leitsätze:
1. Eine Wiederaufnahme entsprechend § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO
findet nicht statt, wenn ein Versäumnisurteil, das im
schriftlichen Vorverfahren des Ausgangsprozesses trotz
mangelnder ordnungsgemäßer Klagezustellung und hierin
liegender Gehörsverletzung ergangen ist, in Folge indivi-
dueller Zustellung und Verstreichens der Einspruchsfrist
rechtskräftig geworden ist.
2. Ist seit individueller, an Verkündungs statt erfolgter
Zustellung des Versäumnisurteils an beide Parteien mehr
als ein Monat verstrichen, steht der Zulässigkeit einer
auf den Mangel fehlender Rechtshängigkeit und den damit
verbundenen
Gehörsverstoß
gestützten
Nichtigkeitsklage
außerdem die Versäumung der Notfrist des § 586 Abs. 1,
Abs. 3 ZPO entgegen.
OLG Dresden, Beschluss vom 18.12.2006 i.V.m. Beschluss vom
29.01.2007 - 8 U 1938/06
2
Oberlandesgericht
Dresden
Aktenzeichen: 8 U 1938/06
9 C 7632/02 AG Leipzig
Beschluss
des 8. Zivilsenats
vom 18.12.2006
In dem Rechtsstreit
-Klägerin/Berufungsbeklagte-
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
& Coll.,
,
gegen
Tours & Packages Ltd.
vertr. d. d. Geschäftsführer ,
,
-Beklagte/Berufungsklägerin-
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt
,
,
wegen Forderung aus Reisevertrag
3
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne
mündliche Verhandlung durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Häfner,
Richter am Oberlandesgericht Bokern und
Richter am Landgericht Meyer
beschlossen:
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gemäß
§ 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Hierzu besteht Gelegenheit
zur Stellungnahme bis zum 11.01.2007.
G r ü n d e :
A.
Die Klägerin nahm bzw. nimmt die Beklagte, ein in M an-
sässiges Unternehmen, auf Rückzahlung vorausbezahlter, aber
nicht erbrachter Reiseleistungen i.H.v. 654,00 EUR in An-
spruch. Das Amtsgericht erließ im schriftlichen Vorverfahren
- ähnlich wie in zwei weiteren, vor demselben Richter ge-
führten Verfahren gegen die Beklagte - ein der Klage in vol-
lem Umfang stattgebendes Versäumnisurteil; nach Einschätzung
des Amtsgerichts ist es wirksam zugestellt und rechtskräf-
tig. Mit dem angegriffenen Urteil, auf das wegen der Einzel-
heiten verwiesen wird, hat das Amtsgericht die Nichtigkeits-
klage der Beklagten, ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand sowie ihren Einspruch gegen das Versäum-
nisurteil vom 02.05.2003 verworfen. Dagegen richtet sich die
Berufung der Beklagten.
B.
Das Rechtsmittel hat, ohne dass zulassungsrelevante Fragen
i.S.v. §§ 522 Abs. 2, 543 Abs. 2 ZPO entscheidungserheblich
werden, keine Aussicht auf Erfolg.
4
I.
Die Berufung ist zulässig.
1. Die funktionelle Zuständigkeit des Oberlandesgerichts ist
gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG aus den im Senats-
beschluss vom 11.12.2006 - 8 U 1940/06 dargelegten Grün-
den eröffnet. Die hiesige Klägerin, die von anderen als
den Prozessbevollmächtigten der Klägerin jenes Rechts-
streits vertreten wird, kann diese Gründe der anonymi-
sierten Fassung des genannten Beschlusses entnehmen, die
ihr zusammen mit der vorliegenden Entscheidung übersandt
wird. Die zum unzuständigen Landgericht eingelegte Beru-
fung ist als eigenständiges Rechtsmittel zu behandeln.
Der Beklagten kann nur empfohlen werden, es gegenüber dem
Landgericht zurückzunehmen.
2. Einlegungs- und Begründungsfrist sind gewahrt. Entgegen
der gegenüber dem Landgericht geäußerten Einschätzung der
Klägerin genügt das Berufungsvorbringen auch den Anforde-
rungen, die § 520 Abs. 3 ZPO an die Begründung stellt.
Dafür reicht bereits die tragenden Erwägungen der ange-
fochtenen Entscheidung widersprechende, zur Prüfung des
Oberlandesgerichts gestellte Auffassung der Beklagten
aus, das am 02.05.2003 erlasse Versäumnisurteil sei ihr
niemals zugestellt worden.
3. Die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind gegeben.
Insbesondere beschwert das angegriffene Urteil die Be-
klagte mit mehr als 600,00 EUR und ist ihr Prozessbevoll-
mächtigter, wie eine fernmündliche Rückfrage beim Ober-
landesgericht Köln ergeben hat, in die Liste der dort zu-
gelassenen Rechtsanwälte eingetragen.
II.
In der Sache verspricht die Berufung keinen Erfolg. Zu Recht
hat das Amtsgericht die Nichtigkeitsklage, den Einspruch und
den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten verworfen.
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1. Soweit es die Nichtigkeitsklage und in der Hauptsache Zu-
lässigkeitsfragen betrifft, hat sich das Amtsgericht mit
der Frage seiner internationalen Entscheidungszuständig-
keit nicht befasst. Das begegnet keinen Bedenken, weil
diese Kompetenz in Bezug auf die Nichtigkeitsklage gegen
die in Deutschland wohnhafte Klägerin unzweifelhaft zu
bejahen und in Bezug auf die vom Amtsgericht verneinte
Zulässigkeit von Wiedereinsetzungsantrag und Einspruch
schon aus Gründen effektiven Rechtsschutzes eröffnet sein
muss, um der Beklagten überhaupt die Möglichkeit zu ge-
ben, hinsichtlich des im Versäumnisurteil titulierten An-
spruchs eine die Frage der Entscheidungszuständigkeit der
deutschen Gerichte einschließende Prüfung zu erreichen.
2. Die Verwerfung der Nichtigkeitsklage hat aus mehreren
Gründen Bestand, § 589 Abs. 1 ZPO.
a) Zulässigkeitsvoraussetzung eines jeden Wiederaufnahme-
antrages ist grundsätzlich, dass der Wiederaufnahme-
kläger darlegt, durch ein rechtskräftiges Endurteil
(§ 578 Abs. 1 ZPO) oder einen rechtskräftigen Voll-
streckungsbescheid (vgl. § 584 Abs. 2 ZPO) beschwert
zu sein. Daran fehlt es hier. Nach dem Vorbringen der
Beklagten ist ihr das Versäumnisurteil vom 02.05.2003
bis heute nicht wirksam zugestellt worden und Heilung
gemäß § 189 ZPO nicht eingetreten. Trifft dies zu, ist
für eine zur Wiederaufnahme führende Nichtigkeitsklage
kein Raum, sondern steht, sofern die Beklagte eine
Klärung herbeiführen möchte, der Einspruch zur Verfü-
gung.
b) Die Nichtigkeitsklage ist überdies unstatthaft, weil
sich aus dem Tatsachenvorbringen der Beklagten kein
Nichtigkeitsgrund ergibt.
Geht man, wie es den tatsächlichen Gegebenheiten ent-
spricht (dazu unten II 3 a), von einer wirksamen Zu-
stellung des Versäumnisurteils und damit von dessen
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Rechtskraft aus, liegt ein Nichtigkeitsgrund i.S.v.
§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO entgegen der Ansicht der Be-
klagten auch dann nicht vor, wenn ihr - wie sie abwei-
chend von der Beurteilung des Amtsgerichts und entge-
gen dem durch die aktenkundigen Zustellungsbelege er-
weckten Anschein geltend macht - die ursprüngliche
Klageschrift nicht wirksam zugestellt worden und hier-
mit ein Gehörsverstoß verbunden war. Die von ihr im
Anschluss an Musielak (ZPO, 4. und unverändert nunmehr
5. Aufl., § 579 Rn. 7; ebenso KG NJW-RR 1987, 1215,
1216) vertretene Auffassung, im Falle nicht ordnungs-
gemäßer Zustellung der Klage erwachse ein dennoch er-
gehendes Urteil in Rechtskraft, die betroffene Partei
sei aber in einem solchen Verfahren nicht gesetzmäßig
vertreten und könne deshalb eine Nichtigkeitsklage auf
§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO stützen, trifft weder in dieser
Allgemeinheit noch für die vorliegende Fallgestaltung
zu.
aa) Bezeichnet die Klageschrift des Ausgangsverfahrens
die beklagte Partei und ihren gesetzlichen Vertre-
ter (hier eine in M ansässige Gesellschaft mit
beschränkter Haftung und ihren Geschäftsführer)
zutreffend, ist bei einer an sie vom Gericht ver-
anlassten Zustellung, deren ordnungsgemäßer Erfolg
nunmehr in Frage gestellt wird, kein unmittelbarer
Anwendungsfall des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gegeben.
Die Vorschrift erfasst nach Wortlaut und Zweck un-
mittelbar drei Fälle (vgl. Braun, in MüKo-ZPO,
2. Aufl., § 579 Rn. 10 ff.). Der Ausgangsprozess
ist von der prozessunfähigen Partei selbst geführt
worden; für die prozessunfähige Partei ist ein an-
geblicher gesetzlicher Vertreter aufgetreten, dem
die gesetzliche Vertretungsbefugnis indes fehlte;
der Prozess ist von einem gewillkürten Vertreter
ohne Prozessvollmacht geführt worden. Eine ent-
sprechende Anwendung der Vorschrift wird vor allem
für Fälle erwogen, in denen dem Betroffenen unzu-
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reichend oder überhaupt kein rechtliches Gehör ge-
währt worden ist.
bb) Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes ist § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO auf
den Fall einer öffentlichen Zustellung, deren Vor-
aussetzungen nicht vorlagen, in der Regel nicht
entsprechend anwendbar. Das gilt selbst dann, wenn
der Prozessgegner die Anordnung der öffentlichen
Zustellung arglistig erschlichen hat (BGHZ 153,
189) oder wenn das Gericht das Fehlen der Voraus-
setzungen
erkennen
konnte
(BGH,
Urteil
vom
06.10.2006
-
V ZR 282/05,
www.bundesgerichtshof.de). Zumindest im letztge-
nannten Fall wird die Zustellungsfiktion des § 188
ZPO nicht ausgelöst, werden Rechtsmittel- und
Rechtsbehelfsfristen also erst gar nicht in Gang
gesetzt (ebenso bereits BGHZ 149, 311). Im anderen
Fall steht dem Betroffenen, dem infolge der öf-
fentlichen Zustellung rechtliches Gehör versagt
geblieben ist, wenigstens die - zeitlich aller-
dings begrenzte (§ 234 Abs. 3 ZPO) - Möglichkeit
der Wiedereinsetzung offen, um eine Überprüfung
der ihm nachteiligen Entscheidung zu erreichen;
daneben kann er ggf. eine Klage aus § 826 BGB er-
heben.
cc) Führt daher ein mit einer öffentlichen Zustellung
verbundener Gehörsverstoß regelmäßig nicht zu ei-
ner entsprechenden Heranziehung des § 579 Abs. 1
Nr. 4 ZPO, dürfen die dieser Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes zugrunde liegenden Erwägungen
nicht unberücksichtigt bleiben, soweit es um die
Frage geht, ob eine sonstige Zustellung, die
"nicht ordnunsgemäß" ist, einen entsprechenden An-
wendungsfall der Vorschrift bedeuten kann.
Die Frage stellt sich nach dem oben Gesagten von
vornherein nicht, wenn dem Betroffenen das nicht
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verkündete, mit der Nichtigkeitsklage angegriffene
Urteil nicht wirksam zugestellt und dieser Mangel
auch nicht gemäß § 189 ZPO geheilt worden ist.
Denn dann fehlt es bereits an einem wiederaufnah-
mefähigen, d.h. durch rechtskräftiges Endurteil
geschlossenen Verfahren (§ 578 Abs. 1 ZPO).
Für den Streitfall könnte allenfalls zu erwägen
sein, ob ein Nichtigkeitsgrund bei Vorliegen eines
rechtskräftigen
Versäumnisurteils
dann
besteht,
wenn die Klageschrift nicht wirksam zugestellt
worden und deshalb eine aktive Teilnahme der Be-
klagten am Rechtsstreit zunächst unterblieben war.
Auch dies ist jedoch zu verneinen. Um die Bedeu-
tung der Rechtskraft und der durch sie vermittel-
ten Rechtssicherheit nicht auszuhöhlen, ist bei
der entsprechenden Anwendung gesetzlich enummera-
tiv benannter Wiederaufnahmegründe Zurückhaltung
geboten. Im Allgemeinen wird sie lediglich in von
der Interessenlage vergleichbar gelagerten Fällen
und selbst dann nur in Betracht kommen, wenn dafür
ein dringendes Bedürfnis besteht. Das mag in Bezug
auf § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO der Fall sein, wenn ein
Gehörsverstoß vorliegt, der von den Fachgerichten
in anderer Weise als durch Wiederaufnahme nicht
oder jedenfalls nicht mehr (vgl. die Jahresfristen
in §§ 321a Abs. 2, 234 Abs. 3 ZPO) behoben werden
kann. Hat der Betroffene aber ohne weiteres die
Möglichkeit, durch ein Rechtsmittel oder einen
Rechtsbehelf (wie hier in Gestalt des Einspruchs)
die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches
Gehör zu beseitigen, besteht die Notwendigkeit ei-
ner lückenfüllenden Heranziehung des § 579 Abs. 1
Nr. 4 ZPO nicht, und zwar auch und gerade nicht
unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten.
Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass im un-
mittelbaren Anwendungsbereich der Vorschrift die
Möglichkeit eines Rechtsmittels die Erhebung der
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Nichtigkeitsklage nicht ausschließt, sondern dem
Betroffenen wahlweise beide Wege offen stehen
(vgl. § 579 Abs. 2 ZPO). Da in Gehörsverstoßfällen
im Allgemeinen lediglich eine entsprechende Anwen-
dung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in Rede steht, be-
darf es ihrer von vornherein nicht, soweit sich
der Betroffene durch ein Rechtsmittel oder einen
Rechtsbehelf unschwer anderweitig Gehör verschaf-
fen kann; die Beschränkung in § 579 Abs. 2 ZPO auf
die Fälle der Nrn. 1 und 3 des Abs. 1 geht inso-
weit ins Leere (zutreffend Braun, a.a.O., § 579
Rn. 24; a.A. wohl BAG MDR 1994, 1044, das das
Wahlrecht anscheinend auf jeglichen Fall entspre-
chender Anwendung des § 578 Abs. 1 Nr. 4 ZPO
erstrecken möchte). Ein Vergleich mit den unmit-
telbaren Anwendungsfällen des § 579 Abs. 1 Nr. 4
ZPO bekräftigt dies. Im typischen Fall bleibt die
mangelnde Vertretung nach Vorschrift der Gesetze
(Prozessunfähigkeit der Partei; fehlende gesetzli-
che Vertretungsbefugnis des angeblichen gesetzli-
chen Vertreters; mangelnde Prozessvollmacht des
tätig gewordenen Anwalts) bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Ausgangsprozesses unerkannt. Deshalb
ist es nur konsequent, wenn § 579 Abs. 2 ZPO das
Ungenutztlassen einer meist nur formal bestehenden
Rechtsmittelmöglichkeit in diesen Fällen nicht zum
Statthaftigkeitshindernis erklärt.
c) Unabhängig davon ist die Nichtigkeitsklage schließlich
auch deshalb unzulässig, weil die Beklagte die Not-
frist des § 586 Abs. 1 ZPO zur Erhebung der Nichtig-
keitsklage hat verstreichen lassen.
In den Fällen mangelnder Vertretung beginnt die Mo-
natsfrist gemäß § 586 Abs. 3 ZPO zu laufen, sobald der
Partei und bei mangelnder Prozessfähigkeit ihrem ge-
setzlichen Vertreter das Urteil zugestellt ist. Wie
weiter unten (II 3 a) ausgeführt wird, ist der Beklag-
ten das Versäumnisurteil im Oktober 2003 wirksam zuge-
10
stellt worden. Ihre Nichtigkeitsklage ist erst im Ja-
nuar 2006 und damit mehr als einen Monat später bei
Gericht eingegangen. Entgegen der Ansicht von Zöl-
ler/Greger (ZPO, 26. Aufl., § 586 Rn. 25) und Braun
(a.a.O., § 586 Rn. 24) spricht nichts dafür, § 586
Abs. 3 ZPO entgegen seinem Wortlaut auf die Fälle ana-
loger Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO generell
nicht anzuwenden. Soweit der Bundesgerichtshof für den
Fall unberechtigter öffentlicher Zustellung eines Ur-
teils § 586 Abs. 3 ZPO für unanwendbar gehalten hat
(NJW 1994, 589), ergibt sich daraus nichts anderes. Zu
Recht ist in jener Entscheidung, die Greger und Braun
offenbar im Auge haben und verallgemeinern, unter
III 2 der Gründe ausdrücklich hervorgehoben, dass es
von vornherein keinen Sinn macht, einem Verfahrensbe-
teiligten, dem als Folge einer öffentlichen Zustellung
kein rechtliches Gehör gewährt worden ist, unter be-
stimmten Voraussetzungen analog § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO
die Nichtigkeitsklage zu eröffnen, gleichzeitig aber
für den Fristbeginn auf § 586 Abs. 3 ZPO auch dann ab-
zustellen, wenn das im Vorprozess ergangene Urteil öf-
fentlich zugestellt worden ist; vielmehr beginnt die
Klagefrist in einer solchen Konstellation, will man
einen Wiederaufnahmegrund überhaupt bejahen, sinnvoll-
erweise nach der allgemeinen Vorschrift des § 586
Abs. 2 Satz 1 ZPO, also sobald die Partei Kenntnis von
der öffentlichen Zustellung des Urteils erlangt. Um
einen solchen oder einen vergleichbaren Fall geht es
hier gerade nicht. Die Beklagte hat durch die wirksame
individuelle Auslandszustellung des Versäumnisurteils
Kenntnis von diesem erlangt oder sich dieser Kenntnis
verschlossen. Sie von der Einhaltung der Klagefrist
des § 586 Abs. 3 ZPO zu befreien, ist durch nichts ge-
rechtfertigt.
3. Den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil
hat das Amtsgericht ebenfalls zu Recht verworfen, § 341
Abs. 1 ZPO.
11
a) Das Versäumnisurteil vom 02.05.2003 und der vom Amts-
gericht auf Hinweis der Rechtspflegerin nachträglich
am 14.05.2003 gefasste, zur Ingangsetzung der Ein-
spruchsfrist im Falle der Auslandszustellung gemäß
§ 339 Abs. 2 ZPO zwingend erforderliche (vgl. RGZ 63,
82, 85; BGH, Beschluss vom 25.06.1997 - XII ZB 71/97,
juris) Beschluss zur Bestimmung der Einspruchsfrist
"auf 2 Wochen ab Zustellung des Versäumnisurteils"
sind der Beklagten zusammen mit einer Rechtsmittelbe-
lehrung
und
englischen
Übersetzungen
dieser
drei
Schriftstücke am 22.10.2003 wirksam zugestellt worden.
Dies beweisen die von der deutschen Botschaft - im An-
schluss an die vom Amtsgericht an Botschaft und "Re-
gistrar of the Superior Court, Valletta" gerichteten
Zustellungsersuchen,
die
die
zuzustellenden
drei
Schriftstücke
bezeichneten -
mit
Schreiben
vom
17.12.2003 zurückübermittelten Erledigungsstücke. In
diesen ist nicht nur bezeugt, dass V F ,
Marshal of the Courts of M , am 22.10.2003 "served
upon Albert Sigl, on behalf of the company 'Express
Tours and Packages Limited', the legal documents is-
sued by the Court of Leipzig, Germany by delivering
such copy to C D " (GA 97). Vielmehr hat
C A. M , Director General and Registrar of
Courts, unter dem 27.10.2003 ausdrücklich versichert,
dass "such service so proved is such as is required by
the Code of Organisation and Civil Procedure of the
Island of M and its Dependencies" (GA 96).
Ohne dass es hierauf noch ankäme, wird das sorgsame
Vorgehen der Zustellbehörden vor Ort durch ein eindeu-
tiges Indiz unterstrichen. Klageschrift, Versäumnisur-
teil und entsprechende Zustellungsersuchen bezeichne-
ten als Geschäftsführer der Beklagten noch A
S . Diese Ungenauigkeit in der Bezeichnung ist of-
fensichtlich erst durch die Zustellungsbehörden vor
Ort entdeckt und in den Zustellungszeugnissen, wo es
A S heißt, behoben worden. Einen weiteren An-
12
haltspunkt für die Wirksamkeit der Zustellung des Ver-
säumnisurteils stellen spätere, aktenkundige Umstände
dar. Der am 18.03.2004 ergangene Kostenfestsetzungsbe-
schluss, der im Rubrum den Namen des Geschäftsführers
der Beklagten unverändert falsch schreibt (A
S statt A S ), ist der Beklagten -
zusammen mit dem Kostenfestsetzungsantrag und jewei-
ligen Übersetzungen - in nahezu identischer Art und
Weise am 20.07.2004 zugestellt worden. Der Marshal
F hat versichert, dass er Herrn A S an
diesem Tag die zuzustellenden Dokumente für die Be-
klagte durch Aushändigung an Frau C D zu-
gestellt hat (GA 116); K M wiederum hat an-
schließend als Generaldirektor bescheinigt, dass die
so belegte Zustellung den zivilprozessualen Vorschrif-
ten M s entspricht (GA 115).
Bei der gegebenen Beweislage ist ohne weiteres von ei-
ner wirksamen Zustellung auszugehen. Der Einwand der
Berufung, die Hausnummer 31 bezeichne ein Gebäude mit
10 Nutzungseinheiten, von denen die Beklagte "nur" die
Nrn. 8 und 9 angemietet habe, ist unverständlich. Eben
diese Nummern waren von Anfang an ausnahmslos zusätz-
licher Bestandteil der jeweils verwendeten Zustellan-
schrift. Die weitere Auffassung der Beklagten, eine
Aushändigung des Versäumnisurteils an einen ihrer Mit-
arbeiter könne keine formgerechte Zustellung bewirken,
ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Sie widerspricht
dem
Inhalt
der
Bestätigung,
die
Generaldirektor
C A. M vom Ministry for Justice and Home
Affairs am 27.10.2003 abgegeben hat. Danach entspricht
die vorgenommene Zustellung den Vorschriften des Ge-
setzes über die Gerichtsorganisation und den Zivilpro-
zess (COCP). Es erscheint im Übrigen ausgeschlossen,
dass ein Staat wie M Zustellungen an Gesellschaf-
ten nur durch persönliche Übergabe an den gesetzlichen
Vertreter und nicht auch durch Aushändigung an Be-
dienstete dieses Unternehmens im selben Gebäude er-
laubt. Auch die Beklagte selbst vermag keine Norm des
13
besagten maltesischen Gesetzes beizubringen, die die
letztgenannte Form der Zustellung als unwirksam er-
scheinen lassen könnte. Soweit sie im Schriftsatz vom
30.11.2006 auf Kuratoren maltesischen Rechts eingeht
und in diesem Zusammenhang einzelne Bestimmungen des
COCP erwähnt, geht ihre Argumentation schon im Ansatz
fehl.
Die
Zustellung
des
Versäumnisurteils
(samt
Rechtsmittelbelehrung und Beschluss vom 14.05.2003)
ist von den maltesischen Behörden - anders als bei der
Zustellung der ursprünglichen Klage - gerade nicht an
Kuratoren bewirkt worden.
b) War die Zustellung am 23.10.2003 nach alledem wirksam,
endete die vom Amtsgericht gesetzte Einspruchsfrist
von zwei Wochen mit Ablauf des 06.11.2003. Erst am
24.01.2006 ist der Einspruch der Beklagten eingegan-
gen. Das war bei weitem verspätet.
c) Den verspäteten Einspruch musste das Amtsgericht ver-
werfen, §§ 339, 341 Abs. 1 ZPO. Wiedereinsetzung in
die versäumte Einspruchsfrist konnte es der Beklagten
schon wegen Ablaufs der Jahresfrist des § 234 Abs. 3
ZPO, aber auch deshalb nicht gewähren, weil die Be-
klagte die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen
(angeblich keine Kenntnis von der Zustellung des Ver-
säumnisurteils) entgegen der Vorschrift des § 236
Abs. 2 ZPO nicht einmal ansatzweise glaubhaft gemacht
hatte. Eine Entscheidung über Einspruch und Wiederein-
setzungsgesuch musste das Amtsgericht im Urteil nicht
deshalb unterlassen, weil es am 20.03.2006 (nur) Ter-
min zur Verhandlung und Entscheidung über Grund und
Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens anbe-
raumt hatte. Denn im Termin selbst verhandelten die
Parteien, von diesen unbeanstandet (§ 295 Abs. 1 ZPO),
über alle schriftsätzlich gestellten bzw. angekündig-
ten Anträge, also auch über Einspruch und Wiederein-
setzungsantrag.
14
III.
Abschließend sind folgende Bemerkungen angebracht:
1. Ob das nicht mit Gründen versehene Versäumnisurteil § 313
b Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 ZPO gerecht geworden ist und ob es
entsprechend § 313 a Abs. 5 ZPO vervollständigt werden
darf bzw. im Hinblick auf die im angefochtenen Urteil
nachgeholte Begründung überhaupt noch ergänzungsbedürftig
ist, hat der Senat nicht zu entscheiden.
2. Den Hinweis des Prozessbevollmächtigten der Beklagten
darauf, dass er sich gegenüber der eigenen Partei scha-
densersatzpflichtig mache, wenn er Akteneinsicht nehme
und hierdurch eine Heilung etwaiger Zustellungsmängel be-
wirke, hat der Senat zur Kenntnis genommen. Entspricht
dieser abwegige Standpunkt der aufrichtigen Überzeugung
des Prozessbevollmächtigten, erstaunt er; anderenfalls
befremdet er.
Häfner
Meyer
Bokern
15
Oberlandesgericht
Dresden
Aktenzeichen: 8 U 1938/06
9 C 7632/02 AG Leipzig
Beschluss
des 8. Zivilsenats
vom 29.01.2007
In dem Rechtsstreit
-Klägerin/Berufungsbeklagte-
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
& Coll.,
gegen
Tours & Packages Ltd.
vertr. d. d. Geschäftsführer ,
,
-Beklagte/Berufungsklägerin-
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt
,
,
wegen Forderung aus Reisevertrag
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hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne
mündliche Verhandlung durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Häfner,
Richter am Oberlandesgericht Bokern und
Richterin am Oberlandesgericht Haller
beschlossen:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsge-
richts Leipzig vom 06.09.2006 wird auf ihre Kosten zu-
rückgewiesen.
2. Streitwert der Berufung: 654,00 EUR
G r ü n d e :
Die Berufung ist aus den im Senatsbeschluss vom 18.12.2006
genannten Gründen aussichtslos und, da auch die sonstigen
Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO vorliegen, mit der Kos-
tenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
I.
Nachdem das Befangenheitsgesuch der Beklagten vom 17.01.2007
durch unanfechtbaren Beschluss vom 25.01.2007 zurückgewiesen
worden ist, besteht Entscheidungsreife. Anstelle des im Ur-
laub befindlichen Richters M ist dessen Vertreterin zur
Mitwirkung berufen. Die im Vergleich zum Hinweisbeschluss
veränderte Besetzung steht der Zurückweisung des Rechtsmit-
tels durch einstimmig gefassten Beschluss nicht entgegen.
II.
Die
Stellungnahmen
der
Beklagten
vom
11.01.2007
und
17.01.2007 rechtfertigen keine andere als die bereits aufge-
zeigte Beurteilung.
17
1. Die Herausarbeitung der verschiedenen tragenden Gesichts-
punkte hat im Hinweisbeschluss zu einer Begründung ge-
führt, deren Ausführlichkeit die Beklagte zu Unrecht als
"starkes Indiz" dafür wertet, ein Beschluss nach § 522
Abs. 2 ZPO sei nicht angezeigt. Tatsächlich ist der Um-
fang der damaligen - und auch der jetzigen - Darstellung
dem Bemühen des Senates geschuldet, im Hinblick auf die
umfangreichen, nicht durchweg leicht nachvollziehbaren
und teilweise formalistisch anmutenden Ausführungen der
Beklagten eine vollständige, zumindest ihrem Prozessbe-
vollmächtigten einleuchtende Lösung der maßgeblichen Fra-
gen zu geben.
2. Das Wiederaufnahmebegehren ist unzulässig.
a) Mit ihrer aufrecht erhaltenen Einschätzung, das Ver-
säumnisurteil sei ihr nicht zugestellt worden, bringt
die Beklagte selbst einen Sachverhalt vor, in dem eine
Nichtigkeitsklage nicht stattfindet, § 578 Abs. 1 ZPO.
Ihre Ansicht, § 586 Abs. 3 ZPO verdränge als spezial-
gesetzliche Regelung § 578 Abs. 1 ZPO, ist kaum nach-
vollziehbar und trifft jedenfalls vorliegend nicht zu.
Wie sich nicht zuletzt aus § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO er-
gibt, misst die Zivilprozessordnung einem Urteil, das
ein Verfahren endgültig abschließt, die Wirkungen der
Rechtskraft auch gegenüber derjenigen Partei zu, die
in diesem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze
vertreten war. Voraussetzung ist dabei in Fällen wie
dem vorliegenden, in denen ein im schriftlichen Vor-
verfahren erlassenes Versäumnisurteil zuzustellen ist,
aber stets, dass eine formal ordnungsgemäße Zustellung
an die betroffene Partei erfolgt ist. Fehlt es hieran,
tritt Rechtskraft nicht ein und ist für eine Wieder-
aufnahme kein Raum. Eben hierin unterscheidet sich der
von der Beklagten behauptete Sachverhalt von den An-
wendungsfällen des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Ein solcher
lag im Übrigen auch der von der Beklagten zitierten
Entscheidung des Kammergerichts vom 04.01.1989 (NJW-RR
18
1990, 8) zugrunde. Dort war das Scheidungsurteil an
den Prozessbevollmächtigten des unerkannt prozessunfä-
higen Beklagten ordnungsgemäß zugestellt und anschlie-
ßend rechtskräftig geworden; die Wiederaufnahme stand
dem Beklagten offen, weil er infolge der Unwirksamkeit
der
Vollmachtserteilung
an
den
Anwalt
nicht
vorschriftsgemäß vertreten gewesen war.
b) Zwar ist in Wahrheit von einer wirksamen Zustellung
des Versäumnisurteils - auch - an die Beklagte und da-
her von einem durch rechtskräftiges Endurteil ge-
schlossenen Verfahren auszugehen. Dies hilft indessen
nur über die unverzichtbare Zugangsvoraussetzung des
§ 578 Abs. 1 ZPO, nicht aber über die weiteren Zuläs-
sigkeitsvoraussetzungen der Nichtigkeitsklage (§ 579
Abs. 1 Nr. 4, § 586 Abs. 1, Abs. 3 ZPO) hinweg. Diese
weiteren Voraussetzungen, in deren Prüfung einzutreten
ist, um dem "kombinierten" Rechtsschutzanliegen der
Beklagten (Nichtigkeitsklage und vorsorglicher Ein-
spruch) umfassend gerecht zu werden, liegen nicht vor.
Dass und warum im Streitfall weder eine entsprechende
Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO möglich noch die
Notfrist des § 586 Abs. 1 ZPO gewahrt ist, hat der Se-
nat bereits eingehend dargelegt. Diese Erwägungen
treffen unverändert zu. Dabei hat sich der Senat, wie
von der Beklagten erbeten, insbesondere noch einmal
den Wortlaut des § 586 Abs. 3 Halbs. 1 ZPO vergegen-
wärtigt. Diese Regelung schließt für die Nichtigkeits-
klage wegen mangelnder Vertretung die Anwendung des
Absatzes 2 zur Bestimmung des Laufs der Notfrist aus
(gleichviel, ob - wie die Beklagte für den Streitfall
meint - eine unmittelbare oder - wie es tatsächlich
richtig ist - nur eine entsprechende Anwendung des
§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in Rede steht). Stattdessen
knüpft der Beginn der Notfrist in diesen Fällen an den
Tag an, an dem der Partei bzw. ihrem gesetzlichen Ver-
treter das Urteil zugestellt ist (§ 586 Abs. 3 Halbs.
2 ZPO). Dies ist hier am 22.10.2003 geschehen (vgl.
19
II 3). Nichts spricht für eine andere Betrachtungswei-
se. Die Auffassung der Beklagten negiert die Existenz
und den Sinn des § 586 Abs. 3 Halbs. 2 ZPO. Sie liefe
darauf hinaus, dass im Falle unterbliebener Klagezu-
stellung und deshalb anzunehmenden Gehörsverstoßes ein
gleichwohl erlassenes Versäumnisurteil durch individu-
elle Zustellung zwar nach Verstreichen der Einspruchs-
frist rechtskräftig würde, aber die Monatsfrist zur
Erhebung
der
Nichtigkeitsklage
entweder
überhaupt
nicht oder nur durch erneute Zustellung desselben Ver-
säumnisurteils in Gang gesetzt werden könnte. Dass
dies weder mit dem Wortlaut noch mit Sinn und Zweck
der genannten Vorschrift zu vereinbaren ist, liegt auf
der Hand.
3. Einspruch und Wiedereinsetzungsgesuch der Beklagten, bei-
de eingegangen im Januar 2006, sind wegen Versäumung der
maßgeblichen Fristen unzulässig, weil der Beklagten das
Versäumnisurteil
bereits
am
22.10.2003
(samt
einer
Rechtsmittelbelehrung und dem Beschluss zur Bestimmung
der Einspruchsfrist) zugestellt worden war.
a) Ob im Zuge der Auslandszustellung der Klage die -
mutmaßlich auf Art. 187 Abs. 6 i.V.m. § 929 (d) COCP
gestützte - Bestellung von Kuratoren wirksam war und
die Aushändigung der Klage an den Kurator Advocate Dr.
M F am 19.02.2003 sowie an die Kuratorin PM
V R am 20.02.2003 eine formgerechte
Zustellung bewirkt hat, kann dahinstehen.
aa) War die Bestellung der Kuratoren wirksam, kommt es
im Weiteren auch nicht darauf an, ob sich die Ein-
setzung auf den im Klagezustellungsersuchen des
Amtsrichters
genannten
Rechtshilfevorgang
be-
schränkte oder ob sie zur Folge hatte, dass die
Kuratoren in dieser Angelegenheit bis auf weiteres
als Vertreter der Beklagten legitimiert waren, an
die auch in der Folgezeit Zustellungen bewirkt
werden konnten. Selbst wenn letzteres der Fall
20
war, bestand ab dem Zeitpunkt, als das auf die Zu-
stellung des Versäumnisurteils bezogene (zweite)
Ersuchen des Amtsgerichts vom 20.06.2003 einging,
aufgrund der regelmäßigen Anwesenheit des Ge-
schäftsführers der Beklagten in M - die von
der Beklagten selbst hervorgehoben und durch die
vorgelegten Ablichtungen der Reisepasseintragungen
untermauert wird - wenn nicht schon keine Möglich-
keit, so jedenfalls keine Notwendigkeit (mehr),
die Zustellung noch an die ehedem bestellten Kura-
toren vorzunehmen. Die tatsächliche Behandlung des
zweiten Zustellungsersuchens durch die maltesi-
schen Justizbehörden lässt daher in Bezug auf den
Adressaten der Zustellbemühungen keinen Fehler er-
kennen: Die Zustellung des Versäumnisurteils wurde
gerade nicht an die Kuratoren, sondern an Albert
Sigl in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der
Beklagten gerichtet (und durch Aushändigung an
C D bewirkt).
bb) Ausgehend vom Standpunkt der Beklagten, die ur-
sprüngliche Bestellung von Kuratoren sei regelwid-
rig und unwirksam gewesen, ist dagegen ohnehin
nicht ersichtlich, dass und warum dies zur Unwirk-
samkeit der Zustellung des Versäumnisurteils an
ihren gesetzlichen Vertreter führen sollte.
b) Dass Cornelia Dittrich bei Zustellung des Versäumnis-
urteils entsprechend der Feststellung im Tatbestand
der angefochtenen Entscheidung, dessen Berichtigung
nicht beantragt worden ist, "eine in den Geschäftsräu-
men der Beklagten beschäftigte Person" war und es sich
bei ihr - im Gegensatz zur spitzfindigen bloßen Bewer-
tung dieser Feststellung des Amtsgerichts auf Seite 2
des Schriftsatzes vom 17.01.2007 - tatsächlich um eine
Mitarbeiterin der Beklagten handelte, steht fest.
Die Beklagte zieht dies bis heute selbst nicht konkret
in Zweifel. Ihrem beredten Schweigen (z.B. Schriftsatz
21
vom 14.11.2006: "Die Feststellung des Amtsgerichts,
daß das Versäumnisurteil einer Person übergeben wurde,
die Mitarbeiterin der Beklagten ist, ist von keiner
Partei vorgetragen worden. Dieser Umstand läßt sich
auch nicht den Akten entnehmen."; Schriftsatz vom
30.11.2006: "Die Aushändigung von Klageschrift oder
Versäumnisurteil an einen Mitarbeiter der Beklagten
bewirkt ebenfalls keine Zustellung.") und zahlreichen
weiteren Anhaltspunkten (z.B. typisch deutscher Name
der Mitarbeiterin; tatsächliche Aushändigung der zuzu-
stellenden Schriftstücke an sie, und zwar nicht nur im
Streit-, sondern unter dem Namen C D auch
im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren; deut-
scher Geschäftsführer der Beklagten) ist diese Tatsa-
che unschwer zu entnehmen. Vortrags der Klägerin be-
durfte es hierzu nicht. Dass die Zustellzeugnisse der
maltesischen Behörden - zumindest in der englischspra-
chigen Fassung - den Mitarbeiterstatus von C
D nicht ausdrücklich kenntlich gemacht haben,
ist unerheblich.
Der wiederholte Hinweis der Beklagten auf zehn Nut-
zungseinheiten im Gebäude mit der Zustellungsadresse,
von denen fünf mit juristischen Personen belegt seien,
trägt die ihm abstrakt zugeschriebene Indizwirkung
(damit gebe es "eine Vielzahl von Personen, an die der
Gerichtsvollzieher Urkunden, die an die Beklagte ad-
ressiert waren, ausgehändigt haben mag, die aber mit
der Beklagten nichts zu tun haben") schon aus den von
der Beklagten möglicherweise nicht zur Kenntnis genom-
menen Gründen auf Seite 11 des Hinweisbeschlusses
nicht. Die Nutzungseinheiten 8/9 des Gebäudes mit der
Hausnummer 31 nutzt(e) - nicht zuletzt ausweislich der
selbst vorgelegten Anlage B 1 - niemand anderes als
die Beklagte. Sie waren durchweg zusätzlicher Bestand-
teil der von Klägerin und Amtsgericht verwendeten Zu-
stellanschrift und finden sich auch in den Zustell-
zeugnissen der maltesischen Behörden wieder. Die nicht
nur in diesem Punkt auf Vernebelung angelegte Argumen-
22
tation der Beklagten und ihr insgesamt deutlich zu Ta-
ge getretenes Bemühen, klare Angaben zu naheliegenden
Punkten und die Offenlegung des tatsächlichen eigenen
Erkenntnisstandes zu vermeiden, sind im Übrigen weite-
re Anhaltspunkte, die es erst recht erlauben, von ei-
nem beredten Schweigen in Bezug auf die Stellung der
Mitarbeiterin C D auszugehen. Bezeich-
nend ist in diesem Zusammenhang überdies, dass die Be-
klagte
auf
Seiten
3 f.
ihres
Schriftsatzes
vom
11.01.2007 auf die Zustellungsvorschrift des Art. 187
Abs. 4 (Buchst. a) COCP eingeht und immerhin klar
Stellung bezieht, dass allein ihr Geschäftsführer un-
ter den in Art. 181 A Abs. 2 COCP erwähnten Personen-
kreis falle; die gleichberechtigte Möglichkeit einer
Zustellung nach Art. 187 Abs. 4 Buchst. a COCP durch
Übergabe an einen Beschäftigten, die dem Prozessbe-
vollmächtigten der Beklagten nicht verborgen geblieben
ist, wird dagegen zwar nebulös aufgegriffen ("auch
wenn die Maltesische Zivilprozessordnung grundsätzlich
andere Optionen der Zustellung zulassen würde"), aber
in der Sache nicht etwa mit der - im Falle der Wahr-
heit sogleich zu erwartenden - Behauptung bekämpft,
C D sei nicht ihre Beschäftigte (gewe-
sen), sondern mit vermeintlich vorhandenen und nicht
befolgten Vorgaben vorgesetzter Stellen für eine Aus-
händigung ausschließlich an den Geschäftsführer.
c) An der Wirksamkeit der Auslandszustellung des Versäum-
nisurteils gemäß § 183 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO besteht
unverändert kein Zweifel.
Zwar kommt es auf die Inlandsvorschriften der §§ 180,
187 ZPO entgegen der Einschätzung des Amtsgerichts
nicht an, wenn der ersuchte Staat - wie hier - eine
förmliche Zustellung nach den durch seine Gesetzgebung
für eine gleichartige Zustellung vorgeschriebenen Re-
geln bewirkt. Nachgewiesen wird die formgerechte Zu-
stellung in einem solchen Fall vielmehr durch ein
Zeugnis der ersuchten Behörde, § 183 Abs. 2 Satz 2
23
ZPO. Ein solches aussagekräftiges Zeugnis liegt hier,
wie im Hinweisbeschluss im Einzelnen dargestellt ist,
aber vor. Entgegen der Mutmaßung der Beklagten spricht
nach wie vor nichts für einen Verstoß der Zustellungs-
behörden gegen zwingende Vorschriften des COCP. Selbst
wenn die Anweisung vorgesetzter Stellen in den nur in
maltesischer
Sprache
vorliegenden
Verfügungen
vom
17./20.10.2003 auf Aushändigung an A S gelau-
tet haben sollte, war der Zusteller F nicht ge-
hindert, die Zustellung an A S als gesetzli-
chen Vertreter der Beklagten durch Übergabe der zuzu-
stellenden Dokumente an die Mitarbeiterin D zu
bewirken. Art. 187 COCP, die zentrale Zustellvor-
schrift des maltesischen Zivilprozessrechts, regelt in
seinem Absatz 4 die Zustellung an juristische Perso-
nen. Nach Buchstabe a dieser Bestimmung wird an eine
solche Person durch Überlassung einer Abschrift entwe-
der an einen der in Art. 181 A Abs. 2 COCP Genannten
oder aber an einen Beschäftigten der Person zuge-
stellt. Letzteres war hier der Fall. Ein in den Verfü-
gungen vom 17./20.10.2003 enthaltenes ausdrückliches
Verbot, diese nach dem maltesischen Gesetz vorgesehene
Zustellmöglichkeit zu nutzen, liegt mehr als fern und
wird auch vom Prozessbevollmächtigten der Beklagten,
der die Verfügungen während der mündlichen Verhandlung
vor dem Amtsgericht eingesehen und offenbar verstanden
hat, nicht behauptet. Abgesehen davon sind die staat-
lichen Stellen M s einschließlich ihrer Richter
zweifellos an das Gesetz gebunden; daher hätte ein
Verstoß des Zustellers gegen eine erteilte Weisung je-
denfalls nicht ohne weiteres die Unwirksamkeit der
COCP-konformen Zustellung zur Folge. Unter den genann-
ten Umständen musste auch nicht der Anregung der Be-
klagten Folge geleistet werden, die Verfügungen vom
17./20.10.2003 übersetzen zu lassen.
d) Der Einwand der Beklagten, es sei nicht belegt, welche
Schriftstücke ausgehändigt worden seien, geht schließ-
lich ebenfalls fehl.
24
Die Bestätigung des Zustellers F vom 27.10.2003,
dass er die Schriftstücke, um deren Zustellung das
Amtsgericht Leipzig förmlich ersucht hatte (Versäum-
nisurteil vom 02.05.2003, Rechtsmittelbelehrung, Be-
schluss vom 14.05.2003), an C D zum Zwe-
cke der Zustellung an die von Albert Sigl vertretene
Beklagte ausgehändigt hat ("the legal documents issued
by the Court of Leipzig"), genügt in Verbindung mit
dem Testat des Generaldirektors C A. M
vom selben Tag ohne weiteres als Nachweis ordnungsge-
mäßer, insbesondere auch vollständiger Zustellung.
Auch in diesem Zusammenhang spricht das Verteidigungs-
vorbringen der Beklagten Bände. Statt zumindest halb-
wegs konkret darzulegen, dass und welche zur Bewirkung
ordnungsgemäßer Zustellung erforderlichen Schriftstü-
cke sie nicht erhalten haben will, beschränkt sie sich
auf abstrakte Ausführungen zur vermeintlich unzurei-
chenden Aussagekraft der Zustellzeugnisse. Diese Kri-
tik ist nach dem eingangs Gesagten unberechtigt. Im
Übrigen entwertet es die Beweiskraft des Testates des
Generaldirektors M entgegen der Andeutung der
Beklagten keineswegs, wenn er "nur" der leitende Ur-
kundsbeamte, nicht aber ein umfassend ausgebildeter
Jurist gewesen sein sollte.
Häfner
Haller
Bokern