Urteil des OLG Dresden vom 13.03.2017

OLG Dresden: treu und glauben, käufer, schutzwürdiges interesse, negative feststellungsklage, wandelung, versicherungsleistung, unfall, mangel, hauptsache, kaufpreis

Leitsatz
1. Eine Wandlung ist auch dann noch möglich, wenn die Kaufsache nach dem
Wandlungsbegehren aber vor Vollzug der Wandlung beim Käufer schwer
beschädigt worden ist, wenn der Käufer die Sache angemessen versichert
hatte und dem Verkäufer die Versicherungsleistung zusammen mit der
beschädigten Sache herausgeben kann.
In diesem Fall kommt es nicht darauf an, ob der Käufer die Sache leicht
fahrlässig selbst beschädigt hatte (vgl. §§ 350, 351 BGB).
2. Im Fall der ausreichenden Kaskoversicherung kommt es auch nicht darauf an,
ob der Verkäufer bei unberechtigter Verweigerung der Wandlung die leicht
fahrlässige Beschädigung durch den Käufer hinnehmen muß, weil er im
Annahmeverzug ist.
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Oberlandesgericht
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Dresden
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Aktenzeichen: 11 U 3304/99
4-O-3330/98 LG Leipzig
Verkündet am 13.09.2000
Die Urkundsbeamtin:
Justizsekretärin
IM
URTEIL
In dem Rechtsstreit
J
- Kläger und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt W.
gegen
D
- Beklagter und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt R.
wegen Forderung und Feststellung
hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 23.08.2000 durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht
Richter am Oberlandesgericht und
Richter am Amtsgericht
für Recht erkannt:
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer des
Landgerichts Leipzig vom 13.10.1999 - Az.: 4 O 3330/98 - unter
Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert und wie folgt neu
gefasst:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.649,19 DM zu zahlen, Zug
um Zug gegen Zahlung von 9.250,00 DM und Herausgabe des PkW
Proton 413 GlSi, Fahrgestellnummer:
,
Fahrzeugbriefnummer: .
2. Der Widerklageantrag des Beklagten, festzustellen, dass der Beklagte
dem Kläger einen Betrag von 2.454,00 DM nicht schulde, ist in der
Hauptsache erledigt.
3. Im Übrigen werden Klage und Widerklage abgewiesen.
II. Von den Kosten des ersten Rechtszugs tragen der Kläger 44 % und der
Beklagte 56 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Kläger zu
30 % und dem Beklagten zu 70 % zur Last.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Beschwer des Klägers beträgt 5.035,48 DM, die des Beklagten
12.649,19 DM.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 17.684,67 DM
festgesetzt.
Tatbestand:
Entfällt gemäß § 543 Abs. 1 ZPO.
Entscheidungsgründe:
I.
Die zulässige Berufung hat in der Sache nur zum Teil Erfolg.
1. Das Wandelungsbegehren des Klägers ist begründet. Die Angriffe der
Berufung gegen diese Annahme des Landgerichts haben keinen Erfolg.
Für seine Behauptung, die Parteien hätten bei den Vertragsverhandlungen
vereinbart, dass das umstrittene Fahrzeug unter Ausschluss jeglicher
Gewährleistung verkauft werde, hat der Beklagte nicht nur keinen Beweis
angetreten. Sie widerspricht auch dem schriftlichen Vertrag (Ziffer VII, 4),
wonach der Käufer unter anderem dann Wandelung verlangen kann, wenn
ihm weitere Nachbesserungsversuche nicht zuzumuten sind.
Die Zahl der hinzunehmenden Nachbesserungsversuche richtet sich nach
den jeweiligen Umständen des Streitfalls unter Berücksichtigung des Gebots
von Treu und Glauben (vgl. statt aller: Hensen in: Ulmer/Brandner/Hensen,
AGB-Gesetz, 7. Aufl., § 11 Rn. 38). Vorliegend hat der vom Landgericht
beauftragte Sachverständige bei seiner Begutachtung am 09.12.1998
festgestellt, dass sich die Türscheibe der Fahrertür zwar leichtgängig öffnen,
aber kaum mehr schließen ließ. Hinten rechts am Fahrzeug löste sich der
Türgummi und der linke heckseitige "Proton"-Schriftzug war altersuntypisch
korrodiert. In der Berufungsbegründung hat der Beklagte zunächst vortragen
lassen, dass er am Schließmechanismus der Türscheibe bislang nur einen
Reparaturversuch unternommen habe (Seite 8, Bl. 224 d.A.). In der
mündlichen Verhandlung hat er dann aber erklärt, es sei zweimal repariert
worden, einmal durch Justieren und beim zweiten Mal durch Einbau eines
neuen Scheibenhebers. Steht damit fest, dass der Beklagte zweimal
erfolglos versucht hat, den Mangel der Schwergängigkeit der Türscheibe zu
beheben, ist der Senat mit dem Landgericht der Ansicht, dass der Kläger
weitere Nachbesserungsversuche nicht hinnehmen musste und Wandelung
erklären durfte (vgl. auch Palandt/Heinrichs, BGB, 59. Aufl., § 11 AGBG,
Rn. 57). Das gilt jedenfalls deshalb, weil es auch noch weitere Mängel an
dem Fahrzeug gegeben hatte. Insbesondere lösten sich die Türgummis,
ohne dass es für diesen Mangel darauf ankäme, ob hier ebenfalls mehrere
erfolglose Reparaturversuche vorgenommen worden sind.
Lässt sich die Türscheibe der Fahrertür nicht oder nur mit großer Mühe
schließen, ist das in hohem Maße lästig. Damit wird nicht nur die Belüftung
des Fahrzeugs durch die Fensteröffnung erheblich behindert, da sich das
Fenster zwar öffnen, aber nicht wieder schließen lässt. Der Mangel wirkt sich
auch in anderen Situationen aus, die das Herunterlassen und
Wiederanheben der Scheibe erfordern, wie z.B. an Parkscheinautomaten
von Parkhäusern, bei Polizeikontrollen o.ä..
2. Der Wandelung steht nicht entgegen, dass das umstrittene Fahrzeug vor deren
Vollzug einen Unfall mit wirtschaftlichem Totalschaden erlitten hat. Das ergibt
sich aus §§ 467, 350 BGB, wonach die Wandelung nicht ausgeschlossen ist,
wenn der Käufer den Untergang der empfangenen Sache nicht zu vertreten
hat. So liegt es hier:
Es ist heute allgemein anerkannt, dass der Käufer auch nach seinem
Wandelungsbegehren das Fahrzeug bestimmungsgemäß weiterbenutzen
darf (vgl. etwa Reinking/Eggert, Der Autokauf, 6. Aufl., Rn. 750). Wird es
ohne sein Verschulden gestohlen oder erleidet es einen unverschuldeten
Unfall, schließt das die Wandelung nicht nach §§ 467, 351 BGB aus (a.a.O.,
Rn. 759).
Vorliegend steht nicht fest, ob der Unfall, der zum wirtschaftlichen
Totalschaden des Fahrzeugs geführt hat, für den Kläger unverschuldet war.
Das kann aber dahinstehen. Denn ein Verschulden im Sinne des § 351 BGB
liegt auch dann nicht vor, wenn der Käufer das Fahrzeug ausreichend
kaskoversichert hatte. Das hat nämlich zur Folge, dass im Falle einer
Beschädigung bzw. Zerstörung der Verkäufer anstelle des unversehrten
Fahrzeugs die Versicherungsleistung als stellvertretendes commodum
(§ 281 BGB) beanspruchen kann (Reinking/Eggert, a.a.O., Rn. 759).
Verweigert der Verkäufer eine berechtigte Wandelung, gerät der Käufer
vielfach in die Lage, dass sein Kapital zu Unrecht beim Verkäufer gebunden
ist und er sich mangels ausreichender freier Mittel kein Ersatzfahrzeug
anschaffen kann. Ist er danach zur Weiterbenutzung des gewandelten
Fahrzeugs gezwungen, hat er auch einen selbstverschuldeten Unfall nicht im
Sinne des § 351 BGB zu vertreten, wenn er dieser allgegenwärtigen Gefahr
durch Abschluss einer ausreichenden Kaskoversicherung Rechnung
getragen hat. Das ist hier der Fall.
Die Versicherungsleistung in Höhe von 9.250,00 DM führt dazu, dass dem
Beklagten gemeinsam mit dem beschädigten Fahrzeug (Restwert
800,00 DM, vgl. Anl. K14, Bl. 254 d.A.) nahezu der gesamte Zeitwert des
unbeschädigten Wagens von 10.700,00 DM (vgl. a.a.O.) zufließt. Die
Differenz besteht lediglich in der Selbstbeteiligung von 650,00 DM (vgl.
Anl. K15, Bl. 256 d.A.), die der Beklagte nicht beanspruchen kann, weil der
Kläger insoweit keinen Ersatz erlangt hat, § 281 BGB.
Die dem Kläger zugeflossene Versicherungsleistung hat bewirkt, dass auf
das (konkludente) Verlangen des Beklagten hin an die Stelle seines
Anspruchs auf Rückgabe des unversehrten PkW die Versicherungsleistung
getreten ist (§ 281 BGB), die der Beklagte neben der Herausgabe des
nunmehr beschädigten Fahrzeugs verlangen kann.
3. Der Kläger muss sich gemäß §§ 467, 347 Satz 2 BGB die bis zum Unfall
gezogenen Nutzungen anrechnen lassen, die nach § 287 Abs. 2 ZPO zu
schätzen sind (Reinking/Eggert, a.a.O., Rn. 803 m.w.N.).
Zu diesem Zeitpunkt hatte das Fahrzeug eine Laufleistung von 76.806 km,
von denen 72.556 km dem Kläger zuzurechnen sind. Als Kaufpreis für das
Fahrzeug waren 24.500,00 DM vereinbart, wie das Landgericht zutreffend
festgestellt hat. Dieser Betrag ist mit der Laufleistung in Höhe von 72.556 km
zu multiplizieren und durch die zu erwarten gewesene Gesamtlaufleistung
von 150.000 km zu dividieren (Reinking/Eggert, a.a.O., Rn. 815). Das ergibt
einen Gebrauchsvorteil in Höhe von 11.850,81 DM. Dieser Betrag bewegt
sich innerhalb der Spanne, die eine Berechnung des Nutzungswertes nach
der von der Rechtsprechung auch verwendeten Formel von 0,5 bis 1 % des
Anschaffungspreises je gefahrene 1.000 km (Palandt/Heinrichs, a.a.O.,
§ 347 Rn. 9 m.w.N.) ergeben würde. Der Kläger hat auf den Kaufpreis
21.500,00 DM bezahlt. Abzüglich der gezogenen Nutzungen hat er mithin
einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 9.649,19 DM.
4. Das begründete Wandelungsbegehren des Klägers hat zur Folge, dass die
Rechte und Pflichten aus dem Kaufvertrag erlöschen und ein
Rückgewährschuldverhältnis begründet wird. Daher kann der Beklagte den
vom Kläger noch nicht bezahlten Restkaufpreis in Höhe von 3.000,00 DM
nicht mehr beanspruchen.
5. Soweit der Beklagte ferner Feststellung begehrt hat, dass er dem Kläger
2.454,00 DM nicht schulde, ist die Hauptsache erledigt.
Der negative Feststellungsantrag war zulässig. Insbesondere hatte der
Beklagte ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung, weil sich der
Kläger eines Anspruchs in dieser Höhe berühmt hat (Zöller/Greger, ZPO,
21. Aufl., § 256 Rn. 7 m.w.N.). Er hat den Betrag nicht nur vorgerichtlich mit
Schreiben vom 04.02.1998 (Anl. B8, Bl. 30 d.A.) geltend gemacht, sondern
auch noch im Prozess auf dieser Forderung bestanden. Gegenstand des
Anspruchs war im Wesentlichen ein Betrag von 2.190,00 DM, den der Kläger
zur Ablösung des Kredits für das Vorgängerfahrzeug des umstrittenen PkW
aufgewendet hat und vom Beklagten erstattet haben wollte. Noch im
Prozess, und zwar mit Schriftsatz vom 05.06.1998 (Seite 4, Bl. 36 d.A.), hat
der Kläger geltend gemacht, dass sich der Beklagte verpflichtet habe, das
von ihm in Zahlung genommene Vorgängerfahrzeug, einen Fiat Tempra, bei
der kreditierenden Bank auszulösen. Bei dieser Lage der Dinge kann an
einem Feststellungsinteresse des Beklagten kein Zweifel bestehen.
Die negative Feststellungslage war auch in der Sache begründet. Der Kläger
hat nicht bewiesen, dass der Kredit für den Fiat Tempra vom Beklagten
abzulösen war. In dem Vertrag über die Inzahlungnahme dieses Fahrzeugs
war unter der Rubrik "Zahlungsbedingungen" vereinbart: "Fahrzeug wird bei
CC-Bank ausgelöst". Durch welche der Vertragsparteien das zu geschehen
hatte, ergibt sich daraus nicht. Der weitere Inhalt des Vertrages spricht dafür,
dass die Tilgung des Restdarlehens Angelegenheit des Klägers bleiben
sollte. Denn als Kaufpreis war lediglich ein Betrag von 1,00 DM vereinbart.
Davon, dass zu diesem Betrag weitere 2.190,00 DM - der Ablösebetrag für
den Kredit - hinzukommen sollten, ist keine Rede. Auch die Zeugin G.
(Protokoll vom 03.09.1998, Seite 5, Bl. 75 d.A.) hat eine solche Vereinbarung
nicht bestätigt. Sie hat vielmehr ausgesagt, dass für den Fiat Tempra ein
Preis von 2.500,00 DM nur für den Fall zugesagt worden sei, dass der Kläger
einen Neuwagen der Marke Fiat erwirbt, nicht aber beim Kauf eines PkW
Proton. Steht damit nicht fest, dass der Beklagte verpflichtet war, die Kosten
für die Ablösung des Kredits für den Fiat Tempra zu übernehmen, hatte der
Kläger keinen Anspruch auf Erstattung dieses Betrages. Ebenso konnte er
daher vom Beklagten nicht verlangen, dass dieser ihm die Kfz-Steuer in
Höhe von 264,00 DM zu ersetzen habe, die bis zur Kreditablösung und der
erst dann möglichen Abmeldung des Fahrzeuges noch zu zahlen gewesen
sei. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch in Höhe von 2.454,00 DM
(2.190,00 DM für Kreditablösung zzgl. 264,00 DM Kfz-Steuer) bestand
folglich nicht, so dass die negative Feststellungsklage des Beklagten
begründet war.
Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am
23.08.2000 ausdrücklich erklärt hat, er werde den Anspruch nicht
weiterverfolgen, ist allerdings das Feststellungsinteresse des Beklagten in
Wegfall geraten. Durch die Erklärung ist der ursprünglich zulässige und
begründete Feststellungsantrag nach Rechtshängigkeit unzulässig
geworden. Damit war, dem Antrag des Beklagten entsprechend, die
Erledigung der Hauptsache festzustellen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Festsetzung des Wertes der Beschwer hat ihre Grundlage in § 546 Abs. 2
ZPO.