Urteil des OLG Dresden vom 22.11.1999
OLG Dresden: StVollzG, § 17 Abs. 3 SächsDSG, selbständiges recht, vollzugsplan, form, gefahr, auskunftserteilung, einsichtnahme, urlaub, alkohol, akteneinsichtsrecht
Beschl. v. 22.11.1999, 2 Ws 315/99
§§ 109, 185 StVollzG, § 17 Abs. 3 SächsDSG
Leitsatz
Gewährung von Teilakteneinsicht (A-Bogen und Vollzugsplan);
Verhältnis von § 185 StVollzG zu § 17 Abs. 3 SächsDSG.
Oberlandesgericht Dresden
2. Strafsenat
Aktenzeichen: 2 Ws 315/99
Beschluss
vom 22. November 1999
in der Strafvollzugssache der
,
,
- Antragstellerin und Beschwerdegegnerin -
gegen
1. das Sächsische Staatsministerium der Justiz
und
2. die Justizvollzugsanstalt
- Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin -
wegen Gewährung von Teilakteneinsicht
1. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der
Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts
vom 16. April 1999 aufgehoben.
2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den
Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 8. Juli 1998
wird als unbegründet verworfen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die
Antragstellerin zu tragen.
Der Streitwert wird - in beiden Instanzen - auf
5 000,00 DM festgesetzt, § 48 a, 13 Abs. 2 GKG.
G r ü n d e :
I.
Die Antragstellerin ist als Rechtsanwältin vom derzeit in
der Justizvollzugsanstalt
inhaftierten
Strafgefangenen mit Strafprozessvollmacht u. a.
zur
Vertetung in sämtlichen
Strafvollzugsangelegenheit
bevollmächtigt.
Mit Schreiben vom 30. Juni 1998 bat sie die
Beschwerdeführerin um Teilakteneinsicht durch Übersendung
der Kopie eines aktuellen "A-Bogens" sowie des
Vollzugsplanes betreffend den Strafgefangenen . Mit
Schreiben vom 8. Juli 1998 teilte die Beschwerdeführerin
daraufhin mit, ein allgemeines, selbständiges Recht auf
Erteilung von Ablichtungen aus den Gefangenenpersonalakten
bestünde nicht. Dem Interesse an einzelnen Aktenvorgängen
werde daher durch nachfolgende Information Rechnung
getragen:
"Herr ist aufgrund des Urteils des LG vom
06.05.1994 (1 VRs 101 Js 2657/92) wegen
Landfriedensbruchs zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr
und 9 Monaten verurteilt worden und befindet sich seit
dem 23.05.98 in Strafhaft. Halbstrafentermin ist der
06.04.1999 und Zweidritteltermin der 22.07.1999. Das
Haftende ist auf den 22.02.2000 notiert.
Im Vollzugsplan vom 24.06.98, der Ihrem Mandanten am
selben Tag eröffent und erläutert worden ist, wurde über
seine Persönlichkeitsproblematik festgehalten, die
Straftat unter Alkohol begangen zu haben. Nach den
Angaben Ihres Mandanten hat dieser, seitdem er seine
Freundin im Frühjahr 1996 kennengelernt hat, keinen
Alkohol mehr zu sich genommen.
Als besondere Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen sind Ihrem
Mandanten Gespräche mit den Fachdiensten zur
Auseinandersetzung mit seinen Straftaten empfohlen
worden. Hinsichtlich seiner Außenkontakte ist seine
Lebensgefährtin
aus
festgelegt worden.
Desweiteren ist unter Lockerungen und Urlaub als
Haftbeginn der 23.05.1998, als Halbstrafenzeitpunkt der
06.04.1999 und als Zweidritteltermin der 22.07.1999
sowie als Haftende der 22.02.2000 festgehalten worden.
Hinsichtlich des voraussichtlichen
Entlassungszeitpunktes ist festgelegt worden, daß
vorbehaltlich neuer Verurteilungen eine Entlassung zum
Halbstrafenzeitpunkt mit Bedenken möglich ist. Die
Bedenken ergeben sich aus der Art der Delikte mit
aggressiven Tendenzen. Ansonsten ist der Gefangene
Erstverbüßer. Zu Lockerungen und Urlaub ist Ihr Mandant
vorerst nicht geeignet, weil er zu kurz in Strafhaft
ist. Daher kann die Gefahr der Nichtrückkehr und der
Mißbrauchsgefahr noch nicht eingeschätzt werden. Im
übrigen liegen Ermittlungsverfahren des AG Bautzen 12 Ds
130 Js 2648/96 wegen gefährlicher Trunkenheit, des AG
2 DS 320 Js 2737/96 wegen Diebstahls und der
StA 260 Js 7971/97 wegen Raubes vor, die von der
Anstalt noch überprüft werden.
Ich hoffe, Ihnen damit die erforderlichen Information
gegeben zu haben. Sofern Sie weitere Informationen
benötigen, wenden Sie sich bitte an uns."
Mit einem am 23. Juli 1998 bei der
Strafvollstreckungskammer eingegangenen Antrag auf
gerichtliche Entscheidung begehrt die Antragstellerin die
Verpflichtung der Antragsgegnerin auf Gewährung von
Teilakteneinsicht (A-Bogen und Vollzugsplan) in die
Gefangenenpersonalakte des Strafgefangenen . Mit
Beschluss vom 16. April 1999 hat die
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts
den
Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Juli 1998 aufgehoben
und diese verpflichtet, die Antragstellerin unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Hiergegen richtet sich die
form- und fristgerecht
eingelegte Rechtsbeschwerde des Leiters der
Justizvollzugsanstalt , mit der die Aufhebung des
angefochtenen Beschlusses und die Zurückweisung des Antrags
auf gerichtliche Entscheidung beantragt wird.
Das Sächsische Staatsministerium der Justiz hält die
Rechtsbeschwerde für zulässig und begründet.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, § 116 Abs. 1 StVollzG.
Sie wurde form- und fristgerecht erhoben. Die Nachprüfung
der angefochtenen Entscheidung ist sowohl zur Fortbildung
des Rechts als auch zur Wahrung der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung geboten. Es ist zum einen bislang - soweit
ersichtlich - noch nicht entschieden, wie sich die am 1.
Dezember 1998 in Kraft getretene Neuregelung des § 185
StVollzG zum nach § 17 Abs. 3 Sächsisches Datenschutzgesetz
(SächsDSG) bestehenden Anspruch auf Akteneinsicht verhält.
Zum anderen hat die Strafvollstreckungskammer in ihrer
Entscheidung vom 16.04.1999 bei der Entscheidung über den
Verpflichtungsantrag der Antragstellerin ohne nähere
Begründung entgegen der herrschenden Ansicht in Literatur
und Rechtsprechung (vgl. Volckart in AK StVollzG, § 115
Rdnr. 44) auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung
der Vollzugsbehörde abgestellt; es besteht die Gefahr der
Wiederholung dieses Mangels.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg; die Sachrüge greift durch.
1. Allerdings ist die
Strafvollstreckungskammer im
angefochtenen Beschluss zu Recht von einer
Antragsbefugnis der Antragstellerin ausgegangen und hat
den Antrag daher zutreffend für zulässig gehalten.
Rechtlich betroffen im Sinne von § 109 Abs. 1 Satz 2
StVollzG können nicht nur der Strafgefangene selbst,
sondern auch dritte Personen sein, die durch die
Ablehnung einer Maßnahme in ihren Rechten unmittelbar
betroffen sein können (Calliess/Müller-Dietz, StVollzG
7. Aufl. § 109 Rdnr. 9 m.w.N.). Zum Kreis möglicher
antragsbefugter Personen gehört nach einhelliger
Auffassung auch der Verteidiger (Volckart in AK StVollzG
3. Aufl. § 109 Rdnr. 5). Das Recht des Verteidigers auf
Akteneinsicht ist, worauf die Strafvollstreckungskammer
im angefochtenen Beschluss zu Recht hingewiesen hat, ein
originäres Recht des Verteidigers, das es ihm
ermöglichen soll, seinen Mandanten ordnungsgemäß zu
beraten. Dies gilt auch dann, wenn der Anwalt als
Bevollmächtigter des Mandanten dessen
datenschutzrechtlich begründete Informationsansprüche
geltend macht, was zulässig ist (vgl. Seebode, NJW 1997,
1756 f.). Ob das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers im
konkreten Fall besteht oder auf Grund bestimmter
Regelungen eingeschränkt bzw. ausgeschlossen ist, ist
hingegen eine Frage der Begründetheit des Antrags, von
der die Antragsbefugnis nicht berührt wird.
2. Die Antragstellerin hat jedoch vorliegend keinen
Anspruch auf Akteneinsicht nach § 17 Abs. 3 Satz 1
SächsDSG, sondern lediglich einen Anspruch auf Auskunft
nach der insoweit spezielleren Regelung des § 185 Abs. 1
StVollzG. Diese auf einem Gebiet der konkurrierenden
Gesetzgebung getroffene Bundesregelung geht der
genannten Vorschrift des SächsDSG vor und schränkt diese
insoweit ein (vgl. Art. 72 Abs. 1, 74 Abs. 1 Nr. 1 GG).
Nach Maßgabe des § 185 StVollzG besteht ein Recht auf
Einsicht in die
Gefangenenpersonalakte jedoch nur
insoweit, als eine Auskunftserteilung für die
Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des
Antragstellers nicht ausreichend erscheint und er auf
die Einsichtnahme angewiesen ist. Hierzu hat die
Antragstellerin indes nichts Konkretes vorgetragen,
insbesondere hat sie nicht dargetan, auf die Unterlagen
zur Durchsetzung eines bestimmten Anspruchs des
Strafgefangenen bzw. zur Vorbereitung eines bestimmten
gerichtlichen Verfahrens angewiesen zu sein. Es bestehen
auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die bereits
erteilte Auskunft unrichtig oder unvollständig sein
könnte.
Die Strafvollstreckungskammer hätte jedoch, da es sich
vorliegend um einen Verpflichtungsantrag zur
Durchsetzung eines bestimmten Anspruchs handelt, auf die
Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung abstellen müssen (vgl. Volckart a.a.O.,
§ 115 Rdnr. 44). Die hier für das Bestehen eines
Akteneinsichtsanspruchs
entscheidungserhebliche Frage,
ob die Auskunftserteilung zur Wahrnehmung der
berechtigten Interessen der Antragstellerin ausreicht
oder ob diese auf die Einsichtnahme in die
Gefangenenpersonalakte angewiesen war, unterliegt der
vollen gerichtlichen Nachprüfung. Ein Beurteilungs- oder
Ermessensspielraum ist der Vollzugsbehörde hier nicht
eingeräumt; es handelt sich vielmehr um die Auslegung
eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Zum Zeitpunkt der
gerichtlichen Entscheidung war die Regelung des § 185
StVollzG bereits geltendes Recht.
Nach Maßgabe dieser Vorschrift ist jedoch der Bescheid
der Antragsgegnerin und Beschwerdeführern vom 8. Juli
1998 nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat zu
den im Antrag der Antragstellerin bezeichneten Teilen
der
Gefangenpersonalakte umfassend Auskunft erteilt;
dass diese zur Durchsetzung der berechtigten Interessen
der Antragstellerin nicht ausreichend sein könnte, ist -
wie oben dargelegt - nicht dargetan oder ersichtlich.
Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben, der
Senat konnte, weil die Sache spruchreif ist, an Stelle
der Strafvollstreckungskammer entscheiden (§ 119 Abs. 4
Satz 1 und 2 StVollzG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 1
StVollzG, die Streitwertfestsetzung auf §§ 48 a, 13 GKG.
(Lips) (Maier) (Haller)
Lips Maier Haller
Vors. Richter am Richter am Richterin am
Oberlandesgericht Oberlandesgericht Landgericht