Urteil des OLG Dresden vom 09.03.2000

OLG Dresden: anfechtung, rücknahme, kauf, prozessökonomie, anfechtbarkeit, meinung

Beschl. v. 09.03.2000, Az. 1 Ws 65/00
Leitsatz
§§ 464 Abs. 3 S. 1, 473 Abs. 1 StPO, § 74 JGG
Die vom Landgericht nach Revisionsrücknahme gem. § 473 Abs.1 StPO, § 74 JGG
getroffene Kosten- und Auslagenentscheidung ist unanfechtbar.
Oberlandesgericht Dresden
1. Strafsenat
Aktenzeichen: 1 Ws 65/00
Ws-G 104/00 StA OLG Dresden
Beschluss
vom 9. März 2000
in der Strafsache gegen
R ,
geboren am ,
wohnhaft ,
Verteidigerin: Rechtsanwältin
wegen Mordes
hier: sofortige Beschwerde
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen
den Beschluss der 1. Jugendkammer des
Landgerichts Bautzen vom 20.01.2000 wird
kostenpflichtig als unzulässig verworfen.
G r ü n d e :
I.
Das Landgericht - Jugendkammer - Bautzen hat den
Beschwerdeführer mit Urteil vom 28.09.1999 wegen Mordes zu
einer Jugendstrafe von neun Jahren verurteilt. Von der
Auferlegung von Kosten und Auslagen hat es gemäß § 74 JGG
abgesehen.
Nachdem der Beschwerdeführer am 17.01.2000 seine gegen
dieses Urteil gerichtete Revision zurückgenommen hatte, hat
das Landgericht Bautzen ihm durch Beschluss vom 20.01.2000
die Kosten der zurückgenommenen Revision auferlegt. Für die
Anwendung der Bestimmung des § 74 JGG sah es keine
Veranlassung.
Gegen den am 24.01.2000 zugestellten Kostenbeschluss wendet
sich die am 31.01.2000 beim Landgericht eingegangene
sofortige Beschwerde.
Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Dresden
beantragt, die sofortige Beschwerde des Verurteilten
kostenpflichtig als unzulässig zu verwerfen. Nach ihrer
Ansicht ist die an sich gegen die isolierte
Kostenentscheidung statthafte sofortige Beschwerde
unzulässig, weil die Hauptentscheidung nicht mehr
angefochten werden könne.
II.
Das Rechtsmittel ist als unzulässig zu verwerfen.
Zwar kann gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1 StPO gegen die (auch
isolierte) Entscheidung über die Kosten und notwendigen
Auslagen die sofortige Beschwerde eingelegt werden. Jedoch
schließt § 464 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz die sofortige
Beschwerde aus, wenn ein Rechtsmittel gegen die
Hauptentscheidung nicht statthaft ist. Insoweit wird
klargestellt, dass die Kostenentscheidung nicht weitergehend
anfechtbar ist als die Hauptentscheidung.
Die Anfechtung der Hauptentscheidung ist dann nicht
statthaft, wenn das Gesetz die Hauptentscheidung
ausdrücklich für unanfechtbar erklärt oder wenn sich aus dem
systematischen
Gesetzeszusammenhang die
Unanfechtbarkeit
ergibt (herrschende Meinung, vgl. insoweit
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 464 Rdnr. 17;
Schimansky in Karlsruher Kommentar, 4. Aufl. § 464 Rdnr. 8;
Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 464 Rdnr. 49, 51;
Krehl in Heidelberger Kommentar zur StPO 2. Aufl. § 464
Rdnr. 16, 17; Paulus in KMR, § 464 Rdnr. 39 jeweils m.w.N.).
Dementsprechend sind unanfechtbar u. a. Kostenentscheidungen
aus Beschlüssen nach § 47 Abs. 2 OWiG, §§ 46 Abs. 2, 153
Abs. 2 Satz 4, 153 a Abs. 2 Satz 4, 400 Abs. 2 Satz 2 StPO,
§ 37 Abs. 2 BtMG, § 116 StVollzG, § 55 Abs. 2 JGG. Gleiches
gilt aber auch dann, wenn infolge der Ausschöpfung des
Rechtsmittelzuges gegen die erstrebte Hauptentscheidung ein
weiteres Rechtsmittel nicht gegeben ist; denn auch insoweit
wäre die Anfechtung der Hauptentscheidung letztlich nicht
mehr statthaft (vgl. Paulus in KMR a.a.O. mit weiteren
Rechtsprechungsnachweisen; BT-Drucks. 10/1313 S. 39 ff. zum
Strafverfahrensänderungs-Gesetz vom 27.01.1987, wonach § 464
Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz dann eingreifen sollte, wenn der
Beschwerdeführer "grundsätzlich - unabhängig von der Frage
der Beschwer im Einzelfall - nicht zur Einlegung des
Rechtsmittels befugt ist.")
So liegt der Fall hier. Die Anfechtbarkeit des
landgerichtlichen Beschlusses vom 20.01.2000 ist deshalb
nicht gegeben, weil gegen die erstrebte Hauptentscheidung
durch das Revisionsgericht, die ohne Rücknahme hätte ergehen
müssen, ein weiteres Rechtsmittel auch hinsichtlich der zu
treffenden Kostenentscheidung nicht statthaft gewesen wäre.
Vielmehr wäre die Hauptentscheidung, zu der es ohne
Rechtsmittelrücknahme durch den Bundesgerichtshof als
Revisionsinstanz gekommen wäre, einer weiteren Anfechtung
ohne weiteres entzogen.
Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob die Rücknahme
des Rechtsmittels zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, zu dem
sich die Akten noch nicht beim Revisionsgericht, sondern
noch beim Landgericht befanden (so auch OLG Jena, NStZ-RR
97, 287, welches zutreffend ausgeführt hat, es sei "kein
vernünftiger Grund dafür ersichtlich, die lediglich die
gesetzliche Folge aussprechende Entscheidung des
Landgerichts, dessen Zuständigkeit aus Gründen der
Prozessökonomie zufälligerweise gegeben ist, solange, bis
die Verfahrensakten beim Revisionsgericht selbst in Einlauf
gekommen sind, einer Anfechtung auszusetzen.")
Zwar liegt im hier vorliegenden Fall wegen der Vorschrift
des § 74 JGG keine Fallgestaltung vor, in der lediglich die
gesetzliche Folge auszusprechen war, vielmehr war eine
Ermessensentscheidung nötig. Dieser Umstand ändert jedoch an
den vorgenannten Erwägungen zur
Unanfechtbarkeit der
Entscheidung in dem durch die Revisionseinlegung in Gang
gekommenen des Revisionsverfahrens nichts.
Auch Billigkeitsaspekte rechtfertigen in diesem Zusammenhang
keine andere Entscheidung. Zwar wird vereinzelt vertreten,
eine Kostenentscheidung könne im Jugendrecht auch nach
Unanfechtbarkeit der Hauptentscheidung mit der sofortigen
Beschwerde angefochten werden, da dies eine nur geringfügige
Verfahrensverlängerung verursachten würde, andererseits
jedoch mit Rücksicht auf eine sachgerechte Entscheidung nach
§ 74 JGG eine solche in Kauf genommen werden sollte (vgl.
Ostendorf, JGG 3. Aufl. § 74 Rdnr. 14). Dies verkennt
jedoch, dass die gegebenenfalls nötige Überprüfung der
Ermessensentscheidung gemäß § 74 JGG durch das
Revisionsgericht im Einzelfall eine weitergehende Prüfung
u. a. auch des ursprünglich mit der Revision angefochtenen
Urteils etwa zu den Feststellungen der persönlichen
Verhältnisse des Beschwerdeführers erfordern könnte (vgl.
z. B. OLG Düsseldorf, MDR 1993, 1113 f.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO; der Senat
sieht keine Veranlassung zur Anwendung von § 74 JGG.
(Sindlinger) (Schröder) (Pirk)
Sindlinger Schröder Pirk
Vorsitzender Richter Richterin Richter
am Oberlandesgericht am Oberlandesgericht am Amtsgericht
Leitsatz:
§§ 464 Abs. 3 Satz 1, 473 Abs. 1 StPO, § 74 JGG
Die vom Landgericht nach Revisionsrücknahme gem. §§ 473 Abs.
1 StPO, 74 JGG getroffene Kosten- und Auslagenentscheidung
ist unanfechtbar.