Urteil des OLG Dresden vom 30.01.2002
OLG Dresden: haus, extensive auslegung, grundstück, grenzmauer, befangenheit, bauschutt, anhörung, wand, form, laden
Leitsatz:
Der Sachverständige begründet nicht die Besorgnis, er sei
befangen, wenn er Fragen beantwortet, die im Beweisbeschluss
nicht ausdrücklich gestellt sind, solange er sich auf eine,
wenn auch extensive, Auslegung des Beweisbeschlusses stützen
kann.
Vorschriften: § 406 ZPO
Suchbegriffe: Sachverständige
Ablehnung
Befangenheit
Beweisbeschluss
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Oberlandesgericht
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Dresden
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Aktenzeichen: 11 W 2033/01
10 O 5154/00 LG Chemnitz
Beschluss
des 11. Zivilsenats
vom 30.01.2002
In dem Rechtsstreit
Dipl.Geol. ,
,
09114 Chemnitz
- Kläger u. Beschwerdeführer -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte & ,
,
09112 Chemnitz
gegen
GmbH,
vertr. d. d. Geschäftsführer ,
,
09126 Chemnitz
- Beklagte u. Beschwerdegegnerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte &
Kollegen,
,
09111 Chemnitz
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hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ,
Richter am Landgericht und
Richter am Amtsgericht
beschlossen:
1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss
des Landgerichts Chemnitz vom 14.12.2001 wird auf Kosten
des Klägers zurückgewiesen.
2. Der Beschwerdewert ist 7.873,89 EUR.
G r ü n d e :
Der Kläger und die Beklagte sind Grundstücksnachbarn mit
einer ursprünglich gemeinsamen Giebelwand. Die Beklagte hat
das Haus auf ihrem Grundstück abgerissen, dabei die
Giebelwand stehen lassen. Der Kläger behauptet, dass die
Giebelwand dadurch, dass sie nun Außenwand geworden sei, vom
Oberflächenwasser durchfeuchtet werde; die Beklagte müsse
durch eine Drainage vor der Giebelwand und durch vertikalen
Feuchtigkeitsschutz das Eindringen des Oberflächenwassers in
die Giebelwand verhindern. Außerdem habe die Beklagte, da
sie zur Sicherung der Standfestigkeit des Hauses des Klägers
dort eine neue Kellerdecke aus Stahlbeton eingebracht habe,
das mangelhaft getan, die Kellerdecke senke sich, deswegen
reiße die Fuge zwischen Decke und aufstehender Wand.
Die Beklagte bestreitet, dass die Feuchtigkeit in der
Giebelmauer
vom
Oberflächenwasser
herrühre:
Es
stehe
Schichtwasser an, welches wegen fehlender vertikaler und
horizontaler Feuchtigkeitssperre im gesamten Haus des
Klägers die Wände durchfeuchte. Die Stahlbetonplatte als
Kellerdecke sei ordnungsgemäß aufgebracht und habe sich
nicht gesenkt. Das Aufreißen der Fuge sei wahrscheinlich auf
ein Schwinden des Estrichs zurückzuführen.
Das Landgericht hat mit Beweisbeschluss vom 23.02.2001 den
Sachverständigen beauftragt, die Behauptungen
des Klägers zu prüfen, das Eindringen von Feuchtigkeit aus
dem Grundstück der Beklagten könne nur durch folgende
Maßnahmen beseitigt werden:
a) die Grenzmauer würde von dort vorhandenem Schutt,
Schotter und Abfall beräumt,
b) eventuell vorhandene Wasseransammlungen im Bereich der
Grenzmauer würden entfernt,
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c) an der Grenzmauer würde eine ordnungsgemäße vertikale
Abdichtung erstellt,
d) an der Grenzmauer würde eine ordnungsgemäße Drainage
erstellt.
e) Die von der Beklagten im Anwesen des Klägers angebrachte
Stahlbetondecke über dem Kellergeschoss habe sich gesenkt
und dadurch die Fuge zwischen Boden und aufstehender Wand
im Giebelbereich habe aufreißen lassen.
Der Sachverständige erstattete ein schriftliches Gutachten
und kam zum Ergebnis,
- dass es keine Schotter- und Bauschuttablagerungen an der
Giebelwand auf dem Grundstück der Beklagten gebe,
- dass die Giebelwand weder durch eine vertikale noch durch
horizontale Feuchtigkeitssperren gegen Oberflächenwasser
gesichert sei,
- dass die Giebelwand und der Kellerfußboden im Haus des
Beklagten nicht durch Oberflächenwasser, sondern durch
Schichtwasser, also durch drückendes Wasser, sehr stark
durchfeuchtet sei,
- dass im Haus des Klägers an keiner Außenwand eine
vertikale oder horizontale Feuchtigkeitssperre angebracht
sei und dass es deswegen eine überobligationsmäßige
Leistung der Beklagten wäre, wenn sie das Haus des Klägers
gegen Schichtwasser abdichten müsse,
- dass die Fuge zwischen Giebelwand und Erdgeschossfußboden
zwar gerissen sei, dass dies aber nicht auf ein Absenken
des Erdgeschossfußbodens, sondern auf ein Schwinden des
Estrichs zurückzuführen sei.
Der Kläger beanstandete,
- dass
der
Sachverständige
festgestellt
habe,
die
Feuchtigkeit sei gleichmäßig auf den giebelseitigen und
straßenseitigen Wandflächen festzustellen,
- dass der Sachverständige es für eine überobligationsmäßige
Anstrengung der Beklagten halte, das Grundstück des
Klägers gegen Feuchtigkeit zu sichern,
- dass er eine Drainage nicht für erforderlich halte und
- dass er den Boden an der Giebelwand nicht aufgegraben habe
und deswegen nicht beurteilen könne, ob die Beklagte
Schotter und Bauschutt angeschüttet habe.
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Der Sachverständige nahm dazu in einem Ergänzungsgutachten
vom 03.09.2001 Stellung. Er verteidigte seine Feststellungen
zur
Herkunft
der
Feuchtigkeit
damit,
dass
der
Beweisbeschluss danach gefragt habe und seine Feststellungen
zur Frage, ob Bauschutt und Schotter an die Giebelwand
angeschüttet seien, mit dem fotografisch festgehaltenen
Augenschein und dem Umstand, dass die Parteien, obwohl er
bei der Einladung zum Ortstermin gebeten hatte, die
Zugängigkeit aller zu beurteilenden Bereiche innerhalb und
außerhalb des Objekts zu gewährleisten, niemand die
Auffüllung an der Giebelwand aufgegraben habe.
Das Landgericht gab den Parteien Gelegenheit, bis 28.09.2001
die mündliche Anhörung zu beantragen und für diesen Fall bis
zum
05.10.2001
ihre
Einwendungen
schriftsätzlich
zu
formulieren und einzureichen.
Diese Verfügung wurde mit dem Ergänzungsgutachten dem
Klägervertreter am 11.09.2001 zugestellt.
Der Kläger beantragte innerhalb der Frist nicht, den
Sachverständigen zur mündlichen Anhörung zu laden, lehnte
vielmehr mit Schreiben vom 05.10.2001, eingegangen am selben
Tag, den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit
ab, weil er zu Lasten des Klägers weit über die ihm
gestellten Beweisfragen hinausgegangen sei.
Das Landgericht hat den Antrag abgelehnt, weil er nicht
innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis vom Ablehnungsgrund
gestellt worden war, § 406 Abs. 2 Satz 1. Im Übrigen sei er
auch unbegründet.
Diesen Beschluss greift der Kläger mit der form- und
fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde an.
Die sofortige Beschwerde ist nicht begründet.
Der Kläger meint zu Unrecht, er habe sich auf die vom
Gericht gesetzte Frist zur Stellungnahme (05.10.2001)
verlassen
dürfen,
ein
bis
dahin
eingereichter
Ablehnungsantrag müsse als rechtzeitig anerkannt werden. Das
ließe sich hören, wenn das Gericht als einzige Frist zur
Stellungnahme die Zeit bis zum 05.10.2001 genannt hätte. Das
Gericht hatte hier aber zwei Fristen gesetzt, nämlich eine
erste bis 28.09.2001, innerhalb derer die Ladung zu
beantragen gewesen wäre. Diese Frist entspricht der
Zweiwochenfrist,
innerhalb
derer
gewöhnlich
die
Ablehnungsgründe geltend zu machen sind. Diese Frist hat der
Kläger ungenutzt verstreichen lassen. Damit ist sein
Ablehnungsrecht verwirkt.
Im Übrigen hat der Sachverständige die Grenzen des
Beweisbeschlusses nicht zu Lasten des Klägers überschritten.
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Der Wortlaut des Beweisbeschlusses mag dem Argwohn des
Klägers auf den ersten Blick Nahrung geben, denn das Gericht
hat nicht ausdrücklich danach gefragt, ob die unterlassenen
Feuchtigkeitsabdichtungen an der Giebelwand ursächlich für
die Feuchteschäden des Klägers sind, eine Auslegung des
Beweisbeschlusses ergibt aber, dass dies sehr wohl implizit
vom
Beweisbeschluss
erfragt
gewesen
ist.
Denn
der
Beweisbeschluss stellt die Frage, ob "nur" durch Abdichtung
der Giebelwand und eine Drainleitung vor der Giebelwand der
Feuchtigkeitsschaden
zu
beheben
sei.
Das
hat
der
Sachverständige verneint mit überzeugenden Gründen: Eine
Drainleitung ausschließlich vor der Giebelwand würde das
Schichtwasser, in welchem das Haus des Klägers steht, nicht
abführen
können,
genauso
wenig
wie
eine
vertikale
Feuchtigkeitssperre
an
der
Giebelwand
allein,
die
Feuchteschäden im Keller des Klägers verhindern könnte. Weil
das Haus mit allen Mauern unabgedichtet im Schichtwasser
steht, ist die Feuchtigkeit wirksam nur zu bekämpfen, wenn
eine Drainleitung rings um das ganze Haus gelegt und in die
Kanalisation oder einen Vorfluter eingebunden wird und wenn
alle Außenmauern vertikal und horizontal gegen Feuchtigkeit
gesichert werden. Damit hat der Sachverständige die implizit
gestellte Beweisfrage, ob der Abriss des Nachbarhauses
ursächlich für die Feuchtigkeitsschäden im Haus des Klägers
sei, verneint. Das ist vom Beweisbeschluss gedeckt und nicht
zu beanstanden.
Die Beschwerde war erfolglos, deswegen hat der Kläger die
Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, § 97 ZPO.
Der Beschwerdewert ist in diesem Fall gleich dem Streitwert
der Hauptsache. Denn der Sachverständige hat den Anspruch
des Klägers verneint, also ist das Interesse des Klägers an
der
Ablehnung
des
Sachverständigen
gleich
seinem
Klageantrag.