Urteil des OLG Dresden vom 18.09.2009
OLG Dresden: eltern, einkünfte, bedürftigkeit, uvg, rechtskraft, vollstreckung, vorschuss, verfügung, selbstbehalt, handbuch
Leitsatz:
Unterhaltsvorschussleistungen sind im Verhältnis zu den
Großeltern anzurechnendes Einkommen des Kindes und mindern
dessen Bedürftigkeit. Das gilt sowohl für bereits gezahlten
als auch für noch zu gewährenden Vorschuss.
Oberlandesgericht Dresden, 20. Zivilsenat - Familiensenat -
Urteil vom 18.09.2009, 20 UF 331/09
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Oberlandesgericht
Dresden
20. Zivilsenat – Familiensenat
Aktenzeichen: 20 UF 331/09
336 F 1929/05 AG Leipzig
Verkündet am 18.09.2009
Die Urkundsbeamtin:
Bräunig
Justizobersekretärin
IM
NAMEN
URTEIL
In der Familiensache
1.
2.
Klägerinnen und Berufungsklägerinnen
Prozessbevollmächtigte zu 1),2): Rechtsanwältin
gegen
Beklagte und Berufungsbeklagte
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
wegen Kindesunterhalts
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hat der 20. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesge-
richts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom
01.09.2009 durch
Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Möhring,
Richter am Oberlandesgericht Piel und
Richterin am Oberlandesgericht Maciejewski
für Recht erkannt:
1.
Auf die Berufung der Klägerin zu 2) wird das Urteil des
Amtsgerichts – Familiengericht - Leipzig vom 30.04.2009
bezüglich der Klägerin zu 2) abgeändert und wie folgt
neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu
2) ab Rechtskraft des Urteils monatlichen Unter-
halt i.H.v. 100 % des Mindestunterhalts der zwei-
ten Altersstufe, ab 01.07.2010 der dritten Alters-
stufe, jeweils abzüglich hälftigen Kindergeldes
sowie abzüglich der Leistungen nach §§ 1 ff. Un-
terhaltsvorschussgesetz, also derzeit einen Zahl-
betrag von 82,00 EUR, und ab 01.08.2010 Unterhalt
i.H.v. 100 % des Mindestunterhalts der dritten Al-
tersstufe abzüglich hälftigen Kindergeldes zu zah-
len. Die Zahlungen haben jeweils bis zum dritten
Werktag eines jeden Monats zu Händen der gesetzli-
chen Vertreterin der Klägerin zu 2) zu erfolgen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2.
Die weitergehende Berufung der Klägerin zu 2) wird zu-
rückgewiesen.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien können die Vollstreckung aus dem Urteil
durch die Gegenseite abwenden durch Sicherheitsleistung
in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreck-
baren Betrages, wenn nicht die Gegenseite vor der Voll-
streckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
4.
Von den Kosten des ersten Rechtszugs haben die Kläge-
rinnen jeweils die Hälfte zu tragen.
Von den im zweiten Rechtszug angefallenen Gerichtskos-
ten und außergerichtlichen Kosten der Beklagten haben
die Klägerinnen jeweils 30 % zu tragen. Die Beklagte
hat von diesen im zweiten Rechtszug angefallenen Ge-
richtskosten und ihren eigenen außergerichtlichen Kos-
ten 40 % zu tragen.
Die Klägerin zu 1 behält die ihr im zweiten Rechtszug
entstandenen außergerichtlichen Kosten auf sich.
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Von den der Klägerin zu 2 im zweiten Rechtszug entstan-
denen außergerichtlichen Kosten hat die Beklagte 30 %
zu tragen, 70 % behält die Klägerin zu 2 auf sich.
5.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e :
I.
Gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen
Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Die Klägerinnen haben gegen das Urteil des Familiengerichts
vom 30.04.2009 Berufung eingelegt.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 01.09.2009
haben sich die Parteien umfassend über die Unterhaltsansprü-
che der Klägerin zu 1) verglichen und übereinstimmend fest-
gestellt, dass auch für die Klägerin zu 2) keine Unterhalts-
rückstände bestehen. Eine Einigung über die künftigen Unter-
haltsansprüche der Klägerin zu 2) erfolgte nicht.
Die Klägerin zu 2) beantragt sinngemäß,
das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht - Leipzig
vom 30.04.2009 abzuändern und die Beklagte zu verurtei-
len, ihr ab Rechtskraft der Entscheidung 100 % Mindest-
unterhalt der jeweiligen Altersstufe abzüglich hälfti-
gen Kindergeldes zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Klägerin zu 2) müsse sich auf den
ihr gewährten Unterhaltsvorschuss als erzielbares Einkommen
verweisen lassen. Ein Unterhaltsvorschussanspruch stehe der
Klägerin zu 2) bis zum 31.07.2010 zu. Solange könne sie von
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der Beklagten mangels Bedürftigkeit keinen Unterhalt bean-
spruchen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf
die gewechselten Schriftsätze und das Sitzungsprotokoll des
Senats vom 01.09.2009 Bezug genommen.
II.
Da sich die Klägerin zu 1) und die Beklagte über die Unter-
haltsansprüche der Klägerin zu 1) umfassend verglichen ha-
ben, hat der Senat nur noch über den geltend gemachten Un-
terhaltsanspruch der Klägerin zu 2) zu entscheiden.
Die zulässige Berufung der Klägerin zu 2) ist teilweise be-
gründet.
Die Beklagte ist ihren Enkelinnen
und
, den beiden
Klägerinnen, unstreitig zur Zahlung von Unterhalt nach
§§ 1601, 1607 Abs. 1, 1610 BGB verpflichtet. Beide Eltern
und die anderen Großeltern sind leistungsunfähig. Die Be-
klagte verfügt - ebenfalls unstreitig - über ein um berufs-
bedingte Aufwendungen bereinigtes monatliches Nettoeinkommen
von 2.690,00 EUR.
Der Bedarf der Klägerinnen richtet sich nach der von den El-
tern abgeleiteten Lebensstellung. Da beide Elternteile zur
Zahlung von Barunterhalt nicht leistungsfähig sind, können
die Kinder von ihrer Großmutter lediglich den Mindestunter-
halt nach § 1612 a Abs. 1 BGB verlangen. Er beträgt für die
Klägerin zu 2) derzeit 322,00 EUR.
Der Bedarf der Klägerin zu 2) ist teilweise durch das staat-
liche Kindergeld gedeckt, das gemäß § 1612 b Abs. 1 Nr. 1
BGB zur Hälfte, d. h. derzeit i.H.v. 82,00 EUR, auf den Bar-
bedarf des Kindes anzurechnen ist.
Der Unterhaltsbedarf der Klägerin zu 2) ist des Weiteren
gedeckt durch die künftig zu erwartenden Leistungen der Un-
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terhaltsvorschusskasse i.H.v. monatlich 158,00 EUR. Denn Un-
terhaltsvorschussleistungen sind nur im Verhältnis zum
barunterhaltspflichtigen Elternteil subsidiär. Im Verhältnis
zu den Großeltern sind sie anzurechnendes Einkommen des Kin-
des und mindern dessen Bedürftigkeit. Das gilt sowohl für
bereits gezahlten als auch für noch zu gewährenden Vorschuss
(vgl. Wendl/Staudigl/Scholz, Das Unterhaltsrecht in der fa-
milienrichterlichen Praxis, 7. Aufl., § 2, Rdn. 549;
Schmitz-Peiffer, Die Bedeutung des Anspruchs nach dem Unter-
haltsvorschussgesetz für die Unterhaltspflicht von Großel-
tern, Der Amtsvormund 1980, 866).
Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 UVG gehen Ansprüche des Be-
rechtigten nur dann auf das Land über, wenn der Unterhalts-
anspruch gegen einen Elternteil (und nicht gegen einen nach
diesem haftenden Verwandten) besteht. Ein Übergang von Un-
terhaltsansprüchen gegen Großeltern ist auch im Rahmen der
Gewährung von Sozialleistungen nach der Vorschrift des § 94
Abs. 1 Satz 3 SGB XII ausgeschlossen. Allerdings ergibt sich
aus dem fehlenden Forderungsübergang noch nicht zwingend die
Vorrangigkeit der Sozialleistungen bzw. der Unterhaltsvor-
schusszahlungen gegenüber der Unterhaltsverpflichtung (vgl.
hierzu Münder in LPK SGB XII § 94 Rdn. 74).
Doch ist die Gewährung eines Unterhaltsvorschusses nach § 1
Abs. 1 Nr. 3 und § 2 Abs. 3 UVG lediglich abhängig von den
Unterhaltszahlungen des Elternteils, bei dem der Berechtigte
nicht lebt, sowie von Waisenbezügen wegen des Todes dieses
Elternteils. Eine dem § 2 SGB XII entsprechende Vorschrift
zum Nachrang der Sozialhilfe enthält das Unterhaltsvor-
schussgesetz gerade nicht. Die Einkünfte der Großeltern des
berechtigten Kindes spielen für die Gewährung des Unter-
haltsvorschusses ebensowenig eine Rolle wie das Einkommen
und Vermögen des betreuenden Elternteils oder sonstige Ein-
künfte des Kindes. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzge-
ber die Anrechnung von Einkommen des Berechtigten bewusst
auf die im Allgemeinen in Betracht kommenden Einkünfte be-
schränken, um den Verwaltungsaufwand für die Durchführung
des Gesetzes nicht unangemessen groß werden zu lassen (vgl.
7
BT-Drucks. 8/2774, Seite 13). Sind demnach die Voraussetzun-
gen für die Gewährung von Unterhaltsvorschuss nach §§ 1 bis
3 UVG gegeben, können Großeltern das Kind auf den Unter-
haltsvorschuss
als
erzielbares
Einkommen
verweisen
(Wendl/Staudigl/Scholz, a.a.O.).
Der Klägerin zu 2) wurden bis einschließlich Dezember 2009
bereits
Unterhaltsvorschussleistungen
i.H.v.
monatlich
158,00 EUR bewilligt. Der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss
besteht voraussichtlich bis zum 31.07.2010.
Der Unterhaltsanspruch der Klägerin zu 2) gegenüber der Be-
klagten beläuft sich somit derzeit auf (322,00 EUR - 82,00
EUR hälftiges Kindergeld - 158,00 EUR Unterhaltsvorschuss-
leistungen =) 82,00 EUR.
Im Juli 2010 wird die Klägerin zu 2) 12 Jahre alt. Sie be-
findet sich von diesem Zeitpunkt an - wie die Klägerin zu 1)
- in der dritten Altersstufe. Von ihrem Bedarf von dann
377,00 EUR ist das hälftige Kindergeld in Abzug zu bringen,
so dass sich ein Unterhaltsanspruch von 295,00 EUR ergibt,
von dem für den Monat Juli 2010 noch die Unterhaltsvor-
schussleistung in Abzug zu bringen sein wird.
Die Beklagte ist unter Berücksichtigung ihrer Unterhaltsver-
pflichtungen gegenüber der Klägerin zu 1) zur Zahlung dieses
Unterhaltsbetrages auch leistungsfähig. Die Beklagte hat als
Großmutter gegenüber ihren Enkelkindern einen Selbstbehalts-
satz von mindestens 1.400,00 EUR (Ziffer 21.3.2. der Unter-
haltsleitlinien
des
Oberlandesgerichts
Dresden,
Stand
01.01.2009). Da es nach der Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs (FamRZ 2007, 375, 376) gerechtfertigt ist, den
Großeltern generell die erhöhten Selbstbehaltsbeträge, die
auch im Rahmen des Elternunterhalts gelten, zuzubilligen,
lässt der Senat die Hälfte des den Selbstbehalt von 1.400,00
EUR übersteigenden Einkommens, das sind (2.690,00 EUR -
1.400,00 EUR = 1.290,00 EUR : 2 = ) 645,00 EUR anrechungs-
frei. Der Beklagten stehen somit für Unterhaltszwecke monat-
lich 645,00 EUR zur Verfügung. Mit diesem Betrag ist die Be-
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klagte in der Lage, die Unterhaltsansprüche der Klägerinnen
(i.H.v. 2 x 295,00 EUR) uneingeschränkt zu erfüllen.
Soweit die Beklagte ihrem dritten Enkelkind freiwillig eben-
falls monatlich 200,00 EUR zukommen lässt, kann das auf die
Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit keine Auswirkungen ha-
ben, da die Beklagte nicht dargetan hat, dass sie insoweit
ebenfalls eine Unterhaltsverpflichtung trifft.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92, 98, 100 Abs. 1
ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht
auf §§ 708 Nr. 8, 10, 711, 108 ZPO.
Da die Frage, ob Unterhaltsvorschussleistungen im Verhältnis
zu den Großeltern anrechenbare Einkünfte sind, die die Be-
dürftigkeit des Kindes mindern, in Rechtsprechung und Lite-
ratur teilweise – thesenhaft - anders beantwortet wird
(vgl.Gerhardt,
Handbuch
des
Fachanwalts
Familienrecht
6. Aufl., 6. Kapitel Rdn. 208e; OLG München Beschluss vom
10.08.1999 - 12 WF 1099/99 -, zit. nach JURIS), lässt der
Senat die Revision zu, § 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO.
Möhring
Piel
Für die wegen Urlaubsab-
wesenheit an der Unter-
schriftsleistung
verhin-
derte Richterin am Ober-
landesgericht Maciejewski
Möhring